Von Lizzy Stender.
Damals, als ich gerade das gebärfähige Alter erreicht hatte, wurde schon über sinkende Geburtenraten, zukünftig fehlende Beitragszahler für das Rentensystem und, überhaupt, das drohende Aussterben des deutschen Volkes lamentiert. Ein echtes Langläufer-Thema, denn das ist immerhin 45 Jahre her. Im aktuellen Kontext der gescheiterten Integration von Migranten aus nicht kompatiblen Kulturen fühlt sich so mancher berufen, auf eine neue Gruppe von Sündenböcken – oder, hier wohl eher Sünden-Ziegen – zu zeigen. Diese eigensüchtigen Baby-BoomerInnen, die sich lieber ihrer Selbstverwirklichung widmen als Windeln zu wechseln und dadurch den Fortbestand der Nation gefährden!
Auf die Diagnose, dass die bio-deutsche Vermehrungsrate hoffnungslos abgeschlagen hinter der von türkisch- oder arabisch-stämmigen Migrantinnen zurückbleibt, folgen auf dem Fuße die Vorschläge, welche Stimuli in Form von Geldprämien und Ganztags-Betreuungsangeboten bei der gut ausgebildeten Fortpflanzungs-Faulen einen Kinderwunsch auslösen sollen.
Amerika, du hast es besser! Wirklich?
Thilo Sarrazin setzt auf Kohle. Wobei ihn gegen Ende seines Buches „Wunschdenken“ aber doch erste Zweifel zu plagen scheinen an der Käuflichkeit dieser Zielgruppe, da er aus seiner sorgfältig recherchierten Datenlage ablesen kann, daß die gut ausgebildete Amerikanerin ganz ohne Staatsknete, sozusagen voll auf eigene Rechnung, mehr Kinder in die Welt setzt als ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen.
In Unkenntnis der Hintergründe dieser Statistik kann ich nur meine rein anekdotische, aus eigener Anschauung gewonnene Sicht anbieten. Es gibt in den USA im weißen Mittelstand Millionen Anhänger von ultra-konservativen, teils fundamentalistischen Strömungen der christlichen Religion. Meine konkreten Kontakte beschränken sich auf die Mormonen. Die durchweg nicht berufstätigen Ehefrauen meiner ausnahmslos männlichen Arbeitskollegen in Utah und Idaho hatten allesamt studiert, mit dem Diplom in der Tasche innerhalb ihrer Kirchengemeinde einen ebenso frommen jungen Mann geheiratet und anschließend, dem Auftrag ihres Sektengründers folgend, mindestens drei, häufig aber fünf, sechs Kinder in die Welt gesetzt.
Bei der Finanzierung dieser zahlreichen Nachkommenschaft hilft selbstverständlich die Kirche mit vielen Gratis-Angeboten. Im unwahrscheinlichen Fall, daß das Familienoberhaupt seinen Arbeitsplatz in der mormonisch geführten Firma verliert, muß man sich keine großen Sorgen machen. Jeder auf der Arbeitgeberseite stehende Mormone – und das sind heutzutage Zehntausende, zum Teil an der Spitze von multinationalen Unternehmen, die ganze Wirtschaftszweige dominieren – hat die heilige Pflicht, einen Ernährer der nächsten Generation von Missionaren der Kirche der Heiligen der Letzten Tage ehebaldigst in Lohn und Brot aufzunehmen.
Auch nicht unbedingt erstrebenswert: Das Beispiel der Mormonen
Außerhalb dieser subsidiären, nicht-staatlichen Sozialsysteme, also bei den nicht konfessionell gebundenen unter meinen US-Kolleginnen gab es zwei Gruppen – die ständig vom finanziellen Ruin bedrohten Geschiedenen mit maximal zwei Kindern -, und die bewußt Kinderlosen. Letztere konnten sich auf ihre Karriere konzentrieren und richtig Geld verdienen.
Junge Mormoninnen erleben eine Sozialisation, die ähnlich wie der orthodoxe Islam die Rolle der Frau auf die Fortpflanzung beschränkt, mit dem Unterschied, daß sie vorher noch ein Universitätsstudium abschließen dürfen. Eine unverheiratete, ökonomisch unabhängige erwachsene Frau bekommt in dieser Glaubensgemeinschaft den örtlich zuständigen Bischof als geistlichen Führer zur Seite gestellt, der darüber wacht, dass sie nicht vom schmalen Pfad der Tugend abkommt. Ja, so läuft das bei dieser Variante des abendländischen Christentums im 21. Jahrhundert.
Ich habe dazu keine belastbaren Daten, aber ich getraue mich trotzdem zu vermuten, daß der Kinderreichtum vieler gut ausgebildeter Amerikanerinnen nicht einem freien, selbstverantworteten Entschluß geschuldet ist, sondern der Konformität zu den Normen ihrer religiös definierten Gruppe – wie bei den angeblich so gebär-„freudigen“ Musliminnen auf dieser Welt. Soviel zu Aussagekraft und Interpretationsmöglichkeiten von Statistiken.
Der freie, selbstverantwortete Entschluß, Kinder in diese Welt zu setzen – oder auch nicht
Ich gehöre zur ersten Generation von Frauen in der langen Geschichte der Menschheit, der zuverlässige und nur mit hinnehmbaren Nebenwirkungen befrachtete Mittel zur Empfängnisverhütung zugänglich waren, obendrein in mehreren, ständig verbesserten Darreichungsformen zur Auswahl.
Meine Eltern haben mich dazu erzogen, die Auswirkungen meiner Handlungen auf mich und meine Umwelt möglichst im Vorhinein zu bedenken und für mein Tun oder Lassen gerade zu stehen, wie man das damals so schön altmodisch formuliert hat. Dies war eine gute Basis, um in relativ jungen Jahren eine „erwachsene“ Entscheidung zu treffen, nachdem ich mich zuvor über die zur Verfügung stehenden Optionen gründlich informiert hatte.
Obendrein hatte ich schon damals die Einstellung, daß aus dem Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten in so existenziellen Fragen wie der Empfängnisverhütung auch die moralische Pflicht folgt, eine bewußte und wohlüberlegte Entscheidung zu treffen und entsprechend umzusetzen. Wenn die Packung mit der Pille auf dem Tisch liegt, kann frau sich nicht mehr in ein verträumtes „der- Natur-ihren-Lauf-Lassen“ zurückziehen – zumal wenn sie gerade sechzehn geworden ist und gerne ihr Abitur machen möchte.
Meine Mutter hatte noch „heiraten müssen“. Ich bin fest davon überzeugt, daß der „Babyboom“ der fünfziger und sechziger Jahre in Westdeutschland ausgeblieben wäre, hätten die Frauen damals, so kurz nach dem Krieg, diese Möglichkeiten gehabt, ihre Fruchtbarkeit zu kontrollieren.
Der „Babyboom“ aus der Sicht des Babys
So wimmelte es überall von Kindern in der aus dem Boden gestampften Vorstadt, die rund um die Umkehrschleife der Straßenbahnlinie weit draußen auf die grüne Wiese hinbetoniert worden war. Die Doppelhaushälfte meiner Eltern hatte 53 Quadratmeter Grundfläche, das Eßzimmer war 11 Quadratmeter „groß“. Wie wir dort als fünfköpfige Familie, plus häufig Großeltern und Besuch dazu, hineingepaßt haben, ist mir heute noch ein Rätsel. Bis 1960 galt die Wohnraum-Zwangsbewirtschaftung. Erst mit meiner Ankunft in der Familie wurden meine Eltern von der Verpflichtung befreit, neben Urgroßmutter und Großeltern noch eine fremde, alleinstehende Frau mit ihrem Sohn in einem der Zimmer zu beherbergen.
Solange ich klein war, kannte ich nichts anderes. Aber seit meine Familie in eine vergleichsweise geräumige Altbauwohnung in der Nähe von Wien umgezogen war, begriff ich den Unterschied, den das für mich bedeutete: Platz haben, Privatsphäre, Raum und Ruhe für geistiges und kreatives Arbeiten. Virginia Woolf hat ein ganzes Buch darüber geschrieben: „A Room for Herself“.
Emanzipation, Kinder und Karriere
Man behauptet, Frauen beherrschten das Multi-Tasking perfekt. Links das Kind auf dem Arm, in der rechten Hand den Kochlöffel und mit der rechten, hochgezogenen Schulter das Telefon ans Ohr geklemmt – wichtige Telefonkonferenz mit den anderen Tele-Arbeiterinnen. Zumindest sah man solche Hochglanz-Bildchen ab etwa 1970 häufiger, mit denen für das abwechslungsreiche Leben der berufstätigen jungen Mutter geworben wurde, die wie diese chinesischen Porzellan-Artisten im Zirkus mühelos zwanzig Teller auf Stäben am Drehen hält.
Ich mußte erst einmal Geld verdienen, eine kleine Wohnung einrichten, mir über die zwei Garnituren Büro-Klamotten hinaus eine präsentable Business-Garderobe anschaffen – vom eigenen Auto war noch lange keine Rede.
Aber dann ging die Post ab. Einen guten Job hatte ich gefunden, bei der Niederlassung eines US-amerikanischen Bergbau-Konzerns, mit einem Schweden als Chef, der Frauen förderte und schrecklich unter Flugangst litt. Also durfte ich ihm die“ lästigen“ Reisen nach New York und New Orleans abnehmen, aber gerne doch. Es war richtig spannend, mit viel Verantwortung. Jedesmal, wenn eine neue Aufgabe für mich dazu kam, ging mein Chef vorher mit mir auswärts essen, um sich unter vier Augen versichern zu lassen, daß ich auf absehbare Zeit keine Familiengründung vorhatte. Das war natürlich ungesetzlich, aber der Mann war ja andererseits das nicht unerhebliche Risiko eingegangen, „kriegsentscheidende“ Aufgaben in einem kleinen Unternehmen einer 24-Jährigen mit festem Lebenspartner anzuvertrauen.
Liebe Schwestern und Mitkämpferinnen für die Emanzipation von uns Frauen: wenn sie euch heute immer noch weismachen wollen, daß eine echte Führungsposition in der freien Wirtschaft oder der Top-Job in der Politik mit der persönlichen Betreuung eines oder mehrerer Kleinkinder unter einen Hut zu kriegen sei – lacht sie aus! Das sind Blinde, die von der Farbe erzählen.
Blinde, die von der Farbe erzählen
Es sei denn, man plant den Kaiserschnitt sorgfältig in die Agenda ein und sitzt drei Tage später wieder am Konferenztisch, wie uns das die fast perfekte, (unverheiratete, daher) Mademoiselle Rachida Dati, seinerzeit Justizministerin im Kabinett von Präsident Sarkozy in Frankreich vorgemacht hat. Die neugeborene Tochter wurde von zertifizierten Nounous, wie man hier sagt, professionell versorgt, während die Mama sich mit der Justizreform beschäftigte. Ein politisches Werkstück, nach dem heute kein Hahn mehr kräht. Und die Gelegenheit, in den ersten Lebenstagen zu diesem neuen Menschen Nähe und Vertrauen aufzubauen – ein für allemal verpaßt. Bei aller Begeisterung für meine Karriere, diese Reihenfolge von Prioritäten hatte ich mir für mich selbst nie vorstellen können.
Eine Vignette aus meiner persönlichen Erfahrung: ich saß mit Kollegin Barbara aus Zürich in London im Hotel am Frühstückstisch. Der Klient unseres aktuellen Beratungsprojektes hatte uns kurzfristig „einbestellt“, weil es nicht rund lief. Barbara, alleinerziehende Mutter eines sechsjährigen Sohnes, war in gedrückter Stimmung: „Ich habe so ein schlechtes Gewissen. Ich hatte Till-Amon fest versprochen, daß ich ihn heute zu seinem Zahnarzt-Termin begleite und seine Hand halte, wenn es wehtut. Er hat solche Angst vor der Zahnspange. Nun geht Anna, meine polnische Haushälterin, mit ihm hin. Aber das ist nicht dasselbe, sie spricht ja kaum deutsch. Wir müssen unbedingt heute abend auf dem Weg zum Flughafen noch bei Harrod’s vorbei, damit ich ihm wenigstens ein tolles Geschenk mitbringen kann.“
Ich könnte Bände füllen mit ähnlichen Gesprächen. Die karg bemessene gemeinsame Zeit mit dem Nachwuchs gestalteten viele dieser Kolleginnen bewußt als „quality time“. Konfliktträchtiges Aushandeln von Kompromissen, konsequentes Einfordern von Respekt vor Grenzen, kurz gesagt Erziehung stand nicht auf dem Programm. Das erledigte für gewöhnlich „Anna, die Polin“ zwischen Herd und Bügelbrett, so gut sie es eben konnte. Mama hatte sich schließlich die ganze Woche über mit widerborstigen Kunden und Kollegen herumgeschlagen und wollte nun am Wochenende möglichst viel Harmonie tanken und kuscheln. Im Detail dem hier aufblitzenden Aspekt nachzugehen, welche Veränderungen das erfolgreiche Überleben in der knallharten und erbarmungslosen Arbeitsumgebung großer Konzerne in der weiblichen Psyche hervorruft, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.
Zu dieser Frage also nur ein kleines Stückchen Lebenserfahrung: die Beziehung zu einem Mann und potentiellen Kindesvater wird durch eine berufliche Position als Alpha-Tier nicht wirklich einfacher. Wir leben wohl in einer Phase des Übergangs. Man kann nicht erwarten, daß sich über viele Jahrhunderte eingespielte Verhaltensmuster in der Paarbeziehung in wenigen Jahrzehnten quasi von selbst an neue Gegebenheiten anpassen. Change never happens without tears.
Jetzt oder nie!
In den achtziger Jahren – ich war damals Ende Dreißig – waren die ersten, auf breiter Basis erhobenen Daten verfügbar über die Lebensverhältnisse von alleinerziehenden Müttern, die das dramatisch erhöhte Armutsrisiko aufzeigten. Die biologische Uhr tickte. Ich mußte mir das Thema „Kind oder kein Kind“ wieder vornehmen und zu einem endgültigen Abschluß bringen.
Natürlich näherte ich mich dieser wichtigen Frage mit dem Rüstzeug zur Entscheidungsfindung, das sich in zahlreichen komplexen und mit existenziellen Konsequenzen behafteten Situationen in meinem Beruf bewährt hatte. Zunächst sammelt man die Fakten, dann die Handlungsoptionen, die zur Auswahl stehen, wobei für jede Alternative überlegt wird, was sie „bringt“ und mit welchem Risiko sie verbunden ist. Aus dieser Übersicht wählt man die Handlungsoption aus, die den größten Nutzen mit dem geringsten Risiko vebindet – in der idealen Welt, zumindest. Auf die Entscheidung folgt die Umsetzung in die Realität und die Überprüfung, ob man dem gewünschten Ergebnis näher gekommen ist. Bei Bedarf schließt sich nun der nächste Durchlauf dieser Prozedur an. Das hört sich alles sehr kühl und rational an. Zwanzig Jahre Überleben im Dschungel der freien Wirtschaft, zum Teil als Selbständige, bleiben nicht in den Kleidern hängen. Ich konnte nicht plötzlich auf spontane Bauch-Entscheidung umschalten, nur weil das nach der damals um sich greifenden Bevorzugung von Gefühlsregungen gegenüber rationalem Denken gerade „in“ war.
Statistische Erhebungen in globalem Maßstab haben ergeben, daß überall auf diesem Planeten, wo Frauen Zugang zu Bildung haben und sich eigenständige ökonomische Existenzen aufbauen können, ihre Kinderzahl auf zwei bis drei Nachkommen beschränkt bleibt. Das stützt meine Annahme, daß die Übernahme von Verantwortung für sich selbst und die Kinder bei vielen dieser Frauen eine eher vorsichtige Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bewirkt sowie die Gesichtspunkte von Rücklagenbildung und Sicherung des Erreichten gegen die Wechselfälle des Lebens an Bedeutung gewinnen.
Ich war „unemployable“ geworden
In meinem Fall kam noch dazu, daß ich meinen Lebensstil genossen habe. Und mit kleinen Kindern noch nie viel anfangen konnte. Daß die Veränderungen in meiner Branche eine Generalüberholung meines Geschäftsmodells und Neupositionierung auf dem Markt erforderlich machten. So etwas macht man entweder ganz oder gar nicht. Die jahrelange Selbständigkeit auf internationalem Niveau hatte mich so geprägt, daß die Alternative, mir als Brotberuf eine Anstellung als Sachbearbeiterin mit geregelter Arbeitszeit zu suchen, nicht wirklich realistisch war. Ich war, wie meine amerikanischen Kollegen zu scherzen pflegten, „unemployable“ geworden. Bei dem ein oder anderen Bewerbungsversuch hatte ich den Eindruck, daß mein potentieller zukünftiger Vorgesetzter, der häufig erheblich jünger und gerade frisch aus der MBA-Kaderschmiede herausgepurzelt war, geradezu Angst hatte vor meinem Potential, selbst wenn ich mich bewußt bescheiden präsentierte. Ergo war die Finanzierung dieses Projekts „Ich kriege jetzt ein Kind und erziehe es notfalls allein“ sehr wackelig aufgestellt.
Bei dem Thema geht es nicht nur um mich, sondern mindestens auch um das Kind, wenn ich schon aus Platzgründen die berechtigten Ansprüche des involvierten Mannes einfach unter den Tisch fallen lasse. Dieses Kind würde eine Mutter haben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren früheren Lebensstil, die Freiheit, die spontanen Unternehmungen, schmerzlich vermissen würde. Die sich, aus Ablehnung der kollektivistischen Tendenzen im Bildungswesen – das riecht mir alles zu sehr nach Sozialismus und Gleichschaltung – in endlosen Scharmützeln mit den Vertretern des staatlich verordneten Bildungswegs verschleißen würde – oder nach Frankreich oder Österreich auswandern würde, wo ich Kind oder Kinder selbst erziehen und unterrichten darf.
Leicht habe ich mir die Entscheidung, auf Nachkommen zu verzichten, nicht gemacht. Ich habe das Thema gedreht und gewendet. Allerdings, ein Aspekt hat überhaupt keine Rolle gespielt: der Fortbestand des deutschen Volkes. Und wenn der deutsche Bundesadler sich zum Storch gewandelt und mir einen Koffer voll Kindergeld hinterher getragen hätte, wäre meine Entscheidung dadurch beeinflußt worden? Sicher nicht.
An die Adresse der um die demographische Entwicklung Besorgten sei daher mein Appell gerichtet: Kinder kriegen oder nicht ist eine rein private Angelegenheit. „Heirate und schterbe musch alloi“, sagt man in meiner schwäbischen Heimat. Wobei wir glücklicherweise in Zeiten leben, wo in unserer Zivilisation das Heiraten und Kinderkriegen in die Selbstbestimmung des einzelnen Menschen fallen. Dieser Zugewinn an Freiheit ist kostbar und steht nicht zur Verfügung für irgendwelche demographischen Planspiele.
Muß es Deutsche geben? Und wenn ja, wieviele?
Historiker berichten uns, daß der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) zwischen 30 und 40 Prozent der Bevölkerung im überwiegend deutschsprachigen Kriegsgebiet das Leben gekostet hat. Wahrhaftig eine demographische Katastrophe. Nur zweihundertfünfzig Jahre später, am Ende des 19. Jahrhunderts, formte sich der "youth bulge“, der Geburtenüberschuß, der nach Ansicht namhafter Soziologen mit zur Entwicklung auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs hin beigetragen hat.
Diese Schwankungsbreite erinnert mich an die Klima-Diskussion. Hier wie dort ist unsere Kenntnis der Kausalzusammenhänge begrenzt, und die Einflußmöglichkeiten durch Umsteuern von Menschenhand werden meines Erachtens viel zu optimistisch gesehen.
Die Ur-Ahnen der heute in Europa, Eurasien und Nordamerika lebenden Menschen haben dereinst ihre Heimat in Ostafrika verlassen und sind in Richtung Nordosten gezogen. Sie waren eine äußerst überschaubare Truppe von ein paar Hundert Menschen. Es ist kaum vorstellbar, daß jener Riesen-Wald an Stammbäumen auf einer so winzigen Wurzel zusammenläuft, aber die DNA-Analysen deuten darauf hin.
Es kommt öfters vor, daß sich der Bestand einer bedrohten Spezies, zum Beispiel bestimmter Speisefische, nach bestandsgefährdender Überfischung spontan erholt. Das ist kein Persilschein für rücksichtsloses und dummes Ausbeuten von natürlichen Ressourcen. Aber wir können auf eine lang unterschätzte und immer noch nicht völlig verstandene Reparaturfähigkeit der Natur hoffen. Daraus folgt für mich die tröstliche Botschaft, daß das Aussterben des deutschen Volkes vielleicht doch noch nicht unmittelbar und unumkehrbar bevorsteht, trotz der fortpflanzungsunwilligen Kohorte meiner Generation aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Anstatt Steuergelder für „Nudging“-Maßnahmen (neudeutsch für „halb zog sie ihn, halb sank er hin“) von zweifelhafter Wirksamkeit zu verschwenden, sollten sich alle in diesen Fragen Kompetenten augenblicklich damit beschäftigen, wie wir zum Beispiel unser auf völlig überholten Prämissen aufgebautes Rentensystem neu gestalten müssen. Wie wir mit der Herausforderung von Industrie 4.0 umgehen wollen, dem ersatzlosen Verschwinden von zig-tausenden Arbeitsplätzen in gar nicht so ferner Zukunft, mit all seinen Auswirkungen auf die Finanzierung unseres Staatswesens und damit den Fortbestand von Freiheit und Demokratie. Wenn wir das nicht geregelt kriegen, brauchen wir uns um die demographische Entwicklung Deutschlands auch keine Sorgen mehr zu machen. Das wird dann nur noch auf den Landkarten der Historiker eingezeichnet sein.
Lizzy Stender, gebürtige Stuttgarterin, lebt nach einem kosmopolitischen Berufsleben zur Zeit auf einem Bio-Bauernhof an der Grenze vom Limousin zur Auvergne.