Lizzy Stender, Gastautor / 04.01.2017 / 06:00 / Foto: Dragospl / 3 / Seite ausdrucken

House of Cards auf rumänisch

Von Lizzy Stender

In der amerikanischen Fernsehserie House of Cards, einem erfolgreichen Politthriller, geht es um einen durchtriebenen Abgeordneten, der zusammen mit seiner gleichermaßen machthungrigen Ehefrau ein System von Intrige, Korruption und Schlimmerem kreiert, um die Macht an sich zu reißen. Das ist natürlich pure Fiction. Manchmal ist aber auch die Politik innerhalb der europäischen Union spannend, besonders wenn sie in Rumänien gemacht wird.

Als Akram Shhaideh im Jahr 2011 beschloss, seine syrische Heimat zu verlassen, hatte er viel zu verlieren. Er gehörte zu den gebildeten Schichten der Hauptstadt Damaskus und hatte es im Laufe einer zwanzigjährigen Karriere zu einem guten Posten im Landwirtschaftsministerium gebracht. Sein Entschluss muss wohl ein sehr einsamer gewesen sein, denn er tauchte offenbar als Einzelperson in seinem Zufluchtsland Rumänien auf. Seine Integration in diesem EU-Land, das bisher nicht durch eine besondere Willkommenskultur aufgefallen ist, erfolgte reibungslos und in atemberaubender Schnelligkeit.

Kurz nach seiner Ankunft fand er eine seiner Ausbildung und Berufserfahrung in Syrien entsprechende Anstellung als Berater im rumänischen Ministerium für Landwirtschaft. Bei der Überwindung der augenfälligen Unterschiede in den agrarischen Produktionsbedingungen der beiden Länder dürfte dem unheimlich talentierten Herrn Shhaideh sein wohl schon länger bestehender Kontakt zu Liviu Dragnea geholfen haben. Herr Dragnea ist der Chef der sozialdemokratischen Partei Rumäniens.

Das Jahr 2011 war ein wahres Glücksjahr für Herrn Shhaideh. Nicht nur bei der Fortsetzung seiner Karriere lächelte ihm Fortuna huldvoll zu. Er traf auch noch die Frau seines Lebens, oder besser gesagt, seines neuen Lebensabschnitts (denn dass ein hoffnungsvoller Sprössling der Oberschicht im alawitischen Teil Syriens als Single ohne Unterstützung eines Familienclans mit entsprechender Heiratspolitik in der Assad-Administration Karriere machen kann, das passt nicht einmal in diese märchenhafte Geschichte).

Sevil Shhaideh, eine enge Mitarbeiterin seines Integrations-Betreuers Liviu Dragnea, schloss mit Herrn Shhaideh den Bund fürs Leben. Das muss wahre Liebe sein. Offenbar war auch Herr Dragnea so gerührt vom jungen Glück, dass er sich dem Ansinnen, als Trauzeuge beim Ja-Wort zugegen zu sein, nicht verweigern konnte.

Ein hoffnungsvoller Ansatz mit kleinem Rückschlag

Kaum verwunderlich, dass die Integration von Herrn Shhaideh auf dieser soliden Basis einen beispielhaft erfolgreichen Verlauf nahm, der im Jahre 2015 von der Verleihung der rumänischen Staatsbürgerschaft mit Pass der Europäischen Union gekrönt wurde. Auch in seiner Umgebung kamen die Menschen voran. Seine nunmehr muslimische Ehefrau Sevil schaffte es in der sozialdemokratischen Regierungsmannschaft im Spätjahr 2015 für fünf Monate auf den Posten einer Ministerin für Entwicklung (ohne nähere Angaben zum zu entwickelnden Objekt). Dieser hoffnungsvolle Ansatz fand dann allerdings durch den Rücktritt der Regierung Dragnea ein scheinbar vorläufiges Ende, das sich nur als kurze Unterbrechung herausstellen sollte.

Am 11. Dezember 2016 errangen die Sozialdemokraten Rumäniens mit 45 Prozent der abgegebenen Stimmen einen deutlichen Wahlsieg. Nur zu dumm, dass Herr Dragnea inzwischen eine rechtskräftige Verurteilung wegen Wahlbetrugs bei einer früheren Wahl an der auch sonst nicht mehr blütenweißen Hemdbrust kleben hatte und daher gezwungen war, seine Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten Rumäniens zurückzuziehen. Dies war der geeignete Moment für Sevil Shhaideh, ihre Dankbarkeit und Loyalität zu beweisen. Trotz relativer Unerfahrenheit nach nur fünf Monaten in einem Regierungsamt nahm die tapfere Frau all ihren Mut zusammen und ließ sich als Kandidatin für das Amt des Premiers vorschlagen.

Es hätte so schön sein können. Man stelle sich den anschwellenden Lobgesang der Hauptstrom-Presse vor. Und Michel Houellebecq, der seinen Roman „Unterwerfung“ umschreiben muss. Nicht erst 2021, nicht Staatschef in Frankreich, nicht nur Muslim, nein, hier und jetzt, 2017, Regierungschefin von Rumänien und (einsetzende Schnappatmung) – eine Muslima! Märchenhaft!

In der Realität taucht just in diesem Moment der große Spielverderber auf in Gestalt des – deutschstämmigen – Staatspräsidenten Klaus Iohannis auf. Vor nicht allzu langer Zeit von den bundesdeutschen Medien als „beinahe einer der Unseren“ geherzt, und nun das: „Nach gebührendem Abwägen des Für und Wider habe ich beschlossen, diesen Vorschlag abzulehnen,“ gab der Präsident im Fernsehen bekannt, und forderte die von den Sozialdemokraten angeführte Koalition auf, einen weiteren Vorschlag zu unterbreiten.

Bei der Sicherheitsüberprüfung drohte ungemach

Die rumänische Verfassung gibt dem Präsidenten das Recht, einen zweiten Vorschlag für den Posten des Premierministers zu verlangen. Die Ablehnung der Kandidatin Sevil Shhaideh erfolgte ohne Angaben von Gründen – dazu ist Klaus Iohannis nicht verpflichtet. Anders als im konfessions-besessenen Deutschland scheint die muslimische Religionszugehörigkeit von Frau Shhaideh höchstens eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Die Mitte-Rechts-Opposition hatte zunächst auf die mangelnde Erfahrung der Fünf-Monats-Ministerin und auf ihr persönliches Nahe-Verhältnis zum strafgerichtlich verhinderten Sozialdemokraten-Chef Dragnea hingewiesen. Doch damit nicht genug.

Die erste Muslima-Regierungschefin am Konferenztisch der 28 EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel wird nicht Wirklichkeit, weil die Kandidaten für das höchste Regierungsamt eines NATO-Landes eine besondere Sicherheitsüberprüfung bestehen müssen. Und dort droht Ungemach. Denn Frau Shhaideh hat bei der Wahl ihres Ehemanns in die falsche Kiste gegriffen und einen „bösen“ Syrer erwischt!

Nach Angaben mehrerer, gleich schlecht überprüfbarer Quellen wie Investigativ-Journalisten-Netzwerk und News Websites erfreute sich Herr Shhaideh, wie auch zwei seiner Brüder, in seiner Heimat Damaskus eines besonders engen Kontakts zu Bashar al-Assad. Noch während seiner Integrationsphase in Rumänien soll er sich mehrfach positiv über den Despoten und über die mit ihm verbundene schiitische Hizbollah des Libanon geäussert haben. Es bleibt zu hoffen, dass diese öffentlich verbreiteten, nicht belegten Vermutungen nicht die einzige Entscheidungsgrundlage für Präsident Iohannis waren.

So endet dieses Migrations-Märchen aus Rumänien ganz unspektakulär. Frau Sevil Shhaideh wird wahrscheinlich in ein militärisch weniger sensibles Amt befördert werden. Aber auch von dort kann sie – wenn sie ihren Glauben ernst nimmt, nach dem sie ihrem Ehemann unbedingten Gehorsam schuldet – Herrn Shhaideh mit vielen nützlichen Informationen versorgen. Wobei Herr Shhaideh vielleicht gar keine Informantin braucht. Von seinem Posten in Bukarest aus, mit dem EU-Pass in der Tasche und politisch bestens vernetzt, ist es für den Freund von Bashar al-Assad – oder welcher syrischen Bürgerkriegspartei auch immer – nur ein kleiner Sprung in das Zentrum der europäischen Macht, nach Brüssel. Wetten, dass er von Jean-Claude Juncker mit offenen Armen und dem unvermeidlichen „bisou“ empfangen wird?

Nachtrag: Rumäniens Sozialdemokraten (PSD) haben inzwischen einen neuen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten nominiert. Sie schlugen den früheren Minister für Kommunikation, Sorin Grindeanu, für das höchste Regierungsamt vor, gab PSD-Chef Liviu Dragnea in Bukarest bekannt.

Lizzy Stender, gebürtige Stuttgarterin, lebt nach einem kosmopolitischen Berufsleben zur Zeit auf einem Bio-Bauernhof an der Grenze vom Limousin zur Auvergne.

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Leserpost

netiquette:

Wilfried Cremer / 04.01.2017

Rumänien war der Versuchsballon. Da haben schon andere obskure Gestalten ihr Unwesen getrieben.

Gustav Hallenburger / 04.01.2017

Die Botschaft des Artikels erschließt sich mir keineswegs, aber als alter Zeitverschwender beschwere ich mich darüber nicht, halte es nur fest. Dies hier allerdings gibt mir Rätsel auf: “Lizzy Stender, gebürtige Stuttgarterin, lebt nach einem kosmopolitischen Berufsleben zur Zeit auf einem Bio-Bauernhof an der Grenze vom Limousin zur Auvergne.” Was bedeutet das? Ist das Poesie, gar Lyrik? Oder die Anfangszeile eines Pferderomans? Denn einen Zusammenhang mit einem journalistischen Artikel (siehe oben) kann ich da nicht erkennen.

Florian Bode / 04.01.2017

Ich möchte hier doch anmerken, dass die US-Serie “House Of Cards” das remake einer gleichnamigen Miniserie der britischen BBC ist. Diese, mit dem brillianten Ian Richardson, finde ich viel schöner.

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