Von Lizzy Stender
These 1: Frauen mögen keine perfekten, überehrgeizigen Frauen
53 Prozent der weißen Amerikanerinnen haben Donald Trump gewählt. Diese Tatsache kann zu den vielen anderen „Überraschungen“ der politisch-medialen Kaste über das Wahlergebnis in den USA einsortiert werden, wobei die Überraschung mit der Realitätsferne der arroganten Eliten zusammenhängt.
Die wissenschaftliche Analyse der „53 Prozent“ wird sicher einige Zeit benötigen. In ihrer Deutlichkeit zeigt die Zahl an sich, dass es in den USA eine Menge Frauen geben muss, die Donald Trump trotz seiner nicht zeitgemäßen Statements zum Thema Frauen für wählbar gehalten haben für das höchste Amt der Nation. Darunter sind vermutlich nicht wenige, die nicht für Donald Trump, sondern gegen Hillary Clinton ihre Stimme abgegeben haben.
Aus dem Blickwinkel einer Frau kann es wenig nachvollziehbar erscheinen, warum die zweifache Großmutter Clinton so verbissen darum gekämpft hat, ausgerechnet auf jenem Sessel im Oval Office Platz nehmen zu dürfen, auf dem sich dereinst Ehemann Bill von Monica Lewinsky den politisch folgenreichsten blow job der jüngeren amerikanischen Geschichte applizieren ließ. Wobei „frau“, sofern sie über Lebens- und Beziehungserfahrung verfügt, hier zwei Tatbestände unterscheidet: einerseits den außerehelichen Sexualverkehr und andererseits die öffentliche Demütigung der betrogenen Ehefrau, verbunden mit dem breiten Auswalzen intimster Details in den Medien.
Mit dem ersten Tatbestand kann eine Frau leben, ohne Einbuße an Würde und an Respekt, der ihr entgegengebracht wird – vielleicht paradoxerweise sogar im Gegenteil, einem Zugewinn. Beispiel: das bundesdeutsche Vorzeige-Langzeit-Ehepaar Loki und Helmut Schmidt, Schlüsselwort: Diskretion. Millionen und Generationen von Frauen in allen Schichten vom Patriarchat geprägter Gesellschaftssysteme haben mit der Herausforderung „mein Mann geht fremd“ gelebt und ein breitgefächertes Spektrum an Verhaltensweisen im Umgang damit entwickelt. Von der stillen Dulderin bis zur Vorsitzenden des örtlichen Sittlichkeitsvereins – was am Ende des 19. Jahrhunderts mit der zunehmenden öffentlichen Präsenz der Frauen des wohlhabenden Bürgertums möglich wurde. Und damit unendlich Stoff geliefert hat für Weltliteratur und Boulevardkomödien, die nicht selten davon lebten, dass die betroffene Frau den Spieß umdrehte und ihrerseits dem fremdgehenden Ehegespons Hörner aufsetzte oder dies zumindest antäuschte.
Für eine Revanche in dieser Form wäre Hillary aber reichlich spät dran gewesen. Was – außer überdimensionierte Macht- und Profitgier – kann eine Frau dazu bringen, sich so anzustrengen, um an den Ort ihrer öffentlichen Demütigung und Niederlage zurückzukehren? Die Mehrheit der weißen Amerikanerinnen wollte Ms. Rodham Clinton jedenfalls nicht als Präsidentin im Weißen Haus sehen.
These 2: Frauen mögen keine öffentlichen Anklägerinnen
Ende der neunziger Jahre, als die Wahl ihres Bundespräsidenten fast ausschließlich die daran beteiligten Österreicher, und auch die nur leidlich, interessierte, gab es im Nachbarland einen echten Aufreger. Höchstwillkommen für die Medienschaffenden, die über die ansonsten sterbenslangweiligen Optionen, Wiederwahl des aktuellen Amtsinhabers oder Wechsel zum Vertreter der andersfarbigen Großpartei, zu schreiben hatten. Der amtierende Bundespräsident Thomas Klestil hatte sich in seiner ansonsten unauffällig absolvierten Amtszeit in der Hofburg ein außereheliches Verhältnis mit einer Staatssekretärin im Außenministerium zugelegt, was nach jahrhundertelanger k.u.k.-Hofschranzen-Tradition selbstverständlich nicht unbemerkt und unkommentiert geblieben war. Während seiner Kampagne für eine zweite Amtszeit tauchte unvermittelt Klestils Noch-Ehefrau auf, die mit einem Trommelfeuer aus Vorwürfen des Moralisch-Ungeeignet-Seins in tränenreichen Auftritten in allen verfügbaren Medien gegen die Wiederwahl ihres untreuen Gatten kämpfte.
Damals bestand Wahlpflicht in Österreich – weil sonst niemand freiwillig hingegangen wäre, wie böse Zungen behauptet haben. Diesmal wurde das Ergebnis mit einiger Spannung erwartet. Und siehe da, Thomas Klestil war mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt worden. Aufgrund der natürlichen Zusammensetzung des Wahlvolkes mussten eine ganze Menge Österreicherinnen den Bundespräsidenten Klestil trotz seiner Affäre für moralisch geeignet gehalten haben. Die Appelle der betrogenen Gattin an die weibliche Solidarität hatten nichts gefruchtet. Für das Problem eines – im katholischen Österreich – frisch geschiedenen Staatsoberhauptes mit hartnäckig weitergepflegter Beziehung zu besagter Staatssekretärin wurde dann eine Lösung gefunden, um deren Möglich-Sein Tu felix Austria bestimmt von vielen Politikern und Diplomaten auf der Welt beneidet wird. Der Präsident bekam zur Auflage gemacht, dass die Dame des Anstoßes umgehend aus dem Außenministerium wegzubefördern und bei einer Auslandsvertretung der Republik Österreich unterzubringen sei. Thomas Klestil fügte sich und versetzte seine Herzliebste in die österreichische Botschaft in – Bratislava, Hauptstadt der frischgebackenen Republik Slowakei, ganze sechzig Kilometer und damit etwa eine gute halbe Auto-Stunde von der präsidialen Hofburg in Wien entfernt. Alle waren zufrieden und der Kaiser – pardon, Bundespräsident, herrschte würdevoll bis zu seinem Tode wenige Tage vor Ende seiner zweiten Amtszeit über alle Österreicherinnen und Österreicher.
These 3: Viele Frauen mögen Männer, so wie sie eben sind. Mit allem, was in ihnen drin und an ihnen dran ist. OK, nicht alles, aber das allermeiste.
„Kinder, heut‘ Abend, da such ich mir was aus, einen Mann, einen richtigen Mann! Die Jungs, die hängen mir schon zum Halse raus, …. Einen, dem das Feuer aus den Augen sprüht, einen Mann, einen richtigen Mann…“, sang Marlene Dietrich in den dreißiger Jahren.
Gestern, beim Mittagstisch hier auf der Ferme, erzählte Mathieu, langjähriges Mitglied des Kollektivs, dreißig Jahre alt, gelernter Tischler, seit kurzem wieder solo, wie er vor einiger Zeit in einem Meditations- und Fastenzentrum zehn Tage lang ohne Sprech- und Sichtkontakt zu den achtzig Männern um ihn herum von vier Uhr morgens an meditiert hat, um „seine Wut zu zähmen“. Nicht, dass er mir vorher durch Wutanfälle aufgefallen wäre. Im Gegenteil, er kam immer als ein ruhiger Typ rüber, von seiner damaligen New-Age-inspirierten Gefährtin bereits mit fester Hand auf Achtsamkeit getrimmt. Diese harte Unerbittlichkeit gegen sich selbst, mit der er sich zur Sanftheit zwingen will, hat mich rat- und sprachlos gemacht.
Warum ist das „Feuer, das aus den Augen sprüht“ vielen jungen Männern so lange vorgeworfen und madig gemacht worden, bis nur noch ein stubenreiner braver Dackelblick übrig ist? Vielen Dank, liebe (mir erspart gebliebene) Schwiegermama und liebe Beziehungs-Vorgängerin, für diesen handzahmen Kuschelbären, leinenfromm und gehorsam, nur in gute Hände abzugeben, da hoch sensibilisiert und permanent vorauseilend schuldbewusst – und zum Gähnen langweilig obendrein.
Was fängt eine erwachsene, selbstbewusste und selbstsichere Frau an mit einem Mann, der sich jenseits der vierzig noch kleidet und benimmt wie der pubertierende Liebling von Mama? Der immer noch nicht weiß, was er mit sich und seinem Leben anfangen will und daher weiter achtsam in sich hineinhören möchte? Jedes Töpfchen findet sein Deckelchen, sagte man früher. Bestimmt gibt es genügend Frauen, die sich nur von diesen allzeit wohltemperierten Weichen verstanden fühlen.
Der weitaus größere Teil der Menschheit weiblichen Geschlechts tendiert jedoch aus – igitt, biologischen – Gründen in mancher Hinsicht riskanterweise dazu, ausgewachsenen, „richtigen“ Männern den Vorzug zu geben vor der gezähmten oder gar emotional kastrierten Version. Offenbar haben sich in der kurzen Geschichte der Evolution der Menschheit bisher vorwiegend die Männer durchgesetzt, die am besten in der Lage waren, ein Nest zu bauen und zu beschützen. Nicht zuletzt zum Schutz und zur Verteidigung des „Nestes“ haben sich männliche Menschen allerhand einfallen lassen, was unter anderem zur Basis und zu zahlreichen Annehmlichkeiten unserer Hochzivilisation geführt hat, unvermeidlicherweise auch zu manchen Schattenseiten. Wenn nun all diese Entdecker und Erfinder ihr halbes Leben lang in sich hineingehorcht hätten, ob sie sich erlauben dürfen, notfalls unter Gewaltanwendung Neuland zu erobern… ich glaube, wir säßen heute noch im Schneidersitz auf dem nackten Felsboden der Höhle und würden mit dem rußgeschwärzten Finger Bisons auf die Wände malen – wenn uns nicht schon längst der Höhlenbär verspeist gehabt hätte.
Wer jemals einem Mann in die Augen gesehen hat, der nach tagelangem Tüfteln in der Werkstatt den richtigen Platz für die richtige Schraube gefunden hat, der einem den in den frühen Morgenstunden geschriebenen Patch für das Betriebssystem zeigt, mit dem der hundertfach verfluchte Computer wieder zum Laufen gebracht wird – der hat vielleicht einen Funken von diesem Feuer gesehen. Prometheus lässt grüßen. Angesichts der anstehenden Herausforderungen – Stichwort Vierte Industrielle Revolution – werden wir wohl jede Menge von diesem Feuer gebrauchen können. Die mit dem Hier und Jetzt in völligem Einklang einverstandenen Meditations-Jünger haben in dieser Umwälzung, glaube ich, geringere Überlebens- und Fortpflanzungschancen.
Männer gibt es nur im Gesamtpaket. Inklusive all der lästigen, mal mehr, mal weniger ausgeprägten Besonderheiten, wie der Tatsache, dass einige vom Typ Trump zu sexueller Prahlerei neigen, oder wie Klestil tatsächlich fremdgehen (was im persönlichen Erleben eine grausam schmerzhafte Erfahrung für die betroffenen Frauen sein kann). Die berechtigte Kritik an diesem Verhalten darf aber nicht dazu führen, über die Eignung oder Nicht-Eignung des betreffenden Mannes für Einsätze außerhalb seiner sexuellen Privatsphäre letztinstanzliche Urteile zu fällen. Der südafrikanische Chirurg Christiaan Barnard war seinerzeit mit seinen Frauenbeziehungen regelmäßiges Thema in der Regenbogenpresse. Dessen ungeachtet hat er bei der Entwicklung der Operationsmethoden zur Herzverpflanzung Bahnbrechendes geleistet.
Resümee: Frauen fragen
Erwachsene Frauen mit Lebenserfahrung sind in der Lage, diesen feinen Unterschied zu erkennen. Da diese Frauen aber seit Jahren in den sogenannten „Mainstream“-Medien unterrepräsentiert sind, kann sich dort eine vergleichsweise kleine Gruppe von überwiegend ziemlich jungen Frauen Gehör verschaffen, die zu einer merkwürdigen Form von inversem Sexismus neigt. Einer pauschalen Diabolisierung des Mannes, die man früher so nur in von katholischen Nonnen geführten Höhere-Töchter-Schulen gefunden hat. Hysterische Misandrie in Verbindung mit Hyper-Moralisieren lautet meine Diagnose. Wenn im selbstbezogenen Hauptstadt-Ringelreihe Medien und Politik einander gegenseitig ihre Minderheitsmeinungen als das allgemeingültige „Narrativ“ verkaufen, dann ist natürlich Raum für allfällige Überraschungen gegeben, wie im Falle Trump for President. Beruhigend und positiv bleibt, dass zumindest in Teilbereichen die Demokratie noch funktioniert, indem eine medial nicht wahrgenommene und politisch nicht wertgeschätzte Mehrheit sich per Stimmzettel zu Wort meldet. Ein beachtlicher Anteil dieser Wählerschaft wird von eben diesen oben beschriebenen erwachsenen Frauen mit Lebens- und Beziehungserfahrung gestellt. Es ist eine weiteres „Ungenügend“ im Armutszeugnis für den politisch-medialen Komplex, dass seine Vertreter am Tag nach der Wahl in den USA zugeben müssen, über diese Millionen von wahlberechtigten Frauen – wie auch überhaupt über den Wahlsieger selbst - so gut wie nichts zu wissen. Vielleicht sollte man sie mal fragen anstatt sie verächtlich zu machen.
Lizzy Stender, gebürtige Stuttgarterin, lebt nach einem kosmopolitischen Berufsleben zur Zeit auf einem Bio-Bauernhof an der Grenze vom Limousin zur Auvergne.