Studenten sind kein Prekariat

Einer Studie zufolge sind viele Studenten arm. Das ist statistisch irreführend.

Nun also auch Studenten. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat eine Studie veröffentlicht, in der festgestellt wurde: Die meisten Studenten sind arm. Zugegebenermaßen war diese Bevölkerungsgruppe bisher nicht gerade als besonders wohlhabend aufgefallen, aber offenbar war dieser Fakt schwarz auf weiß wichtig genug, dass er von den Medien aufgegriffen wurde.

Ein kurzer Blick in die Studie zeigt auf den ersten Blick ein erschreckendes Bild. So gelten durchschnittlich 30,3 Prozent aller Studenten als arm. Betrachtet man nur die Untergruppe der Ein-Personen-Haushalte, sind es gar 79,2 Prozent. Erwartungsgemäß wird aus dieser Erkenntnislage gefolgert, dass der Staat seine Subventionen (in diesem Fall das BAFöG) deutlich erhöhen und natürlich ausweiten soll. Aber sind Studenten wirklich arm? Und ist es daher nötig, sie stärker zu subventionieren? Dagegen sprechen ein statistischer und ein grundsätzlicher Punkt.

Armut ist Definitionssache

Beginnen wir mit dem Statistischen und der Frage, wie man in Deutschland eigentlich arm wird. Armut ist in Deutschland nämlich Definitionssache. Und das im wörtlichen Sinne. Als arm bzw. armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verdient. Laut Wohlfahrtsverband sind das für eine Einzelperson 1.266 Euro pro Monat. Möglicherweise ist diese Zahl allerdings zu hoch. Die nicht gerade als turbokapitalistisch bekannte, gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung z.B. gibt die Armutsgrenze mit 1.126 Euro an.

An der grundsätzlichen Problematik ändern diese unterschiedlichen Zahlen aber nichts. Warum stellt diese Berechnungsweise ein Problem dar, wenn man sie auf Studenten anwendet? Nun, weil hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. Das relative Armutskonzept stellt darauf ab, dass die (statistische) Person mit dem Durchschnittseinkommen einen bestimmten Lebensstandard hat. Personen mit deutlich weniger Einkommen können sich diesen durchschnittlichen Lebensstandard nicht leisten und sind dadurch gesellschaftlich benachteiligt. Die Armutsdefinition muss daher aber auf Berufstätige bzw. solche, die es gerne wären, angewendet werden. Studenten sind aber keine klassischen Berufstätigen. Sie befinden sich vielmehr in einer Ausbildung.

Studenten sind eben keine Berufstätigen

Wenn man ihr Einkommen also schon vergleichen will, dann muss man es mit dem von Menschen tun, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Das wären z.B. Azubis. Und hier sieht die Situation schon wieder ganz anders aus. Das Durchschnittsgehalt von Azubis in Deutschland lag 2021 bei 987 Euro brutto, was ca. 789 Euro netto entspricht. Damit befinden Sie sich in guter Gesellschaft der Studenten, deren Medianeinkommen bei 802 Euro liegt. Natürlich gibt es auch Studenten mit weniger Einkommen, aber das gilt gleichermaßen für Azubis – und es geht hier nicht um eine Einzelfallbetrachtung. Studenten sind also gar nicht arm, zumindest wenn man sie mit ihresgleichen vergleicht. Das schließt keineswegs aus, dass das BAFöG ausgeweitet werden kann oder ein automatischer Inflationsausgleich eingeführt werden könnte. Es zeigt lediglich, dass es schon aus statistischen Gründen unsinnig ist, Studenten pauschal als arm zu bezeichnen.

Kommen wir nun zum grundsätzlichen und noch viel wichtigeren Punkt. Die pauschale Forderung nach Steuergeld (denn woher sonst soll das ganze BAFöG kommen?) verkennt einen zentralen Punkt am Studentendasein. Es ist nämlich nur temporär. Niemand (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) bleibt sein Leben lang Student. Staatliche Hilfen sind von ihrem Grundsatz her als Hilfe gedacht, eine zeitweise schwierige Situation zu überstehen. Genau das leistet das BAFöG für Studenten aus einkommensschwachen Familien. Sie sind allerdings nicht dafür gedacht, Menschen dauerhaft zu alimentieren, sprich sie auf oder knapp über einer wie auch immer definierten Armut zu halten, ohne dass diese sich aus dieser Situation wieder befreien. Oder plakativer ausgedrückt: Das Ziel muss sein, dass sich Menschen selbst aus der Armut befreien und nicht, dass sie staatlich alimentiert in dieser verharren.

Mehr Geld würde vermutlich mehr Party bedeuten

Bei Studenten ist genau dieses Entkommen aus der (scheinbaren) Armut aber genau wie bei Azubis fest in deren Lebensplanung mit eingebaut. Natürlich wird es für viele Studenten am Monatsende mal knapp mit dem Geld werden. Es ist aber nicht die Aufgabe der Gesellschaft, dass Studenten immer ein „gutes“ Leben haben. Man muss schon etwas sozialromantisch sein, wenn man denkt, dass Studenten, wenn sie denn nur über genug Geld verfügen, sich ausschließlich auf ihr Studium konzentrieren. In der Realität wird es wohl eher so sein, dass ein gewisser Mangel auch dazu motiviert, sich um sein Studium zu kümmern, da das Geld für allzu ausschweifende andere Aktivitäten fehlt. Außerdem subventioniert die Allgemeinheit bereits die Ausbildungseinrichtungen von Studenten massiv, ohne dass diese einen Beitrag dafür leisten müssen. Nach einer halbwegs kalkulierbaren Zeit wird ein Student dann sein Studium abschließen und in den regulären Arbeitsmarkt einsteigen. Dann und nur dann ist es gerechtfertigt, sein Gehalt zu betrachten und mit anderen Arbeitnehmern zu vergleichen. Fast alle Studenten werden also auf Sicht ihrer prekären Einkommenssituation entkommen. Und nicht nur das. Viele von ihnen werden später mehr als der Durchschnitt verdienen, auch wenn sie dafür ein wenig länger warten mussten. Und das ist Studenten auch bewusst. Für sie stellt diese „Durststrecke“ eine zeitlich kalkulierbare Investition dar, die nötig ist, um später ein besseres Einkommen zu erzielen.

Studenten als arm zu bezeichnen und Geld von der Allgemeinheit für sie zu fordern, unterstellt also ein statisches Konzept von Armut. Genau das ist aber nicht der Fall. Über kurz oder lang werden sie sich selbst aus dieser Armut befreien, und das sollte auch das Ziel für alle Armen sein. Weniger Alimentierung und mehr Aktivierung, die es wirklichen Armen möglich macht, diesem Zustand zu entkommen. Allerdings erfordert das komplexere Konzepte als die simple Forderung nach mehr Geld.

Zuerst erschienen auf Novo – Agumente für den Fortschritt.

Foto: Pixabay

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S.Buch / 26.05.2022

Ob Studenten arm sind, ist uninteressant - ja, sind sie. Die Frage ist, ob sie mit ihrem Ausbildungsergebnis (Studienabschluss) einen Beruf ergreifen können, mit dem sie die studentische Armutslücke, die eine Einkommenslücke ist, wieder ausgleichen können. Und insofern sieht es in Anbetracht der immer größeren Zahl von Sozial- und Geschwätzwissenschaftler:innen ganz schlecht aus. Nebenbei: Dass der Paritätische Wohlfahrtsverband immer auf der Suche nach neuen Opfergruppen ist, für die er (ungefagt) Forderungen erheben kann, versteht sich aus der Natur der Sache heraus.

J.Breitenbach / 26.05.2022

Ich habe Zweifel, ob Herr Neubert studiert hat - oder wenn er es hat, ob er sich für die Lebensumstände seiner KommilitonInnen ineressiert hat. In jedem Fall redet in obigem Artikel der Blinde von der Farbe. Was Studis von Azubis unterscheidet, ist, daß man in der Regel heimatnah eine Ausbildung absolvieren kann, also auf eine eigene Wohnung oft nicht angewiesen ist, während ein Studium nur in den entsprechenden Universitätsstädten möglich ist. Pech, wenn man nicht von dort kommt und Geld für eine dortige Wohnung braucht. Aus meiner eigenen Erfahrung kenne ich genügend Studis, die sich ihren Lebensunterhalt zu einem guten Teil über Studentenjobs finanzieren mußten; Glück für die, bei denen es als studentische Hilfskraft im Einklang mit dem Studium funktionierte, Pech für jene, die während des Semesters gekellnert haben oder während der Semesterferien vollzeit beschäftigt waren. Nein, eine Erhöhung des BAföG-Satzes würde nur bei den wenigsten in Partys investiert; bei den meisten in die Möglichkeit, mehr Zeit und Kraft auf das Studium zu verwenden.

Hans-Peter Dollhopf / 26.05.2022

Bei diesem Thema krieg ich einen Hals. Hinter der Mensa der Uni saniert die Kommune gerade eine Fahrbahn. Als ich dort auf der Suche nach einer Abkürzung einen schmalen Durchgang in eine abgesperrte Unterführung entdeckte, fand ich darin eine Matratze neben der anderen vor! Und ebenso verhält es sich in den Parks in den Gebüschen, in Nischen an Gebäuden: Du findest sie hier überall im Freien und es sind keine “geflüchteten” POC, nein! Denn solche führen ihr lärmendes Dasein in aller “Würde des Menschen” in den von ihnen eroberten Cafes in meiner Straße und, gut eingekleidet und verköstigt, flanieren sie die Fußgängerzone entlang, irgendwas in ihre Smartphones brüllend. Nein. Es sind ethnisch hierher Gehörende.  Studenten? Wer von denen liegt in der Nacht wohl ausgesetzt unter offenen Himmel, in den die Ungerechtigkeit schreit! “Darum will ich hinabsteigen und sehen, ob sie es wirklich ganz nach dem Geschrei über sie getrieben haben, das vor mich gekommen ist, oder ob nicht; ich will es wissen!”

RMPetersen / 26.05.2022

Viele Studenten sind auch keine Studierende.

Karla Kuhn / 26.05.2022

“Die meisten Studenten sind arm.”  Klar, wenn sie viel zu lange studieren, dazu noch was überflüssiges, was kein Mensch braucht , ist das möglich.  Allerdings sollten sie den Beispiel von HEIL (22 Semester)  und SPAHN (28 SEMESTER) folgen und sich in der Politik niederlassen. Schon sprudelt die Quelle !  Oder gleich in die Politik gehen, wie KÜHNERT und der TAXIFAHRER und diese 23 jährige GRÜNE !! Auch kurz studieren, wie Roth, Eckardt Göring, Lang, offenbar auch Bärbock, Beck etc.pp. wäre von Vorteil für das Geldsäckel. Die POLITIK scheint tatsächlich ALLE aufzunehmen !  Wahrscheinlich sind WIRKLICHE KORYPHÄEN und Menschen mit KOMPETENZ nicht gefragt !  Dazu Mark Friedrich “Inkompetenz zieht Inkompetenz an.”  Eines Tages wird es keine Studenten mehr geben, weil es KEINE PRODUKTIVEN ARBEITER mehr geben wir, die bereit sein werden, die KNETE für alle ALIMENTENNEHMER generell zu erschuften !! Viele hauen jetzt schon ab.

Martin Schmidt / 26.05.2022

Das BAFÖG sollte man nicht als Subvention (mit negativer Konnotation) abtun. Es erfüllt einen Zweck, nämlich die Aufnahme eines Studiums unabhängig vom Geldbeutel der Eltern zu ermöglichen. Ich selbst war BAFÖG Student und wäre als Sohn eines Landarbeiters ohne eine solche Förderung wohl vom Studium aus finanziellen Gründen ausgeschlossen worden.

Karl-Heinz Boehnke / 26.05.2022

Treffende Beschreibung des Hintergrundes des Ansinnens, die Lage der Studenten finanziell zu ändern, damit die Stütze der anderen nicht weiter absurd aussieht, was sie leider aber immer war und weiter sein wird. Denn die Begründung für Hartz gilt universell, schließt somit die Studenten als Menschen nicht aus.

Hjalmar Kreutzer / 26.05.2022

Sehr geehrter Herr Neubert, Vater einer studiert habenden Tochter muss ich hier Widerworte geben. In der Klasse meiner Tochter gab es mehrere Elternpaare, deren Familieneinkommen für Bafög „zu hoch“ waren, die aber als Normalverdiener, Krankenschwester, Schlosser, Bauarbeiter, Sekretärin, mehrere heranwachsende Kinder, Hauskredit, sich aufgrund der Lebenshaltungskosten ein Studium der Kinder nicht leisten konnten. Wir selbst, Bankangestellte, dann Sozialversicherungsangestellte, Arzt in Weiterbildung, dann Praxiskredit am Hacken, da Klinik abgewickelt, hatten das „Privileg“ eines Einzelkindes, da ab 1990 zunächst unklar war, ob wir uns ein zweites „leisten konnten“, und irgendwann war der Zug abgefahren. Natürlich waren wir für ein Bafög ebenfalls „zu reich“. Ein Studium in MINT, Medizin oder Zahnmedizin fordert „den ganzen Studenten“, für Arbeit zur Finanzierung des Studiums bleibt da wenig Raum, selbst wenn man vorher einschlägige Berufe erlernt hat. Seltsamerweise befinden sich Universitäten in größeren Städten, wo die lächerlichen Knickerpfennigbeträge des Bafög nicht einmal für die Miete reichen. Man vergleiche die lächerlichen Freibeträge für arbeitende Studenten und Bafög mit den Mio. und Mrd., an Steuergeldern, die diese Regierung in aller Welt verstreut und an die Mühseligen und Beladenen aus aller Welt verschenkt, die sich hier voraussichtlich bis an ihr Ende „in unserem Sozialsystem wohlfühlen“. Daran erkennt man die Wertschätzung des Staates für seinen Arbeitgeber, das deutsche Volk.  Freundliche Grüße

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