Wohnst du noch oder enteignest du schon?

In Berlin will eine Abstimmungsmehrheit große Wohnungsvermieter enteignen. Das würde mehr Probleme verursachen als lösen.

Von Jörg Michael Neubert.

Gottfried Benn wird der Spruch zugeschrieben, dass die Steigerung von „schlecht“ „gut gemeint“ sei. Genau das kann man aktuell in Berlin beobachten. Neben der Wahl des Bundestags- und Abgeordnetenhauses wurde nämlich auch über eine Volksinitiative zur Enteignung von großen Wohnungsbaukonzernen abgestimmt. Dieser wurde von einer Mehrheit angenommen, so dass sich die Politik zumindest damit beschäftigen muss. Die Spitzenkandidatin der SPD und Wahlsiegerin Franziska Giffey hat bereits angekündigt, dass Sie das Ergebnis ernst nehmen wird. Sie betonte allerdings auch, dass Sie Enteignungen nicht für ein probates Mittel hält, um die Wohnungsproblematik in Berlin zu lösen.

Man darf hoffen, dass sie in diesem Punkt nicht wortbrüchig wird. Zumal die Initiatoren des Volksbegehrens bereits angekündigt haben, Druck auf die Politik auszuüben. Vielen erscheint es auf den ersten Blick so, als könnte eine Enteignung der Wohnungskonzerne den Anstieg der Mieten in Berlin bremsen. Das würde für die betroffenen Wohnungen technisch gesehen sogar funktionieren, auch wenn es das Grundproblem, dass es zu wenige Wohnungen gibt, nicht löst. Außerdem würde die Verstaatlichung zu anderen Problemen führen, die diesen Nutzen schnell wieder konterkarieren würden. Womit wir wieder bei Herrn Benn wären.

Schulden von heute, Steuererhöhungen von morgen

Nehmen wir also hypothetisch an, der Berliner Senat entscheidet sich für die Enteignung der Immobilienunternehmen. Was wären die Folgen?

Die Finanzen

Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass die Übernahme der Wohnungen Kosten im Bereich von 40 Milliarden Euro verursachen würden. Das ist der kumulierte Marktwert der circa 250.000 Wohnungen, die sich im Besitz von größeren Immobilienunternehmen befinden. Dieses Geld müsste Berlin erst einmal aufbringen. Der aktuelle Schuldenstand des Landes beträgt 63,71 Milliarden Euro, er würde damit um über 60 Prozent auf gut 100 Milliarden Euro steigen. Zum Vergleich: Das benachbarte und nicht gerade als reich bekannte Brandenburg hat knapp 18 Milliarden Euro an Schulden. Diese zusätzlichen Schulden müssen natürlich irgendwie bezahlt werden und es wird wohl die ökonomische Binsenweisheit gelten, dass die Schulden von heute die Steuererhöhungen von morgen sind.

Das ist dem Senat wahrscheinlich auch klar und möglicherweise wird er versuchen, das Unternehmen „haushaltsneutral“ zu gestalten. Was das bedeutet, konnte man beim vor Kurzem durchgeführten Rückkauf von ehemals landeseigenen Sozialwohnungen beobachten. Hier wurde die Finanzierung über landeseigene Gesellschaften abgewickelt. Diese Finanzierung taucht tatsächlich erstmal nicht im Haushalt auf. Die Schulden sind natürlich trotzdem da, wenn auch an anderer Stelle. Das Land als Eigentümer muss auch für diese Schulden einstehen, womit wir wieder am Anfang wären.

Natürlich würde Berlin mit den Wohnungen auch Sachwerte erwerben. Diese würden in Form von Mieten zu zusätzlichen Einnahmen führen, aber kaum die Investitionskosten refinanzieren, da neben den Kauf- auch weitere Kosten anfallen (siehe unten). Darüber hinaus müsste der Berliner Senat die Wohnungen zu nicht marktkonformen Preisen anbieten, wenn er die Preisentwicklung bremsen möchte. Hier würde der Staat zusätzlich auf Einnahmen verzichten, was die Finanzierungslücke nur noch vergrößert. Und Einsparungen kann das Land höchstens erzielen, wenn es den dort wohnenden ALG-2-Empfängern die Miete senkt, für die es ja selbst aufkommen muss.

Entfachung eines Verteilungskampfes

Die Verwaltung

Nehmen wir nun weiter hypothetisch an, dass Berlin die Wohnungen kauft und eine solide Finanzierung des Kaufs auf die Beine stellt. Nun da die Wohnungen da sind, ergibt sich das nächste Problem. 250.000 Wohnungen müssen bewirtschaftet werden. Es müssen Mietverträge erstellt, verwaltet und so weiter werden. Die Gebäude müssen instandgehalten und in gewissen Zeiträumen saniert werden und so weiter. Das benötigt Personal und Expertise. Nun darf man bei einer Stadt, die Wahlergebnisse schätzen lässt, anstand sie korrekt zu zählen, zumindest bezweifeln, dass sie über derartige Ressourcen verfügt. Zumal diese Dinge insbesondere in Kombination Geld kosten. Und das hat Berlin ganz offenbar nicht.

Pragmatischerweise könnte man sich natürlich bis zu einem gewissen Teil bei den jetzt arbeitslosen Mitarbeitern der Immobilienunternehmen bedienen, um zumindest einen Teil des Kompetenzproblems zu lösen, aber diese kosten erstens auch Geld und sind zweitens wohl kaum in der Lage, die Dysfunktionalität der Berliner Verwaltung zu kompensieren. Hier würden sich also neue Probleme und Kosten ergeben. Diese nicht monetären Kosten wären dann wieder von den Mietern zu tragen, denen auch nicht wirklich geholfen wäre, wenn sie weniger Miete zahlen, aber ihre kaputte Heizung ein halbes Jahr lang nicht repariert wird.

Die Verteilung

Neben der Verwaltung der Wohnungen gibt es noch ein weiteres Problem. Nämlich wer die Wohnungen bekommt. Zunächst sind die meisten Wohnungen ja vermietet und alles bleibt beim Alten. Lediglich die Mieten würden gegebenenfalls sinken beziehungsweise stabil bleiben. Was passiert aber mit der Zeit, wenn Mieter ausziehen? Das Projekt der Enteignung wird im Kontext sozialer Gerechtigkeit geführt. Müsste das Land mehr Sozialwohnungen ausweisen als ohnehin schon im Bestand der großen Wohnungsunternehmen? Insbesondere die Linke (so denn an der Regierung beteiligt) wird sich dafür einsetzten, dass vor allem sozial Schwache in diese Wohnungen einziehen können.

Die Grünen dagegen müssen auf ihre Mittelschichtwähler achten. Daraus folgen zwei Probleme. Zum einen verlöre die Stadt durch mehr Sozialwohnungen weiter Geld, weil es genügend Personen gäbe, die bereit wären, mehr für die Wohnung zu zahlen. Zum anderen entfacht sie so einen Verteilungskampf. Da der Preis der Wohnungen nicht mehr die reale Situation abbildet (siehe unten), muss der Staat entscheiden, wer eine Wohnung bekommt und wer nicht. Das wird wenig zum sozialen Frieden beitragen, da hier einfach das Marktkriterium der Zahlungswilligkeit durch staatliche Willkür ersetzt wird.

Nachfrage weiter erhöhen

Falsche Anreize

Unabhängig davon, wie der Staat mit den Wohnungen umgeht, existiert noch ein anderes, grundsätzlicheres Problem. Die künstliche Verbilligung von Wohnraum bei gleichbleibendem Angebot wird dazu führen, dass sich die Wohnungssituation weiter verschlechtert. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, muss man sich kurz klar machen, was steigende Preise eigentlich bedeuten. Steigende Preise zeigen an, dass es offenbar einen Mangel an irgendeinem Gut gibt. In diesem Fall eben an Wohnraum. Oder ganz profan ausgedrückt: Es wollen viele Menschen in Berlin wohnen, insbesondere in bestimmten Stadtteilen. Da es nur eine begrenzte Menge an Wohnraum gibt, muss die Nachfrage gebremst werden. Das passiert über den Preis. Die steigenden Preise sind also kein Fehler, sondern ein Vorteil des Immobilienmarktes. Nur dadurch wird der vorhandene Wohnraum effizient verteilt und Menschen, die dort unbedingt wohnen wollen, haben auch einen Anreiz, mehr Geld zu verdienen, um dort wohnen zu können.

Wenn der Staat diesen Mechanismus nun teilweise außer Kraft setzt, indem er Wohnungen unterhalb des Marktpreises anbietet, so sendet er nach außen ein fehlerhaftes Signal. Wenn viele Wohnungen nun wieder günstiger zu haben sein sollten, ist es wieder für mehr Menschen attraktiv, nach Berlin zu ziehen. Das wird die Nachfrage aber weiter erhöhen, ohne dass dieser Nachfrage ein entsprechendes Güterangebot gegenübersteht. Das Land Berlin kann zwar die Preise in ihren Wohnungen trotz der erhöhten Nachfrage konstant halten, aber der Rest des Marktes wird weiter steigen – und damit wird die eigentliche Idee konterkariert.

Es ist also evident, dass die Enteignung von Immobilienkonzernen eher zu mehr Problemen führen würde, als welche zu lösen. Anstatt sich in ein derartiges Experiment mit ungewissem Ausgang hineinziehen zu lassen, sollte die Politik sich vielmehr darum bemühen, die einzig langfristige Lösung dieses Problems anzustreben. Und die lautet, so simpel das klingt: Bauen, Bauen, Bauen. Nur wenn der Staat einerseits selbst Neubauten erstellt und andererseits Bauen für den ‚Normalbürger‘ einfach und erschwinglich macht, kann das Wohnungsproblem in Berlin auf Dauer gelöst werden.

 

Jörg Neubert ist Verhaltensökonom. Er lebt in Freiburg/Breisgau.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Peter Woller / 15.10.2021

Sehen Sie sich mal große Wohnungsunternehmen wie Vonovia und Grundbesitz GmbH an. Die verfolgen mich seit drei Jahren mit Gerichtsprozessen und Anwaltsbriefen wegen irgend welcher Differenzen in den Mietkonten. Jetzt Montag, 18. Oktober 2021 hab ich deshalb einen Gerichtstermin. Ich hab keine Mieten unterschlagen, werde aber dennoch wie ein Mietpreller hier verfolgt. In ganz Deutschland laufen Klagen, Prozesse, und Beschwerden bezüglich dieser sogenannten “sozialen” Wohnungsbau-Unternehmen. Ich hab keine Mieten unterschlagen und in die eigene Tasche gesteckt. Trotzdem flattern mir reihenweise gelbe Gerichtsbriefe ins Haus.

Freige Richter / 15.10.2021

Bauen, bauen , bauen kann nicht die Lösung sein. Wenn die Deutschen weniger Kinder bekommen, warum muss dann immer mehr gebaut werden? Vielleicht sollte man einfach zuerst die ungebremste Migration stoppen.

lutzgerke / 15.10.2021

Die Wohnraumknappheit ist politisch ausgelöst worden. Die Schattenseite ist der Baubetrieb, der politisch instrumantalisiert wird. Man schafft ein Problem und läßt sich dann als Retter wählen. Das hatten die Parteien schon immer gut drauf.  

Maria Dreiling / 15.10.2021

Das Grundgesetz steht über Ländergesetz. Ja - aber Berlin ist “kein Land”, immer noch nicht “beigetreten” bzw. “beigetreten worden”. Wenn nun dieses BRD-GG kein GG für Berlin ist, was dann? Was steht in der “Berliner Verfassung” besonderes, daß Frau Giffey Volksabstimmung mag?

Martin Wessner / 15.10.2021

Dem Berliner Senat steht die Möglichkeit einer sehr unkomplizierten, problemlosen und absolut grundgesetzkonformem Art der “Enteignung” sperrangelweit offen: nämlich den Kauf der Aktien der in Berlin investierten Wohnungskonzerne. Hat man erst einmal - ggf. haushaltsmittelkonform über mehrere Jahre - an der Börse eine Sperrminorität oder gar eine 50,01%-Mehrheit zusammengekauft, so kann die Stadt als Mit- oder Haupteigentümer bestimmen, wie sozial der erworbene Wohnungsbestand am Markt angeboten werden soll. Die Immobilien werden bei dieser Lösung anschließend auch nicht - wie vom Autor befürchtet - von einer unfähigen, inkompetenten und überbürokratischen Verwaltung, sondern weiterhin (!!!) von den Profis von Vonovia und Co. in jeglicher Hinsicht gemanaged. Der Bund ist bei der Telekom, das Land Niedersachsen bei VW ein staatlicher Miteigentümer. Warum sollte das nicht auch mit dem Land Berlin bei “Deutsches Wohnen”, usw. gedeihlich möglich sein?

Winfried Jäger / 15.10.2021

Glaubt der Autor ernsthaft, daß man der Berliner Bevölkerung mit Argumenten oder rationalen Erwägungen noch beikommen könnte. Das einzige, was man mit dieser dysfunktionalen Stadt und der offensichtlich in der Mehrheit asozialen Bevölkerung tun sollte ist es, den Länderfianzausgleich abzuschaffen.

Jochen Lindt / 15.10.2021

Entweder “Refugees welcome” oder bezahlbare Mieten. Beides gleichzeitig geht nicht.

Hans, Michel / 15.10.2021

Ich stimme dem Autor im wesentlichen zu. Er hat jedoch etwas wesentliches vergessen. Da ja bekanntlich alles mit Allem zusammenhängt, fragen wir doch mal nach den Eignern der großen Wohnungsgesellschaften. Ich vermute mal sehr stark, dass wegen fehlenden Zinserträgen für Rücklagen, inzwischen neue Eigner der Gesellschaften, wie die Rentenversicherungen, die Krankenversicherungen, viele andere Versicherungen gehören. Leider habe ich nicht die Zeit konkret nach zu sehen. Vielleicht kann der Autor ja mal prüfen, wie die Sachlage so steht. Mieten sind sichere Einnahmen, Börsengewinne nicht.

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