Ich mag Menschen, die den Selbstversuch nicht scheuen. Demnach sind meine lie-ben Achse-Kollegen Michael Miersch und Dirk Maxeiner meine grünen Helden. Sie sind so schön unaufgeregt und sachlich und das tut der grünen Sache, bei der die Menschen gern in Schnappatmung verfallen, sobald sich herausstellt, dass man ihre Meinung nicht teilt, gut. Sehr gut. Man kann sogar lächeln und lachen über grüne Denkansätze und Projekte! Jetzt haben die beiden ein Buch verfasst, das so dick ist, dass man es im Notfall einem zweifelnden Gegenüber, grün oder nicht, an den Kopf knallen kann. Vorher sollte man es allerdings lesen („Alles grün und gut? - Eine Bilanz des ökologischen Denkens“, Verlag Knaus, 384 Seiten, 19,99 Euro).
Es ist ja so, dass fast jeder gern grün und bio ist und die Steigerung von all dem Blödsinn ist vegan. Das ist schick und man gilt schnell als intellektuell und wer möchte das nicht. Leider ist es so, dass grün ein sehr weiter Begriff ist und im Laufe der Jahrzehnte haben sich Gruppierungen gebildet, die völlig gegensätzliche Vorstellungen zu ein und demselben grünen Thema haben. Die Diskussionen enden dann schnell blutigrot, Fakten werden zu Legenden und umgekehrt und am Ende sind alle beleidigt.
Der Umstand, dass man mit dem kleinen Etikett „grün“ sehr viel Geld verdienen kann, hat die Angelegenheit nicht vereinfacht. Es gab sogar mal eine Partei, die strickend in den Bundestag kam und sich gewissenhaft der Rettung der Natur widmete. Ich weiß gar nicht genau, was aus denen geworden ist.
Maxeiner & Miersch haben im Selbstversuch getestet, wie grün sie sind und was das alles bringt. Wenn es im „Adlon“ Müsli gibt, ist das gut oder nicht? Wenn alle Fahrrad fahren, ist das gut oder nicht? Wenn wir alle die kleinen Milchdöschen in Hotels boykottieren, ist das gut oder nicht? Ich persönlich glaube sowieso, dass die Flüssigkeit darin niemals in einer Kuh war, aber ich kann das natürlich nicht wissenschaftlich beweisen, ist nur so ein Gefühl.
Wer morgens zu seinem Fahrrad kommt, muss oft feststellen, dass dieser zugemüllt ist. Das ist grün at its best. Der Müll kommt von Menschen, die nicht etwa blind oder blöd sind, sondern keinen öffentlichen Mülleimer gefunden haben, weil die Städte sparen und immer weniger Müllbehältnisse aufstellen. Es erscheint also nachhaltig, Fahrradkörbe dafür zu nutzen. Jeder grüne Radler wird ihn morgens verständnisvoll lächelnd entleeren, ist ja für die gute Sache und wir müssen alle unser Scherflein beitragen, auch wenn das angerotzte Taschentuch oder die Schokoladenverpackung eklig sind. Auch die Tiere machen mit beim großen, grünen Ganzenm wenn auch nicht ganz freiwillig: „Jeder Seeadler oder Rotmilan, der von einem Großwindrad geschreddert wird, stirbt für die gute Sache“, schreiben die Autoren. Damit die Menschen guten, grünen Strom bekommen. Die Themen des Buches sind allumfassend, es geht um die Idiotie der Mülltrennung („Die Spülung des Joghurtbechers entspricht in gewisser Weise der biblischen Fußwaschung!“), darum, dass Energiesparlampen Quecksilber enthalten, das Energiekapitel heißt gleich „Energiedilemma“, was kaum Hoffnung übrig lässt, die Äcker sind nicht mehr „öko“ und die NGOs fürchte ich jetzt („Wissenschaftler, die zu anderen Ergebnissen wie Greenpeace, BUND und Co. kommen, werden nur von wenigen Journalisten gefragt. Dies gilt auch, wenn, wie im Falle der grünen Gentechnik, fast alle wissenschaftlichen Experten die NGO-Politik für falsch halten“).
Das Kapitel „Bionade-Biedermeier“ schließen die Autoren mit folgender Erkenntnis ab: „Grünes Denken ist zum Bestandteil eines gehobenen Lebensstils geworden, ein geistiges Statussymbol, ähnlich wie das Latinum, Weinkennerschaft oder Opernabonnement. Und die Wale, die wollen gar nicht mehr gerettet werden, schon gar nicht von uns doofen Menschen! Jahrzehntelang wurden erfolgreich Spenden ge-sammelt, um die Meerestiere zu retten, heute sagt der letzte isländische Walfänger: „Wenn die Wale sich weiter so vermehren, können wir sie in ein paar Jahren von Land harpunieren.“ Ich möchte da lieber nicht dabei sein.
Ähnlich tapfer wie die Wale ist eigentlich nur der deutsche Wald. In den 80er-Jahren schien der Bäume letztes Stündlein geschlagen, die Menschen fürchteten sich vor dem Waldsterben. 1993 belegte das Bundesforschungsministerium, dass der Wald sich erholt und keineswegs bedroht sei – nur wollte das kaum jemand hören. Dabei lässt sich kaum ein Öko-Horrormärchen so leicht widerlegen wie das vom Waldster-ben – man muss einfach in die Wälder fahren - natürlich mit dem Rad oder auf Rollschuhen, nicht mit dem bösen Auto! - und sich selbst ein Bild machen. Da viele Menschen aber lieber auf dem Sofa liegen, glauben sie erstmal den Horrormärchen der sogenannten Experten. Wenn man das schlaue Buch ausgelesen hat, bleibt eine Frage: Wäre im Leben vielleicht nicht alles gut, wenn es weniger Grün gäbe?
Vor vielen Jahren war ich Au-Pair Mädchen in New York, die Familie war begütert und hatte ein schönes Haus auf Long Island. Wie grün-nachhaltig-vernünftig das gebaut wurde, habe ich nie eruiert, damals habe ich auch noch kein Müsli gegessen. Eines Tages machte ich mit dem Großvater der Familie, der mich ins Herz geschlossen hatte, einen Strandspaziergang. Wir standen am Meer und der Großvater, der aus Syrien kam, sagte zu mir: „You can’t beat nature“. Er hat damit vorausschauend 384 wunderbare Maxeiner-Miersch-Buchseiten auf den Punkt gebracht. Und weil das geradezu hysterische Wassersparen dazu geführt hat, dass in vielen deutschen Städten die Kanalisation nicht mehr funktioniert, nehme ich jetzt erst mal ein Bad.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de