Wenn eine Designmesse eine Spezialschau zur Zukunft der Arbeit ankündigt, ist Vorsicht geboten. Man hat schon zu viele naiv-optimistische Selbstverwirklichungsszenarien gehört, die mit der realen Bürowelt so gar nichts zu tun haben. Umso erfreuter war ich vergangene Woche auf dem Salone del Mobile in Mailand. Der Architekt Jean Nouvel stellte sein „Project: Office for Living“ vor. Und dieses war kritischer, oder besser: realistischer als befürchtet. Ein Wohnbüro, das er etwa präsentierte, wimmelte neben obligatorischem Bürodesign vor allem von nervigen Bildschirmen voller asiatischer Schriftzeichen. Die Betten waren auf eine Empore verpflanzt. Forget sleeping, so die doppelzüngige Message. Die Farbigkeit der Rauminstallation: So gleißend weiß, dass ihre Neutralität eher erschreckend wirkte als, wie Designautoren das gerne nennen, „licht“, „freundlich“ oder gar „offen“.
Was Nouvel aber auch zeigte: Unsere Jobwelt ist heute heterogen, im Durchschnitt recht interessant – und genau deshalb auch nicht so glatt oder clean, wie Bürodesigner uns das häufig versprechen. Ebenso wenig wie die Euphemismen des neuen Büromenschen ist also das tägliche Gejammer angebracht, das man zu hören bekommt, sobald man die banalkunstgesättigten Eingangsbereiche durchschnittlicher Office-Towers verlässt und durch die Flure streift. Und gejammert wird viel. Der Arbeitsplatz ist primärer Identitätsstifter der Deutschen. Und diese Identitätsstiftung geschieht maßgeblich über das permanente Wehklagen. Die anderen Abteilungen sind blöd, die Chefs auch, Kunden und andere „Stakeholder“, wie das BWL-Absolventen nennen, sowieso. Nur man selber nicht. Man hat ja lauter geniale Ideen, nur hört die keiner. In deutschen Büros arbeiten lauter Zweiäugige unter lauter Blinden.
Die zum ständigen Mitfühlen neigenden Medien sekundieren dieser Perspektive natürlich bereitwillig. „Die Unzufriedenheit am Arbeitsplatz wächst“, heißt es massenhaft in Headlines, wie etwa hier in der Zeit. Zitiert werden jeweils Umfragen unter Angestellten. Die arbeitnehmerbewegten Journalisten implizieren textlich, „die da oben“ würden irgendetwas grundsätzlich falsch machen und seien eigentlich sowieso blöd. Der alltägliche Banalmarxismus unter Publizisten halt, der dadurch umso absurder wird, dass heute in Unternehmen ja so gut wie jeder irgendetwas leitet, also auf Schmalspurweise irgendwie “Chef” ist.
Interessant erscheint mir die Parallelität von angeblicher innerer Kündigung und manischem Kommunikationszwang. Einerseits gehört die Binse, man bekomme ja so schröcklich viele Mails, auch zum guten Flurfunkton. Zugleich aber wird wenigstens fünfmal pro Wochenende auf den Blackberry geguckt. Meist folgt die Enttäuschung: Ist ja gar nichts Wichtiges da. Also schnell zwei unwichtige Mails schreiben – immer aber mit dem Chef cc (und mit 44 anderen). Aber nicht, weil man sonst reale Jobnachteile erleiden könnte. Dahinter steht ein rein emotionales Motiv: Das Bedürfnis nach Bedeutung. Wer sonntags Mails beantworten muss, ist wichtig. Ich maile, also bin ich.
Das alles ist eigentlich auch gar nicht schlimm. Wenn nur die naive Sehnsucht nach einer ganz anderen Arbeitswelt nicht wäre. Weder kehrt das alte (und eigentlich ja auch recht öde) 9-5-System mit radikal abgegrenzter Privatsphäre zurück. Noch werden wir zu kantenfreien Kreativwesen, die arglos und ohne eigene Meinungen banal vor sich hin innovieren. Zum Glück. Versuche in diese Richtung werden ja durchaus gemacht. Zu sehen auf Facebook, wo notorische Schleimer mit Banalitäten und taktisch motivierten Grinsegesichtern um sich werfen. Dann sogar schon lieber den Dauernörgler, der sich chronisch verkannt fühlt. Wenigstens hat dieser seine eigene Komik.
(Eine ausführlichere Diskussion von Nouvels Projekt erscheint morgen auf dem Architekturblog www.baumeister.de.)