Schafft Merkel Adenauer?

Wer sich fragt, warum Horst Seehofer erst und just am 19. Januar als CSU-Vorsitzender zurücktritt, der werfe einen Blick in die Annalen. Denn erst dann wird er Theo Waigel um wenige Tage als CSU-Vorsitzender übertreffen und als Parteichef mit der zweitlängsten Amtszeit nach Franz Josef Strauß in die Geschichte eingehen können.

Bei Angela Merkel gibt es einen ähnlichen Kalenderbezug. Sie hat mit 13 Dienstjahren jetzt die Bundeskanzler Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder an Amtsdauer überholt. Nun dringt sie in die Gefilde der beiden Kanzlerlegenden Konrad Adenauer und Helmut Kohl vor.

Um, wie Seehofer, auf den zweiten Platz ihrer Kategorie zu gelangen, müsste Merkel noch ein Jahr überstehen, dann hätte sie Adenauer erreicht. Doch schafft sie das? Die Optimisten in der CDU hoffen, dass man nach dem miserablen Jahr 2018 das Schlimmste hinter sich hat. Die Migrationskrise, der wilde Streit mit der CSU, die internen Machtkämpfe und Wahlniederlagen seien vorbei.

Beide Unionsparteien bekämen mit Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) und Markus Söder neue, vernünftige Vorsitzende, der Generationenwechsel sei erfolgt. Die CDU habe durch ihre offene Nachfolgedebatte sogar neuen Schwung erfahren, frohlockt man zum Jahreswechsel im Adenauer-Haus und verbreitet Sätze wie: “Wir verfügen mit Angela Merkel über die international respektierte Führungsfigur, die Deutschland noch bis zum Ende der Legislatur gut durch wilde Zeiten steuern kann.” Das Vertrauen zwischen Merkel und AKK sei groß, und Söder schließe endlich Frieden mit der CDU, beides sorge für Stabilität und Ruhe.

Die unterdrückte Sehnsucht der SPD nach Opposition

Die Skeptiker in der Union aber sehen den Jahreswechsel ganz anderes. Sie halten es für unwahrscheinlich, dass Merkel das Jahr 2019 politisch überleben werde. Denn in Wahrheit sei die Bundesregierung hoch labil, die Volksparteien taumelten weiter. Die SPD schlittere gar in eine Existenzkrise und die Große Koalition stehe darum 2019 vor dem Bruch.

Als erste große Klippe gilt die Europawahl Ende Mai. Europawahlen sind seit jeher Protestwahlen, bei denen die Volksparteien gerne abgestraft werden. Nach derzeitigen Umfragen droht der CDU das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte, der SPD dräut sogar ein lebensbedrohliches Desaster. Was aber passiert, wenn die SPD bei einer deutschlandweiten Wahl hinter den Grünen und vor allem hinter der AfD zur Randpartei zerschlagen wird? Das dürfte das Selbstgefühl erschüttern und eine dramatische Dynamik auslösen, an deren Ende die SPD die Große Koalition verlässt. Große Teile der Partei wollen ohnehin endlich raus aus der Merkel-Umarmung, die der SPD offenbar die Luft zum Atmen nimmt und sie auf Raten dahinsterben lässt.

Die zweite Klippe folgt kurz darauf, wenn die Große Koalition ihre vertraglich festgeschriebene Halbzeitbilanz zieht und die Regierungstätigkeit grundlegend überprüft. “Das ist die Sollbruchstelle der Koalition”, hört man aus der SPD-Fraktion. Zur Mitte der Legislaturperiode, also spätestens im kommenden Herbst, droht damit der “Sozexit”. Die unterdrückte Sehnsucht der Sozialdemokraten nach Opposition könnte sich – insbesondere nach einem Europawahldesaster – endgültig Bahn brechen. Zumal dann, wenn die Umfragen für die Herbstwahlen schlecht blieben.

Denn die dritte Klippe für die Kanzlerschaft lauert im Osten. Ab September 2019 stehen drei Landtagswahlen an, bei denen es für die Volksparteien zu einer weiteren Erschütterung kommen könnte. Linke und AfD sind im Osten derzeit ungewöhnlich stark. Vor allem die AfD könnte in Ostdeutschland nach Umfragen sogar zur stärksten Partei aufsteigen. Sollte das unter dem Massenruf “Merkel muss weg” tatsächlich passieren, wäre die Kanzlerschaft kaum mehr weiterzuführen. Es ist ohnedies schwer vorstellbar, dass eine wahlkämpfende Merkel sich auf den Marktplätzen Thüringens, Sachsens und Brandenburgs überhaupt noch einmal giftig anfeinden läßt.

Die K-Frage ist in der CDU noch nicht entschieden

In das schwierige Jahr 2019 wankt die Große Koalition auch mit machtpolitischen Handicaps. Keiner der drei Parteivorsitzenden von SPD, CDU und CSU ist mehr im Kabinett vertreten und damit einer Disziplin unterworfen. Merkel hat zudem einen CDU-Fraktionsvorsitzenden, den sie nicht wollte und eine neue Parteivorsitzende, die sich von ihr emanzipieren muss. Die Zentrifugalkräfte werden also stärker. Sie muss sich auf eine Partei stützen, die nach der knappen AKK-Merz-Wahl gespalten wirkt. Außerdem haben wichtige Ministerpräsidenten wie Armin Laschet eigene Ambitionen. Die K-Frage ist in der CDU noch nicht entschieden. “Unser Machtgefüge schwimmt”, urteilt ein Präsidiumsmitglied der Partei.

Noch heikler ist die Lage bei der SPD. Die Partei kämpft ums schiere Überleben. Andrea Nahles und Olaf Scholz traut man ein Comeback der Genossen kaum mehr zu. In Berlin laufen bereits Gespräche über die Formierung einer neuen Parteispitze. Sogar ein Comeback von Sigmar Gabriel wird offen diskutiert. “Nach der Europawahl knallt es”, hört man aus der Parteispitze.

Kurzum: Merkel hat sich durch ihren Teilrückzug von der Macht nach der verlorenen Hessenwahl etwas Luft und viel Respekt verschafft. Doch die Krise ihrer Regentschaft ist nicht vorbei – sie hat erst begonnen. Der scheinbar kurze Weg bis zur Adenauermarke der Kanzlerschaft wirkt ganz, ganz weit.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

Foto: Bundesarchiv/Katherine Young CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Wolfgang Kaufmann / 05.01.2019

Einen anderen Vorgänger hat sie am 21. 2. 2018 übertroffen, jedenfalls in zeitlicher Hinsicht. Den Rest werden Historiker erforschen. Offen ist noch, in welcher Sprache.

H.Schmidt / 05.01.2019

“...und Markus Söder neue, vernünftige Vorsitzende, “ Diesen Halbsatz in Bezug auf “vernünftig” wollen wir lieber mal nicht weiter ausführen, oder glaubt wirklich jemand das der Ex-Kofferträger von Stäuber, Machtgeil und gnadenlos zielstrebig um die Macht, der richtige Mann am richtigen Ort wäre? Bei Söder wäre ich sehr, sehr vorsichtig. Was AKK angeht: Will sich wirklich jemand in Deutschland nochmal mehr als 10 Jahre einen Merkel-Klon antun? Was Merkels lange Amtszeit angeht: Diese lange Zeit im Amt ist nicht verdient sondern Dank Deutschem ignoranten/gleichgültigen Volk, gegenüber dem was gut oder schlecht ist, bzw. den noch schlechteren Parteien der Konkurrenz zu verdanken. Merkel hat eine winzige Mehrheit von “deutlich” unter 50% bei der letzten Wahl eingefahren. Allein die Zahl/Prozent zeigen sogar einem Blinden das die Frau eigentlich gar nicht regieren dürfte mit ihrer Partei um 30% . Welches Land leistet sich schon einen 30% gewählten Staatsführer eg. Kanzler außer Deutschland? ...und zuletzt nochmal. Was die CDU glaubt mit AKK als neue Staatsrats-Lenkerin zu sehen ist ja wohl der Oberwitz des Jahres. Wie kann eine 30% Partei glauben das Merkels Nachfolgerin AKK des Parteivorsitzes der CDU potentielle Bundeskanzlerin wäre. Wie arrogant ist das denn? Kein Deutscher will das eine 30% +/- Vorsitzende einer Partei Kanzler werden soll. Was legitimiert diesen Irrglauben eigentlich? Solche dämlichen Diskussionen zeigen eigentlich nur wie verkorkst Deutschland inzwischen ist. Höchste Zeit auszuwandern!

Werner Arning / 05.01.2019

Ich denke, Merkel und auch die SPD bleiben bis zum für die Bürger bitteren Ende. Die SPD hat schlicht Angst und Merkel hat ihr Werk noch nicht zu Ende geführt. Unsere Leidenszeit ist noch lange nicht beendet, vermute ich.

Corinne Henker / 05.01.2019

Die SPD kann man vermutlich abhaken. Sie wird noch eine Weile um die 10%-Marke herumlavieren und irgendwann in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Und genau deshalb scheut sie Neuwahlen wie der Teufel das Weihwasser. Außerdem denke ich, Sie überschätzen die CDU/CSU. Zwar waren Brinkhaus und Söder nicht gerade von Merkel erwünscht, aber sie befinden sich doch jetzt voll auf Merkel-Kurs. Das CDU-CSU-Sommertheater um eine Begrenzung der Asylzuwanderung war nur Augenwischerei für die Bayern-Wahl. Gebracht hat es gar nichts, wie an Zuwanderungs- und Abschiebungszahlen deutlich erkennbar ist. Und nach Bayern-und Hessen-Wahl haben sich erwartungsgemäß alle wieder ganz lieb. Natürlich werden CDU/CSU in den kommenden Wahlen deutlich verlieren, aber die entsprechenden Medien-Phrasen, die aus den Verlierern Gewinner machen, sind sicher schon vorbereitet. Es ändert sich gar nichts. Merkel bleibt Kanzlerin bis 2021, vielleicht sogar noch länger. Die einzige Chance, sie vielleicht zu stürzen, wäre eine Massenbewegung wie die Gelbwesten in Frankreich. Aber dazu sind wir viel zu bequem.

Gudrun Schöberle / 05.01.2019

Unabhängig davon ob Journalisten in ihren Beiträgen Angela Merkel als Bundeskanzlerin befürworten oder nicht, fällt mir doch die Einigkeit auf mit der eine eventuelle nächste Frau in der Regierungspitze namentlich neutralisiert wird.

Dr. Andreas Dumm / 05.01.2019

Wie schon zu Ihrem letzten Beitrag, geschätzter Herr Weimer, fällt mir nur dieser Kommentar ein: “Wen interessiert’s?” Möchten Sie den Sportsgeist, das Mitfiebern bei der Rekordjagd anderer, als letzten Verbündeten aufbieten, um Interesse für die abgetakelte Union zu erwecken?

Dietrich Herrmann / 05.01.2019

Mag sein, dass die Merkel die überholt mit der Dauer der Kanzlerschaft. Meilenweit hat sie die alle mit der Zerstörung der Demokrie, mit der Spaltung der Gesellschaft schon seit einiger Zeit überholt, und das wird hoffentlich eines Tages auch so real in den Geschichtsbüchern geschrieben werden.

August Klose / 05.01.2019

Ich befürchte, Herr Weimer, diese Frau wird bis zum Ende der CDU Kanzler bleiben.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Weimer / 26.06.2020 / 06:00 / 80

Corona als Kanzlermacher

In der CDU knistert es. Die Kanzlerkandidatur-Frage legt sich wie eine Krimispannung über die Partei. Im Dreikampf und die Merkelnachfolge zwischen Markus Söder, Armin Laschet…/ mehr

Wolfram Weimer / 18.06.2020 / 06:29 / 104

Der Rassist Karl Marx

Die Rassismus-Debatte eskaliert zum Kulturkampf. In Amerika werden Kolumbus-Denkmäler geköpft oder niedergerissen, in England sind Kolonialisten-Statuen zerstört oder in Hafenbecken geworfen worden, in Antwerpen trifft…/ mehr

Wolfram Weimer / 12.06.2020 / 10:00 / 47

Nichts ist unmöglich: AKK als Bundespräsidentin?

„Das ist die größte Wunderheilung seit Lazarus“, frohlocken CDU-Bundestagsabgeordnete über das Comeback ihrer Partei. Die Union wankte zu Jahresbeginn dem Abgrund entgegen, immer tiefer sackten…/ mehr

Wolfram Weimer / 21.05.2020 / 12:00 / 23

Warren Buffet traut dem Braten nicht

Warren Buffetts Barreserven liegen jetzt bei sagenhaften 137 Milliarden Dollar. Das ist so viel wie das Bruttosozialprodukt der 50 ärmsten Staaten der Welt zusammengenommen –…/ mehr

Wolfram Weimer / 07.05.2020 / 06:29 / 105

Anders Tegnell: Der Stachel im Fleisch der Corona-Politik

Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell spaltet die Gemüter. Er trägt weder Anzüge noch Medizinerkittel. Er vermeidet jedes Pathos und Wissenschaftlergehabe. Im Strickpullover erklärt er mit lässiger…/ mehr

Wolfram Weimer / 23.04.2020 / 06:10 / 183

Robert Habeck: Die grüne Sonne geht unter

Am 7. März erreichten die Grünen im RTL/n-tv-Trendbarometer noch Zustimmungswerte von 24 Prozent. Monatelang waren sie konstant die zweitstärkste Partei in Deutschland, satte 8 Prozentpunkte betrug der…/ mehr

Wolfram Weimer / 17.04.2020 / 06:17 / 90

China blockiert Recherchen zur Virus-Herkunft

Wie kam das Coronavirus von der Fledermaus auf die Menschen? Der Tiermarkt in Wuhan war es wohl doch nicht. Ein Virus-Forschungslabor nebenan spielt offenbar eine…/ mehr

Wolfram Weimer / 03.04.2020 / 06:25 / 100

Die liberale Corona-Bekämpfung

Die Bewältigung der Corona-Krise ist nicht alternativlos. Während viele Länder Europas – auch Deutschland – auf radikale Massen-Quarantänen mit wochenlangen Ausgangssperren und Kontaktverboten setzen, vertrauen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com