Roger Letsch / 16.10.2018 / 16:00 / Foto: Pixabay / 15 / Seite ausdrucken

Schadenfreude buchstabiert man  „B-r-e-x-i-t”

Ein halbes Jahr noch, dann braucht man für eine Reise nach London wieder ein Visum – schade, ist aber nun mal so! Die Berichte, die Häme, das süffisante Grinsen, die in deutschen Medien über die stockende Austrittsverhandlungen Großbritanniens und die verhärteten Positionen der EU zu lesen sind, nehmen deshalb aber gerade erst richtig Fahrt auf. Man hofft auf ein Wunder, das Wunder vom Exit vom Brexit und eine britische Regierung, die reumütig zurück in den etatistischen Schoß der EU kriecht. Das wird zwar nicht passieren, aber die Konfliktfelder, die der Spiegel gerade entdeckt, sind schon sehr abenteuerlich – und vor allem sehr weit weg!

Anguilla, ein kleines karibisches Überseegebiet der Briten in der Karibik macht den Sturmgeschütz-Kanonieren Sorgen! Trouble in Paradise! Anguilla könnte abgeschnitten werden von der europäischen Zivilisation, wenn es nicht mehr über den kurzen Seeweg verbunden wäre mit den französischen und holländischen Überseegebieten St. Martin und Sint Maarten, den unmittelbaren europäischen Insel-Nachbarn in der Karibik. Was wäre, wenn der Flughafen auf der Nachbarinsel den Touristen von Anguilla versperrt bliebe? Anders herum könnte man fragen, was aus dem Flughafen würde, wenn er nicht auch Touristen nach Anguilla schaufeln könnte? Haben solche Medaillen nicht immer zwei Seiten, und steht tatsächlich in Stein gemeißelt, dass eine EU-Außengrenze für ihre Anrainer prinzipiell ein unüberwindliches bürokratisches Hindernis darstellen muss?

Auch stellt sich die Frage, wer eine solche Isolation will und warum es so kommen sollte, wo doch offensichtlich niemand etwas davon hätte? Kommt hier etwa von Seiten der EU weiteres Erpressungspotenzial ins Spiel? Muss es wirklich so sein, dass es zwischen der EU und ihren Nachbarn in der Welt eine alternativlos „harte Tür“ gibt, von wegen „keine Rosinenpickerei“ und so? Die gern verwendete Metapher vom „Brücken bauen” scheint gerade in den Brexit-Verhandlungen aus den Hirnen der Brüsseler Bürokraten und deutscher Journalisten wie weggeblasen zu sein. Und wer um alles in der Welt mag eigentlich Rosinen?

Von Suriname lernen, wie man Grenzen ignoriert

Schauen wir doch mal knapp tausend Seemeilen südsüdöstlich von Anguilla an einer anderen EU-Außengrenze nach, nämlich einer französischen! Ja, die EU hat in der Tat Außengrenzen in Südamerika: die von Französisch Guyana zu Brasilien und zu Suriname, letztere verläuft über etwa 300 km entlang des Flusses Maroni. Eine recht lange EU-Außengrenze, die noch dazu eine sehr sehr lockere ist, also im Grunde nicht wirklich existiert. Jedenfalls nicht für die Menschen, die dort auf beiden Seiten des Flusses leben.

Es findet problemlos Handel und Austausch statt, man lebt teils innerhalb der EU, teils außerhalb der EU, aber immer ohne die EU. Nun ist Suriname sicher ein Land, dass jede Reise wert ist, aber man muss sich schon fragen, warum zwischen EU-Franzosen in Guyana und Nicht-EU-Surinamern solch ein unkompliziertes Verhältnis möglich sein kann, aber künftig zwischen den Bewohnern des britischen Anguilla und den EU-Holländern und EU-Franzosen der Insel des heiligen Martin zukünftig eine „harte Tür“ errichtet werden muss, wo diese Länder doch auch in Europa direkte Nachbarn auf dem kurzem Seeweg sind? Will da etwa jemand Mauern in den Köpfen errichten, wo bislang kunterbunte Völkerverständigung regiert?

Liebe Unterhändler in Brüssel und liebe Spiegel-Schreiberlinge, findet ihr diese Eskalation und das Herbeiwünschen neuer Brexit-Probleme nicht selbst ein wenig scheinheilig?

PS: Wer mir nicht glaubt, der schaue sich diese Folge der Weltumsegler der „SV Delos“ auf YouTube an, die waren nämlich genau wie die Einwohner vor Ort ganz ohne Schwierigkeiten oder Zollformalitäten an der EU-Außengrenze zwischen Französisch-Guyana und Suriname unterwegs. Informeller Freihandel ohne Handelsabkommen gewissermaßen und beste empirisch-liberale Tradition. Ich hoffe nur, die EU bekommt nicht Wind von den Zuständen dort … es wäre sicher zum Schaden für das Leben der Menschen. Den Briten jedoch könnte ein Hinweis auf die praktische Ausgestaltung europäischer Gesetzestafeln etwas Zucker in den Tee geben.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Unbesorgt

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Leserpost

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Wiebke Lenz / 16.10.2018

Es kann und sollte jedem gleichgültig sein, wie ein souveräner Staat handelt. Meine Kugel hat mir übrigens noch nicht gesagt, wie es ausgeht: Mag aber daran liegen, dass ich nur die billige Glasausgabe besitze, nicht die teure aus Kristall. Seltsamer Weise hatten und haben aber bisher alle Handelsaktivitäten und Reisen über Grenzen hinweg funktioniert. Egal, in welches Land (Weißrussland hat z.B. extra getrennte Spuren für Liefer- und Privatverkehr auf dem Landweg). Visum ist auch kein Problem. Und wenn man in die USA reisen möchte, wundert sich doch auch niemand, dass Personaldokumente mit Fingerabdruck vorhanden sein müssen ...

Ulla Smielowski / 16.10.2018

Leider verstehe ich als Bürger zu wenig davon, was beim BREXIT passiert… Allerdings nur vom Hörensagen weiß ich, dass England annehmbare gute Vorschläge gemacht haben soll.. Total vergrätzen kann man die Engländer nicht, da sie einer der größten Handlespartner ist.. Sie haben ja auch jährlich mindestens 10 Mio. Euro zum EU-Haushalt beigesteuert.. Warum hat die Kanzlerin sie nicht zum bleiben motiviert.. Da hatte sie mal wieder nichts unternommen..bäh..

Joachim Lucas / 16.10.2018

Die Briten erleben das Ende ihres EU-Abenteuers mit Schrecken, aber wir erleben den EU-Schrecken wohl noch lange ohne Ende. Die möglichen hinterhältigen Klein-Pöbeleien der beleidigten EU-Kader sind bald vergessen, aber die Briten werden ihre Lektion auf Jahrzehnte gelernt haben. Nie mehr das widernatürliche und undemokratische Bürokraten-Monstrum EU mit seiner Verordnungshydra!

Walter Stein / 16.10.2018

Sorry, aber GB hat sich für den Austritt entschieden, nicht die EU. Und sorry, wenn die EU nicht jubelt. Der Brexit ist und bleibt die größte Dummheit. Und ein Beweis, dass man solche komplexen Entscheidungen definitiv nicht dem Pöbel zur Entscheidung vorwirft.

Marc Blenk / 16.10.2018

Lieber Herr Letsch, das heilige römische Reich Brüsseler Nation ist größenwahnsinnig geworden. Unlängst hat gleich mal pro forma der europäische Gerichtshof den Deutschen untersagt,kriminelle Asylanten und Asylantragssteller einfach so auszuweisen. Kriminelle Energie müssen wir also in Kauf nehmen. Das hat uns diese niemals demokratisch legitimierte, aber sehr mächtige Institution so verordnet.Die Schere zwischen dem Größenwahnsinn der Großkopferten in Brüssel und den tatsächlichen Befindlichkeiten und Bedürfnissen der europäischen Völker ist inzwischen so eklatant,wie nur noch 1989 in der DDR im Politbüro der SED. Dabei sind die Völker Europas friedliebener als ihre Herrschaft(en)! Falls die EU zusammenbricht und die Bürger selbst die Dinge in die Hand nehmen, wird weder ein Krieg ausbrechen noch ein Hauen und Stechen einsetzen, sondern werden wirkliche gemeinsame Interessen umgesetzt.

Thomas Holzer, Österreich / 16.10.2018

Es hängt einzig und alleine von den Briten ab, ob EU-Untertanen ein Visum für die Einreise nach dem Brexit benötigen werden! Das ist noch nicht gegessen! Nur weil die EU in ihrer Überheblichkeit die Visapflicht für die Briten einführen wird, heißt es noch lange nicht, daß die Briten mit gleicher Münze zurückzahlen werden. Ich hoffe nicht ;)

Martin Schumann / 16.10.2018

Die Briten haben richtig entschieden. Was als i-Tüpfelchen noch fehlt, ist der harte Brexit. Das ist die einzige Sprache, die die EU-Nomenklatura versteht. Die entscheidende Frage ist doch: Wer möchte Mitglied in einem Verein sein, der sich derart boshaft und hinterhältig benimmt, wenn man austreten will? Ich nicht. Viele Grüsse aus der CH

Uwe Dippel / 16.10.2018

Wieso Visum? Wie alt sind Sie? Also, ich konnte vor der EU wunderbar durch Europa reisen, ohne Visum. Nicht-Schengen heisst doch nicht automatisch Visum! - Ich weiss, den meisten jungen Menschen ist das nicht aufgefallen, und diese werden sogar mit diesem Argument geködert, gegen den Brexit zu sein.

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