Cora Stephan / 22.11.2009 / 15:47 / 0 / Seite ausdrucken

Rücksicht auf Polen? Westerwelle und Steinbach

War der Wodka schuld? Die polnische Gastfreundschaft ist ja legendär – und die dortige Trinkkultur ebenfalls. Und da kann dann schon mal eins zum anderen kommen: man trinkt Brüderschaft mit den Amtskollegen. Fühlt sich wohl. Und möchte gern etwas zurückgeben. Zum Beispiel den Kopf der blonden Bestie auf dem Silbertablett.

So muß es gewesen sein. Denn wie sonst soll man es sich erklären, daß Guido Westerwelle den polnischen Freunden just in dem Moment die ungeliebte Erika Steinbach geopfert hat, als die Beschenkten das gar nicht mehr forderten? Zumal er die Vertriebenenfunktionärin und Gründerin der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“ noch vor sechs Jahren mit guten Gründen in Schutz genommen hat - gegen den damaligen grünen Außenminister und seinen Kanzler. Und jetzt, wo man sich sogar in den interessierten politischen Kreisen Polens langsam vom hohen Ross hinunterbegibt auf die Ebene der Realität und wo sich auch in Deutschland Unmut äußert über die ziemlich niveaulose Diskriminierung einer Frau, die ihre Verdienste hat – ausgerechnet jetzt kommt Guido wie ein mutwilliger Bub und beginnt das unwürdige Spiel von neuem.
Sparen wir uns den Hinweis, daß Westerwelle nicht polnischer, sondern deutscher Außenminister ist und deutsche Interessen vertreten muß, auch die der einst Vertriebenen. Auch zur Causa Steinbach ist nichts Neues zu sagen: es steht nicht im Belieben des Außenministers, darüber zu bestimmen, mit wem der Bund der Vertriebenen seine Beiratsposten zu besetzen gedenkt.
Fragen wir uns lieber, was für ein Bild von Polen Westerwelle mit seinem Kotau zeichnet – das wenig schmeichelhafte Bild eines Landes, das dickköpfig seine Empfindlichkeiten hätschelt und Versöhnungsbereitschaft von einer Personalie abhängig macht.

Dabei hat alles so gut angefangen: daß ein deutscher Außenminister nach seinem Amtsantritt als erstes Polen besucht, ist gut und wichtig. Mit Polen verbindet die Deutschen viel – zugespitzt gesagt: ohne die polnische Solidarnosc keine deutsche Wiedervereinigung. Denn während die Polen zu Beginn der 80er Jahre auf Freiheit insistierten, duckten sich die Westdeutschen beflissen, um die großmächtige Sowjetunion nicht zu verärgern.
Es waren übrigens Vertreter der polnischen Exilregierung, die bei den westlichen Alliierten im Kampf gegen Hitler frühzeitig vor dem wachsenden Einfluß Stalins warnten. Vergebens: Polen wurde eines der ersten Opfer der sowjetischen Machtausdehnung. Und es wurde mit deutschen Reichsgebieten für das entschädigt, was die Sowjetunion ihm entrissen hat.
Wir teilen mit den Polen also nicht nur gemeinsame Grenzen, wir teilen auch ein kulturelles Erbe. Während unter kommunistischer Ägide die Erinnerung an die Vergangenheit und an die deutsche Geschichte ausgemerzt werden sollte, ist sie heute längst wieder wach. Nicht nur in einer Stadt wie dem einst schlesischen Breslau ist ein selbstbewußtes Polen sichtlich stolz auch auf das deutsche Erbe.
Nur die politisch-korrekte Öffentlichkeit in Deutschland möchte all das vergessen und verdrängen und glaubt noch immer, es den Polen schuldig zu sein, ehemals deutsche Ortsnamen polnisch zu radebrechen. Wahrscheinlich kennen längst nur noch die Polen die alten Namen und alten Geschichten.
Hier ist längst falsche Rücksichtnahme im Spiel. Polen ist ein souveräner Staat, den man auch im Guten nicht bevormunden muß. Die Deutschen haben ihre Geschichte aufgearbeitet und stehen zu ihrer Schuld. Andere können das auch, weshalb wir es ihnen nicht ersparen müssen. Längst gibt es eine wache und selbstkritische polnische Öffentlichkeit, die, bei aller Empathie für das Schicksal des eigenen Landes, den Satz „Vertreibung ist immer Unrecht“ unterschreiben würde, den Guido Westerwelle formulierte, als er noch nicht Außenminister war. Dort braucht man kein Versöhnungsangebot, das mit der Brüskierung eines der Versöhnungspartner beginnt.
In Polen ist man vielerorts längst weiter, als seine politische Elite erkennen läßt. Und deshalb ist es nicht nur Rücksicht, sondern ebenso Anmaßung, das Land, so vielfach gebeutelt, betrogen, um sein Recht und um seine Freiheit gebracht, auf die Rolle des bloßen Opfers zu reduzieren. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar – das wissen, mit Verlaub, nicht nur die Deutschen.

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