Einen herzlichen Glückwunsch für die diesjährigen Empfänger des „Reporterpreises“, eines der angesehensten Journalistenpreise im Land. In einer Kategorie allerdings hat sich die Jury heftig vergriffen und verhoben, vor allem mit der Begründung Ihrer Auswahl: Der Text sei „exzellent recherchiert“. Es geht um den Sieger in der Kategorie „Politische Reportage“: Gewonnen hat „Die Klimakrieger“, ein Stück aus der „Zeit“ von Anita Blasberg und Kerstin Kohlenberg, ein Drama mit Helden und Schurken.
Es geht um ein Thema, in dem – neben dem wissenschaftlichen Diskurs – heute politische Korrektheit eine Rolle spielt wie bei kaum einem anderen. Und so nimmt es nicht wunder, dass die Helden, die Guten, diejenigen sind, die den Menschen den selbstverschuldeten Weltuntergang prophezeien, und die Schurken diejenigen, die das alles als Horrorvision abtun, und dafür auch noch von der Industrie bezahlt werden. Unabgestuft, so liest man zwischen den Zeilen gehört jeder zu den korrupten Schurken, der jene Horrorvisionen nicht 1:1 sich zu eigen macht. Der klassische Fall inzwischen.
Jetzt aber zum Thema „exzellent“ recherchiert: Besuch der Autorinnen beim Guten, dem Helden, der in Amerika wohnt. Michael Mann heißt er, und er hat die berühmt-berüchtigte Hockeyschlägerkurve erfunden, eine Grafik, die uns sagen soll, dass es vor der Industriellen Revolution keine Klimaschwankungen gegeben habe, seither allerdings umso heftigere. Ausführlich, so liest der unbefangene Leser aus dem Text heraus, hat man sich offenbar unterhalten, Mann hat den zwei Reporterinnen seine Arbeit erklärt.
Aber war das wirklich so? Michael Mann macht geltend, seine – in der Wissenschaft durchaus umstrittenen – Erkenntnisse aus den letzten Jahrhunderten aus Bäumen gewonnen, aus totem und lebendigem Material. Ob es ausreichend Material war oder nicht, soll hier nicht diskutiert werden, ich habe da meine Zweifel. Auf jeden Fall hat er Baumringe betrachtet, Jahresringe von Baumscheiben, aus denen er die klimatischen Bedingungen der unterschiedlichen Zeiten ablesen wollte, eine eigentlich sehr bekannte und bewährte Methode in der Klimahistorie zur Ermittlung von „Proxydaten“ aus Zeiten, in denen noch keine Thermometer im Einsatz waren. Die Autorinnen aber schreiben nach ihren exzellenten Recherchen, Mann habe seine Erkenntnisse aus „Baumrinden“ abgelesen. Rinden. Wahrscheinlich weil sie in der Schule mal gelernt haben, dass man die Wetterseite an Bäumen an der Rinde erkennen kann – mit Klimaforschung hat das allerdings nichts zu tun. Nichts deutet darauf hin, dass es sich um einen Druckfehler gehandelt habe, Online hätte längst eine Korrektur erfolgt sein können, wahrscheinlich hat es ihnen auch noch niemand gesagt, ist auch egal, es steht da so seit über einem Jahr, jedenfalls noch am 28. November 2013. Hat ihnen Mann, ihr großer Held, seine Arbeit überhaupt erklärt? Haben sie zugehört?
Mindestens ebenso zweifelhaft ist die Art und Weise, in der sie auf den Streit um Manns Hockeyschlägerkurve eingehen. Im Zuge des „Climategate“-Skandals im Jahr 2009, als ein Hacker etwa 1000 E-Mails aus der Korrespondenz der Alarmistenfraktion unter den Klimaforschern an die Öffentlichkeit brachte, war von „Michaels Trick“ die Rede. Ein Trick, um „die Absenkung zu verstecken“ („to hide the decline“). Gemeint war, dass die Baumringe von Mann seit den 60er Jahren eine Temperaturabsenkung zeigten, die nicht in seine Aussage passten. Also nahm er den Temperaturverlauf aus anderen Zeitreihen, nahm jetzt lieber passende Thermometermessungen und mixte beide Reihen ineinander, ohne dies an die große Glocke zu hängen, und schon stimmte alles wieder. Ein befreundeter Forscher, Phil Jones, ging in einer Email auf diesen Trick ein und erklärte ihn für solche Anlässe als durchaus salonfähig. Auch wenn Mann und Jones von Kommissionen hinterher (halbwegs) reingewaschen wurden, die Frage darf ja gestellt werden: Wenn die Daten aus den Baumringen (nicht –„rinden“) in Zeiten von vergleichbaren Temperaturmessungen nicht stimmen, wie kann man dann sicher sein, dass sie in früheren Jahrhunderten durchgehend gestimmt haben? Aber für so eine Frage ist in einem Artikel nach der Art, wie er von den Zeit-Autorinnen angelegt ist, kein Raum.
Die Autorinnen schreiben: „Mann weiß, es gibt keine offenen Fragen, seine Ergebnisse sind unstrittig“. Schön für ihn. Aber das ist ein starkes Stück. Vielleicht hätte sich ja jemand von der Jury mal sachkundig machen können, bevor man das Prädikat „exzellente Recherche“ vergibt. Manns Kurve kam schließlich gehörig unter die Räder, und zwar nicht nur von gekauften Bütteln der Ölmultis. Nur ein Beispiel: Der anerkannte Klimaforscher Hans von Storch, der übrigens nicht weit vom Erscheinungsort der Zeit arbeitet (wenn man schon mal eine aufwendige Reise Amerika unternommen hat), in Hamburg und Geesthacht nämlich, hat jedenfalls in einem Spiegel-Interview gesagt, es sei „für die Wissenschaft wichtig, auf die Fehlerhaftigkeit der Mann-Kurve hinzuweisen.“ Unstrittig? Exzellent?
Was den Oberschurken angeht, namens Morano, suggerieren die Autorinnen einen Besuch bei ihm, schreiben aber am Schluss, quasi im Kleingedruckten, dass alle Zitate von ihm von einer Website stammen. Wo bleibt da noch die “exzellente” Recherche?
Ein starkes Stück ist es ebenfalls, wie die Autorinnen mit Protagonisten aus dem Diskurs umgehen, die bei den größten Horrorvisionen Skepsis anmelden. Bei Fritz Vahrenholt etwa, der in seinem Buch „Die kalte Sonne“ den Treibhauseffekt gar nicht grundsätzlich abstreitet, da reicht es schon, dass er auch den Einfluss der Sonne auf die Klimaschwankungen würdigt (wofür einiges spricht), um ihn in die Lobbyistenecke zu stecken. Und: Passt es nicht, er der frühere Hamburger Umweltsenator sei schließlich als Manager erst zu Shell und dann zu RWE gewechselt. Dass Vahrenholt bei Shell für die Bereiche regenerative Energie und Umweltschutz zuständig war, dass er bei RWE den bundesweit größten Windenergiesektor aufbaute – das hat man in dem preisgekrönten Beitrag lieber verschwiegen, weil dann die Kästchen durcheinander gekommen wären. Man schrieb darüber, dass Michael Mann bedroht worden sei. Dass auf Vahrenholt ein Anschlag verübt wurde (weil er RWE habe „greenwashen“ wollen) und ihm auf Anraten Hamburgs Polizeischutz zur Seite gestellt wurde – auch das ließ man bei der exzellenten Recherche lieber unter den Tisch fallen. Dass Vahrenholt mit seinem Buch „Seveso ist überall“ in den 70er Jahren mit ein Geburtshelfer der bundesdeutschen Umweltbewegung war, natürlich ebenso.
Übrigens: Ein bisschen darf man auch nachrecherchieren als Jury.
Siehe auch Ulli Kulkes Blog Donner und Doria