Hollareduljöö! Der Berg ruft. Aber diesmal nicht zum Vergnügen, sondern zur harten Arbeit. Mein Feind des Tages heißt Sauerampfer. Ich habe noch nie über ihn nachgedacht und erkannt hätte ich ihn auf der Wiese als Stadtkind auch nicht. Jetzt schon. Jetzt und für alle Zeiten. Sauerampfer ist fies und er muss weg! Ich höre schon die Veganer schluchzen, bestimmt lassen sich delikate Suppen und Salate daraus machen, aber nicht hier und nicht jetzt. Einzeln wird er mit einer Spezialharke bei den widerspenstigen Wurzeln gepackt und vorsichtig herausgezogen, damit keine Wurzeln im Erdreich bleiben.
Unten im Tal sind sie jetzt im Schwimmbad. Wir schwitzen auf der Alm bei 30 Grad im Schatten, wobei angemerkt werden muss, dass es auf der Alm keinen Schatten gibt. Der Sauerampfer will leider nicht so wie wir, die Retter der Thaurer –Alm im Naturpark Karwendel. Er hat seine Wurzeln scheinbar für die Ewigkeit in den Almboden geschlagen, in Kooperation mit fiesen Steinen wird die Angelegenheit schnell anstrengend. Wir tun das alles für die Kühe, damit sie es schön haben, hier oben. Leider mögen Kühe auch keinen Sauerampfer, dies würde das Problem am schnellsten lösen, aber sie verschmähen ihn. Und so wuchert er erbarmungslos über die Almen Tirols, dass es den Bauern tiefe Seufzer entlockt.
Den Urlaubern hingegen entlocken die Almen Seufzer des Wohlbefindens. Zu einem Tirol-Urlaub gehören sie wie ein Speckbrot und ein Schnapserl. Leider sind die Almen in Gefahr. Deshalb müssen jetzt die Touristen ran, denn die Bauern haben im 21. Jahrhundert keine Zeit mehr, ihr Almen auf zack zu halten. Der moderne Reisende rettet unermüdlich Schildkröten, er reist einmal um die halbe Welt, um gefährdete Lamas zu streicheln- aber wer kümmert sich eigentlich um die Probleme vor der Haustür? Zauberwort Volunteering.
Wenn Menschen freiwillig ihre Freizeit opfern und am Ende des Tages das Gefühl haben, etwas Sinnvolles getan zu haben, ist allen geholfen. Und so werden die Reisenden neuerdings zu Almputzern. Von diesem Beruf habe ich noch nie gehört. Und schon stehe ich auf der Alm und übe ihn aus. Ein Almputzer hält die Alm sauber, er sortiert die Steine weg, damit die Kühe nicht darüber stolpern, er beseitigt Unkraut und Buschtriebe und wenn er fertig ist, fängt er von vorne an. Es ist kein Nebenjob, sondern eine Fulltime-Aufgabe, den ganzen Sommer lang, vom Alm-Auftrieb bis zum Alm-Abtrieb.
Seit einigen Jahren schon finden die Bauern niemanden mehr, der diese Arbeit verrichten will. Oben auf den Almen wollen immer weniger Menschen schuften und unten im Tal wollen immer weniger Kühe halten. Es gibt im 21. Jahrhundert interessantere, besser bezahlten Jobs. Es ist ein Dilemma: Ohne Kühe keine Alm, die Almen verwildern langsam, irgendwann wird es, so jammern die ersten Tiroler, aussehen wie in Kanada. Dort vermisst niemand Almen, weil Kanada ist schön, wie es ist, deshalb hinkt der Vergleich ein wenig, aber die Botschaft kommt an: Die Almen müssen gerettet werden. Denn die Touristen in Tirol erwarten sanftes Grün auf steilen Hängen oder lieblichen Wiesen, das war schon immer so.
Und immer mehr Menschen wollen wandern, Wandern ist schön, es beruhigt die Nerven und zur Belohnung gibt es einen Kaiserschmarrn auf einer Almhütte, wie aus dem Bilderbuch. So wie früher. Idylle, Idylle. Natürlich könnten die Menschen auch „nur“ durch den Wald wandern, aber der Tirol-Reisende erwartet Almen mit glücklichen Kühen drauf. Ob der Mensch Almen braucht, ist schwer zu sagen, den einen ist es völlig egal, die anderen sagen, dass sie zur Kulturlandschaft gehören und die will gehegt werden, dafür gibt es EU-Förderungen, immerhin.
Die Almen werden streng nach Plan geputzt, Vegetationsökologen haben festgelegt, welche Flächen in welchen Zustand zurückversetzt werden müssen. So heißt der Tagesauftrag zum Beispiel „Wiederherstellen der Magerweide“, Latschen, die die Wiesen zuwuchern, müssen entfernt werden – mit Harken, Ast- und Baumscheren rücken die Freiwilligen dem unerwünschten Grün zu Leibe, die Profis, die die Arbeiten vernünftigerweise überwachen (damit nicht das Falsche umgenietet wird), greifen beherzt zur Kreissäge, das geht schneller.
Wie viel Arbeit dahinter steckt, damit eine schöne Alm eine schöne Alm bleibt, wissen nur wenige. Wir kaufen die Milch lieber zum Dumpingpreis im Supermarkt und denken ungern darüber nach, dass der Bauer mit all seiner Idylle mit den Almkühen da nicht mithalten kann und ihm irgendwann die Lust vergeht, im Stall Kühe zu halten, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Viele haben schon aufgegeben, andere wiederum lieben ihr Vieh sehr und ergreifen dann eben einen Zweitberuf, mit dessen Hilfe sie den Milchbetrieb gegenfinanzieren.
Die Tourismuswerbung Tirol (http://www.tirol.at/natur; http://www.tirol.at/volunteering ; http://www.karwendel.org) hatte eine gute Idee: Touristen, die die Almen lieben, möchten vielleicht etwas dazu beitragen, dass es auch in zwanzig oder hundert Jahren noch welche gibt. In diesem Sommer startete ein Volunteeringprogramm, bei dem Freiwillige aus aller Welt auf die Almen fahren und ein paar Tage lang schwer schuften, um die schönen Wiesen vor dem Verwildern retten. Auch Schulklassen reisen an, aus ganz Europa. Warum im Urlaub nicht mal schwenden? So heißt das fachgerechte Entfernen der unwillkommenen Natur.
Ich habe mit Alm-Kollegen drei Tage lang Steine um- und aufgeschichtet, Almrosen en masse geschnitten, Büsche umgesägt, Sauerampfer den Garaus gemacht. Zur Belohnung haben wir unter anderem Melkermus bekommen, eine uralte Speise aus Milch, Mehl und Butter, die angeblich nur Männer zubereiten können, weil Frauen die Kraft dafür fehlt. Ja, tatsächlich, man bekommt schon beim Zusehen Muskelkater.
Die Zutaten müssen mit viel Kraft unermüdlich geschlagen werden, bis ein kaiserschmarrnartiges Pfannen-Ufo entsteht, dazu gibt’s Preiselbeeren. Nach einem Tag auf der Alm ist es irgendwie seltsam, unten im Tal ein Hotelzimmer mit einer eigenen Toilette und einer Dusche zu haben. So ein unverschämter Luxus! Auf der Alm, da gibt’s ein Plumpsklo oder man sucht sich einen Busch seines Vertrauens. Wenn die lieben Kollegen ihn noch nicht geschwendet haben.