Deutschland ist für viele gerade kein „Hoffnungsland“ (Scholz). Aus wirtschaftlichen und politischen Gründen verlassen viele Bürger aus der Mittelschicht das Land, während unkontrollierte Armutsmigration akzeptiert wird. Das kann nicht gutgehen.
Es ist ein schlechter Tausch, der seit vielen Jahren vor sich geht. Man kann sogar sagen, das Ergebnis ist ein Aderlass. Gut ausgebildete Deutsche verlassen aus eigenem Antrieb jährlich in der Größe einer Mittelstadt das Land, Einwanderer kommen gleichzeitig in Zahlen einer Millionenstadt nach Deutschland. „Im Jahr 2022 wurden rund 1.462.000 mehr Zuzüge nach Deutschland als Fortzüge aus Deutschland erfasst“, sagt das Statistische Bundesamt. Zwischen denen, die kommen und denen, die gehen, gibt es noch andere bedeutende Unterschiede. Der augenscheinlichste ist: Die meisten derer, die kommen, wandern in das Sozialsystem ein, entweder als bedürftige Kriegsflüchtlinge, als „echte“ Asylbewerber oder als Menschen mit keiner oder geringer Ausbildung, die mit dem festen Anspruch kommen, dass sie in Deutschland vielleicht Arbeit, aber auf jeden Fall Sozialhilfe ohne entsprechende Gegenleistungen erhalten.
Dass Migranten ohne eindeutige Rechtsgrundlage (Verfolgung, Asyl, Flucht) auch aus rein wirtschaftlicher Motivation und finanzieller Erwartungshaltung willkommen sind, ist der Grundgedanke einer „totalen Ethik“, die dem Schwur offensichtlich widerspricht, den jeder Kanzler bei seiner Vereidigung schwört: Er oder sie werde sich „dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen… So wahr mir Gott helfe“.
Wenn man sich die Deutschen anschaut, die das Land verlassen, kann man sie grob drei Gruppen zuordnen: Es sind die jungen Dynamischen, die alten Hedonisten und die politisch Frustrierten. Allen drei Gruppen gemein ist, dass sie hauptsächlich der Mittelschicht entstammen und bestens ausgebildet sind. Man kann sagen, dass die Mittelschicht bereits von Eskapismus ergriffen ist und sehr viele Menschen mit dem Gedanken spielen, Deutschland den Rücken zu kehren, weil sie sich in ihrem Land nicht mehr repräsentiert fühlen. Ihre Leistungen und Ansprüche könnten in Zukunft gar als politisch unerwünscht gelten, weil sie „das alte kapitalistische System“ verkörpern. Angestellte in Betrieben der klassischen Industrie, kleine und mittlere Unternehmen, deren Güterproduktion auf fossilen Energien beruht oder Produzenten in der Konsumgüter- und Automobilzulieferindustrie können sich ausmalen, dass ihr wirtschaftliches Dasein im Industrieland Deutschland seine Halbwertszeit schon durchlaufen hat. Weil das gesamte Netzwerk der deutschen Wirtschaft einer Transformation ausgesetzt werden soll, droht in deren Verlauf die Daseinsberechtigung des Mittelstandes und der ihm anhängenden Mittelschicht ebenfalls verloren zu gehen.
Schwur mit gekreuzten Fingern
Bevor das geschieht und der Absprungpunkt verpasst wird, packen diese Leute ihre Sachen und verlassen das Land, manche wütend. Mit einer Politik, die dem Eigenkapital und der Sicherheit des Vermögens der Bürger mit antikapitalistischen Aktivisten auf die Pelle rückt, die gedenkt, ihre staatlich verordneten Klimaschutzmaßnahmen mit „finanzieller Bürgerbeteiligung“ umzusetzen und nichts anderes vorhat, als die Enteignung durch die Hintertür gesetzlich vorzubestimmen, wollen die klugen Auswanderer nicht konfrontiert werden. Es findet also eine Abstimmung mit den Füßen statt.
Die „Dynamischen“ verlassen das deutsche System, weil sie keinen höheren Nutzen von ihm haben und in der Fremde mit ihrer Qualifikation bessere Bedingungen und Sicherheiten vorfinden. Sie gehen dem Sozialsystem als Nettozahler verloren und dem Wirtschaftsstandort als Leistungsträger. Je mehr Menschen der gebildeten Mitte das Land verlassen, umso mehr nimmt der Exodus die Form einer politisch veranlassten Vertreibung an. Denn der Mittelstand besteht naturgemäß aus Menschen, die ihr individuelles Know-how, ihren kreativen Unternehmergeist, ihre kapitalistisch-unternehmerische Selbstoptimierung und ihre freiheitliche Gesinnung nicht dem Kollektiv der Staatsgläubigen übereignen wollen, wo sich die Untertanen lieber vom „System“ aushalten lassen und eine geistig-moralische „Pflegestufe 5“ für erstrebenswert halten. Auswanderer wissen, wo ihre Zukunft liegt – und was sie nicht wollen: Es ist nicht der Nanny-State, den sie als Milieu bevorzugen. Es ist offenbar auch nicht mehr das Land von Angela Merkel und Olaf Scholz, die den oben genannten Schwur einst mit gekreuzten Fingern geleistet haben müssen.
Hier sei noch an die „Staatsquote“ erinnert, die das Verhältnis zwischen staatlichen Ausgaben und (bürgerlicher) Privatwirtschaft ausdrückt. In Deutschland gibt der Staat weit mehr für seine „Aufrechterhaltung“ aus, als der verbleibende Anteil des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Der Einfluss des Staates nimmt immer mehr zu, der Einfluss der Privatwirtschaft, des deutschen Mittelstandes, der unabhängigen und selbstständigen Unternehmungen nimmt ab, obwohl die Mittelständler das wirtschaftliche Rückgrat Deutschlands bilden.
Neben der unverhältnismäßig hohen Ausgabenlast des Staates, die durch unverhältnismäßig hohe Abgabenlasten für den Staat finanziert werden muss, verliert der Mittelstand zunehmend seine politische Stimme und Fürsprecher. Es kommt einer Entmündigung gleich: Der Staat betreibt eine moralische „Enteignung“ des Mittelstandes, indem er seine Wertschöpfungsmodelle gesellschaftspolitisch diskreditiert. Plakativ ausgedrückt: Der Mittelstand soll schuften und sich transformieren, Erarbeitetes abgeben, sogenannte „Klimagerechtigkeit“ herstellen und den Mund halten. Er muss Frondienst für ideologischen Aktivismus leisten, der in vielen Fällen schlicht die Abschaffung von Wertschöpfungsmodellen fordert und mit sozialer Marktwirtschaft nichts mehr gemein hat. Es ist unrealistisch, dass kluge, freie Menschen sich so etwas gefallen lassen: Sie wandern aus.
No Country for Young Men
Dann sind bei den Auswanderern noch die Rentner und Privatiers zu finden, die als „Hedonisten“ auftreten und das eigene Geld lieber in der Sonne des Südens verprassen als es in den dunklen Löchern einer politischen Gigantomanie zu versenken, die nur mit direkter und indirekter Enteignung von Privatvermögen umzusetzen ist (Klima-, Energie- und Heizungswende, Migration). Viele fliehen vor einem Staat, der das ihm überlassene Steuergeld nicht dem Wohle des Volkes widmet, sondern großzügig für symbolpolitische Utopien verschleudert. Das Einzige, was der „postmoderne“ Staat anscheinend wirklich gut kann, ist Steuergeld in eine Zukunft zu stecken, die ungewisser erscheint als die Weiten des Universums. Die Vermögenden über 65 wollen sich ihren Lebensabend natürlich nicht verderben lassen. Wozu sollten sie für eine Zukunft sparen, an der sie ohnehin nicht mehr teilnehmen?
Die dritte Gruppe der Exilanten, die „Frustrierten“, sehen sich von diesem Staat in die Enge getrieben, so dass sie sich nicht mehr mit ihm identifizieren. Sie haben den Glauben an alle politischen Schwüre und Imperative, Rote Linien und Sicherheiten aufgegeben. Sie glauben nicht mehr an die Funktion von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Sie halten sich für „politische Flüchtlinge“ und verschwinden, um in Ruhe gelassen zu werden.
Folgt man den Umfragen, sind diese Frustrierten allerdings in der Minderheit. Die meisten Auswanderer verlassen aus rein wirtschaftlichen Erwägungen das Land. Sie sehen das pragmatisch: Deutschland ist auf dem absteigenden Ast. Das riechen die Cleveren und gehen, bevor sie selbst unbeweglich oder (von der Bürokratie und dem Staatsmoloch) ausgebremst werden. „No Country for Young Men“: Die Abwanderer im Jahr 2022 waren überwiegend männlich (60 Prozent), und ihr Durchschnittsalter betrug 35 Jahre, was wesentlich jünger als der Durchschnitt der Bevölkerung ist, der bei fast 46 Jahren liegt.
Für den „Innovationsstandort“ kein Zugewinn
Zurück zu denen, die nach Deutschland einwandern. Der Anteil von Migranten an Hartz-IV-Beziehern ist seit dem Jahr 2016 von 25 auf 45 Prozent gestiegen – allein zwei Drittel der während der Flüchtlingskrise 2015/16 nach Deutschland eingewanderten Syrer leben noch immer von Hartz IV. Zu viele dieser Zugewanderten sind schlecht ausgebildet oder gar Analphabeten, so dass eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt mit riesigen Hürden versehen ist. Diese Menschen können – wenn überhaupt – nur im Niedriglohnsektor Arbeit finden und sind kein entsprechender Ersatz für die abgewanderten Hochqualifizierten. Für den Arbeitsmarkt ist das eine Belastung, für den „Innovationsstandort“ gar kein Zugewinn.
Es ist eine wechselseitige Geschichte der Vertreibung: Mittelschichtsexodus gegen Armutsmigration. Die Experten gegen die Unbedarften. Auf weitere Folgen für das gesellschaftliche Gefüge, das in der patriarchal-religiösen Formierung einer neuen Unterschicht seine Ausprägung findet, kann hier nur kurz hingewiesen werden. Es sind bereits Effekte entstanden, die die (ehemalige) deutsche „Mittelschichtromantik“ überschatten und Konfrontationen erzeugen, welche sich aktuell zum Beispiel in sommerlichen „Miniaturen“ betrachten lassen: Prügelszenen in deutschen Freibädern.
Deutschland tauscht die Tüchtigen gegen Bedürftige aus. Das ist der Kollateraleffekt einer moralistisch orientierten Sozialstaatlichkeit, die die Leistungsträger der Gesellschaft nicht wertschätzt und sie abgabentechnisch ausbeutet, während die Sozialpolitik als Einladung für Einwanderer missverstanden wird, nichts für die Gemeinschaft tun zu müssen. Es hängt weniger an den einzelnen Menschen, die zu uns kommen (wollen), wenn die Situation zunehmend entgleitet und dysfunktional wird. Die Ursache ist das System, das eine ungeregelte Masseneinwanderung nahezu ohne Forderungen, ohne Ansprüche, ohne Sanktionen ermöglicht und sich um konstruktive Integrationsperspektiven gar nicht erst bemühen will, die als erstes den Bürgern gerecht werden müssen und nicht den Zuwanderern. Man schaue nur, wie sich diese „Migrationspolitik“ in den Kommunen auswirkt. Die Signale, die Deutschland nach außen sendet, sind falsch: Wenn jemand ein Bündel Geld auf die Straße legt, darf er sich nicht wundern, wenn es gefunden wird. Die Antwort, wer schuld ist am Verlust des Geldes, ist klar – nämlich allein derjenige, welcher glaubt, das Geld wäre auf der Straße bestens deponiert. Der Finder ist jedenfalls nicht der Dumme.
Volkswirtschaftliches Harakiri
Man fragt sich, welches Ziel eine Politik hat, die nicht daran interessiert ist, die wertschöpfende Elite im Land zu halten, sie zu motivieren, für eine soziale Marktwirtschaft einzustehen, die sich dann auch großzügige ethische Ansprüche „leisten“ kann. Beide Aspekte – zeitgleiche Abwanderung und Einladung von Menschen mit unterschiedlichen Bildungsgraden – führen am Ende zu katastrophalen Resultaten in der Bilanz. Hier zeigt sich das zerstörerische Werk eines Moralismus, der die Wirtschaftlichkeit des Handelns gar nicht erst erwägt und auf lange Sicht volkswirtschaftliches Harakiri bedeutet. Das ist allerdings nicht gut für ein Land, das in Zukunft vorhat, klimapolitisch global führend zu sein.
Zu der Abwanderung von Bundesbürgern kommt erschwerend die allgemeine demografische Entwicklung Deutschlands hinzu. Seit 1950 ist die Bevölkerung um 20 Prozent angewachsen. Auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland lebten damals insgesamt rund 69,3 Millionen Menschen, 2021 waren es 83,2 Millionen. In den letzten 70 Jahren hat sich auch die Altersstruktur stark verändert: Wie das Statistische Bundesamt in seiner Pressemitteilung vom 7. Juni 2023 mitteilte, waren 1950 noch zehn Prozent der Bevölkerung auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland 65 Jahre und älter. Bis 2021 stieg ihr Anteil auf 22 Prozent. Es handelt sich also um mehr als eine Verdopplung von Menschen, für die Altersbezüge von jüngeren Arbeitnehmern in sozialversicherungspflichtigen Jobs erwirtschaftet werden müssen.
Gleichzeitig nahm der Anteil der jüngeren Bevölkerung im Alter unter 15 Jahren im selben Zeitraum ab – nämlich von 23 Prozent im Jahr 1950 auf 14 Prozent im Jahr 2021. Während sich der Anteil der alten Menschen mit Anspruch auf Rente und Pension verdoppelte, verringerte sich zudem die junge Bevölkerung – die nun allein den Generationenvertrag schultern muss – um etwa 40 Prozent. Immer weniger Berufstätige tragen also die Last der Altersversorgung. Das erzeugt immensen finanziellen und gesellschaftlichen Druck.
Schlussstrich unter das Kapitel „deutsche Identität“
Rund 270.000 Deutsche haben im letzten Jahr Deutschland verlassen. Wenn man die Zahl der Deutschen abzieht, die nach Deutschland zurückgekehrt sind, ergibt sich für das Jahr 2022 mit über 83.000 Personen die zweithöchste Netto-Abwanderung deutscher Staatsangehöriger. Nur im Jahr 2016 lag die Abwanderung höher (rund 135.000).
Es mögen unterschiedliche Gründe die Auswanderer bewogen haben, ihr Land zu verlassen. Mit Sicherheit sehen sie in Deutschland keine bessere Zukunft mehr für sich. Vielleicht bietet ihnen das Land keine Chancen, die sie als Voraussetzung sehen, sich beruflich, finanziell, kulturell und politisch gut aufgehoben zu fühlen. Es mag sein, dass steuerliche Verweigerung, purer Eskapismus oder Abneigung gegen die Transformation der Gesellschaft eine Rolle spielen, wenn ein Schlussstrich unter das Kapitel „deutsche Identität“ gezogen wird. Am Ende sind es jedoch meist wirtschaftliche Gründe.
Wenn man dem Phänomen einen Namen geben wollte, wäre der zynische Begriff „Umvolkung“, wie ihn gern die rechte Szene als Kampfbegriff einsetzt, völlig fehl am Platz. Es ist falsch, ein völkisches Motiv in den Mittelpunkt einer Diskussion über Migrationsdynamiken zu stellen, weil die stereotype Unterstellung einer geplanten „Verschwörung gegen das Volk“ die wertfreie Betrachtung des Geschehens vergiftet. Es geht nicht um das deutsche Volk, sondern um den Wohlstand der deutschen Bevölkerung, um die deutsche Mittelschicht, die auch voller migrantischer Karrieren und Erwerbsbiografien und nun im Abstieg begriffen ist. Wer „Umvolkung“ behauptet, will einfach nur die Türen zuschlagen und verhindert damit die Diskussion, wie Deutschland konstruktive und qualitative Bedingungen an Zuwanderung stellen soll, damit das Chaos und der Aderlass endlich enden. Um dem Migrationsdruck zu begegnen, braucht Deutschland eine willensstarke Einwanderungsgesetzgebung, die eindeutige Regeln, Ansprüche und Forderungen gegenüber Migranten formuliert. Open-Borders-Fantasien, wie sie der linke Zeitgeist gern propagiert, sind genauso innenpolitischer Sprengstoff wie hermetische „Konzepte“ gegen Zuwanderung.
Die qualifizierte Zuwanderung von Arbeitskräften aus nicht deutschsprachigen Gesellschaften hat sich in der Vergangenheit immer ausgezahlt und war ein Motor für den Aufstieg Deutschlands als technisch führende Nation. Der exorbitante Wohlstand der Industrienation kam auch mit „fremder“ Hilfe zustande. Zu großen Teilen sind die Kinder und Enkel dieser Zuwanderer heute erfolgreiche Deutsche und gehören ebenfalls zur Mittelschicht. Kein gutes Zeichen ist jedoch: Auch sie verlassen Deutschland und gehen in die Länder ihrer Eltern zurück.
Dieser Text erschien in gekürzter Fassung im wöchentlichen Newsletter von Achgut.com (jeweils am Freitag), den Sie hier kostenlos bestellen können.
Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.