Putins jüngste Rede – er meint jedes Wort ernst

Nach der Annexion von insgesamt vier Oblasten der Ukraine hat Wladimir Putin die Maßnahme in einer flammenden Rede als historische Tat gewürdigt. Seine Ausführungen boten intime Einblicke in eine Weltsicht, die längst von den Gegebenheiten der Realität entkoppelt ist. 

Am 30. September 2022 hat im Kreml eine Veranstaltung stattgefunden, die an die dunkelsten Tage unter Stalin erinnerte. Etwa 300 Gäste waren gekommen, um der staatlichen Propaganda ein Publikum zu bieten. In feierlicher Atmosphäre wurde die Zeremonie zur Aufnahme der Oblaste Lugansk, Donezk, Saporischschja und Cherson in die Russische Föderation abgehalten. Im Zentrum des Spektakels stand Wladimir Putin – ein Mann, dessen Handeln von einem rigiden ideologischen Dogmatismus bestimmt ist. Was das konkret bedeutet, zeigt seine Rede.

Darin postuliert der russische Präsident verschiedene Tatsachen, die er zur einzig legitimen Maßgabe bei der Gestaltung der Außenpolitik seines Landes erklärt. Diskutiert oder gar beschlossen wurde diese Agenda nicht. Sie entspringt einzig und allein dem Willen Wladimir Putins. Im Folgenden sollen die wesentlichen Eckpfeiler seiner Ausführungen dargestellt werden. In der Gesamtschau wird deutlich, was bislang immer wieder befürchtet worden ist: Wladimir Putin ist ein hartgesottener Ideologe, der keinen Spaß versteht und im Zweifel auf Eskalation setzt.

Zu Beginn seiner Rede stellt Putin fest, dass die Referenden in den besetzten Gebieten im Einklang mit Artikel 1 der UN-Charta stünden, wo das Recht der Völker auf Selbstbestimmung verbrieft sei. Dieses wiederum gründe auf jener historischen Einheit, die bereits die Bewohner der alten Rus‘ geschaffen hätten und später jahrhundertelang verteidigt worden sei. Im Anschluss daran würdigt er die „Helden des russischen Frühlings“, womit die Bewohner des Donbass sowie die Angehörigen der dortigen Volksmilizen gemeint sind, die seit 2014 im Kampf gegen das Kiewer Regime gefallen seien. Putin bezeichnet diese Menschen als Helden des großen Russlands und bittet um eine Schweigeminute.

Bereits nach kurzer Zeit wird deutlich, dass sich der russische Präsident als Volkstribun inszenieren möchte. Und als solcher kommt er nicht umhin, sein ganz persönliches, nie verwundenes Trauma zu behandeln – den Untergang der Sowjetunion. In diesem Zusammenhang erklärt er: 

„Im Jahr 1991 beschloss die damalige Parteielite in Beloweschskaja Puschtscha die Auflösung der UdSSR, ohne den Willen des einfachen Volkes einzuholen, wodurch das Volk über Nacht aus seiner Heimat gerissen wurde. Dies spaltete unsere nationale Einheit und wurde zu einer nationalen Katastrophe. In derselben Weise, wie die Grenzen der Sowjetrepubliken hinter den Kulissen einst nach der Revolution zerschnitten wurden, haben die letzten Führer der Sowjetunion unser großes Land trotz des direkten Willens der Mehrheit in einem Referendum 1991 auseinandergerissen, indem sie einfach die Nationen vor vollendete Tatsachen stellten.

Ich halte es durchaus für möglich, dass sie nicht einmal ganz verstanden, was sie da eigentlich taten und welche Konsequenzen das am Ende unweigerlich nach sich ziehen würde. Aber das spielt keine Rolle mehr. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, und die Vergangenheit lässt sich nicht zurückholen. Russland hat all das [die Rückkehr zur UdSSR] heute nicht mehr nötig, wir streben es nicht an. Aber es gibt nichts Stärkeres als die Entschlossenheit von Millionen von Menschen, die sich aufgrund ihrer Kultur, ihres Glaubens, ihrer Traditionen und ihrer Sprache als Teil Russlands betrachten und deren Vorfahren jahrhundertelang in einem einzigen Staat lebten. Es gibt nichts Stärkeres als die Entschlossenheit dieser Menschen, in ihre wahre, historische Heimat zurückzukehren.“

Putins Doppelstandards

An dieser Stelle wird ein elementares Axiom von Putins Denkungsart erkennbar. Demnach können im postsowjetischen Ausland gestrandete Russen nicht in Frieden und Sicherheit leben, sofern ihre Länder einen von Moskau losgelösten politischen Kurs einschlagen. Dieser Zustand ist für Putin gleichbedeutend mit dem Versuch, die russische Kultur und die auf Russland bezogene nationale Identität der betreffenden Menschen zu vernichten – ein Angriff auf das Russentum, den er als Präsident nicht hinnehmen kann. Bevor Putin zu seinem Rundumschlag gegen den kollektiven Westen, die USA und deren Vasallen ansetzt, nimmt er zunächst folgende Klarstellung vor: 

„Ich will, dass die Kiewer Behörden und ihre wahren Herren im Westen mich hören und sich daran erinnern: Die Menschen, die in Lugansk und Donezk, Cherson und Saporischschja leben, werden für immer unsere Bürger sein. Wir fordern das Kiewer Regime auf, alle Feindseligkeiten und den Krieg, den es 2014 entfesselt hat, unverzüglich einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wir sind bereit dafür, das wurde schon oft gesagt. Aber die Entscheidung der Menschen in Donezk, Lugansk, Saporischschja und Cherson wird nicht diskutiert, sie wurde getroffen und Russland wird sie nicht verraten. Die heutigen Behörden in Kiew müssen diese freie Willensbekundung des Volkes mit Respekt behandeln. Nur dies kann der Weg zum Frieden sein. Wir werden unser Land mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln verteidigen und alles tun, um ein sicheres Leben für unser Volk zu gewährleisten. Dies ist die große befreiende Mission unseres Volkes.“

Diese Passage ist gleich in verschiedener Hinsicht bemerkenswert: und zwar wegen ihrer kruden Doppelstandards. Putin spricht von Frieden, annektiert aber zugleich gewaltsam eroberte Territorien der Ukraine. Er bezieht sich auf den Grundsatz der freien Willensbildung, hat die Referenden aber vom Militär durchführen lassen; und er erklärt seinen persönlichen Feldzug zur Wiederherstellung des imperialen Machtbereichs zu einer Mission Liberté des russischen Volkes. Nicht Putin verwirklicht seine Ziele mit dem Krieg in der Ukraine, sondern die russische Bevölkerung. Nachdem dies klargestellt ist, wendet sich Putin dem Kern seines Themas zu: dem Verhältnis der Ukraine zu Russland und der Rolle, die der Westen dabei spielt. Pathetisch steigt er sodann in die Thematik ein: 

„Unsere Landsleute, unsere Brüder und Schwestern in der Ukraine – ein organischer Teil unserer geeinten Nation – haben mit eigenen Augen gesehen, was die Eliten des so genannten Westens für die gesamte Menschheit vorbereiten. Sie haben hier ihre Masken fallen lassen und ihr wahres Gesicht gezeigt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beschloss der Westen, dass die Welt – wir alle – sich für immer mit seinem Diktat abfinden muss. Damals, im Jahr 1991, dachte der Westen, dass sich Russland von diesen Turbulenzen nie mehr erholen und von selbst zerfallen würde. Fast hätte es geklappt. Wir erinnern uns an die schrecklichen 1990er Jahre – hungrig, kalt und hoffnungslos. Aber Russland hielt durch, wurde wiederbelebt, gestärkt und eroberte seinen rechtmäßigen Platz in der Welt zurück.

Gleichzeitig suchte der Westen nach einer neuen Gelegenheit, uns zu treffen, Russland zu schwächen und zu zersetzen und tut es auch heute. Davon hat er immer geträumt: unseren Staat zu zersplittern, unser Volk gegeneinander auszuspielen, es zu Armut und Ausrottung zu verdammen. Sie kommen einfach nicht damit klar, dass es ein so großes, riesiges Land auf der Welt gibt, mit seinem Territorium, seinen natürlichen Reichtümern, seinen Ressourcen, mit Menschen, die nicht in der Lage sind und niemals nach fremden Vorgaben leben werden.

Der Westen ist bereit, alles zu tun, um jenes neokoloniale System zu erhalten, das es ihm erlaubt, die Welt auf Kosten der Dollarmacht und des technologischen Diktats wie ein Parasit auszusaugen; die Welt auszurauben, einen Tribut von der Menschheit zu kassieren und die Hauptquelle des unverdienten Wohlstands – die hegemoniale Miete – zu kassieren. Die Erhaltung dieses Mietzinses ist ihr wichtigstes, wahrhaftes und absolut eigennütziges Motiv. Deshalb liegt die vollständige Entstaatlichung in ihrem Interesse. Daher rührt auch ihre Aggressionen gegen unabhängige Staaten, gegen traditionelle Werte und Kulturen, erklären sich ihre Versuche, internationale und Integrationsprozesse zu untergraben, die sich ihrer Kontrolle entziehen, neue Weltwährungen und Zentren der technologischen Entwicklung. Für sie ist es von entscheidender Bedeutung, dass alle Länder ihre Souveränität zugunsten der Vereinigten Staaten aufgeben.“

Die letzte Bastion im Kampf für die Freiheit der Völker

Wenn es nach Wladimir Putin geht, ist Russland von einem Meer von Feinden umringt. Es ist gleichsam die letzte Bastion im Kampf für die Freiheit der Völker gegen den blutrünstigen und tyrannischen Westen, der die ganze Welt im Würgegriff hält und nach seinem Gusto ausbeutet. Dass es Freiheit in Russland nicht gibt und Proteste gegen die Regierungspolitik dort gewaltsam erstickt werden, erwähnt Putin nicht. Und dass seine Retropie von Großrussland ausgerechnet an das zarische Kolonialreich anknüpft, das von 1552 bis 1864 permanent damit beschäftigt war, sein eigenes Staatsgebiet auf Kosten unterworfener Völker auszudehnen, scheint ihn nicht zu stören. Stattdessen fährt er mit weiteren Ausführungen zum Westen fort: 

„Die herrschenden Eliten einiger Staaten erklären sich freiwillig dazu bereit, zu Vasallen zu werden; andere werden bestochen und eingeschüchtert. Und wenn sie scheitern, zerstören sie ganze Staaten und hinterlassen humanitäre Katastrophen, Verheerungen, Ruinen, Millionen zerstörter und verstümmelter Menschenleben, terroristische Enklaven, soziale Katastrophengebiete, Protektorate, Kolonien und Halbkolonien. Es ist ihnen egal, solange sie ihre Leistungen erhalten. Ich möchte noch einmal betonen: Der wahre Grund für den hybriden Krieg, den der ‚kollektive Westen‘ gegen Russland führt, ist Gier und die Absicht, seine uneingeschränkte Macht zu erhalten. Sie wollen nicht, dass wir frei sind, sie wollen uns als Kolonie sehen. Sie wollen keine gleichberechtigte Zusammenarbeit, sondern Ausbeutung. Sie wollen uns nicht als eine freie Gesellschaft sehen, sondern als einen Haufen seelenloser Sklaven.“

An dieser Stelle tut sich folgende Frage auf: Wenn die Freiheit der in Russland lebenden Menschen eine Bedrohung für den Westen gewesen ist, etwa in der Weise, wie sie die Verfassung der Russischen Föderation versteht, warum hat Wladimir Putin eben diese Freiheiten in den letzten 20 Jahren dann selbst abgeschafft? Warum sitzen Oppositionspolitiker im Gefängnis, wurden ins Exil geschickt oder ermordet? Putin bleibt die Antworten schuldig. Stattdessen enthüllt er nun, warum sich der Westen tatsächlich so vehement gegen Russland gestellt hat: 

„Unser Denken und unsere Philosophie sind eine direkte Bedrohung für sie, deshalb greifen sie unsere Philosophen an. Unsere Kultur und Kunst sind für sie eine Bedrohung, also versuchen sie, sie zu verbieten. Unsere Entwicklung und unser Wohlstand sind eine Bedrohung für sie – die Konkurrenz wächst. Sie brauchen Russland überhaupt nicht, wir aber schon! Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Ansprüche auf Weltherrschaft in der Vergangenheit immer wieder durch den Mut und die Standhaftigkeit unseres Volkes zerschlagen wurden. Russland wird immer Russland sein. Wir werden weiterhin unsere Werte und unser Vaterland verteidigen.

Russland ist eine tausendjährige Großmacht, ein zivilisiertes Land, das sich nicht an solche manipulierten, falschen Regeln halten wird. Es war der so genannte Westen, der den Grundsatz der Unverletzlichkeit der Grenzen mit Füßen getreten hat, und nun entscheidet er nach eigenem Gutdünken, wer das Recht auf Selbstbestimmung hat und wer nicht, wer dessen unwürdig ist. Warum sie so entscheiden, wer ihnen ein solches Recht gegeben hat, ist unklar. Es ist ihnen selbst nicht klar. Deshalb sind sie sehr wütend über die Entscheidung der Menschen auf der Krim, in Sewastopol, Donezk, Lugansk, Saporischschja und Cherson. Der Westen hat kein moralisches Recht, dies zu beurteilen oder gar von Freiheit der Demokratie zu sprechen. Das tun sie nicht und haben sie nie getan!

Die westlichen Eliten leugnen nicht nur die nationale Souveränität und das Völkerrecht. Ihre Hegemonie hat einen eindeutig totalitären, despotischen Charakter und zeugt von Apartheid. Sie teilen die Welt frech in ihre Vasallen, in so genannte zivilisierte Länder und alle anderen, die sich nach den Vorstellungen der heutigen westlichen Rassisten in die Liste der Barbaren und Wilden einreihen sollen. Die falschen Etiketten – ‚Schurkenstaat‘, ‚autoritäres Regime‘ – sind bereits im Umlauf, sie brandmarken ganze Nationen und Staaten, und das ist nichts Neues. Die westlichen Eliten sind geblieben, was sie waren – kolonialistisch. Sie diskriminieren, sie teilen die Menschen in erste und andere Klassen ein.“

Die Umsetzung eines alten Plans 

Nachdem Putin verkündet hat, dass der Westen die russische Kultur vernichten und die gesamte Welt versklaven will, erhebt er den Befund, dass dieses Streben keine neuerliche Erscheinung, sondern lediglich die Umsetzung eines alten Plans sei:

„Es ist bekannt, dass immer wieder Pläne für eine Intervention in Russland geschmiedet wurden; so versuchte man, die Zeit der Wirren zu Beginn des XVII. Jahrhunderts und die Zeit des Umbruchs nach 1917 zu nutzen, scheiterte aber. Schließlich gelang es dem Westen Ende des 20. Jahrhunderts, sich den Reichtum Russlands anzueignen, als der Staat zerstört wurde. Sie nannten uns Freunde und Partner, aber in Wirklichkeit behandelten sie uns wie eine Kolonie – Billionen von Dollar wurden im Rahmen einer Vielzahl von Programmen aus dem Land geschleust. Wir alle erinnern uns daran, wir haben nichts vergessen.

Und in diesen Tagen haben sich die Menschen in Donezk und Luhansk, in Cherson und Saporischschja für die Wiederherstellung unserer historischen Einheit ausgesprochen. Ich danke Ihnen! 

Die westlichen Länder behaupten seit Jahrhunderten, dass sie anderen Nationen Freiheit und Demokratie bringen. Es ist genau das Gegenteil: Statt Demokratie ist es Unterdrückung und Ausbeutung; statt Freiheit ist es Versklavung und Gewalt. Die gesamte unipolare Weltordnung ist von Natur aus antidemokratisch und unfrei, sie ist durch und durch falsch und heuchlerisch.“

Schließlich kommt Putin auf die USA zu sprechen, die eine zentrale Position in seiner Weltsicht einnehmen. Seiner Ansicht nach sind die Vereinigten Staaten die Manifestation des russischen Erzfeindes:

„Die USA sind das einzige Land der Welt, das zweimal Atomwaffen eingesetzt hat, um die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki zu zerstören. Übrigens haben sie damit einen Präzedenzfall geschaffen. Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass die USA zusammen mit den Briten während des Zweiten Weltkriegs Dresden, Hamburg, Köln und viele andere deutsche Städte in Schutt und Asche gelegt haben, ohne dass dafür eine militärische Notwendigkeit bestand. Und dies geschah demonstrativ, ohne – ich wiederhole – ohne militärische Notwendigkeit. Es gab nur ein Ziel: wie im Falle der Atombombenabwürfe in Japan, unser Land und die ganze Welt einzuschüchtern.

Die USA haben mit ihren barbarischen ‚Teppichbombardements‘, Napalm und chemischen Waffen schreckliche Spuren bei den Menschen in Korea und Vietnam hinterlassen. Sie besetzen immer noch Deutschland, Japan, Südkorea und andere Länder und bezeichnen sie gleichzeitig zynisch als gleichwertige Verbündete. Ich frage mich, was für ein Bündnis das ist? Die ganze Welt weiß, dass die Führer dieser Länder ausspioniert und nicht nur in ihren Büros, sondern auch in ihren Wohnungen abgehört werden. Das ist wirklich eine Schande. Schande über diejenigen, die das tun, und über diejenigen, die wie ein Sklave diese Unverschämtheit stillschweigend und klaglos schlucken.“

Putin meint jedes Wort ernst

Mittlerweile hat sich der ansonsten so kühle Putin in Rage geredet. Immer wieder weicht er vom Manuskript ab, um seine Emotionen in Worte zu fassen. Es wird deutlich, dass der russische Präsident jedes von ihnen ernst meint. Trotz ihrer verzerrten und überspitzten Darstellungen, ihrer paradoxen Urteile und vielfach verdrehten Tatsachen dürfte dies die wahrhaftigste Rede gewesen sein, die Putin als russischer Präsident je gehalten hat. Mittlerweile kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass er den Westen und die parlamentarische Demokratie aufrichtig hasst und ihre Politiker zutiefst verachtet. Putins Ausführungen sind jetzt so apodiktisch und kategorisch, dass man sie schwerlich noch als politisch bezeichnen kann. Stattdessen ist seine Rede in höchstem Maße ideologisch. In ihrer Polemik und Aggressivität erinnert sie an den Duktus der Nationalsozialisten. 

Den Gipfel der Absurdität erreicht Putin, als er den Westen wegen seiner moralischen Verkommenheit rügt und sich dabei auf die Bergpredigt Jesu Christi beruft.

„Die Diktatur der westlichen Eliten richtet sich gegen alle Gesellschaften, auch gegen die Völker der westlichen Länder selbst. Es ist eine Herausforderung für alle. Diese totale Verleugnung des Menschen, die Untergrabung des Glaubens und der traditionellen Werte, die Unterdrückung der Freiheit nimmt die Züge einer ‚umgekehrten Religion‘ an – eines wahrhaftigen Satanismus. In der Bergpredigt sagt Jesus Christus, als er die falschen Propheten anprangert: ‚An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Und diese giftigen Früchte sind für die Menschen bereits offensichtlich, nicht nur in unserem Land, sondern in allen Ländern, einschließlich vieler Menschen im Westen.‘“

Putin beschließt seine Rede mit einem Bekenntnis zu Russland, das zugleich auch eine unverhohlene Drohung beinhaltet: 

„Heute kämpfen wir für einen gerechten und freien Weg, in erster Linie für uns selbst, für Russland, dafür, dass Diktat und Despotismus für immer der Vergangenheit angehören. Ich bin davon überzeugt, dass die Länder und Völker verstehen, dass eine Politik, die auf dem Exzeptionalismus von irgendjemandem, auf der Unterdrückung anderer Kulturen und Völker aufbaut, von Natur aus kriminell ist, dass wir diese schändliche Seite umdrehen müssen. Der bereits begonnene Zusammenbruch der westlichen Hegemonie ist unumkehrbar. Und ich wiederhole: Es wird nicht mehr so sein wie früher.

Das Schlachtfeld, auf das uns das Schicksal und die Geschichte gerufen haben, ist das Schlachtfeld für unser Volk, für das große historische Russland. Für ein großes historisches Russland, für zukünftige Generationen, für unsere Kinder, Enkel und Urenkel. Wir müssen sie vor Versklavung, vor monströsen Experimenten, die ihren Verstand und ihre Seele lähmen wollen, schützen. Heute kämpfen wir dafür, dass niemand auf die Idee kommt, Russland, unser Volk, unsere Sprache, unsere Kultur aus der Geschichte auszulöschen. Heute brauchen wir eine Konsolidierung der gesamten Gesellschaft, und eine solche Konsolidierung kann nur auf der Grundlage von Souveränität, Freiheit, Schöpfung und Gerechtigkeit erfolgen. Unsere Werte sind Menschlichkeit, Barmherzigkeit und Mitgefühl. Schließlich ich möchte mit den Worten des wahren Patrioten Iwan Alexandrowitsch Iljin schließen: 

‚Wenn ich Russland als mein Mutterland betrachte, bedeutet das, dass ich auf Russisch liebe, denke, singe und spreche; dass ich an die geistigen Kräfte des russischen Volkes glaube. Sein Geist ist mein Geist; sein Schicksal ist mein Schicksal; sein Leiden ist mein Leid; sein Gedeihen ist meine Freude.‘

Hinter diesen Worten verbirgt sich eine große geistige Entscheidung, die während der mehr als tausendjährigen Geschichte des russischen Staates von vielen Generationen unserer Vorfahren getroffen wurde. Heute haben wir, die Bürger der Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie die Bewohner der Regionen Saporischschja und Cherson, diese Entscheidung getroffen. Sie haben sich entschieden, bei ihrem Volk, bei ihrem Vaterland zu sein, dessen Schicksal zu leben und gemeinsam mit ihm zu siegen.“

Die Zuhörer wirkten nicht sonderlich begeistert

Am Ende der Veranstaltung reichten sich Putin und die Führer der annektierten Gebiete die Hand und stimmten die Sprechchöre „Russland!“ an. Auffällig war, dass die Zuhörer nicht sonderlich begeistert wirken. Manche von ihnen erweckten gar den Anschein von Agonie. Ihnen dürfte längst bewusst sein, dass ihr Präsident das Land auf einen Pfad geführt hat, der in jedweder Hinsicht in einem Desaster enden wird.

Die zentrale Erkenntnis aus Putins Rede dürfte sein, dass der russische Präsident eine düstere Entwicklung durchgemacht hat. Von einem jahrzehntelang in vielen Weltregionen geachteten Staatsmann, der die Etikette der internationalen Politik beachtete, ist er zu einem ferngerückten Ideologen geworden. Nicht rationale Erwägungen, sondern rigider Dogmatismus formen seine Wahrnehmung und bestimmen sein Handeln. In Verbindung mit seiner Skrupellosigkeit macht ihn das besonders gefährlich. Darüber sollte sich der Westen keine Illusionen machen. Andernfalls könnte es schon bald ein böses Erwachen geben. 

Ein solches dürfte indes auch Wladimir Putin alsbald erfahren. Als er am Abend des 30. September eine kurze Rede auf dem Roten Platz hielt, band er seinem Publikum den nächsten Bären auf. Die Bürger der annektierten Gebiete hätten während des Referendums ihre Reihen fest geschlossen. Selbst forcierter Artilleriebeschluss habe sie nicht davon abhalten können, ihre Stimme im Wahlbüro abzugeben. Das sei wahrer Patriotismus und Heldentum. 

Während Putin diese Geschichte zur Würdigung des aus seiner Sicht historischen Tages auf dem Roten Platz zum Besten gab, erlitten seine Streitkräfte die nächste bedeutende Niederlage in der Ukraine. Nach der Überwindung des Oskil befindet sich nun auch die strategisch wichtige Stadt Lyman in ukrainischer Hand. Russland ist dabei, den Krieg zu verlieren.  

Foto: Tomaschoff

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Tobias Meier / 03.10.2022

Man mag die Amis mit Fug und Recht kritisieren. Und Waisenknaben sind sie bei weitem nicht. Nur: liegt das alles nicht in der Natur des Menschen, dass man sich gegenseitig bekriegt und versucht den eigenen Vorteil zu ziehen? Man nenne mir eine einzige Nation in der Historie, die eine andere technisch oder kulturell unterlegene nicht über den Leisten gezogen hat. Was die Amis aber anders machen als viele andere, unter anderem die Vorgänger Putins aus der ach so tollen UdSSR, ist, dass sie auch anderen einen vergleichsweise erträglichen Lebensstandard und ein enormes, für viele gar ungekanntes Maß an Freiheit gönnen. Man vergleiche mal den Lebenstandard in Deutschland Ost und West Ende der 80er. Nicht nur bezogen auf Wohlstand sondern auch auf Redefreiheit etc. Oder man frage alternativ mal die Vietnamesen, ob sie wieder zurück wollen unter die Fittiche des Vietcong. Weitere Beispiele ließen sich problemlos finden. Außer Frage steht, dass der Ami mehr Freiheit und Wohlstand in die Welt brachte, als es der Russe jemals zu tun vermag - wenn er es denn überhaupt wollte. Ein Problem hat der Ami, und damit der Westen, derzeit. Er wird Opfer des eigenen Erfolgs und droht von der eigenen Dekandenz aufgefressen zu werden. Klimahüpfer und Gendergaga sind da die offensichtlichsten Äußerungen dieses besorgniserregenden Trends, der aber deutlich tiefer greift. Die letzten dreißig Jahre ohne echtes Feindbild haben uns weich und bequem werden lassen. Putin mit seinen Drohgebärden könnte am Ende genau das Gegenteil schaffen, was er beabsichtigt. Nämlich den Westen aus seiner Dekadenz und Lethargie wecken, gerade noch rechtzeitig, und uns und unsere Lebensweise damit davor zu bewahren (oder uns zumindest noch ein paar Generationen Aufschub zu gewähren), als Anekdote im Geschichtsunterricht zukünftiger Generationen zu enden, genau wie die großartigen alten Griechen und Römer lange für unsere Ahnen als ideale aber unerreichbare Vorbilder dienten.

Arne Ausländer / 03.10.2022

Wenn - wie von Frau Schönfeld - als Kriegshetzer diffamiert wird, weil er denjenigen angreift, der den aktuellen Krieg in der Ukraine persönlich befohlen hat und dessen Fortgang steuert, wenn dies noch mit der Forderung gekrönt wird, das Schreiben sein zu lassen, welches - wie bösartig unterstellt wird - sowieso nur auf staatlicher Bezahlung basieren, dann zeigt das doch das erschreckende Maß der Verblödung und Anmaßung der Putin- Expansionisten-Fraktion und ihrer nützlichen Idioten. Herr Osthold hat gewiß nicht in allem recht, aber gegenüber diesem Geschrei sind seine Texte Gold.

armin wacker / 03.10.2022

Also wenn ich nicht gerade den Artikel von Herrn und Herrn Broder über Giegold gelesen hätte, dann wäre mir nicht so Angst und Bange. Wir müssen schwer aufpassen, dass wir nicht in dieselbe Kriegsrhetorik verfallen wie Putin. Leider haben auch wir noch nicht verstanden, dass die Zukunft von den Ressourcen abhängt. Herr Köhler hatte man abgesägt, aber er hatte Recht. Ich wüsste nicht, wie Putin Europa erobern sollte, wenn er nicht Mal die Ukraine bezwingt. Wir führen einen Wirtschaftskrieg gegen Russland und stehen blank da. Sind noch nicht Mal in der Lage die AKW als Machtmittel einzusetzen. Das geht in die Hosen.

Sabine Schönfeld / 03.10.2022

Ihr werdet nicht lernen aus dieser Schlappe, ihr lest die Kommentare eurer Leser wohl gar nicht? Ihr habt wohl eure Sponsoren gefunden. Dass ihr täglich weiter eure Glaubwürdigkeit ruiniert, kümmert euch offenbar auch nicht. Herzlichen Glückwunsch, ihr seid angekommen im Lager der MSM. Vielleicht seid ihr stolz - aber ihr habt wirklich mein Mitleid, es gibt anderes als Geld und wenn man Anerkennung will, sollte man doch wirklich darüber nachdenken, von wem. Die erste Frage ist doch - glaubt ihr überhaupt selbst noch, was ihr hier schreibt? Man kann seine Seele nur einmal verkaufen.

Dirk Kranefuss / 03.10.2022

was für ein naiver Artikel. Was soll das? Wer Putin nicht ernst nimmt, riskiert den Dritten Weltkrieg. Scholz sollte sofort die Kinder Habeck und Baerbock und die Scharfmacher Merz und Strack-Zimmermann in die Schranken verweisen…

Birgit Hofmann / 03.10.2022

Wird Zeit, das der kleine Adolf mal ’ aus dem Fenster oder Balkon stürzt ‘, ähnlich wie zahlreiche seiner Oligarchen und Energiemanager. Ein Ewiggestriger, instrumentalisiert im KGB, krank im Kopf, richtet sein eigenes Land zugrunde, bringt Tote, Leid und Elend . Wie aus der Zeit gefallen.

HDieckmann / 03.10.2022

Russland hat den Krieg angefangen, verursacht haben ihn die USA/Nato und EU. Der Verfasser scheint sich mit der Vorgeschichte dieses Krieges nicht befasst zu haben. Er kann daher nicht verstehen, dass es in diesem Krieg um die Existenz eines freien und unabhängigen Russland geht. Putin (und hinter ihm stehen 80% der Russen) kämpft gegen die imperialistischen USA und einen dekadenten (satanischen) Westen. Dieser Krieg hat gerade erst begonnen - unabhängig von dem Geschehen auf den Schlachtfeldern in der Ukraine.

Silas Loy / 03.10.2022

Ein echter Osthold.

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