Herrn Grell verstehe ich sehr gut und ich danke ihm für seine Erklärung des gesetzlichen Sachverhalts, das ist sehr hilfreich für mich. Aber Herrn Naumann verstehe ich nicht. Er sollte nochmal einen neuen Anlauf nehmen. Gruß R. Hoefer
Eine ausführliche Zusammenstellung der gesetzlichen Grundlagen sowie der Defizite der momentanen Politik in Bezug darauf… vielen Dank. Was den sog. “subsidiären Schutz” angeht, der Bürgerkriegsflüchtlingen zugestanden werden kann, ist eine Merkwürdigkeit der amtlichen Statistiken zu bemerken. Kaum ein Flüchtling aus dem Bürgerkriegsland Syrien erhält diesen Schutz auch tatsächlich. Genauer: Von 105.620 Entscheidungen über die Asylanträge von Syrern im gesamten Jahr 2015 erhielten 61(!) subsidiären Schutz, also Schutz vor “einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts”. Es wird also Syrern praktisch generell NICHT das Asyl anerkannt, weil sie vor den lebensbedrohlichen Umständen eines Bürgerkriegs fliehen. Das widerspricht dem, was die meisten Menschen so denken, geht aber aus der Asyl-Statistik hervor. Die politischen Verfolgungen (nach Art. 16a GG) sind auch spärlich, ich bemerkte es schon in meinem Kommentar zum anderen Beitrag… allerdings sind es hier schon 1167 Personen, denen Asyl aufgrund politischer Verfolgung zugestanden wird. Für 96% aller Syrer, die im Jahr 2015 eine Asylentscheidung bekamen, wurde sie positiv entschieden, indem eine “Verfolgung wegen Rasse, Religion oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe” anerkannt wurde (Nationalität fällt wohl weg, da es sich um Syrer handelt, und politische Überzeugung auch, denn die sind ja wie gesagt in der Statistik extra ausgewiesen… also bleibt nichts anderes übrig als diese drei Verfolgungskriterien). In der Statistik steht für diese 96% explizit: “Flüchtlinge vor Verfolgung”. Leider ist aus der Statistik aber nicht zu erkennen, welche dieser 3 Arten der Verfolgung es denn genau ist, weswegen 96% aller Syrer 2015 Asyl anerkannt bekommen haben. Rasse? Wohl kaum. Bleibt “Religion” und “Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe”. Hier würde ich mir wünschen, daß die Behörden die Bürger aufklären, welche Kriterien sie hier anlegen, und welche Verfolgungen von wem durch wen es genau sind, die hier stattfinden. Manches kann man ahnen… es ist klar, daß Christen oder andere Nichtmuslime in dem Moment leider unter die religiös Verfolgten fallen werden, sobald ihr Wohnort oder ihre Region von IS-Truppen eingenommen werden. Das können aber doch unmöglich 96% aller Asylanträge sein… 96% der Syrer in unseren Notunterkünften Christen? Sicher nicht. Es ist nicht zuletzt ein klarer Beweis dafür, daß unsere Presse “Lückenpresse” genannt werden kann, daß sie keine Anstrengungen macht, diese Hintergründe von den Behörden in Erfahrung zu bringen und uns darüber aufzuklären. Man vertraut den Behörden blind, sieht keinen Anlaß, die Statistiken zu erhellen, da einmal nachzubohren. Stattdessen herrscht vollstes Vertrauen in den Staat und seine Arbeit an diesem Thema in denselben Medien, die bei fast allen anderen Themen sich hingegen das “kritische Hinterfragen” vor allem auch gegenüber staatlichen Behörden auf die Fahne geschrieben haben. Statt hier bei den Asylbehörden nachzurecherchieren, um ein Gefühl für die tatsächlichen Verhältnisse zu bekommen, bringt die Presse allenfalls gelegentlich irgendwelche drastischen Einzelfälle, so als wären diese Einzelfälle schon der Beweis dafür, daß jeder Syrer ein klarer Asylberechtigter ist. Aber selbst so rutschen auch oft Merkwürdigkeiten durch. Wie am Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in der eigentlich über Streitigkeiten in einer Notunterkunft bzgl. der Alltagsprobleme berichtet werden sollte, und dabei folgendes mitprotokolliert wurde: Syrer, auf Englisch: Meine Familie hat in Syrien vier Häuser. Ich bin ganz allein hierhergekommen, um mein Studium zu beenden. Aber ich darf hier nicht tun, was ich will. Ich darf nicht mal kochen. Wird er zu den 0,0002% Syrern gehören, deren Antrag abgelehnt wird? Na so ein Zufall, daß ausgerechnet einer dieser seltenen Fälle (insgesamt 23 (von mehr als 100.000) im gesamten Jahr 2015) der FAS vors Mikro stolpert. Oder zu den 96% Verfolgten wegen Religion oder “Gruppenzugehörigkeit”?
In seinem Kommentar zu Rainer Grells Beitrag “Die Mehrheit bin ich” wirft Kai Naumann dem Autor “profunde Unkenntnis des Rechts” vor und behauptet: “Z.B. sind Grundrechte Mindestrechte gegenüber dem Staat, die nicht unterschritten werden dürfen und nicht Höchstrechte, die nicht Überschritten werden dürfen.” Die Unterscheidung von Mindest- und Höchstrechten geht aber in diesem Zusammenhang komplett am Sachverhalt vorbei. Zwar mag der Begriff “Grundrecht” sprachlich vordergründig eher ein Mindest- denn ein Höchstrecht suggerieren. Bei sachgemäßer Betrachtung ist aber ein Grundrecht weder das eine noch das andere. Das wird sogleich deutlich etwa beim Begriff der Menschenwürde, die zu achten und zu schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist (Art. 1 Abs. 1 GG), und auf deren Basis sich das Deutsche Volk zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten bekennt (Art. 1 Abs. 2 GG). Kategorien wie “Mindestrecht” oder “Höchstrecht” sind mit der Kategorie “Grundrecht” geradezu inkommensurabel, weil es bei Grundrechten eo ipso um etwas schlechthin nicht Quantifizierbares geht. “Unveräußerlich” meint also nicht, die Würde eines Menschen sei das Mindeste, das man ihm zugestehen müßte. Es meint auch nicht, die Veräußerung der Würde eines Menschen sei bloß verboten, sondern es meint: keines Menschen Würde ist jemals veräußerlich, sie ist vielmehr immer und überall das Wesensmerkmal seines Menschseins, komme was wolle! Fehl geht Kai Naumann auch mit seiner folgenden These. Er schreibt: “Art. 16 GG kann also nicht dadurch verletzt werden, dass man jemanden aufnimmt, sondern höchstens dadurch, dass man ihn nicht aufnimmt.” Abgesehen davon, daß Kai Naumann offenkundig Art. 16 a(!) GG meint, möchte man antworten, dieser kann sehr wohl dadurch verletzt werden, daß man “jemanden” aufnimmt. Dort steht nämlich nicht: “Irgend jemand genießt Asylrecht”, sondern: “Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.” Und dort steht zudem, wer sich unter welchen Voraussetzungen nicht auf das Asylrecht berufen kann. Da die Bundesregierung aber derzeit unterschiedslos jedem die Einreise erlaubt mit dem Hinweis, das Asyrecht kenne keine Obergrenze, sich darüber hinaus aber auch nicht einmal bequemt, Art. 18 Abs. 4 Asylgesetz zur Anwendung zu bringen, um die Einreise wenigstens auf diese Weise zu legitmieren, muß man dieser Bundesregierung wohl eine profunde Mißachtung des geltenden Rechts attestieren. Und der Vorwurf der profunden Unkenntnis desselben trifft bestimmt nicht Rainer Grell, sondern allenfalls Kai Naumann, dem man im Falle einer zu seinen Gunsten doch anzunehmenden Kenntnis des Rechts dann aber profundes Unverständnis desselben attestieren müßte.
Als juristischer Laie lese ich daraus, dass die Regierung gleich mehrere Gesetze bricht. Herr Grell hat das ja sehr sachlich und ausführlich dargelegt, vielen Dank! Die profunde Unkenntnis würde ich mir nicht zu Herzen nehmen, angesichts der desaströsen Lage liegen bei vielen die Nerven blank. Die Leitlinie vom BAMFsteht übrigens noch auf Twitter, und zwar veröffentlicht am 25. August. Schon erstaunlich in welcher Art und Weise über das Schicksal Deutschlands entschieden wird. Erst ein 140 Zeichen tweet, dann eine Talkshow. .. Auf diesem Niveau wird gerade unser Land verheizt. Tweet vom BAMF auch hier http://www.huffingtonpost.de/2015/09/19/twitter-fluchtlinge-bamf_n_8163188.html
Ein sehr guter Überblick über die Rechtslage! Vielen Dank. Der Beitrag zeigt aber auch wo die Politik versagt hat: Eine derart komplexe Rechtssituation die derart vielfältige Interpretationsspielräume öffnet dass sogar Rechtsexperten sich trefflich daran die Zähne ausbeissen kann der Rechtsfindung nicht mehr dienlich sein. Aber eines ist trotzdem glasklar: Die für uns in Deutschland massgebende Rechtsvorschrift ist zunächst einmal unser Grundgesetz. Und unser Grundgesetz meint - trotzt aller Interpretationsspielräume - ganz sicher nicht, dass jeder Ausländer zu jeder Zeit ohne jegliche Kontrolle und damit ohne jegliche nachprüfbare Legitimation über die deutsche Grenze in das Land spazieren kann. Und genau das hat Frau Merkel angeordnet - also hat sie gegen das Grundgesetzt verstossen. Man kann alles kompliziert machen.
Selbst wenn der § 18 Abs.4 Nr.2 des Asygesetzes durch den Bundesminister des Inneren zur Anwendung gekommen wäre, dürfte dies kaum in dem vorhandenen Umfang rechtmäßig gewesen sein. Das würde ja bedeuten, daß ein Bundesminister durch Erlass sämtliche übrigen einschlägigen Rechtsnormen in eben diesem Umfang vom Tisch wischen könnte. Und das kann nicht sein, es könnte sich nur um überschaubare und definierte Ausnahmen handeln und nicht um eine pauschale Preisgabe des Hoheitsgebiets für hunderttausende unbekannte Einreisewillige. Vielen Dank, Herr Grell, für diese gute Zusammenstellung. Es gab und gibt also für die Öffnung der Grenzen tatsächlich überhaupt keine Rechtsgrundlage. Das führt zu einer grundsätzlichen Frage: Was sagt der Bundestag? In unserem demokratischen Rechtsstaat setzt NUR die Legislative Recht. Nicht die -nachrangige!- Exekutive, die an geltendes Recht gebunden ist (GG Art.20 Abs.3) und im Zweifelsfall einen Parlamentsbeschluss einholen muss, wenn sie anders handeln will. Der Bundestag müsste aus Prinzip und unabhängig vom politischen Sachverhalt dieses ihm vom Souverän übertragene exklusive Recht zur Rechtsetzung jederzeit energisch behaupten. Bei offensichtlichen Verstössen der Regierung gegen seine Beschlüsse ebenso wie bei Handlungen ohne Rechtsgrundlage bzw. Parlamentsbeschluss. Er allein hat die Macht, die Regierung zu diziplinieren. Es mag sein, dass die Kanzlerin nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, aber die Hauptschuld an den Folgen tragen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages.
Touché. Da muss ich meinen Angriff ad personam zurücknehmen. Der Autor hat nicht nur eine - von mir polemisch bezweifelte - profunde Kenntnis des Rechts, sondern diese auch bewiesen, wobei die lesenswerte Replik sich qualitativ erheblich vom Ausgangsartikel abhebt. Eine etwa verbleibende Differenz in der juristischen Einschätzung mag eher für das juristische Seminar taugen; politische Einschätzungen waren und sind nicht Gegenstand meines damaligen oder dieses Kommentars.
Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.