Man kann jedes Produkt über den Preis kaputt machen. Insofern war die Strategie der „Atomkraftgegner“ höchst erfolgreich. Wer das rückgängig machen will, muss vor allem an einer Schraube drehen.
Hat man die Probleme erkannt, kann mit der Suche nach neuen Wegen begonnen werden. Das zentrale Problem bei der Regulierung gefährlicher Systeme ist, ein Gleichgewicht zwischen Risiko und wirtschaftlichem Nutzen zu schaffen. Gerade in Deutschland wird Risiko nur mit Gefahr gleichgesetzt. Es wird aber oft die andere Seite der gleichen Medaille übersehen: die mögliche Chance. Ganz langsam – wirklich ganz langsam – setzt sich hier die Erkenntnis durch, wie wichtig eine stetige und preiswerte Versorgung mit Energie ist. Energiepreise entscheiden über den Wohlstand. Das betrifft nicht nur direkt jeden von uns (Stromrechnung), sondern vielmehr auch indirekt (Warenpreise).
Ganz böse wird es, wenn der eigene Arbeitsplatz und damit das Einkommen verloren geht, weil die Fabrik, das Handwerk etc. mit den hohen Strompreisen nicht überleben können. Wurden die Warnungen der Fachleute von „linken Politikern“ immer wieder überhört oder gar lächerlich gemacht, wird es langsam eng. Deutschland ist in einer Rezession. Weniger Staatseinnahmen bedeutet aber auch weniger Spielgeld für die „Große Transformation“. Wie sagte einst schon Maggie Thatcher: „Sozialisten haben alle das gleiche Problem, irgendwann geht ihnen das Geld der anderen aus.“ Wenn sich also wieder das baldige Ende – hoffentlich sehr bald – des Sozialismus abzeichnet, wie kann diesmal ohne Beitrittsgebiet der Scherbenhaufen beseitigt werden?
Kernenergie und Kohle sind für Deutschland die mit Abstand preiswertesten Möglichkeiten, elektrische Energie zu erzeugen. Weil das so ist, muss die Kernenergie mit allen Mitteln der Propaganda verteufelt werden und eine „Klimakatastrophe“ herbei gefaselt werden. Hat man die Stromversorgung erst mal zerstört, bricht das verhasste System des bösen Kapitalismus zusammen, und die Morgenröte der Revolution erscheint in den Träumen der Öko-Sozialisten. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Schlafschafen haben diese nämlich längst die Bedeutung preiswerter Energie erkannt.
Will man die Kernenergie – die Kohle belebt sich von selbst, wie man gerade in Deutschland erkennen kann – wiederbeleben, muss man die Art der Genehmigungsverfahren reformieren. Sind die Vorschriften zu lax, kann es zu unverhältnismäßigen Schäden kommen. Tschernobyl und Fukushima sind traurige Beispiele dafür (Anm. d. Red.: im Falle Fukushimas war aufgrund der Lage im Vorhinein klar, dass das Kernkraftwerk durch einen Tsunami geschädigt werden könnte). Im schlimmsten Fall wird die Technologie abgelehnt und die Vorteile verworfen. Wenn auf der anderen Seite die Regulierung jegliche Aktivität zu teuer macht, werden Ressourcen an falscher Stelle aufgewendet, und im schlimmsten Fall wird die Technologie aufgegeben.
Ein neuer Sozialismus-Versuch
Wenn es in Deutschland auch äußerst unpopulär ist, es gibt keinen „guten Staat“. Je mehr der Staat in die Energieversorgung eindringt, desto mehr wird sie zu dessen Spielball. Wir haben das in der deutschen Geschichte gleich zweimal hintereinander spüren und ertragen müssen. Im Nationalsozialismus war die Energieproduktion kriegswichtig, Autarkie war angesagt, in der Form von Braunkohle, synthetischen Kraftstoffen und Reichskrafttürmen (Windmühlen). Im real existierenden Sozialismus der DDR hatte man keine Devisen für den Import von Öl auf dem Weltmarkt. Auch hier wieder zurück in die heimische Braunkohle, mit allen Konsequenzen. Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus war der ganze Spuk vorbei. Der Wohlstand stieg an, und gleichzeitig gingen die Umweltbelastungen zurück.
Erstaunlich, wie schnell das alles wieder vergessen wurde. Aber wieder wird die Energiewende zur „Großen Transformation“ missbraucht – was nichts anderes meint als einen erneuten Versuch des Sozialismus. Spätestens seit Schröder/Trittin wurden die mit der Energieversorgung betrauten Ministerien systematisch umgebaut. Fachkundige Beamte wurden ausgetauscht oder ins Abseits gestellt und durch ideologisch verblendete Laiendarsteller ersetzt. Den heutigen Amtsinhabern – wie dem Kinderbuchautor Habeck und Steffi Lemke von der Tierproduktion – fehlen selbst elementare Kenntnisse der Energiewirtschaft. Angeblich sind sie aber „ministeriabel“. Nur, was soll das helfen, wenn man nur noch von ebenso sachfremden Ideologen umgeben ist – der „Heizungshammer“ und die Abschaltung modernster Kernkraftwerke bei steigenden Strompreisen sind das Ergebnis. Dies ist ein grundsätzliches Problem unseres Parteiensystems, unabhängig von der jeweiligen Konstellation.
Der Staat sollte sich aus der Energiewirtschaft völlig raushalten. Es werden weder Subventionen noch Strafsteuern gebraucht. All diese Maßnahmen dienen nur einer Planwirtschaft, deren prinzipielles Versagen bekannt sein sollte: Planwirtschaft endet grundsätzlich und immer im Chaos. Für die Energiewirtschaft gelten die gleichen Zusammenhänge wie für die gesamte Gesellschaft. Es müssen das Eigentum und die Rechtssicherheit gewährleistet sein. Alle Details regelt der Markt. Wenn Politik meint, sich einmischen zu müssen, sollte sie sich auf die Festlegung von Grenzwerten beschränken. Sind die Grenzwerte aus Sicht der Gesellschaft zu streng, muss sich einzig und allein die Politik dafür verantworten und die Konsequenzen tragen (zum Beispiel angesichts der Bauernproteste). Klar ist, dass dies bei Politikern auf keine Gegenliebe stößt, da es einer Entmachtung gleichkommt – ohne Macht keine Pfründe.
Eine neue Sicherheitskultur
Die bisherige Regulierung hat die Kosten der Kerntechnik in nicht mehr vertretbare Höhen getrieben. Man kann jedes Produkt über den Preis kaputt machen. Insofern war die Strategie der „Atomkraftgegner“ höchst erfolgreich. Diese Strategie erforderte aber das Monopol der Regulierung. Wenn ein junges Unternehmen, wie die Firma NuScale, für die Zulassung seines Reaktors (der ein klassischer Druckwasserreaktor ist) allein schon 500 Millionen aufwenden musste, ist jedwede Entwicklung schon im Keim erstickt. Wohlgemerkt nur für Papier. Bis heute ist noch nicht einmal ein Prototyp zu besichtigen. Da es sich um ein börsennotiertes Privatunternehmen handelt, muss es diese Kosten selbstverständlich wieder über den Verkauf seines Produktes einfahren. Ein nahezu unmögliches Unterfangen.
Das Monopol der Regulierung muss gebrochen werden. Es ist ein Relikt aus der Zeit der Gebietsmonopole in der Stromversorgung, in dem alle (staatlich verursachten) Kosten einfach bis zu den Endverbrauchern weitergereicht werden konnten. Konkurrenz belebt das Geschäft und erschafft Ausgewogenheit. Ist eine Regulierungsinstitution zu lax, wird sie eher kurz als lang ihre Kunden verlieren und vom Markt verschwinden. Sind ihre Kosten zu hoch, verliert sie Kunden an die (preiswertere) Konkurrenz. Dass so etwas gut funktioniert, zeigt die internationale Schifffahrt. Jedes Schiff benötigt eine Klassifizierung, sonst findet es keine Versicherung, und ohne Versicherung kann es praktisch keinen Hafen anlaufen. Baut eine Reederei ein neues Schiff, kann es zwischen etwa einem halben Dutzend Klassifikationsgesellschaften (sogenannten Klassen) auswählen.
Es unterliegt also nicht dem Diktat eines Monopols. Ist es mit dessen Arbeit nicht zufrieden, kann es nächstes Mal wechseln. Die gewählte Klasse überwacht den Entwurf und den Bau auf der Werft. Die Mitarbeiter müssen jede Berechnung und Zeichnung prüfen und abzeichnen. Während des Baues erfolgt eine stetige Überwachung und Kontrolle der ausgeführten Arbeiten. Nach Fertigstellung erfolgt eine mehrtägige Abnahme des Gesamtsystems Schiff auf hoher See. Für all diese Leistungen entspricht die Gebühr im Durchschnitt etwa 2 Prozent des Baupreises. Ganz offensichtlich ist das „angemessen“, denn die Klassen müssen immer wieder neu um die Reeder konkurrieren. Andererseits stehen sie unter dem Druck der Versicherungen und der Öffentlichkeit.
Bitte keine Gleichschaltung
Die Kerntechnik ist leider ein durch jahrzehntelange Propaganda emotional aufgeladener Sonderfall. Typisch ist die Aussage der „Atomkraftgegner“, nach einem Unfall in einem Kernkraftwerk gäbe es Millionen Tote und die Umgebung sei für zehntausende Jahre unbewohnbar. Bis zu dem Unfall von Tschernobyl war das verbreiteter Aberglaube. Zwar konnte Angela Merkel den Unfall von Fukushima (schamlos) ausnutzen, um die Kerntechnik zu einer nicht beherrschbaren Technologie abzustempeln, es gab aber trotzdem keinen Strahlentoten und keine Welle an Krebserkrankungen. Ironischerweise hat sich Japan inzwischen wieder voll zur Kernenergie bekannt. In einem solchen Umfeld erfordern Reformen einigen Mut und Stehvermögen.
In Ländern, in denen die Kernenergie nicht so umstritten ist, tritt der Ausbau immer mehr in den Vordergrund. Es ist die Angst vor China, das sich langsam, aber sicher an die Weltspitze schiebt. Mit deren Energiepreisen können schon jetzt nur noch die USA mithalten. Hinzu kommt ihr technologischer Fortschritt und vor allem die mit dem Ausbau steigende Zahl gut bezahlter Arbeitsplätze. Die ersten beiden Staaten, die darauf reagiert haben, waren die USA und Kanada. Sie wollen bei neuen Reaktortypen die Genehmigungen gegenseitig anerkennen. Dies wäre ein Zwischenschritt zur Liberalisierung. Es ist auch nicht länger einsichtig, dass sich Nationen mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Nutzung der Kernenergie gegenseitig als „Analphabeten“ betrachten, zumal die internationale Zusammenarbeit noch nie so eng war wie heute. Sie wird sogar über alle ideologischen Unterschiede (Russland-Sanktionen) hinaus fortgesetzt.
Warum sollte ein Reaktor, der beispielsweise gut genug für Großbritannien ist, nicht auch gut genug für Frankreich, die Niederlande, Polen und so weiter sein? Man könnte die Zulassung übernehmen und müsste lediglich die lokalen Umweltbedingungen (Erdbeben und so weiter) ergänzen. Das sollte in diesem kleinen Europa doch möglich sein. Wahrscheinlich würde sich die Sicherheit dadurch sogar verbessern, wenn entsprechende Spezialisten sich um die unterschiedlichen Reaktortypen kümmern würden. Aber bitte keine gleichgeschaltete europäische Zentralbehörde, sondern Wettbewerb unter den Nationen als Vorstufe zu Klassifizierungsgesellschaften.
Ein ausgleichendes System
Auf der Basis von Versicherern (Versicherungsgesellschaften oder Börsen wie Lloyd’s of London) kann man ein marktbasiertes Regulierungssystem betreiben. Es betreibt Wettbewerb, um Nutzen und Schaden in Einklang zu bringen. Es ist das Gegenteil von einer Behörde, die davon ausgeht, Bürokraten seien Heilige, die sich für ihre Arbeit aufopfern. Bevor nun aber alle Sozialisten erschaudern und das Ende der Welt kommen sehen, es ist kein Wild-West-System. Im Gegenteil, Bundes- und Kommunalverwaltungen spielen eine entscheidende Rolle, damit das System funktioniert.
Die Bundesregierung bestimmt nach wie vor die Rahmenbedingungen. Sie legt Steuern und Grenzwerte fest. Aber sie muss sich aus der Steuerung durch Subventionen vollkommen zurückziehen. Subventionen verzerren die Märkte und führen zur Günstlingswirtschaft. Es ist natürlich hart für Politiker, wenn sie auf einen Teil ihrer Macht verzichten sollen. Die Regierung beziehungsweise das Parlament muss feste Tabellen für Entschädigungszahlungen ausarbeiten. Jeder, der durch eine Freisetzung radioaktiver Stoffe Schaden erleidet, muss entschädigt werden. Dies ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit.
Eine solche Entschädigung internalisiert die Kosten eines Schadens und stellt sicher, dass der potenzielle Schaden Teil der Konstruktion und der Betriebsweise wird. Die Entschädigung sollte auf der verlorenen Lebenserwartung aus dem Dosisratenprofil jeder Person ermittelt werden. Dazu muss ein einigermaßen realistisches Dosis-Wirkungs-Modell beschlossen werden. Sobald das Dosisratenprofil einer Person festgestellt ist, würde die Zahlung automatisch und unbestritten erfolgen.
Fahrlässigkeit muss verfolgt werden
Das Kompensationssystem ist automatisch und exklusiv. Einzelpersonen können eine nukleare Anlage nicht verklagen, nur Regierungsstellen können das. Wenn später Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz nachgewiesen wird, gehen die Bußgelder oder Strafen ausschließlich an den Staat. Dies ist notwendig, um irgendwelche als NGO getarnte Abmahnvereine fernzuhalten. Die Regierung muss eine Haftungsobergrenze festlegen. Wenn die Entschädigungsobergrenze bei einem Unfall überschritten wird, werden die Entschädigungszahlungen über der Obergrenze aus öffentlichen Mitteln ausgezahlt, wobei der Schaden auf alle Steuerzahler verteilt wird.
Bevor jetzt wieder alle „Atomkraftgegner“ aufjaulen, dies ist der übliche Weg (zum Beispiel bei der Autohaftpflicht). Erst haftet die Versicherung, anschließend der Eigentümer mit seinem Vermögen. Erst dann tritt die Allgemeinhaftung solidarisch gegenüber den Geschädigten ein. Es muss verhindert werden, dass irgendwelche Interessengruppen sich absurde Schadensszenarien ausdenken, die nicht versicherbar sind und das im Zirkelschluss zur Bekämpfung einer Technologie missbrauchen.
Wenn der Versicherer einer Anlage die Versicherung kündigt und die Anlage nicht in der Lage ist, einen Ersatz zu finden, wird die Anlage geschlossen. In diesem Fall kann der Staat die Anlage beschlagnahmen und den Betrieb übernehmen. Angebliche Fahrlässigkeit muss verfolgt werden. Im Falle einer Verurteilung müssen Geldstrafen und Gefängnisstrafen gegen die beteiligten Personen verhängt werden. Eine Versicherung gegen solche Bußgelder ist illegal.
Trennung von Aufgaben und Verantwortung
Grenzwerte für Lebensmittel und Landverschmutzung müssen festgelegt werden. Werden die Grenzwerte überschritten, müssen sie gegen Entschädigung vom Markt genommen werden beziehungsweise dürfen Flächen nicht bewirtschaftet oder beweidet werden. Es müssen Grenzwerte für Betriebsstilllegungen beschlossen werden. Solange die Dosisrate am Standort eines Unternehmens über diesem Niveau liegt, kann ein Unternehmen schließen und für den Verlust entschädigt werden. Ebenso können sich die Mitarbeiter des Unternehmens weigern, zur Arbeit zu erscheinen und müssen für den Lohnverlust entschädigt werden.
Die hier aufgeführten Punkte beanspruchen keine Vollständigkeit. Es geht nur darum, die eindeutige Verantwortung und Aufgabentrennung zu verdeutlichen. Kein Kraftwerk – egal ob nuklear oder fossil oder „alternativ“ – sollte in einer Gemeinde errichtet werden, die das nicht will. Jede Kommune muss die Vor- und Nachteile abwägen und dann ihre Entscheidung treffen. Die Vorteile zur Kompensation der Nachteile können vielfältig sein: hunderte, gut bezahlte Dauerarbeitsplätze, Gewerbe- und Grundsteuereinnahmen, preisgünstige Fernwärme und so weiter. Sobald die Anlage in Betrieb ist, wären alle Daten über radioaktive Stoffe öffentlich zugängliche Informationen. Wenn diese Daten eine Geldstrafe auslösen (Überschreitung beziehungsweise fehlerhafte Messungen), würde diese an die unmittelbar betroffene Gemeinde gehen.
Versicherungen und Zertifizierungsgesellschaften
In diesem marktwirtschaftlichen System spielt der Versicherer die zentrale Rolle. Er muss die Kosten einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen mit den Einnahmen seiner Prämie abgleichen. Die Risikobewertung wird dahin verlagert, wo sie hin gehört. Es ist in seinem Interesse, es richtig zu machen. Zu konservativ, verliert er das profitable Geschäft. Zu aggressiv, geht er pleite. Wenn das System richtig eingerichtet ist und niemand bereit ist, die Versicherung zu einem Preis zu zeichnen, den sich der Betreiber leisten kann, dann wird dieser Betreiber verschwinden. Wenn kein Betreiber eine Versicherung zu Bedingungen abschließen kann, die er sich leisten kann, dann wird und sollte diese Nutzung der Kernenergie nicht stattfinden. Hier schließt sich der Kreis zur Politik in einer Demokratie. Die gewählten Volksvertreter müssen die Mindesthaftung für jeden Reaktor festlegen – ganz wie zum Beispiel bei der erforderlichen Kfz-Versicherung für eine Zulassung. Wählt sich das Volk Vertreter, die aus ideologischen Gründen unrealistische Summen festlegen, muss es halt auf die Vorteile der Kernenergie verzichten.
Nicht jede Versicherung kann eine eigene Fachabteilung für die Sicherheitsanalyse von Reaktoren unterhalten. An dieser Stelle kommen die Zertifizierungsgesellschaften ins Spiel. Zertifizierungsgesellschaften werden von dem Betreiber einer Anlage angeheuert, um die für die Versicherung erforderliche Zertifizierung zu erhalten. Wenn es einen Wettbewerb bei der Erbringung dieser Dienstleistungen gibt, müssen die Zertifizierungsgesellschaften sich zwischen den zwei Randbedingungen bewegen: Es wird kein Zertifikat erteilt, obwohl die Anlage ein gutes Geschäft für die Versicherer wäre, und die Zertifizierung stellt ein schlechtes Risikos für die Versicherer dar. Zertifizierungsgesellschaften, die dieses Gleichgewicht nicht finden können, würden sich bald aus diesem Geschäft verabschieden müssen.
Der Markt für Nichtlebensversicherungen ist extrem groß und sammelte 2013 über zwei Billionen US-Dollar Prämien ein. Die Nuklearhaftpflichtversicherung war ein sehr lukratives Geschäft. In den USA zum Beispiel gibt es einen einzigen Anbieter dieser Versicherung, American Nuclear Insurers (ANI), der das Risiko für ein Konsortium von Versicherern bei Lloyds und anderswo weiterreicht. Die jährliche Prämie pro Anlage für eine Deckung von 500 Millionen Dollar (primäre Haftung) beträgt etwa eine Million USD. Da es ungefähr 70 solcher Anlagen gibt, decken etwas mehr als sieben Jahre Umsatz das eingegangene Risiko. Es ist eine äußerst profitable Vereinbarung. In den letzten 50 Jahren hat das ANI-Konsortium 150 Millionen Dollar an Ansprüchen – 71 Millionen Dollar davon allein für den Störfall TMI (Harrisburg) – ausgezahlt, während es über 4 Milliarden Dollar an Prämien eingenommen hat und weiter von den Kapitalrenditen dieses Geldes profitiert.
Drei Voraussetzungen
Damit ein solches System sinnvoll betrieben werden kann, benötigt man vor dem Bau eines Reaktors drei Dinge:
1. Bereitstellung einer Pufferzone um jeden Reaktor;
2. Installation eines Gitters aus Mess-Stationen im potenziellen Gefährdungsbereich;
3. Bereitstellung von Notfallpaketen für alle Siedlungen im Umkreis von circa 35 km.
Ein Kernkraftwerk sollte ein guter Nachbar sein
Die Erfahrung mit Störfällen in kerntechnischen Anlagen hat immer wieder gezeigt, dass die höchsten Strahlenbelastungen in unmittelbarer Nähe der Anlage auftreten. Es sollte deshalb für jeden Reaktor (Neubau) eine Pufferzone definiert werden. Sie beginnt unmittelbar am Reaktor und umfasst das gesicherte Betriebsgelände sowie einen anschließenden ungesicherten Bereich außerhalb desselben. Innerhalb dieser Pufferzone sollten sich keine Menschen dauerhaft – im Sinne einer Wohnung – aufhalten. Eine zeitweilige Nutzung (Parkanlage, Gewerbe, Landwirtschaft und so weiter) ist selbstverständlich möglich. Um die Abmessung zu verdeutlichen, kann der Radius in Metern mit etwa einem Viertel der thermischen Leistung in MWth grob abgeschätzt werden. Wenn möglich, sollte das angrenzende Umfeld einladend und zugänglich gestaltet werden (Informationszentrum und so weiter). Ein Kernkraftwerk sollte ein guter Nachbar und keine Festung sein.
Um jeden Reaktor sollte ein dichtes Netzwerk aus Sensoren für radioaktive Stoffe aufgebaut werden. Der Abstand der Knoten sollte in der Umgebung der Reaktoren kleiner sein und kann sich in 30 Kilometer Entfernung auf einige Kilometer vergrößern. Die Stationen sollten per Funk ihre Ergebnisse an eine Zentrale weiterleiten. Sie müssen mit Batterien für etwa eine Woche ausgestattet sein. In der Zentrale sollten die Messwerte für Laien aufbereitet und dargestellt werden. Alle Informationen müssen ständig über das Internet öffentlich zugänglich sein. Nur Transparenz schafft dauerhaft Vertrauen. Gleichzeitig sollten diese Dokumentationen für etwaige Entschädigungszahlungen nach einem Störfall verwendet werden. Das Sensornetz sollte durch eine staatliche Behörde betrieben, gewartet und überwacht werden (Kalibrierung).
Ganz wichtig ist verständliches Lehrmaterial über die Wirkung ionisierender Strahlung. Es darf nie wieder passieren, dass Menschen aus Angst vor Strahlung getötet werden! In der Sicherheitszone sind speziell geschulte „Strahlungsbeauftragte“ auszubilden und zu benennen. Sie dienen als Ansprechpartner für die Bevölkerung und sollen Panikreaktionen bei einem Störfall in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Kindergärten, Schulen und so weiter verhindern (Anm. d. Red.: Wie geschehen in Japan nach Fukushima, wo man ganze Krankenhäuser unnötigerweise evakuiert hatte, was den Tod einiger Patienten zur Folge hatte). Strahlenschutz ist keine Raketenwissenschaft! Ist ein Grundwissen vorhanden, können die jeweils besten Schutzmaßnahmen mit gesundem Menschenverstand vor Ort durchgeführt werden. Für diese Beauftragten soll ausreichender Eigenschutz (Dosimeter, Staubmasken, Handschuhe etc.) vorgehalten werden.
Dr. Klaus-Dieter Humpich studierte Maschinenbau und Energie- und Verfahrenstechnik mit Schwerpunkt Kerntechnik, bevor er zehn Jahre am Institut für Kerntechnik in der Technischen Universität Berlin arbeitete. Seit 20 Jahren ist er freiberuflich im Bereich Energietechnik tätig. Dieser Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog nukeklaus.de