Thilo Schneider / 11.07.2021 / 12:00 / Foto: Timo Raab / 35 / Seite ausdrucken

Pimp my Lebenslauf – Ich baerbocke jetzt

Die Tochter sucht eine Lehrstelle. Und der Lebenslauf für die Bewerbung ist etwas kurz geraten. Aber da kann man ja was machen. Mit etwas Kreativität geht es bald wie von selbst.

Da ist die Älteste endlich mit der Schule fertig und darf sich den Rest ihres hoffentlich langen Lebens auf der YouTube-Academy und in den Hörsälen des Lebens weiterbilden… Und schon muss sich das arme Ding auf eine Lehrstelle bewerben. Kein Abitur, arme Eltern, kein Sabbatjahr in Australien. Das Leben ist kein Honigstreicheln. Und so hält sie mir ihren natürlich kurzen Lebenslauf unter die Nase, über den ich als weltberühmter Autor und Putzpreisgewinner 2019 „einmal drüber schauen“ soll, weil sie diesen zu ihrem ersten Bewerbungsgespräch mitbringen soll.

Der sieht dann so aus:

Geburt: 30.02.2003
Hauptschulabschluss mit Qualifizierendem Bildungsabschluss: 2019
Realschulabschluss mit dem Erwerb der Mittleren Reife: 2020
Freiwilliges soziales Jahr im Seniorenstift „Maria Fassmichnichtan“: 2021

Das ist natürlich jetzt etwas kurz. Das klingt gerade so, als hätte sie noch gar nichts geleistet. Hat sie ja auch nicht. Also, jetzt nichts, was nicht andere in dem Alter ebenfalls zustande gebracht hätten. Aber das muss ja nicht jeder wissen. Wir formulieren um, wir haben das Jahr 2021, da darf es gerne etwas präsentabler sein.

„Du wurdest also geboren, richtig?“ Die junge Dame schaut mich verwirrt an. „Jaaa…“, antwortet sie vorsichtig. „Okay, das werden wir umformulieren. Firmenchefs mögen Mitarbeiter, die außergewöhnliche Leistungen und Erfolge vorzuweisen haben. Wie wäre es mit: 2002 – Erster Platz im Sperm Race auf Mallorca?“ „Ernsthaft? Auf Mallorca?“, fragt sie erschüttert nach. „Ernsthaft! Dann kamst du in den Kindergarten, korrekt? Du warst doch da im Sackhüpfen Zweite in deiner Gruppe!“ Die Spermiensiegerin denkt nach. „Weiß ich nicht mehr“, antwortet sie. „Ich auch nicht“, gebe ich zurück, „…ist aber egal. Wir schreiben das einfach mal rein: 2007 Vizemeisterin im Sack-Jumping.“ „Heißt das so auf Englisch?“, will sie wissen. „Keine Ahnung – aber der Personaler wird sich nicht die Mühe machen, das nachzuvollziehen. Außerdem klingt es gut. Dann wurdest du eingeschult, korrekt?“ „Korrekt“, nickt sie eifrig und setzt ein forsches „2009 Zulassung zum Besuch der Public Elementary School of Martin Luther“ in die nächste Zeile. Wir kommen gut voran. „Ich erinnere mich, dass du damals einen Einser auf deinen Aufsatz über die „Tiere des Waldes“ bekommen hast. War das in der zweiten Klasse? Wurde das nicht vor der Klasse vorgelesen?“ Die Studentin der „Public Elementary School of Martin Luther“ ist begeistert. „So war es“, bestätigt sie. „Okay“, sage ich, dann schreiben wir das so:

„2011 Erstveröffentlichung des Fachartikels „Animals of the forest in general, taking into account local conditions“, durch die Grand-Jury der Public Elementary School of Martin Luther mit „sehr gut“ bewertet.“

2019: Praktische Forschung zum Einfluss von Cannabis auf Stressreaktionen unter Prüfungsdruck

„,Exzellent‘“, wirft sie ein, die Fachartikelpublizistin, „,Exzellent‘ klingt besser!“ „Nicht übertreiben“, mahne ich an, „das kann auch nach hinten losgehen.“ Sie lernt schnell: „Dann waren wir in Tunesien im Urlaub. Erinnerst du dich? Ich habe das Essen nicht vertragen und wir sind zum Arzt.“ „Gekotzt hast du. Wie ein Reiher!“, erinnere ich mich tatsächlich. „Gut, das muss da auch rein: „2013 inoffizielle Bildungsreise zur Evaluierung der Vor- und Nachteile des tunesischen Gesundheitssystems im Zusammenspiel touristischer Herausforderungen mit Dr. Bhakdibutr, Sfax“, ergänzt sie die nächste Zeile. 

Das macht Spaß, wenn man mal im Fluss ist. Ich schnappe mir den Kuli und schreibe unter ihre Formulierung: „2017 Entdeckung der Menstruation und Katalogisierung ihres Workflows im Selbstexperiment unter Berücksichtigung biologisch-dynamischer Wachstumsprozesse.“ „Muss das da rein?“, fragt sie etwas unsicher. „Willst du den Job?“ „Ja!“ „Na dann… Hast du je Liebesbriefe geschrieben? An den Idioten, wie hieß er gleich?“ „Leon“, antwortet sie. „Der Idiot“, fügt sie hinzu, „die hat er allen ’rumgezeigt!“ Sehr schön! Daraus lässt sich auch etwas machen!

„2018 Publikation: Literarisch-lyrische Betrachtungen zur Entwicklung der eigenen Sexualität unter heterosexuellen Gesichtspunkten im Spannungsfeld zwischen „Want“, „Can’t“ und „May not“.“

Sie schnappt sich den Stift. „Schau mal kurz weg“, grinst sie, um dann „2019 Praktische Forschung zum Einfluss von Cannabis auf Streßreaktionen unter Prüfungsdruck“ zu ergänzen. „Das kannst du nicht stehen lassen“, mokiere ich mich. „Warum nicht? Klingt doch gut? Es war doch auch nur eine Tüte!“, antwortet sie etwas zickig. „Ja, aber „Stress“ schreibt man mit Doppel-S“, erkläre ich. Sie bessert es grinsend aus.

Exmatrikulation an der Margot Honecker High School

Ich bin wieder dran: „2019 Beendigung der Secondary School of General Knowledge mit Qualifying leaving Certificate, Bestnote in der Abschlussarbeit ,Analytische Textexegese zu Peter Handkes Betrachtungen zu psychologischem Druck in Ausnahmesituationen im Breitensport‘.“ „Ah, das Ding mit dem Elfmeter und dem Torwart“, erinnert sie sich. Sie schreibt:

„2020 Feldversuch: ,Psychische und physische Erfahrungswelten im Bereich Biologie und Gentechnik bezüglich weltweiter traditioneller Moralvorstellungen unter Berücksichtigung von Alkohol, Rauschmitteln und textilen Herausforderungen‘.“ „Was bedeutet „Feldversuch“? Will ich mehr dazu wissen?“, frage ich vorsichtig. „Nein“, lächelt sie.

Okay, dann ich wieder: „2020 Exmatrikulation an der Margot Honecker High School mit Intermediate-Maturity-Certificate ,Best Wishes‘ zur Abschluss-Arbeit ,Mathematische Berechnungen von theoretischen obskuren geometrischen Körpern auf zweidimensionalen Flächen bei gleichzeitig vierdimensionaler Druckeinwirkung‘.“ „Hä? Verstehe ich nicht“, sagt sie. „Naja, die Figuren waren auf Papier gemalt und du hattest zur Lösung der Aufgaben 240 Minuten Zeit“, erkläre ich. „Ach so“, sagt sie, hat es aber wahrscheinlich immer noch nicht verstanden. Egal.

Payback Membership

„2021 Erwerb der European Driver License on First Attempt in theory and practice of urban traffic“ ergänzt sie grinsend und setzt ein „2021 Volunteer at Retirement-Home Mary in Chains“ in die nächste Zeile. „Das heißt aber nicht ‚Maria Fassmichnichtan‘“, bemerke ich. „Weiß ich, aber das finde ich cooler“, entgegnet sie und fügt den Absatz „Mitgliedschaften“ ein:

- Cine Card Gold – Membership of the Kinopolis-association Germany
- Second Leading Voice of the Choral-Society of Behindmoonhome
- Payback Membership
- Incoming Traveller in Euro-Space
- Excellent trader of Ebay-Commerce-chamber
- Premium Membership at ADAC Germany
- Expals of Leon-Society, first member
- Uncertified student at House of Ravenclaw, Hogwarts School of Witchcraft and Wizardry
- Power Ranger and Defender of the crown of Aznatoth.

„Was ist das Letzte?“, will ich wissen. „Ein Computerspiel. Ich habe meinen Charakter auf Level 80 geskilled“, erklärt sie. Okay, das zählt! Ich sehe, sie hat alles verstanden und voll im Griff. Ich bin mittlerweile selbst ein bisschen beeindruckt, was wir aus nichts erschaffen haben. Ich habe ein Monster entfesselt, ich Frankenstein. „Sehr schön“, sage ich und klopfe ihr auf die Schulter, „dann wünsche ich dir morgen viel Glück!“

Als ich sie am nächsten Abend wiedersehe, frage ich natürlich nach, ob das mit der Lehrstelle als „Kauffrau für Bürokommunikation“ geklappt hat. „Nein“, sagt sie traurig, „die meinten, ich sei überqualifiziert…“ Dann lächelt sie: „Aber ich war danach spontan auf der Geschäftsstelle der Grünen, weil die doch nebenan ist. Und, was soll ich sagen? Am nächsten Ersten geht es los als Büroleiterin. Ich habe sie voll überzeugt und bin natürlich auch gleich eingetreten. Sie meinten, ich könne bei ihnen eine grandiose Karriere hinlegen!“ „Ja, und Ausbildung?“, hake ich nach. Sie sieht mich so mitleidig wie einen dreibeinigen Hundewelpen im Tierheim an: „Ich bitte dich! Die brauche ich nicht. Bei dem Lebenslauf…“ 

(Weitere großartige Formulierungen des Autors unter www.politticker.de)  

 
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Angelika Meier / 11.07.2021

Ob das Wort “Baerbock” so eine Erfolgsgeschichte wie “Relotius” wird?

Boris Kotchoubey / 11.07.2021

Wer nicht relotivieren kann, muss baerbocken

S.Buch / 11.07.2021

Herrlich! Noch schön gelacht am Sonntagabend. Danke für den CV-Pimper.

Flavio Bezzola / 11.07.2021

Ich schmeiss mich weg! )-))

Gerhard Schmidt / 11.07.2021

Ich habe im Lebenslauf meinen Wehrdienst angegeben - Kurzgefasste Antwort von einem Personalarsch: “Wir nehmen keine Mörder (Firmenkultur und so)...

Heribert Glumener / 11.07.2021

Zwecks Optimierung von Lebensläufen könnte man sich am Vorgehen von Lamya Kaddor, der sagenumwobenen Freundin von Herrn Broder, orientieren. Ausweislich ihres Auftritts an der Universität Duisburg ist Lamya Inhaberin der „Ehrendoktorwürde in Islamischer Theologie der University of il / USTOM“. Meine Tochter hatte sich überlegt, sich auch so eine Ehrendoktorwürde zuzulegen. Aber nachdem ich ihr die Einträge zu dieser revolutionär-galaktischen „University“ im Internet gezeigt hatte, wäre ihre das doch zu peinlich gewesen. Richtig so, Mädchen. Ich für meinen Teil finde, dass ein bisserl baerbocken gar nicht mal so schlimm ist: trete nun als Dr Heribert Glumener auf. Man wird stets als „Herr Dr. Glumener“ angesprochen – köstlich, Termin beim Hautarzt gab es ruckzuck (sonst 2 Monate Wartezeit, natürlich frustriertes Glotzen in der Praxis, als „Kasse, freiwillig versichert“ offenbar wurde). Doch es ist wie es sein darf: das Dr ohne Punkt steht lediglich für Director, was sachlich nicht unzutreffend ist.

Andreas Rochow / 11.07.2021

... bei der Blaupause! Hat aber großen Spaß gemacht. Jetzt müssen Sie aber den schonend atraumatischen Ausstieg ihrer Tochter organisieren, verehrter Thilo Schneider!

Rudi Hoffmann / 11.07.2021

Top Herr Schneider !  Sie werden “jeden Tag ein bischen besser “!

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