Burkhard Müller-Ullrich / 18.05.2011 / 10:36 / 0 / Seite ausdrucken

Perp Walk

Es gibt einen Namen für die Sache, und schon der Umstand, daß es sich um eine Abkürzung handelt, signalisiert eine gewisse Popularität: „perp walk“ steht für „perpetrator walk“, also das Spazierenführen eines Täters, eines Gesetzesbrechers vor den Kameras des Fernsehens und der Zeitungsreporter. Dabei werden dem Delinquenten Handschellen angelegt, manchmal sogar auch Fußfesseln, was in jedem Fall vollkommen überflüssig ist, weil der Betreffende von so vielen Polizisten flankiert wird, daß jede Flucht oder auch nur der Versuch, um sich zu schlagen, absolut erfolglos wäre. Eher ist er bei diesem Kontakt mit der Öffentlichkeit und deren Vertretern selbst gefährdet, wie sich im Fall des Kennedy-Attentäters Lee Harvey Oswald zeigte, der nämlich bei einer solchen Gelegenheit erschossen wurde.

Die Fesselung der Hände, meist auf dem Rücken, dient zu nichts anderem als der Erniedrigung des Täters, der allerdings zum Zeitpunkt dieser Inszenierung noch keineswegs als Täter feststeht, sondern nur ein Beschuldigter ist. Wie weit diese Demütigungs-Folklore eigentlich gehen darf, darüber wird in den USA durchaus kontrovers diskutiert, denn natürlich gilt eigentlich auch dort für jemanden, der noch nicht rechtskräftig verurteilt worden ist, die Unschuldsvermutung.

Sie gilt im Bereich der Justiz, sie gilt nicht – wie jeder weiß – bei den Medien. Die Medien waren es, die den „perp walk“ forderten und förderten, weil sie – vor allem das Fernsehen – eindrucksvolle Bilder brauchen, um ihre Stories zu garnieren. Diese Entwicklung begann in der Mitte der 1970er Jahre, und die damaligen Staatsanwälte in New York und anderswo hatten noch große Bedenken, Verdächtige derart auf dem Laufsteg präsentieren. Das änderte sich unter Chefankläger Rudi Giuliani, der sich in den 80er Jahren einen Ruf als Hardliner und Mafiajäger machte. Später wurde er Bürgermeister von New York.

Der „perp walk“ bedient nämlich nicht nur die Interessen der Medien, sondern auch der Staatsanwaltschaft, die im amerikanischen Strafprozeß darauf bedacht sein muß, den Angeklagten in ein schiefes Licht zu rücken, um das Gericht zu überzeugen und einen Schuldspruch zu erreichen. Dabei nützt es eben, wenn er auf Bildern schon mal wie ein Halunke erscheint: übernächtigt, schlecht rasiert, in unfrischer Kleidung, mit stierem Blick und vor allem: gefesselt.

Die Vorführung in Handschellen löst, wenn sich um Massenmörder handelt, beim Publikum Erleichterung aus, weil es sehen kann, daß die Gefahr gebannt, der Verbrecher überwältigt und die Ordnung wiederhergestellt ist. Daß diese Maßnahme zum Beispiel bei Wirtschaftsverbrechern, den sogenannten „white collar criminals“, von rein symbolischer Natur ist, weiß jeder. Trotzdem wird sie immer öfter angewandt – gerade bei Politikern, Medienstars und Managern. Trotz aller sich daran knüpfenden Gerechtigkeits-Bedenken sieht man dies in den Vereinigten Staaten auch als ein Mittel an, Gerechtigkeit zu ermöglichen, indem den Politikern, Medienstars und Managern ihr Promi- und Reichtums-Bonus ostentativ genommen wird.

In Frankreich, wo das Justizsystem ganz anders funktioniert, herrscht natürlich über die Behandlung von Dominique Strauss-Kahn parteiübergreifend blankes Entsetzen. Tatsächlich gibt es im französischen Strafprozeßrecht das Institut des Ermittlungsrichters, der die polizeilichen Untersuchungen leitet, diese aber nicht nur zu Lasten des Verdächtigen, sondern auch zu seinen Gunsten führen muß. Erst wenn diese Akte vollständig ist, legt er sie dem Gericht zu weiteren Beurteilung des Falles vor. Ein öffentliches Zurschaustellen des Beschuldigten im Vorfeld des Verfahrens hätte hier keinen Zweck und würde eher einen Zweifel auf die Unparteilichkeit des „juge d’instruction“, des Ermittlungsrichters, werfen.

Es ist aber keineswegs so, daß ein Beschuldigter in Frankreich weniger demütigend behandelt würde. Der Top-Manager des staatlichen Ölkonzerns Elf-Aquitaine und der Eisenbahngesellschaft SNCF, Loik Le Floch-Prigent, hat in einem Buch über seinen Korruptionsprozeß anschaulich beschrieben, wie er vor jedem Transfer aus der Untersuchungshaft zum Untersuchungsrichter seine Unterhose ausziehen und inspizieren lassen mußte. Und der Ex-Politiker und zeitweilige Fußballklub- und Adidas-Besitzer Bernard Tapie kann ein Lied davon singen, wie es ist, wenn die eigene Verhaftung live im Fernsehen übertragen wird.

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