Es ist fast unbegreiflich, wie es der Allgemeine Deutsche Tanzlehrerverband ein halbes Jahrhundert lang ohne die Anerkennung seines Welttanzprogramms durch die Unesco ausgehalten hat. Denn ohne den Welterbe-Stempel der Unesco ist alles nichts. All die 1.073 Stätten in 167 Ländern, von der Chinesischen Mauer bis zum Kölner Dom und von Angkor Wat bis zur Berliner Museumsinsel, wurden schließlich nur zu dem Zweck und in der Absicht errichtet, einmal auf die Unesco-Welterbeliste zu kommen.
Und nicht nur solche Orte und Gebäude sind völlig auf Wahrnehmung und Wohlwollen der Unesco-Bürokraten angewiesen, sondern auch kulturell bedeutsame Tätigkeiten wie das Tanzen hängen ganz und gar davon ab, daß die Unesco sie in ihren Katalog des immateriellen Kulturerbes aufnimmt. Eigentlich ist Tanzen ohne Unesco-Lizenz gar nicht kulturell, sondern höchstens vulgär. Wer vielleicht schon vor geraumer Zeit mit „eins, zwei, Wie-ge-schritt“ sozialisiert wurde, bekommt jetzt jedenfalls eine Chance, die rhythmischen Körperbewegungen früherer Jahre bald unescomäßig aufgewertet zu sehen.
Wer das nun als nutzlosen Nonsense abtut, hat nicht begriffen, daß die Buchhaltung als solche das wichtigste Kulturerbe überhaupt ist. Man geht ja auch nicht ins Museum, um Bilder anzuschauen, sondern um nachzuprüfen, daß es sich um die im Führer abgebildeten Bilder handelt. Genauso schenkt uns die Unesco, diese kafkaeske Kulturorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Paris, eine ganz eigene Wirklichkeitserfahrung, indem sie das, was einfach nur ist, mit dem Goldglanz politischer Herrlichkeit bestrahlt.
Immer im Dienste der Völkerverständigung
Denn was immer die Unesco tut, sie tut es im Dienste der Völkerverständigung, des Antirassismus, der Menschheitsentwicklung und des sozialen Fortschritts. So wird aus bloßem Gesellschaftstanz schon fast so etwas wie Tanzen für den Frieden. Und wenn es dafür auch kein Geld gibt, die Unesco hat nämlich nicht nur keins, sondern ist auch hochverschuldet, darf der Allgemeine Deutsche Tanzlehrerverband doch immerhin stolz darauf sein, zumindest mittelbar ein kleines Bißchen den Weltfrieden zu fördern.
Dafür haben sich die zahllosen Ausschußsitzungen, Arbeitstreffen, Vorbereitungsmeetings, Expertengutachten und Fachkonferenzen in zahllosen Städten sowie die damit verbundenen spesenträchtigen Flugreisen sämtlicher Beteiligten auf den diversen Ebenen – national und international, beziehungsweise, wenn es sich um Unesco-Gremien handelt, supranational – allemal gelohnt. Das aus Deutschland stammende Welttanzprogramm der 1960er Jahre bekommt eine Art Ewigkeitswert.
Es ist allerdings in der Menschheitsgeschichte schon des öfteren vorgekommen, daß sehr bedeutende und authentische und deshalb nach Unesco-Maßstäben unbedingt schützenswerte kulturelle Praktiken verschwunden sind: dazu zählen das Kreuzigen bei den Römern, die mittelalterliche Alchemie und das Duellieren. Hätte es die Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturerbes schon immer gegeben, dann hätte die Unesco Sonderprogramme zur Aufrechterhaltung all dieser Praktiken verlangt. Und wenn die erfolglos geblieben wären, dann hätte die Unesco das getan, was sie auch sonst tut, wenn Kulturerbe wirklich bedroht ist: sie streicht es einfach von der Schutzliste.