Die Marokkanerin Faiza M. ist 32 Jahre alt. Vor acht Jahren kam sie nach Frankreich, heiratete einen Franzosen und wurde Mutter von drei Kindern. So unauffällig sieht die administrative Oberfläche eines Falls aus, der zu einem Prüfstein für die französische Staatsphilosophie geworden ist und über den sich kürzlich das höchste Verwaltungsgericht Frankreichs, der Conseil d’Etat, ausgesprochen hat.
Faiza M. wollte Französin werden. Früher wäre sie es durch die Heirat mit einem Franzosen automatisch und auf der Stelle geworden; inzwischen wurde, um das Problem der Scheinehen zu bekämpfen, eine gesetzliche Wartefrist eingebaut: erst waren es zwei Jahre, heute sind es aufgrund der sogenannten „loi Sarkozy“, des „Sarkozy-Gesetzes“, vier Jahre.
Faiza M. stellte fristgerecht den Einbürgerungsantrag und wurde dann von einer Staatsbeamtin vorgeladen, die sich davon zu überzeugen hatte, daß die Kandidatin „für die Bedürfnisse des Alltags“, wie es im Gesetzestext heißt, gut genug Französisch spricht (das war der Fall) und daß keine sonstigen Gründe ihrer Naturalisierung entgegenstehen. Zu letzteren gehören, wiederum laut Gesetz, „Unwürdigkeit und mangelnde Assimilierung“.
Das sind natürlich Begriffe, die nicht nur der Auslegung bedürfen, sondern sie auch richtig schwer machen. Daß beispielsweise Haßprediger und andere Straftäter für der französischen Staatsbürgerschaft unwürdig erachtet werden, erscheint einleuchtend, aber wo beginnt, wo endet das weite Feld notwendiger Assimilierung, von dem dann dasjenige der mangelnden Assimilierung abzugrenzen wäre?
Faiza M. hat diese definitorischen Anstrengungen jetzt mit ihrem Fall einen guten Schritt weitergebracht. Denn die Dame trägt eine Burka. Auch zu den Amtsterminen in Sachen Einbürgerung erschien sie voll verschleiert. Obwohl die Beamtin mehrfach darum bat, einmal das Gesicht der Antragstellerin sehen zu können, bekam sie bloß ein Augenpaar in einem Sehschlitz vorgeführt. Der Einbürgerungsantrag wurde abgelehnt.
Dagegen legte Faiza M., die sich im übrigen für ihre bürgerlichen Rechte nicht interessiert und selbstverständlich niemals wählen gehen würde, weil das nach ihrer Auffassung nur Männern zusteht, Widerspruch ein und schöpfte alle Rechtsmittel bis zum Conseil d’Etat aus. Oder ihr Mann tat es, denn ihm zuliebe fing sie mit dem Burkatragen an. Zuhause in Marokko war sie noch unverschleiert umhergegangen.
Und der Conseil d’Etat entschied mit einer Lakonie, wie sie den obersten Gerichten eigen ist, daß Faiza M. – so wörtlich – „eine Religionsausübung treibe, die mit den Grundwerten der französischen Gemeinschaft und insbesondere mit dem Prinzip der Geschlechtergleichstellung unvereinbar“ sei, und sie daher die Bedingung der Assimilierung nicht erfüllt habe, weshalb ihr die Einbürgerung zu Recht verwehrt worden sei.
Frankreich versteht sich im Gegensatz etwa zu Deutschland seit langem als Willensnation. Traditionell war die Sprache das wichtigste einigende Band: Um Franzose zu werden, mußte man vor allem Französisch können, ja es gab und gibt tief in der Seele der Franzosen sogar so etwas wie einen linguistisch orientierten Französischkeitsindex: demzufolge ist man ein desto besserer Franzose, je besser man Französisch spricht oder schreibt. Diese Idealvorstellung, bei der Fragen der Herkunft und Rasse in den Hintergrund treten, ist durch die gesellschaftliche Wirklichkeit allerdings nicht mehr gedeckt.
Um so stärkere Geltung bekommt dafür das republikanische Postulat, die Grundwerte der französischen Gemeinschaft zu bejahen, wenn man Franzose werden will. Dazu gehört der revolutionär errungene Laizismus: Kreuz, Kopftuch und Kipa sind in staatlichen Schulen gleichermaßen verboten. Bloß die Muslime weiten die Kampfzone beständig aus: Nach dem Kopftuch kommt die Burka, und an manchen Stellen wird schon verlangt, islamisches Recht in Frankreich anzuwenden.
Die Widerstandskräfte der französischen Republik gegen derartige Zumutungen sind im europäischen Vergleich recht hoch. Schon vor zwei Jahren sorgte der Bürgermeister von Argenteuil für Aufsehen, indem er die kopftuchtragende Frau eines Mannes, der gerade seine Einbürgerungsurkunde ausgehändigt bekommen sollte, von der Zeremonie kurzerhand ausschloß. Aber natürlich trifft es mit den Frauen immer die Falschen.