Bei der Lieferung von Panzern und Waffen an die Ukraine ist den Grünen ein Kurswechsel gelungen, aber nicht bei der Atomenergie. Wenn die grünen Minister diesen Parteitagsbeschluss umsetzen, müssen sie gegen ihren Amtseid verstoßen.
Der grüne Parteitag zeigte, dass es Ideologen mit den Kurswechseln nicht übertreiben wollen. Bei der Unterstützung der angegriffenen Ukraine auch mit Panzern und Waffen ist der zwar gelungen, doch weitere Stromerzeugung mit Atomkraftwerken ist trotz einer dramatischen Energiekrise nicht möglich. Die grünen Minister müsste dies in einen Gewissenskonflikt bringen, denn mit dem Umsetzen dieses Parteitagsbeschlusses verstoßen sie gegen ihren Amtseid.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat deutlich gemacht, wie schwer es ihr und Parteifreunden falle, bei Waffenexporten einen grundsätzlichen Politikwechsel vorzunehmen, meldet presseportal.de. „Ich habe jahrelang für eine restriktive Rüstungspolitik gekämpft, und dann ist eine solche Entscheidung, Waffensysteme an die Ukraine zu liefern, keine einfache", habe Roth im Fernsehsender phoenix gesagt. Dass sich die Grundsätze grüner Außenpolitik verändert haben, verdeutlichte die Grünen-Politikerin mit einer weiteren Aussage. „Wir haben Pazifisten in unserer Partei, aber wir sind nicht eine pazifistische Partei. Wir sind eine Partei, die der Gewaltfreiheit verpflichtet ist.“ Man müsse sich als Grüne aber mit Situationen auseinandersetzen, in denen Gewalt ausgeübt werde. „Jetzt geht es eindeutig darum, in einem aggressiven Krieg, der von Putin gegen eine souveräne Ukraine geführt wird, der Ukraine das internationale Recht auf Selbstverteidigung zuzubilligen. Dann muss es aber auch garantiert sein, dass die Mittel geliefert werden“, so Roth.
Nichts darf ganz falsch gewesen sein
Also kein Pazifismus mehr, aber dafür Prinzipientreue bei der Abschaltung der Atomenergie? Bei Ersterem versuchen sich manche Grüne im verbalen Spagat zwischen Panzern und Pazifismus, um beides weltanschaulich miteinander zu verbinden. Warum sie das tun? Weil auch Inhalte, die man gerade über Bord wirft, nicht so ganz falsch gewesen sein können in einer Partei, die sich – egal welche Prinzipien sie gerade reitet – immer im Hochgefühl moralischer Überlegenheit sonnt. Wessen Ideen den proklamierten Anspruch haben, zweifelsfrei die Welt zu retten, kann sich von selbigen ja dann nicht lautstark verabschieden, sondern versucht sie eher still mehr oder weniger zu modifizieren. Das wirkt dann manchmal mehr vernünftig und manchmal mehr prinzipienfest. Nur ganz falsch darf eben nichts gewesen sein. Beim grünen Parteitag hieß das kurz gefasst: Jetzt gibt's die Gewaltfreiheit zwar auch mit Waffen, aber ab April keinen Strom aus Atomkraftwerken mehr.
Auch beim Kohle-Ausstieg bleibt für die Grünen das Jahr 2030 die Zielmarke, selbst wenn für das Problem, wie Deutschland in Zukunft zuverlässig mit Energie versorgt werden kann, noch keine praktikable Lösung in Sicht ist. Die einsetzende Deindustrialisierung wird den Energiebedarf sicher drosseln, aber ob die Energiewender wirklich darauf spekulieren und die dann unvermeidliche Armut breiter Bevölkerungsschichten einkalkulieren oder ob sie diese Folgen ihres Tuns schlicht nicht sehen wollen, bleibt eine weitere offene Frage.
Die Partei hat sich in der Energiefrage klar gegen den gesunden Menschenverstand entschieden. Man muss weder Experte noch Freund von Kohle- und Atomenergie sein, um zu erkennen, dass in der gegenwärtigen Energiekrise, mit ihren drohenden verheerenden Folgen für Deutschland und Europa, eigentlich jedes Kraftwerk auf Hochtouren laufen muss, das irgendwie ohne Gas Strom erzeugen kann, um die Energieversorgung zu sichern und die Preisexplosion zu dämpfen. Auf den Widersinn, Kraftwerke stillzulegen und die Städte zu verdunkeln, während gleichzeitig mit der Elektromobilität zusätzlicher Stromverbrauch mit Steuergeld gefördert wird, wollen wir an dieser Stelle gar nicht weiter eingehen.
Überschreiten der „roten Linie“ ist nötig
Es ist folgerichtig, was eine sich ihrer Verantwortung bewusste Bundesregierung nun tun müsste, nämlich eine „rote Linie" überschreiten, die der grüne Parteitag gezogen hat. Doch welchem der grünen Bundesminister traut man das ernsthaft zu? Eigentlich müssten sie Gewissensqualen plagen, wenn sie jetzt vor der Frage stehen, ob sie dem Motto „Erst das Land, dann die Partei“ folgen wollen oder sich lieber, wie man es leider nur zu gut kennt, für das Gegenteil entscheiden. Vielleicht darf man die Damen und Herren Baerbock, Habeck, Özdemir, Lemke und Paus an ihren Amtseid erinnern: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde."
Wenn sie den Beschlüssen ihres Parteitages folgen, tun sie genau das Gegenteil. Der Bruch eines Amtseids zieht aber keine zwingenden Konsequenzen für den Amtsträger nach sich. Das zu tun, wollten die Autoren des Grundgesetzes offenbar den Wählern überlassen.
Der Umgang mit diesem Parteitagsbeschluss wird nun wohl das aktuellste Beispiel dafür, dass der Staat zur Beute der Parteiapparate geworden ist, so wie es Fabian Nicolay hier ja schon treffend beschrieben hat. Theoretisch gäbe es noch die Möglichkeit, dass eine andere Koalitionspartei eine etwas vernünftigere Energiepolitik erzwingt. Doch die FDP, bei der sich nur noch die Älteren ganz verschwommen erinnern können, dass sie einst liberale Anliegen vertreten hat, gab bislang eher die Vorstellung als braver Mehrheitsbeschaffer einer vormundschaftlichen rot-grünen Regierung, auch wenn sie mit eigenen Ministern darin vertreten ist. Nein, das ist ungerecht, denn sie hat ja immerhin die Maskenfreiheit im Flugverkehr durchgesetzt, was in etwa so bedeutend ist wie einst die Mehrwertsteuersenkung fürs Hotelfrühstück.
Auch ein Machtwort des Bundeskanzlers unter Inanspruchnahme seiner Richtlinienkompetenz wäre theoretisch natürlich denkbar. Aber besitzt er die Courage, etwas gegen die Grünen durchsetzen zu wollen?
Wenn die Deutschen dann in Erfüllung grüner Parteitagsbeschlüsse den Energienotstand richtig auskosten dürfen, dann sollten sie sich wenigstens nicht einreden lassen, es seien Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Russland-Sanktionen gewesen, die sie in diesen Notstand geführt haben. Dieser Krieg ist aber nur ein Katalysator der Krise, nicht deren Ursache. Die breit gefächerte eigene Energieerzeugung wurde von den letzten Bundesregierungen ganz ohne russisches Zutun unter dem Leitgedanken der Energiewende großteils heruntergefahren, was auch ohne Krieg zu ernsten Problemen geführt hätte, wenn auch vielleicht etwas langsamer und etwas weniger heftig.