Bertha Stein, Gastautorin / 16.10.2019 / 12:00 / Foto: Olaf Kosinsky / 26 / Seite ausdrucken

Parlamentswahl in Polen: Erfolgsrezept Sozialpolitik

Klassische sozialdemokratische Themen haben Konjunktur. Das zeigt der Erfolg rechtsnationaler Parteien, wie etwa der Wahlerfolg der polnischen PiS-Partei. Sie gewann ihre Wähler hauptsächlich mit sozialen Themen.

Die rechtsnationale Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) gewann die absolute Mehrheit mit fast 44 Prozentpunkten. So passiert letzten Sonntag bei den Parlamentswahlen in Polen. Was diesem Wahlerfolg der PiS folgte, waren, nach einer teilweise engagierten Vorberichterstattung, überwiegend lakonische Analysen und ein mediales Flüstern. Vielleicht ein ratloses Unverständnis für dieses Wahlergebnis?

Dabei ist das Erfolgsrezept der PiS so einfach: Politik für die wachsende Wählerschaft mit geringem Einkommen machen. Das bedeutet zum einen, die Probleme dieser Wählerschaft wahr- und ernst zu nehmen, zum anderen, den Worten Taten folgen lassen. In Polen lautet die Zauberformel: traditionelle Werte plus eine großzügige Sozialpolitik. Warum?

Ein nicht unbeträchtlicher Teil der polnischen Bevölkerung leidet materiell stark unter einer sozialdemokratisch ungezähmten Globalisierung: Entkoppelung von Leistung und Erfolg, Anstieg der Arbeitslosen und prekärer werdende Arbeitsbedingungen, um nur einige Konsequenzen zu benennen. Dieser negativen Assoziation von Globalisierung und Verlust des materiellen Wohlstandes geht eine verstärkte Sehnsucht traditioneller Werte wie Nationalismus und Katholizismus einher. Ähnlich wie in Deutschland, doch minus der Religiosität, aber dafür mit einem CO2-Konzept zur Rettung der Welt, nicht der Bürger.

So einfach kann die soziale Zutatenliste sein

Und genau hier kommt das PiS-Süppchen ins Spiel: „So hat sie seit 2015 den Mindestlohn von 1.750 auf 2.000 Zloty, circa 470 Euro, angehoben, 2016 einen Mindeststundenlohn von 13 Zloty eingeführt, das Rentenalter wieder auf 65 für Männer und 60 für Frauen gesenkt und ein staatliches Wohnungsbauprogramm gegen die Wohnungsnot auf den Weg gebracht. Am wirksamsten aber war die Einführung eines Kindesgeldes in Höhe von 500 Zloty ab dem zweiten Kind, bei armen Familien ab dem ersten Kind, das dem Staat 23 Milliarden Zloty (knapp 5,5 Milliarden Euro) pro Jahr kostet“, beschreibt der Soziologe Michael Hartmann in seinem Buch „Die Abgehobenen“ (Campus, 2018). „Davon profitiert über die Hälfte aller polnischen Kinder, und es hat in großen Teilen der Bevölkerung für eine spürbare Verbesserung der Situation gesorgt.“

So einfach kann die soziale Zutatenliste sein. Das gilt wohl auch für Deutschland. Doch Christdemokraten, Sozialdemokraten und alle anderen etablierten Parteien hierzulande wollen das offensichtlich nicht wahrhaben. Dass nämlich echte Sozialpolitik wahre Wunder bewirken kann und dass Glaubwürdigkeit der Schlüssel zur Gunst des Wählers ist. Die Sozialdemokratie hält nicht an ihrer sozialen Politik fest, sie und die anderen Parteien halten weiterhin an der Trennung von Wahlversprechen und Taten fest. So wie etwa 2007 mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent.

Und genau in dieses Vakuum stößt die AfD. Von der bisherigen Politik enttäuschte Wähler strömen zu ihr, sie wird zum Platzhalter der deutschen Sozialdemokratie, zur Partei der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten (Hartmann, 2018). Wie die Sozioökonomin Lea Elsässer und Kollegen konstatieren (2016): „Was Bürger_innen mit geringem Einkommen in besonders großer Zahl wollten, hatte in den Jahren von 1998 bis 2015 eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit, umgesetzt zu werden“.

Die AfD wirkt hier wie eine Partei, die alles anders machen wird. Dass sie sich noch nicht politisch beweisen konnte, sie die Gunst des Wählers nicht mit Füßen treten konnte, spielt ihr hierbei in die Hände. Genau das ist ihr Vorteil gegenüber den etablierten Parteien: das nicht verscherbelte Vertrauen der Wählerschaft.

Und genau dieses Vertrauen belohnte die PiS mit der Umsetzung ihrer Wahlversprechen. Und der Wähler zeigte sich mit einer Wiederwahl dankbar. Anders formuliert: Wer dieses Erfolgsrezept teils besser verstehen möchte, dem sei Hartmanns Buch „Die Abgehobenen“ (Campus, 2018) wärmstens empfohlen.

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Heinz Becker / 16.10.2019

PiS heisst ja nicht umsonst Recht und Gerechtigkeit - herrje, zweimal rechts im Parteinamen, das kann ja nur gut und richtig fuer den Buerger sein. Zudem spart der polnische Staat natuerlich viele Milliarden , die in der sogen. BRD fuer Merkels Gaeste jaehrlich aufgewendet werden muessen - mit steigender Tendenz. Dieses Geld fehlt dann natuerlich fuer die Ureinwohner. Habe mich jedenfalls sehr ueber den Sieg von Recht und Gerechtigkeit in Polen gefreut!

Rolf Mainz / 16.10.2019

Da ist es wieder, das Vorurteil, die AfD sei die Partei der “Abgehängten”, das Auffangbecken der gesellschaftlich Erfolglosen. Immer wieder gern zwecks Diskreditierung genutzt, aber das nimmt dieser These keineswegs den grundlegenden Fehler. Sicher, die deutsche (exakt: die gesamte westeuropäische) Sozialdemokratie hat ihre Orientierung und damit ihre ehemalige Stammwählerschaft verloren, dies trifft zu. Aber dies kann nicht den Erfolg der neuen konservativen Parteien Europas erklären. Tatsächlich nimmt bspw. in Deutschland die AfD schlichtweg eine Position ein, welche vor wenigen Jahren noch angestammtes CDU-Terrain gewesen wäre. Einer kohlschen CDU, zu deren Zeiten eine Anbiederung etwa zu Grünen und Linken undenkbar gewesen wäre. Einer CDU, welche ungehemmte Zuwanderung niemals mitgetragen hätte. Eine CDU, die einer EU-Transferunion keinesfalls zugestimmt hätte. Was hat all dies geändert? Sicher nicht ursächlich die AfD, sicher auch nicht eine bestimmte Gesellschaftsschicht, welche früher einmal sozialdemokratisch wählte.

Gereon Stupp / 16.10.2019

Kapitalismus und Sozialpolitik schließen sich eben nicht aus, sondern müssen unter dem Primat des Staates in Balance gebracht bzw. gehalten werden. Und gelebte nationale Identität ist kein Nationalismus. Klare Grenzen, klare Regeln und klare Vorstellungen für die Zukunft reichen für eine erfolgreiche Politik meist schon aus. Das ist kein Hexenwerk, setzt aber eine klare innere Haltung und ein stabiles Wertegerüst voraus. Ob Kachinsky das hat, weiß ich nicht. Die Wähler in Polen scheinen es ihm mehrheitlich abzunehmen.

Jens Keller / 16.10.2019

Polen wird den Weg Deutschlands gehen, wird aber durch seinen zeitlichen Rückstand noch etwas brauchen, bevor die Ergebnisse der polnischen sozialdemokratischen Ideen sichtbar werden. Die SPD hat ihren Staat 1918 bekommen und frisst seitdem die kulturelle und zivilisatorische Substanz des Landes auf und so wird es allen gehen, die das Modell wo auch immer umsetzen.

Hermann Martin / 16.10.2019

Ja, stimmt alles!  Die klassischen Parteien haben den “normalen” Wähler (arbeitet, muss zur Arbeit pendeln, will soziale Sicherheit und Sicherheit vor Kriminalität, hat nichts gegen Flüchtlinge, denen wirklich geholfen werden muss, aber sehr wohl etwas gegen solche, die die Sicherheitslage verschlechtern) - - aaaaber: Wie sieht Achgut die wohl drohenden Reparationsforderungen?

Petra Wilhelmi / 16.10.2019

Zitat: “Was diesem Wahlerfolg der PiS folgte, waren, nach einer teilweise engagierten Vorberichterstattung, überwiegend lakonische Analysen und ein mediales Flüstern. Vielleicht ein ratloses Unverständnis für dieses Wahlergebnis?” Und nicht nur das. Im Regionalprogramm bei uns wurden natürlich gleich Passanten in Polen interviewt, bei denen eine Welt zusammengebrochen ist. Die gar nicht verstehen können, dass eine so große Mehrheit PiS gewählt hat. Und man verstand diese Passanten und warnte ebenfalls. Der Trompeter von Görlitz gar musste sagen, dass es trotzdem ein gutes Verhältnis zum polnischen Teil gäbe, zwar mit einer etwas skeptischen Miene. Ich war höchst amüsiert.

Hubert Bauer / 16.10.2019

Ich denke, die PiS macht einfach einen guten Mix und/oder die Dinge laufen einfach sehr gut in Polen: Die Wirtschaft brummt, fast Alle haben Arbeit, die Löhne steigen, die Mieten bleiben relativ stabil, es gibt weder rechten, noch linken und schon gar keinen islamischen Terror. Die Sauberkeit in den Städten und den öffentlichen Verkehrsmitteln schaffen weitere Aufbruchstimmung und ein positives Lebensgefühl. Und die sozialen Leistungen ergeben Sinn und entsprechen der eigenen Handlungsweise, wenn es keinen Staat geben würde. Eine Familie würde auch dafür sorgen, dass die Alten gut versorgt werden, weil sie viel für die heutige Generation aufgebaut haben. Sie würde auch für die Kinder sorgen, damit die eine gute Zukunft haben und sich später um die Alten kümmern. Eine Rundumversorgung von Menschen aus fernsten Ländern, die die Familie (den Staat) hasst (weil Ungläubige), ist aber dem Menschen wesensfremd und unnatürlich. Was man auch nicht unterschätzen darf ist die Steuerfreiheit für unter 26-Jährige. Es treibt die jungen Leute an, ihre Ausbildung so schnell wie möglich abzuschließen. Mit 18 Abitur, mit 22 Bachelor, mit 24 Master und dann noch zwei Jahre gut verdienen ohne Steuern zu bezahlen. Mir hat heute Jemand von einem 23-Jährigen erzählt, der bei Aldi (Deutschland) Filialleiter ist und 6.500 Euro brutto pro Monat hat. Da zahlt er ca. 12.000 Euro Lohnsteuer im Jahr (D) und auf drei Jahre wären das 36.000 Euro. Wenn er eine Frau mit gleichem Job und im gleichen Alter hätte, würden sie sich nach dem polnischen System 72.000 Euro “sparen”. Eine Bank würde bei einem Hauskauf 20 % EK von ihnen verlangen, so dass sie allein dadurch schon 360.000 Euro für eine Wohnung hätten. Mit Mitte Zwanzig! Für diese Generation wäre Altersarmut kein Thema mehr.

Silvia Orlandi / 16.10.2019

Den Blick ins Portemonnaie empfehle ich auch deutschen Wählern. Kein Blabla, aber die schlichte Frage: „wer soll das bezahlen, wer hat so viel Pinke Pinke, wer hat so viel Geld?“ ( altes Faschingslied,  bei SPD Veranstaltungen zu singen)

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