Cigdem Toprak
Im Kindergarten habe ich die deutsche Sprache erlernt, ich durfte die deutsche Kultur spielend kennenlernen und es war der Ort, an dem ich meine ersten Berührungen mit dem Christentum hatte. Ich habe mich dort zugehörig gefühlt.
Meine Eltern konnten es kaum erwarten, mich in den Kindergarten zu schicken, weil sie es sehr wichtig für meine Entwicklung hielten. Sie machten sich Sorgen, dass ich zwar bereits Türkisch sprach, aber der deutschen Sprache sollte ich auch so früh wie möglich mächtig werden.
So durfte ich mit vier Jahren Ostereier bemalen, beim Sankt-Martins-Tag meine Laterne halten und mit Barbie-Puppen habe ich bei meinen ersten deutschen Freundinnen Anna und Theresa gespielt.
Für meine Mutter, die damals Hausfrau war und gerade mal fünf Jahre in Deutschland lebte, war es die einzige Möglichkeit den privaten Kontakt zu Deutschen zu haben. Allein das Hinbringen und Abholen bei Kindergeburtstagen meiner deutschen Freunde, hat ihr geholfen, sich in Deutschland unter Urdeutschen wohl zu fühlen. Es vermittelte auch ihr ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Der Kindergarten bereitete mich auf das Leben vor. Noch heute erinnere ich mich, wie ich zum ersten Mal in meinem Leben diskriminiert wurde. Draußen im Park des Kindergartens haben mich zwei Mädchen davon abgehalten, in das Spielhaus hineinzugehen. In Anwesenheit von fünf kleinen Mädchen meinte eine von ihnen: „Du darfst hier nicht rein. Weil du keine Christin bin. Nur Christen dürfen hier rein.“
Diese Ungerechtigkeit verletzte und verwirrte mich. Ich wusste nicht genau, was es bedeutete „Christ“ zu sein, aber anscheinend war ich es nicht. Meine Trauer hielt aber glücklicherweise nicht lange an.
Erschrocken und verwirrt ging ich zurück zu meiner Erzieherin. Sie spürte schon, dass irgendetwas nicht stimme. Als ich ihr von der Ungerechtigkeit eines Kindes erzählte, sagte sie, was für ein Quatsch das sei und ging zu dem kleinen Mädchen hin, um ihr zu erklären, dass es nicht wichtig sei, ob ich Christ wäre. Dass wir alle zusammen spielen sollen. Dieser Augenblick vermittelte mir auch das erste Mal im Leben das Gefühl, wie schön es sein kann, wenn sich jemand für dich einsetzt. Weil Diskriminierung und Ungerechtigkeiten überall passieren können. Entscheidend ist es aber, dass es auch Menschen gibt, die ihre Stimme für dich erheben.
Im Kindergarten dürfte ich als einzige Muslimin in meiner Gruppe beim Krippenspiel den Engel Gabriel spielen und habe am vorigen Abend des Auftritts stolz meiner Mama verkündet, dass ich meinen Text auswendig kann.
Nun soll ein Betreuungsgeld eingeführt werden, welches den Eltern den finanziellen Anreiz gibt, ihre Kinder zu Hause zu erziehen, statt sie in den Kindergarten zu schicken.
Meine Eltern hätten damals die 100 bis 150 Euro gut gebrauchen können. Auch hätte meine Mutter auf mich aufpassen können, da sie Hausfrau war. Ich habe auch viele Tanten und Onkels, eine Oma, die mich hätte erziehen können. Wie es halt so bei türkischen Familien ist.
Zuhause hätte ich mit meinem kleinen Bruder spielen und fernsehen können oder meine Mutter hätte mich in den Park zum Spielen gebracht. Vielleicht hätte ich auch mit einer Anna eine Sandburg gebaut. Aber danach wäre ich wieder nach Hause gegangen. Alleine.
Ich hätte weder Ostereier bemalt, noch hätten meine Eltern uns einen Tannenbaum Zuhause aufgestellt, damit wir uns nicht benachteiligt fühlen. Ich hätte niemals das Sankt-Martins-Lied gekannt, auch hätte ich meiner Mutter nie etwas zum Muttertag gebastelt. Ich bin mir sicher, dass ich keinen einzigen deutschen Freund gehabt hätte. Zumindeste bis ich mit der Schule anfing.
Und da hätte ich mich auch nicht mit Carolin, Lydia und Sabine angefreundet, sondern wäre nur zu Fatma, Begüm und Tugce nach Hause gegangen. Eben zu denen, zu denen ich mich zugehörig fühle. Weil mir alles andere eben fremd ist.