Burkhard Müller-Ullrich / 16.12.2018 / 06:15 / Foto: nao-cha / 12 / Seite ausdrucken

Nordmanns Tanne

Weihnachten war bis in die jüngste Zeit eine stachelige Angelegenheit. Wer noch vor einigen Jahren eine Fichte vom Weihnachtsbaum-Verkaufsplatz nach Hause tragen musste, bekam davon zerstochene Hände. Fichtennadeln sind spitz und hart. Es war ein qualvolles Unterfangen, den Stamm zu fassen oder auch nur die Äste auseinander zu biegen. So gab es schon einen weihnachtlichen Vorgeschmack auf die österliche Dornenkrone. Das Wort Weihnachtskaktus passte für fast jeden Christbaum, denn der war gewöhnlich eine Fichte, auch wenn man sie mit „O Tannenbaum“ besang. Bei Tannen stehen übrigens die Zapfen aufrecht, bei Fichten hängen sie. Trotzdem werden Stech-Fichten beharrlich als Blautannen bezeichnet. Aber verwechselt werden ja auch Nikolaus und Weihnachtsmann.

Die Fichten neigen allerdings nach ein paar Tagen ohne Wasser in gut geheizten bürgerlichen Wohnungen zur Selbstentblößung. Stand der Baum bis zum Dreikönigstag, konnte man bei einer kleinen unbedachten Berührung den augenblicklichen Totalverlust der Nadelpracht erleben; manchmal genügte bereits die Erschütterung des Hauses durch einen vorbeifahrenden LKW.

All diese leidigen Effekte sind Geschichte, seitdem die Nordmanntanne zum beliebtesten und trotz des höheren Preises meistverkauften Weihnachtsbaum geworden ist. Die Nordmanntanne ist mit der Nordmendeantenne zwar klanglich verwandt, doch außer dem Kalauer gibt es da keine Verbindung. Der Nordmann ist ein Wikinger, aber die Pflanze heißt nach dem finnischen Biologen Alexander von Nordmann, der sie 1835 im Kaukasus identifiziert hat. Denn dort, im heutigen Georgien ist sie zu Hause.

Drei Viertel der Weihnachtsbäume sind Nordmanntannen 

Die Nordmanntanne hat das Weihnachtsfest auf der operativen Ebene so ähnlich umgekrempelt, wie die Stereoanlage das Musizieren zu einer fernen Erinnerung gemacht hat. Die Nordmanntanne besitzt schöne große geschmeidige Nadeln, die nicht pieken, und sie behält diese bis weit ins Neue Jahr. Drei Viertel der 30 Millionen jährlich verkauften Weihnachtsbäume in Deutschland sind mittlerweile Nordmanntannen. Allerdings duften sie weniger weihnachtlich als die herkömmlichen Bäume. Und obwohl sie massenhaft auf deutschem Boden wachsen, müssen ihre Samen importiert werden.

Tannen sind nämlich erst ab einem gewissen Alter fruchtbar, und die Nordmann-Mode hierzulande ist zu jung, um reife Exemplare zu haben; außerdem werden die Bäume nach acht bis zehn Jahren abgesägt und auf den Weihnachtsmarkt geworfen. So stehen also lauter Acht- bis Zehnjährige in deutschen Stuben herum, ohne dass diese historische Dimension groß auffällt: Vor zehn Jahren stürzte das Kölner Stadtarchiv ein und Obama wurde US-Präsident.

Die Nordmanntannensamen werden also nach wie vor in den alten Nordmanntannenwäldern Georgiens geerntet – ein ziemlich gefährliches Unterfangen, das zur dunklen Seite unseres strahlenden Christfestes gehört. Ungelernte und unversicherte Arbeitskräfte klettern dort in die bis zu 30 Meter hohen Wipfel, um die begehrten Zapfen zu pflücken. Es ist ein bisschen, als ob das Jesuskind von einer Leihmutter in der Dritten Welt ausgetragen worden wäre.

Der Vergleich mag schräg erscheinen, aber bitte sehr: Mit seinen immergrünen Zweigen ist der Tannenbaum ein Fruchtbarkeitssymbol par excellence. Und weil da uralte heidnische Vorstellungen einfließen, lehnte die katholische Kirche den Weihnachtsbaumbrauch lange Zeit ab.

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Leserpost

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Wilhelm Müller / 16.12.2018

Schön, mal wieder was von Ihnen zu lesen auf der „Achse“, lieber Herr Müller-Ullrich! Und wenn es fürs erste um unsere Exoten von Weihnachtsbäumen geht. Ich habe Sie vermisst und hoffe für 2019! Mit den besten Wünschen auch sonst! W. M.

Carl Schurz / 16.12.2018

Sollte das Weihnachtsfest, also die Geburt Christi, ein Bild für die „Geburt“ des Christentums sein? Ich denke, dass das Christentum, viele Kompromisse eingegangen ist. Einer der jüngeren ist die Schenkung von Menschen mit denen wir jeden Tag einen Teil unseres Lebens aushandeln dürfen und es ist nicht auszuschließen können , dass ein Berliner Hosenanzug mindestens selig, wenn nicht sogar heilig gesprochen wird und die Raute zum neuen Symbol der klimaneutralen Christen wird. Und zum Vorkommentator: mir ist die selbstgerechte Kritik gegen die katholische Kirche wegen dem früheren „Wichteln“ zuweilen fremd bzw. einseitig. Vor allem von Seiten der Politik und gewisser Eliten, die das Wichteln professionell betreiben. darunter auch solche, die das gerne straffrei stellen würden. Vermutlich deswegen auch aus dieser Ecke die unverhohlene Symapthie zum Islam und gewisser Regeln. Nun versucht man darüber hier Verbotenes über eine religiöse Schiene erst zu legitimieren und dann diesen speziellen Gewohnheiten einen Verfassungsrang zu geben. Der erste Schritt hierzu erfolgte bereits durch den BGH. Die katholische Kirche ist böse, wegen der abstoßenden Vergangenheit von uns zu Recht zu ahndenden Neigungen einzelner Priester. Solche Leute sollten zum Islam konvertieren. Da bleibt man straffrei. Was hat das mit dem Weihnachtsbaum zu tun? Die katholische Kirche war dagegen. Es half nichts. Der Weihnachtsbaum ist da. Dann kam der Weihnachtsmann und eine Frau hat er nun auch. Er wohnt am Nordpol und freut sich, dass es dort endlich wärmer wird. Dass darf er aber nicht sagen, sonst bekommt er keine Einreiseerlaubnis. Und nebenbei muss er aufpassen, nicht von WKA zerschreddert zu werden. Frohen 3. Advent.

Gabriele Kremmel / 16.12.2018

Bei uns kommen nur politisch korrekte Christbäume mit kleinem ökologischen Fußabdruck, aus Bio- und Anbau mit bunter Diversität ins Haus. Da gehört das Christbaumbesorgen zur Weihnachtsvorfreude dazu. Nun, im Ernst: Wir haben das Glück, eine kleine, feine und artenvielfältige Christbaumpflanzung in der Nähe zu haben, wo der Christbaum bei einem gemütlichen “Wald"spaziergang ausgesucht und mit einem Namensband bis zur späteren Abholung reserviert werden kann. Bis dahin bleibt der Baum stehen, wo er gewachsen ist. Das ist bei uns die Aufgabe der Oma und des kleinen Enkels, der die höchste Freude damit hat. Da kann man sich nicht nur zwischen den Bäumen verstecken sondern auch allerhand landwirtschaftliches Gerät sowie Kühe, Pferde und Esel bewundern. Das Beste jedoch sind die Motorsägengeräusche, die man hie und da vernehmen kann, da bekommt der Enkel genauso leuchtende Augen wie zur Bescherung. Das Highlight kommt dann kurz vor Weihnachten, wenn der Baum abgeholt und unter eigenem Zutun frisch abgesägt wird - natürlich mit der Motorsäge. Leider nicht solarbetrieben. ;-)

Mario Rocko / 16.12.2018

In der katholischen Kirche sind kleine WICHTEL ja auch begehrter als Weihnachtsbäume. Weiß ja mittlerweile auch Jeder….

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