Burkhard Müller-Ullrich / 23.03.2019 / 10:00 / Foto: James Gathany / 32 / Seite ausdrucken

Genderzip Präsens

Das Zeitalter des Partizips ist angebrochen, liebe Lesende! Das Partizip, auch Mittelwort genannt, gehört zu den subtilsten Elementen in der Sprachtrickkiste. Denn das Partizip ist eine Verbform, die etwas ausdrückt, wofür Verben eigentlich nicht zuständig sind, nämlich Eigenschaften. Dabei betonen Partizipien die Zeitlichkeit der jeweiligen Eigenschaft, ihren momentanen Charakter. Wer also Nomen scheut, weil er sich nicht festlegen will, der braucht Partizipien; sie sind die großen Sinnverdünner und -verschieber im Weinberg der Grammatik, und was am schlimmsten ist: sie klingen auch noch gut mit ihrer singenden nd-Endung. Sie klingen, liebe Lesende, sogar etwas preziös.

Was aber ist genau der Unterschied zwischen Lesern und Lesenden, zwischen Studenten und Studierenden, zwischen Fußgängern und zu Fuß Gehenden? Die einen sind Menschen, die anderen sind Beschäftigte. Die einen werden durch ihr Tun in ihrem Wesen geprägt, die anderen haben kein Wesen, sondern befinden sich in einem Zustand. Leser sind gewissermaßen immer Vollblut-Leser, während Lesende eben nur gerade jetzt ein Buch aufgeschlagen haben. So macht das Partizip, ontologisch gesprochen, aus Bürgern des Seins bloß dessen Besucher.

An diese ontologische Abwertung wird man sich gewöhnen müssen, weil das Partizip im Deutschen auf dem Vormarsch ist wie nie zuvor. Sein Siegeszug kommt von der irren Idee einer aus Verbitterung über ihre Nichtberufung an eine deutsche Universität in die USA abgewanderten Germanistin, die das Wort Mensch als große Ungerechtigkeit gegenüber Frauen empfand, weil es einen männlichen Artikel hat. Deshalb wurden 30 Jahre nach dem Aufkommen der feministischen Linguistik die Radfahrer und Fußgänger aus der Straßenverkehrsordnung getilgt und durch Rad Fahrende und zu Fuß Gehende ersetzt.

30 Jahre hat es also in Deutschland gedauert, bis der Gender-Irrsinn Mainstream wurde. Das ist eine relativ lange Zeitspanne und insofern eine geradezu erfreuliche Tatsache. Vermutlich hält der Irrsinn dann 30 Jahre an, und weitere 30 Jahre braucht es, um ihn wieder aus der Welt zu schaffen. Verlorene Zeit und deshalb Pech für ein paar Generationen, die da glauben, durch Umbenennung von Verkehrsschildern mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern herbeizuführen.

Foto: James Gathany PHIL via Wikimedia Commons

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Leserpost

netiquette:

Sanne Weisner / 23.03.2019

Ob die neuen Schildbürgenden dann schlauer als die alten Schildbürger sind? Man kann es wohl bezweifeln. Immerhin weiß man aber eines, die Bürgenden sind am Ende ärmer als die Bürger, nicht nur bezüglich ihrer eigenen Sprache,

Sabine Heinrich / 23.03.2019

@ Jürgen Probst: Ich kenne den Namen nicht, jedoch musste ich sofort an die “sprachradikale” Feministin Luise Pusch denken. Vielleicht sorgt Herr Müller-Ullrich doch noch für Aufklärung - kann ja auch unter Pseudonym sein, wenn er sich gefährdet sieht.

Gerd Koslowski / 23.03.2019

Bei dem Thema erscheint unwillkürlich das/der/die Radabhabende vor meinem geistigen Auge.

G. Schilling / 23.03.2019

Wäre es nicht sinnvoll die Artikel “der” und “die” einfach ab zu schaffen? Im Englischen gibt es auch nur “the” für alle Substantive. Also das Arzt, das Mensch, das Frau und viele wären glücklich.

Gerhard Döring / 23.03.2019

Für mich ist eine gegenderte Sprache eine veränderte Sprache. Ich kann sie nicht verstehen und da ich mit solchen, nicht männlich nicht weiblich nicht sächlich, sondern nebensächlichen Menschen ja nicht reden muss scheint es mir nicht wichtig zu sein. Es wäre jedenfalls dienlicher für alle ,wenn diese sich nur auf Ihren Lebenskreis bezögen und Latein oder irgendeine andre Sprache sprächen. Da sie aber unter uns leben und ab und zu einmal rollig sind wollen diese unbedingt auf die Gesellschaft einwirken. P.s. Muss morgen zum Urologender und lasse mir das Prostata untersuchen.

Michael Jansen / 23.03.2019

Schwachsinn (übrigens “der” Schwachsinn, das sollten wir Männer dann auch mal korrigieren lassen, es gibt schließlich ganz eindeutig auch weiblichen Schwachsinn, wie uns speziell einige Politikerinnen fast täglich vor Augen führen) wird nicht dadurch sinnvoller, dass man versucht, ihn durch staatliche und verwaltungstechnische Maßnahmen durchzusetzen. Wie man schon am Schicksal der zahlreichen Euphemismen erkennen konnte, bestimmt eben nicht die Sprache das Denken, speziell wenn sie nach ihrer Zwangsveränderung gegen eindeutig erkennbare Prinzipien verstößt. Wer früher nicht neben einer Müllkippe wohnen wollte, der möchte heutzutage auch nicht in der Nachbarschaft eines Entsorgungsparks oder eines Recyclinghofes leben. Die Propagierenden einer solchen Sprachverschandelung durch ständige Verwendung der Partizipkonstruktion erweisen einer so selbstverständlichen Sache wie Emanzipation, Gleichheit und Gerechtigkeit ganz sicher einen Bären*Innendienst, wenn sie durch ihre (m,w,d) seltsamen Wortverdrehungen diese Anliegen in den Bereich des Lächerlichen und Schwachsinnigen ziehen und als administrative Zwangsmaßnahme erscheinen lassen.

Wolfgang Kaufmann / 23.03.2019

In der Tat geht es nicht um Lösungen; es geht um die verbale Lufthoheit. Interessanterweise hatten die Wissenschaftler (!) der DDR die gegenteilige Lösung; dort war es wichtiger, die Produktivkraft der Schüler (!) zu steigern. – Und wenn der Feminismus morgen entdeckt, dass der Buchstabe S böse ist, weil ihn die Nazis ganz besonders gern verwendeten, oder die Ziffern 1 und 8, dann müssen alle Romane und alle Mathematikbücher umgeschrieben werden; wir haben ja sonst keine Sorgen. – BTW: Hat der Bundestag schon einen Arbeitskreis „totes Pferd“, sorry: „tote Stute und toter Hengst nebst diversen Fohlen und Hermaphroditen“?

Bernd Leber / 23.03.2019

Vielen Dank für den Hinweis auf den Ursprung dieser irritierenden Sprach-Genderei. Wäre die frustriert ins amerikanische Exil abgewanderte Germanistin aus Deutschlands Südwesten gekommen, so wäre ihr die Dialektwendung “das Mensch” (im Dialekt: “des Mensch”) geläufig. Damit wird eine Frau mit negativen Eigenschaften beschrieben, die von (hinter)-listig, herrschsüchtig bis rechthaberisch reichen können. So gesehen, könnte man diese Frau X durchaus als “ein (bzw. e) Mensch” bezeichnen. Wie ging die Sprachkundlerin bloß mit den englischen Entsprechungen dieser Problematik um, die ja noch einen Zahn schärfer als die beanstandeten deutschen Konstrukte sind: “man” steht bekanntlich nicht nur für Mann, sondern auch für Mensch, und die Menschheit wird zu “mankind”, und noch hat man nicht gelesen, dass daraus “man*womenkind” geworden wäre. Offenbar ist Sprachprophetin den sonst doch allerlei Gender- und political correctness-Schabernack durchaus zugetanen USA nicht erfolgreich geworden. God bless America!

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