Manfred Haferburg / 28.09.2018 / 14:00 / 20 / Seite ausdrucken

„Niemand hat vor, die Vertrauensfrage zu stellen“

Regierungssprecher Steffen Seibert hat mitgeteilt, dass Kanzlerin Merkel nicht vorhat, die Vertrauensfrage zu stellen. Er sah dabei etwas heruntergeludert aus. Auch Armin Laschet (CDU) erteilte den Forderungen nach der Vertrauensfrage eine Absage. „Sie hat das Vertrauen der Fraktion“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident im ZDF; Basta! Genau, wie die Abwahl von Merkels Herzenswunsch-Kandidaten für den Fraktionsvorsitz gerade gezeigt hat. 

Und zwischen sie und den neuen Fraktionsvorsitzenden „passt kein Blatt Papier“. Glaubt irgendwer, dass der Herr Brinkhaus so blöd ist, dass er den Kontext dieses verbrannten Spruches nicht kennt (Min. 1:25)?

Warum sollte die Kanzlerin die Fraktion über das Vertrauen befragen, wenn sie doch die Antwort kennt. Erst muss sie das Vertrauen zurückgewinnen – das der Fraktion und gleich noch das der Wähler. Vertrauen zurückgewinnen ist in politischen Kreisen gerade mächtig in. 

Die Kanzlerin hat sich dafür entschuldigt, dass sie einen falschen Fehler gemacht hat und will dadurch verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Die SPD-Vorsitzende Nahles entschuldigt sich, weil sie denselben falschen Fehler gemacht hat – nur andersrum – und will auch verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Selbst Herr Röttgen will den Resetknopf der GroKo drücken und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Herr Kardinal Marx schämt sich für seine Kirche und will verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. 

Da müssen wir uns doch mal eben fragen, was Vertrauen eigentlich ist? Vereinfacht gesagt: Vertrauen ist die subjektive Zuversicht, dass mich jemand nicht belügt, betrügt und dass er mich im Falle eines Konfliktes nicht im Regen stehen lässt, sondern neben seinen auch meine Interessen vertritt. Vertrauen ist wie ein Bankkonto, man muss erst mal einzahlen, bevor man abheben kann. Und die Politik steht derzeit tief im Minus.

Generalisierung des Misstrauens

Civey hat – nach Merkels Entschuldigung – über 300.000 Bürger online gefragt, wie es um das Vertrauen zur Regierung bestellt ist. Interessant ist: Bei Civey kann man auch die Rohdaten einsehen. Die Frage war: „Wie groß ist Ihr Vertrauen in die Politik in Deutschland?“

Rohdaten: Sehr groß – 1,5 Prozent; eher groß – 5,6 Prozent; unentschieden – 4,0 Prozent; weniger groß – 21,0 Prozent; gar kein Vertrauen – 67,9 Prozent

Bei der Gelegenheit sollten sich manche Statistiker auch mal fragen, ob gigantische Abweichungen zwischen den Rohdaten (wie abgestimmt wurde) und den Ergebnisdaten (was als repräsentativ hingerechnet wird), nicht das Vertrauen in sie erschüttern. Es riecht nämlich förmlich nach Schönrechnen, wenn das repräsentative Ergebnis zu „gar kein Vertrauen“: 38,3 Prozent im Vergleich zu den Rohdaten: 67,9 Prozent beträgt.

Wir verteilen unser Vertrauen erfahrungs- und situationsabhängig. Wenn mir jemand unbekanntes in einer bevölkerten Fußgängerzone entgegenkommt, dann vertraue ich – in der Regel – darauf, dass derjenige nicht über mich herfällt. Ich gebe ihm einen Vertrauensvorschuss, denn ich kenne ihn ja nicht. Kommt mir eine Horde Finsterlinge entgegen, fällt der Vertrauensvorschuss schon viel kleiner aus. Ganz verschwunden ist er in einer dunklen Bahnunterführung bei Nacht. Hier vertraue ich nicht darauf, dass die dunkle Gestalt, die mir entgegenkommt, mir nicht mit einer Fahrradkette einen Scheitel ziehen will.

Es gibt darüber hinaus so etwas wie eine Generalisierung des Misstrauens. Beschädigt oder belügt man ein Mitglied einer Gruppe, sehen alle: Das haben sie mit dem gemacht, dann werden sie es auch mit mir so machen. Also zählen die Bürger alle Sünden der Vergangenheit mit in ihre politische Vertrauensbilanz. Und ja, es wurden in der Vergangenheit jede Menge Wahlversprechen gebrochen. Und ja, es wurden in der Vergangenheit jede Menge Leute durch die Politik ungerecht behandelt. Und ja, es wurde getrickst und getäuscht, dass sich die Balken bogen. Also muss sich niemand über mangelndes Vertrauen wundern. 

Vertrauen ging nicht verloren, es wurde beschädigt

Und nein, es gibt keinen Reset-Knopf für verlorenes Vertrauen. Es ging nämlich nicht verloren, wie manchmal ein Portemonnaie verloren geht, sondern es wurde aktiv beschädigt – ob leichtfertig, oder weil man glaubte, schon damit davonzukommen

Vertrauen ist etwas, das man sich verdienen muss. Man verdient Vertrauen am besten durch Redlichkeit. Probleme werden benannt und möglichst gelöst. Man gibt eigene Fehler zu, auch die Schwerwiegenden. Man tut, was man predigt. Man hält Versprechen ein. Man respektiert Andere und ihre Meinung. Man versucht nicht, jemanden zu manipulieren. Man unternimmt keine Tricks zum eigenen Vorteil auf Kosten anderer. Man packt heiße Eisen offensiv an, statt sie unter den Teppich zu kehren. Man muss nicht unbedingt immer nett sein, wichtiger ist, man muss berechenbar sein. Daher wünscht sich eine deutliche Mehrheit, dass Merkel die Vertrauensfrage stellt. Das tut Frau Merkel aber nicht.

Die „Eliten“ haben in den letzten Jahren Unsummen vom Vertrauenskonto abgehoben und bitten jetzt darum, dass man ihnen neues Vertrauen schenkt? Was für eine schräge Idee. Das tut der Wähler aber nicht. Ich fürchte, die Große Koalition wird kein Vertrauen zurückgewinnen. Statt eines Reset-Knopfes wird es wohl bald eine komplette Neuinstallation geben müssen.

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Leserpost

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Hans-Peter Hammer / 29.09.2018

Der Bürger kann Politik und Kirchen doch vertrauen, nämlich darauf das er belogen und betrogen wird! Auch eine Form von Verläßlichkeit!

Gabriele Klein / 28.09.2018

PS: Es sei noch an das Treffen von Frau van der Leyen mit H. Matthis (am.Verteidigungsminister) erwähnt. Hier sah ich im O Ton sämtliche Etiketten durch Frau v.d. Leyen verletzt als diese den Verteidigungsminister Matthis einfach vor den Journalisten mit Jim anredete. Dies in einem eiskalten formalen Austausch indem Matthis sie mit dem für amerikanische Verhältnisse eher ungewöhnlichen:  MADAM Minister anredet und seine an unsere Ministerin gerichteten Bemerkungen soweit ich mich entsinne komplett vom Papier abliest….  Diesen Teil seitens H. Matthis fand ich in meiner übersetzten Version nicht sondern nur die Darbietung von Madam Minister Auch hier schämte ich mich in Grund und Boden

Gabriele Klein / 28.09.2018

S. guter Artikel, danke. Das Problem stellt sich allerdings nicht nur nach innen sondern auch nach außen. Eine Regierung, die mit Hilfe eigener Pressefotografen ein Treffen dazu mißbraucht ganz bestimmte Bilder zu erzeugen um sie hernach zum Entsetzen der Welt ins Netz zu stellen, wie z.B.nach dem G7 Gipfel in Kanada , gibt sich damit als eine Regierung zu Erkennen bei der die Verhandlung zum bloßen Vorwand politischer Treffen verkommt die nur noch der Manipulation dienen .  Eine Regierung die durch solche unsere   wichtigsten Geschäftspartner bloßstellt z.B. durch durch Ausnutzen Hemmschwelle des Andern aus Höflichkeit nicht NEIN sagen zu wollen,  ist schlichtweg nicht tragbar.  In folgenden Fällen wurden die Treffen zu denen die Andern im Guten Glauben an Verhandlungen kamen, schonungslos und jenseits der Goldenen Regel zum Zweck der Manipulation mißbraucht:  1.) Besuch bei Herrn Trump: Hier solidarisierte sich   Frau Merkel mit der frechen Bitte eines Journalisten,  dass H.Trump Dr.Merkel die Hand reiche. Dr. Merkel folgt der frechen Aufforderung prompt vor laufender Kamera obwohl die Bitte interessanterweise gar nicht ihr galt.  H Trump hatte hier 2 n Möglichkeiten a) er “gehorcht” ,einem frechen Journalisten der seine Grenzen nicht oder er verletzt Frau Dr. Merkel öffentlich. Egal was er macht er wird beschämt.  Hier stellte sich mir die Frage warum überhörte Frau Dr. Merkel den Journalisten nicht und wartete auf die Initiative von H. Trump? War dieser Journalist vielleicht aus Ihrer Entourage?  Auch G7 endigte in Beschämung durch ein Bild das von Regierungsseite erzeugt und lt Presse auch ins Netz gestellt wurde. Der Salzburg Gipfel endigte mit der tiefen Kränkung der britishen Premierministerin.  Der Besuch Gabriels in Israel endigte mit der Kränkung Netanyahus. All dies vor dem Hintergrund der Geschichte und einer entsetzten internationalen Presse. Diese Regierung ist nicht tragbar. Ich schäme mich in Grund und Boden für sie.

Leo Hohensee / 28.09.2018

Sehr geehrter Herr Haferburg, ich bin Wessi und meine Geringschätzung von Ossis war nur von kurzer Dauer und begründete sich auf ganz wenige Ossis, die ich damals kannte. Heute leiste ich Abbitte. Die einzigen - so scheint es mir - die im Stande sind, politische Warnsignale überhaupt zu empfangen, sind die Menschen aus der ehemaligen DDR. Das gilt aber - vielleicht nur - (bitte widersprechen) - für die ältere Generation. Die Dekadenz der Jugend erscheint mir ohne Grenze. Das wirkt eine neue Form von Ablenkung / Verführung / Besoffenheit und intravenös verabreichtem Vorurteil.

Helge Grimme / 28.09.2018

Höchste Aufgabe des mündigen Bürgers ist jetzt, bei Merkel und Co. das Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Das verspielte Vertrauen hat schon zum Netzdurchführungsgesetz geführt. Nur wenn Merkel und Co. wieder Vertrauen in die Bürger fassen, lässt sich Schlimmeres verhindern. ARD, ZDF, Spiegel und jedes weitere anständige Massenmedium ist der gleichen Ansicht. Wir dürfen das Vertrauen von Frau Dr. Merkel nicht enttäuschen. Tun wir als Bürger unsere Pflicht! MfS Helge Grimme

Oliver Breitfeld / 28.09.2018

Wie lange soll uns das unerträgliche Koalitionstheater noch vorgespielt werden und wer zieht die irrlichternde Hauptdarstellerin endlich von der Bühne in die Kulissen? Dann sollte der Vorhang fallen. Für einen Schlussapplaus reicht es nicht mehr, denn das Publikum ist schon gegangen. Auf ein neues Stück mit anderen Darstellern darf man gespannt sein - allerdings stammen sie alle aus derselben Schauspielschule.

Karla Kuhn / 28.09.2018

Herr Helmut Steinig, ich krieg mich nicht mehr ein vor lachen. Die allermeisten Leserbriefe-generell- sind Balsam für die Seele.

Immo Sennewald / 28.09.2018

Das liest sich wie eine Zusammenfassung bekannter Sachverhalte, die leider nur von den Regierenden und ihrer mit Zwangsbeiträgen finanzierten Gefolgschaft bei den Medien nicht wahrgenommen werden. Ich kann nur vermuten, dass dieses Defizit an Wahrnehmungsfähigkeit durch die üppigen Salärs (oder die Hoffnung solche irgendwann erwerben zu können) überlagert wird. Von Ritualen getütztes Ausblenden der Realität ist ein bekanntes Phänomen. Es mündet nicht selten - auch das ist bekannt - in Katastrophen. Und dann muss wirklich erneuert werden, freilich ohne Garantie, dass ein neuer Zyklus verblendender Machtgier jedem Vertrauen zuwider läuft. “Optimismus ist der Wahnsinn zu glauben, dass alles gut wird, auch wenn es einem schlecht geht” (Voltaire)

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