Das gerade akute rechte Denken und Gegröhle findet nicht nur deswegen Zulauf, weil Rechte eben nur Rechtes denken und gröhlen können. Wozu ja nicht viel gehört, weil die Wut des Bürgers, der am liebsten hinterm Ofen sitzt, sich an allem ablädt, was ihn in seinem Trott und dumpfen Brüten in die Quere kommt.
Die Bürgerwut hat allerdings auch Ankerpunkte in der rauen Wirklichkeit. Den Rechten fällt es besonders leicht, sich heute als Sprachrohr eines vermeintlichen “volonté générale” aufzuspielen, weil die Linke ihre Wirklichkeitswahrnehmung inzwischen fast ganz abgeschaltet hat und unbequeme, irritierende Themen oder Ereignisse kaum mehr an sich herankommen lässt. Die Freude über die “Refugees” ließ viele vergessen, dass wir nicht nur Renteneinzahler und “dringend benötigte Fachkräfte” von fernher bekommen (wenn solche denn kommen), sondern eben auch Menschen – junge Männer zumal –, die mit dem soziokulturellen Kompass ihrer Heimat im Kopf und mit teilweise grundverschiedenen Rollenmodellen mitten in unserem Alltag Platz nehmen. Populistisch ausgedrückt: Mittelalter trifft auf Moderne.
Als Kulturschock empfunden wird das Aufeinanderprallen inkompatibler Menschenbilder vornehmlich bei engagierten Ansässigen; die müssen sich neuerdings unter Schmerzen von ihren idealistischen Vorstellungen vom “edlen Flüchtling” oder, alternativ, vom armen, hilflosen “Kriegsopfer” verabschieden.
So kürzlich anlässlich einer interkulturellen Willkommens-Party in Bonn, die dem Kennenlernen zwischen “Refugees” und Einheimischen, besonders aber ihren freiwilligen Helfern dienen sollte.
Laut Facebookseite des Mit-Veranstalters “Refugees Welcome Bonn e.V.” stellten einige weibliche Partygäste am Abend verstört fest, dass mit den Flüchtlingen offenbar auch ein zutiefst rückständiges Frauenbild ins Land und zum Feiern gekommen ist. Und ein übergriffiger Triebstau, der sich aggressiv über jedes weibliche “Nein!” hinwegsetzt. “Refugees Welcome Bonn e.V.” sah sich zu einer Stellungnahme genötigt:
“Auf der Party wurden, unserer Beobachtung nach, diverse Frauen von Männern belästigt, ungewollt angefasst oder unangebracht angegangen. Dafür möchten wir uns als Mit-Veranstalter in aller Form entschuldigen.”
Erschrocken registrierten danach einige Gäste der Bonner “Get Together”, wie in ihnen selber plötzlich Gedanken, Hass und Wut aufkeimten, die für sie bislang immer nur in rechten Jauchegruben geblubbert hatten. Auf Facebook fallen seitdem die letzten Hüllen:
“Da ging es nicht um interkulturelle Kommunikation. Ein absolutes no go und der Abend hatte sich damit für uns erledigt. Ich hatte mir das anders Vorgestellt. Grade weil ich durch meinen Arbeitgeber mit der Flüchtlingsarbeit zu tun habe und diese Veranstaltung als eine gute Idee angesehen hatte.”
So schnell kann’s gehen – eben noch ein Helferlein, und plötzlich selbst ein rechtes Schwein.
“Das Problem ist einfach, dass ich sehr aktiv gegen rechte Hetze vorgehe. Und auch grad die Gerüchte um männliche Flüchtlinge immer als übertrieben und Propaganda abgetan habe. Gestern aber eines besseren belehrt wurde. Und das ist es, was mich am meisten schockiert und mich sprachlos macht.”
“Das Land wird und muss sich verändern”, schallt es seit Monaten von überall her, besonders laut aus dem politischen Berlin. Verblüfft merken jene, die dafür immer den lautesten Applaus spendeten, dass gerade sie es dabei als erste treffen kann. Ihnen dämmert es, was es heißt, Menschen zu rufen und “orientalische” Männer zu bekommen – aus einem Kulturraum, in dem eine junge Frau ohne Kopftuch gerne auch mal als “Schlampe” und als “Freiwild” gilt.
Vielleicht ahnen jetzt einige, was der britische Ökonom und Migrationsforscher Paul Collier gemeint haben könnte, als er der Debatte um die wirtschaftlichen Chancen oder Risiken der neuen Massenzuwanderung in seinem Buch “Exodus – Warum wir Einwanderung neu regeln müssen” (Siedler-Verlag, 2014) die Auffassung entgegensetzte, “dass Migration in erster Linie kein ökonomisches Problem darstellt – es ist ein soziales Phänomen”, das “geradezu die Büchse der Pandora öffnet” (S. 11). Colliers Warnung: Wird das Vertrauen zwischen Einheimischen und Einwanderern missbraucht, indem “Situationen und Felder der gegenseitigen Rücksichtnahme” beschädigt werden, dann sind die sozialen und kulturellen Kosten der Migration am Ende höher als “der ökonomische Nutzen der größeren Vielfalt”.
Die Bonner Party hat es im Kleinen erfahren, sie mündete in Ernüchterung und unverholenem Entsetzen. Die Massen-Party, in die uns Berlin geschickt hat, könnte eines nicht fernen Tages ähnlich enden.