Es ist eine Studie, die bei uns die Diskussion über das von der EU geplante Verbot oder doch starke Regulierung des Plastiktütenwesens anheizen wird: „Plastic waste inputs from land into the ocean“ (Der Eintrag an Plastikmüll vom Land in die Ozeane). Gerade erschienen in der Zeitschrift Science. Die Studie ist zu begrüßen, weil sie das seit Jahrzehnten erkannte Problem der Massen von Plastikpartikeln im Meer einmal näher untersucht – ein Problem, das Fischen, Vögeln und Meeressäugern immer häufiger zum Verhängnis wird. Durchschnittlich acht Millionen Tonnen jährlich landen in den Meeren, in Spitzenjahren bis zu 12,7 Millionen.
Wer nun aber meint, Deutschland stehe in der Problemlösung wie immer so auch hier wieder in der Pflicht, sich als Vorreiter oder großes Vorbild zu engagieren, der wird durch die Zahlen eines besseren belehrt. Die Studie benennt die verantwortlichen Länder und quantifiziert ihren Eintrag. Die zwanzig „Spitzenstaaten“ allein leisten davon 83 Prozent. Nummer 20: Die USA. Von den 19 Ländern davor sind 16 Schwellenländer und drei Entwicklungsländer. Spitzenreiter ist China, gefolgt von Indonesien, den Philippinen, Vietnam und Sri Lanka. Nur wenn man alle Länder der EU zusammen nimmt, kommt die Gemeinschaft insgesamt auf Platz 18. Berücksichtigt man dabei aber, dass in Deutschland der Plastiktütenverbrauch pro Kopf nur ein Drittel des EU-Durchschnitts beträgt und das Land in der Recyclingwirtschaft seit jeher der vielbeschworene „Vorreiter“ ist, wird schnell klar, was die Weltmeere davon hätten, wenn in Deutschland die Plastiktüte aus dem Verkehr gezogen wird.
Es ist nichts gegen ein umweltgerechteres Verhalten auch bei uns zu sagen, aber die Eigenappelle kommen mir dann doch eher moralisch begründet daher. Auch was die Reduzierung von Plastiktüten auf EU-Ebene angeht, ist eigentlich nicht einzusehen, warum hier alle Länder gleich behandelt werden, ein Land mit fast perfekter Kreislaufwirtschaft genauso wie der Partner, in dem Recycling auch im übertragenen Sinne ein Fremdwort ist.
Vollends grotesk mutet das Résumé einzelner Autoren der Studie an. Auch sie erkennen – besser als jeder andere doch wohl – die wahren Verursacher des Problems. Doch sie plädieren dafür, dass nun erst einmal die Industrieländerbei der Abfallwirtschaft in der Pflicht seien, weil die Entwicklungs- und Schwellenländer schließlich andere Probleme hätten, nämlich saubere Trinkwasser und Abwasserklärung. Dass sich bis zu den Autoren noch nicht herumgesprochen hat, dass genau dafür eine ökologisch effiziente Abfallwirtschaft gehört, ist befremdlich. Ganz abgesehen davon: Wo soll die Lösung des Problems Plastik im Meer liegen? Geht es darum oder, mal wieder, um die doch reichlich symbolisch aufgeladene Vorbildfunktion?
Wer einmal die Kanal-Gewässer rund um Jakarta in Indonesien oder um ähnliche Drittweltmetropolen gesehen hat – oder eben nicht gesehen, weil sie mit Plastikmüll bedeckt sind – und dann liest, jetzt müsse sich aber endlich mal etwas in den Industrieländern tun, der versteht die Debatte jedenfalls nicht mehr.
Auch hier, obwohl die Zahlen klar auf dem Tisch liegen, sucht man offenbar die Kurve weg von der sachlichen, hin zur moralischen Argumentation. Es ist dasselbe Lied wie in der Klimadebatte, bei der angeblich alles am deutschen Wesen genesen soll.
Um gleich mal die zu erwartenden Kommentare auszubremsen: Nein, ich bin nicht von der Plastikindustrie bezahlt. Ich freue mich nur ab und zu, wenn ich kein Behältnis dabei habe, im Supermarkt eine Plastiktüte für 10 Cent erwerben zu können und sie zu Hause in das Netz für Plastiktüten zum nochmaligen Verbrauch zu stecken oder – irgendwann – in den Eimer für Plastikmüll. Niemand ist verpflichtet, eine Plastiktüte zu benutzen. Ein Grund für ein Verbot ist das aber nicht.