Alexander Wendt / 23.01.2015 / 21:30 / 13 / Seite ausdrucken

Mit zwei Ärschen auf einer Hochzeit

Unter den Meldungen von Legida- und Anti-Legidademonstrationen in Leipzig,  Übergriffen auf Journalisten (Legida), Anschlägen auf Bahnanlagen (durch mutmaßlich Unterstützer von Anit-Legida) und der Vermessung von Lutz Bachmanns Führerbärtchen ging eine Tatsache unter, die - wenn sie zur Nachricht geworden wäre – blitzartig ein ganzes Panorama erhellt hätte: Der Hauptredner der weit rechts stehenden Leipziger Abendländer von Legida hieß Jürgen Elsässer. Als der Publizist unter anderem den TV-Moderator Michel Friedmann erwähnte, grüßten Legida-Demonstranten erwartungsgemäß mit „Juden raus“-Rufen zurück.

Dem 1951 geborenen Pforzheimer Jürgen Elsässer unterstellen Journalisten gern, er sei ein Meister der ideologischen Zickzackbewegung, ein Wanderer zwischen den ideologischen Polen, ein rechtslinksrechter Wechselbalg. Das Problem ist: möglicherweise denkt Elsässers konstanter, als viele meinen. Und nur die jeweilige Kulisse um ihn herum ändert sich laufend.

In den Neunzigern schrieb Elsässer für das PDS-Parteiblatt „Neues Deutschland“ und anschließend, als die ND-Redakteure eine gewisse Berührungsscheu entwickelten, in der „Jungen Welt“. In diesem von ehemaligen Stasizuträgern und Linksextremisten beherrschten Blatt analysierte er die Lage Deutschlands beispielsweise so: Mit Staatsknete wird Multikulti, Gendermainstreaming und die schwule Subkultur gefördert, während die Proleten auf Hartz IV gesetzt werden.

Nach kurzen Gastspielen bei „jungle world“ und „konkret“ gründete er 2009 die „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“, mit der er den Widerstand gegen die EU, die USA und die politische Unterwerfung Deutschlands unter fremde Interessen organisieren will. Sein Bündnis steht für den Nationalstaat und gegen das amerikanische Finanzkapital, dessen Protagonisten mit Namen wie Blankfein und Schwarzman er stets mitmeint, ohne sie zu deutlich unter einem Oberbegriff zusammenzufassen. In dem Gründungsmanifest heißt es:

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist auch ein Wirtschaftskrieg: der Angriff des internationalen Finanzkapitals auf den Rest der Welt…Um diesen Angriff abzuwehren, muß der Nationalstaat aktiv werden. Die Teilnahme an Gremien, in denen das internationale Finanzkapital über seine Vertreter jede Entscheidung blockieren kann (EU, G8, IWF usw.), ist verschenkte Zeit. Wichtig ist eine Koordination der angegriffenen Nationalstaaten, wie sie in Lateinamerika unter Führung Venezuelas begonnen wurde.

Neben dem jeweiligen Führer Venezuelas verehrt Elsässer nur zwei Politiker uneingeschränkt: Wladimir Putin und Mahmud Ahmadineschad. Zur staatlich manipulierten Wiederwahl Ahmadineschads 2009 verfasste er eine Grußadresse, in der er das Zusammenknüppeln der Protestdemonstrationen im Iran folgendermaßen lobte:

Hier wollen Discomiezen, Teheraner Drogenjunkies und die Strichjungen des Finanzkapitals eine Party feiern. Gut, dass Ahmidenedschads Leute ein bisschen aufpassen und den einen oder anderen in einen Darkroom befördert haben. http://www.dielinke-bremen.de/nc/politik/aktuell/detail/zurueck/bremennews/artikel/juergen-elsaesser-zu-gast-in-bremen-nord-1/

Mittlerweile verantwortet der Publizist das Hochglanzmagazin „Compact“, in dem alles zusammenfließt, was sich an Parolen und Narrativen auch auf den Montagsmahnwachen und Friedenswinterdemos eines Ken Jebsen findet und so oder so ähnlich auch in Jakob Augsteins „Freitag“, für den Elsässer auch schon geschrieben hatte: Unbedingter Hass gegen den Westen, unverbrüchliche Treue zu Putin und selbstverständlich reichlich Judenkritik („Genozid in Gaza“). https://shop.compact-online.de/shop/compact-heft-september-2014/

Lars Mährholz, einer der Erfinder der neuen Montagsdemos, gehört ebenfalls zu denen, die das Strippenziehen und Kriegstreiben einer ganz bestimmten Minderheit so schildern, dass jeder Antisemitismusvorwurf vor deutschen Gerichten scheitern würde:

Woran liegen alle Kriege in der Geschichte in den letzten 100 Jahren? Und was ist die Ursache von allem? Und wenn man das halt alles ein bisschen auseinander klabüsert und guckt genau hin, dann erkennt man im Endeffekt, dass die amerikanische Federal Reserve, die amerikanische Notenbank, das ist eine Privatbank, dass sie seit über hundert Jahren die Fäden auf diesem Planeten zieht.

Als regelmäßiger Gast bei Elsässers „Compact“-Veranstaltungen analysiert Montagsdemonstrant und Friedenswinter-Organisator Ken Jebsen die Zeitläufte, während Jebsen wiederum Elsässer als gefühlten Dauergast in seinem Ken-FM-Studio befragt. Gut 90 Prozent der neuen Montagsdemo- und Friedenswinter-Parolen decken sich mit den Pegida- und Legida-Forderungen, beide Bewegungen teilen sich mit dem verkrachten ehemaligen FAZ-Journalisten Udo Ulfkotte sogar ein und denselben Redner und mit Elsässer einen teilzeitintellektuellen Stichwortgeber. Kurzum: beide Märsche gleichen einander wie ein faules Ei dem anderen.

Bis auf einen Unterschied: Hinter dem Elsässer-Jebsen-Friedenswinter steht das halbe Establishment der Linkspartei. Den Friedenswinter-Aufruf unterzeichneten unter anderem die MdBs Sahra Wagenknecht, Wolfgang Gehrke, Andrej Hunko und Kathrin Vogler. Bei einer Friedenswinterdemo marschierte der bekannte Linkspartei-Borderlinepolitiker Diether Dehm neben Ken Jensen und mit Mährholz an der Spitze des Zuges. http://www.ruhrbarone.de/der-friedenswinter-in-bochum-und-ken-jebsen/96835

Die Linkspartei schafft es damit als einzige Partei, von der illiberalen, national-verschwörerischen Grundströmung in Deutschland gleich doppelt Stimmen abzukassieren, oder, um Karl Kraus zu zitieren, mit zwei Ärschen auf einer Hochzeit zu tanzen. Gegen Pegida empfiehlt sich die Linke als unverzichtbare zivilgesellschaftliche Gegenkraft Seite an Seite mit Heiko Maas und herausragenden Zivilgesellschaftlern wie Milli Görüs und der Antifa. Dort bildet sie sozusagen den menschgewordenen antifaschistischen Schutzwall.

Bei der Pegida-Zwillingsschwester im Format eines Ken Jebsen und Jürgen Elsässer zieht sie dagegen nicht nur im Geist, sondern ganz realexistierend in den Reihen mit. Sie nimmt dort die gleiche Rolle ein wie die AfD in Dresden. So dreist wurde politische Profitmaximierung in Deutschland noch nie betrieben.

Merkwürdigerweise interessieren sich die meisten Medien, die mit Anti-Pegida-Artikeln ihre Fronseiten füllen, kaum bis gar nicht für die von der Linkspartei geförderte Zwillingsbewegung. Es fehlt auch jede Schanderklärung von Justizminister Heiko Maas, die offenbar erst dann Gültigkeit erlangt, wenn ein Jürgen Elsässer auf einer Legida-Demonstration sagt, was er ohne Änderung eines Kommas auch vor einer Jebsen-Dehm-Demo ins Mikrofon reden könnte.

Aus Sicht von Heiko Maas muss man eben differenzieren. Die einen Hinterleute sind bekanntlich Nazis in Nadelstreifen. Die anderen der präsumtive Koalitionspartner der SPD im Jahr 2017.

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Helmut Butzbach / 26.01.2015

Links - rechts - links - rechts… Ich drücke es mal derb aus; bei den Bauern auf dem Lande hieß das früher: Geschwister Ferkel von einer Sau.

Martina Maier / 24.01.2015

Na ja, die linke Jugend hat auch eine Demo im Sommer mitorganisiert, wo dann “Juden is Gas” gebrüllt wurde. Die haben da wahrscheinlich keinerlei Probleme, sich auch mit rechtsextremen Türken in ein Boot zu setzen und den Judenstaat zu provozieren, siehe Höger und Co., die ja immer noch in der Partei hocken. So ist es nun mal. Die Politiker bemängeln das Gesinnungsgut von Pegida, aber lassen es zu, dass aus ihren eigenen Reihen selbst solche Sachen unterstützt werden. Unfähigkeit oder was steckt dahinter? Ich habe bei Pegida auch schon gehört, dass hier Antisemtismus vorhanden ist. Das lässt sich bei 20.000 Menschen nicht vermeiden. Allerdings habe ich dort auch schon Israelfahnen gesehen. Jedoch ist es ein Unterschied, ob ich politische agieren kann, z.B. über Gesetze mit entscheide, das Ausland repräsentieren oder ob ich aus dem Bürgertum bin und meine Meinung sage.

Alexander Wendt / 24.01.2015

Als Nachtrag zu Elsässers Auftritt in Leipzig ab Minute 5: https://www.youtube.com/watch?v=HLcsv24lny4

Hans Schlekermann / 24.01.2015

In den Jahren vor, während und vor allem nach dem 1. Weltkrieg unternahmen deutsche Intellektuelle (Naumann, Spengler, Rathenau, van den Bruck, u.a.) den Versuch, die beiden großen Ideen ihrer Zeit miteinander zu versöhnen: Die Vision eines nationalen Sozialismus war geboren. Die Verbindung von rechts und links ist kein neues Phänomen, sie scheint aber nur in krisenhaften Zeiten stabil werden zu können. Der zentrale politische Gegensatz des 20. (und so wie es aussieht auch des 21. Jahrhunderts) lautete nicht “rechts” vs. “links”, sondern kollektivistisch gegen nicht-kollektivistisch.

Waltraud Lehmann / 24.01.2015

Ich habe auch keine “Juden raus”-Rufe gehört. Ich bitte darum, die Stelle im Video mit Minute + Sekunde zu benennen. Vielen Dank!

Peter Germann / 24.01.2015

Die ‘Juden raus’ Rufe schrumpfen bei diesbezüglicher Nachforschung zu einem einzelnen Ruf, der einem ungenannten Blogger des JFDA (Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus) zugeflüstert wurde. Auf diversen Videoaufzeichnungen ist nichts dergleichen zu vernehmen. Der ganze Bericht erscheint mir eher unglaubwürdig, gerade auch vor dem Hintergrund des Blogs.

Katharina Kaulbach / 24.01.2015

“Als der Publizist unter anderem den TV-Moderator Michel Friedmann erwähnte, grüßten Legida-Demonstranten erwartungsgemäß mit „Juden raus“-Rufen zurück.” Dann müßten es mindestens zwei von 15.000 Teilnehmern gerufen haben ... (Auch so geht Journalismus.) Ich habe dies nicht vernommen. Pfiffe allerdings. Auch von mir deshalb die Bitte um Belege.

Angelika Eberl / 24.01.2015

“Als der Publizist unter anderem den TV-Moderator Michel Friedmann erwähnte, grüßten Legida-Demonstranten erwartungsgemäß mit „Juden raus“-Rufen zurück.” Also - ich habe diese Rufe in der Aufnahme auch nicht gehört - habe mir die Aufnahme mehrmals angehört. Man hört zwar “Buh”-Rufe - aber nicht “Juden raus”. Aber vielleicht hat der Autor des obigen Artikels ja einen Beleg? War er selbst vor Ort und hat die Rufe selbst gehört?

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