Ralf Schuler / 06.02.2023 / 06:00 / Foto: Pixabay / 62 / Seite ausdrucken

Mit fröhlichem Ernst aus der Reihe tanzen!

Was ist zu tun? Was hat der Bürger dem woken Marsch durch die Institutionen entgegenzusetzen? Ralf Schuler versucht in seinem neuen Buch, Antworten auf diese Fragen zu finden. Ein Auszug.

Wie kommen wir wieder heraus aus dem dröhnenden Gleichschritt in diesem Land? Welche paradoxen Interventionen könnten dem Bürger dabei helfen, eingeschliffene Reflexe der Anpassung zu unterlaufen? Den Gleichschritt haben wir uns über lange Jahre angewöhnt; deswegen wird es Zeit brauchen, neue Gangarten einzuüben, um aus diesem Trott zu geraten.

Wir werden dabei auf Ressourcen jenseits bisheriger fein abgestimmter medialer, politischer und sozialer Choreografien zurückgreifen müssen: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Dieser Gedanke stammt vom Staatsrechtler und Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, und er ist immer noch wahr. Werte wie Freiheitlichkeit, Gerechtigkeit und Wohlfahrt sind keine freischwebenden, a-historischen Ideale, derer man sich im Zuge öffentlicher Meinungsbildung, politischen Handelns und parlamentarischer Mehrheitsbeschlüsse einfach bedient.

Werte resultieren vielmehr aus langen, mehrstimmigen und meist gegenläufigen kulturgeschichtlichen Prozessen, in denen der metaphysischen Selbstverortung des Menschen eine ebenso wichtige Rolle zukommt wie der pragmatischen Verständigung über Partizipation und Repräsentation, über das Verständnis von Recht und Gerechtigkeit bzw. über das Sicherheitsbedürfnis und die Wehrhaftigkeit des gesellschaftlichen Gefüges, in dem wir leben möchten.

Quasireligiöse Aufladung sekundärer Diskurse

Eine Gesellschaft, die ihr Verhältnis zu jenen spirituellen Koordinaten nicht mehr zu reflektieren vermag, denen sich ihr Wertekanon maßgeblich verdankt, wird unversehens zu ideologischen und utopistischen Engführungen verleitet oder auf ängstlich-restriktive Bestandswahrung auf Kosten von Freiheit und Individualität bedacht sein.

Es scheint eine ungute Korrelation zu geben zwischen dem geschichtsvergessenen, unduldsamen und religionsfeindlichen Säkularismus und dem Anschwellen des allgemeinen und öffentlichen Erregungspegels. Als zöge der Verlust religiöser Bindung im Fundament des kommunalen Selbstverständnisses die quasireligiöse Aufladung sekundärer Diskurse nach sich.

Die Debatten über den Umgang mit Corona, Gender, Einwanderung und Energiekrise könnten sachlicher geführt werden, würden sie nicht in den sich immer enger verschließenden politischen Wagenburgen zu heilsrelevanten Bekenntnisfragen stilisiert.

Versöhnung auf dem Boden der Wahrheit

Der neue identitätspolitische Tribalismus hat nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens erfasst und er verunmöglicht zunehmend eine umsichtige und nüchterne demokratische Meinungsbildung. Inzwischen sprengen die politischen Streitigkeiten über ein vernünftiges Corona-Management, nachhaltige Energie- und Klimapolitik oder angemessene wirtschafts- und wehrpolitische Strategien angesichts des Krieges in der Ukraine nicht nur streitbewährte Parteien, sondern auch die sozialen Gefüge in Orts- und Kirchengemeinden, Freundeskreisen und sogar Familien.

Die Gravitationskräfte einer pluralistischen Gesellschaft allein reichen kaum aus für den notwendigen Brückenschlag – kein Wunder, dass sich der top-down verordnete und durch mediale Kampagnen orchestrierte Gleichschritt als einzige Rettung inzwischen zunehmend gut verkauft. 

Als ehemaliger DDR-Bürger und als Christ bin ich derartigen restriktiven Strategien der Pazifizierung gegenüber doppelt skeptisch: Das restriktive Beschneiden der Freiheit Einzelner kann die Freiheit aller nicht garantieren; genauso kann das Unterbinden von Streit keinen Frieden generieren. Friede – das Volk der Bibel nennt es Schalom – erwächst vielmehr aus der Versöhnung auf dem Boden der Wahrheit.

Vielfalt von Meinungen authentisch und transparent abbilden

Versöhnung wiederum ist die Frucht von Vergebung und neuerlich gewährtem Vertrauen – ein unabsehbares Wagnis. Ohne einen transzendenten Bezug zum Urgrund von Versöhnung und Frieden, der letztlich jenseits unserer Verfügbarkeit liegt, wird es zunehmend schwierig, die Voraussetzungen unserer Demokratie im Sinne von Böckenförde zu gewährleisten.

Was also ist zu tun? Was hat der Bürger dem woken Marsch durch die Institutionen entgegenzusetzen?

Zumindest wird es dem demokratischen Prozess zuträglich sein, wenn der öffentliche Diskurs durch alte wie neue, sich jedenfalls vom Unisono emanzipierende Stimmen, Plattformen und Thinktanks wieder erweitert wird. In der Bildungsarbeit – von der Kita bis zur Universität – braucht es neue Impulse und das Engagement von Denkern und Machern mit Pioniergeist, die bereit sind, konstruktive Alternativen zu erarbeiten, um junge Menschen zu eigenständigem und gründlichem Hinterfragen und Durchdenken zu ermutigen und zu befähigen – auch gegen den Mehrheitsstrom.

Mein Berufszweig steht vor der großen Herausforderung, die Vielfalt von Meinungen, Ansichten und Positionen authentisch und transparent abzubilden. Die Medienvielfalt muss neu mit der Meinungsvielfalt synchronisiert werden.

Alternative Medienangebote aufbauen

Eine Studie von 2020 brachte zutage, dass 96 Prozent der ARD-Volontäre sich politisch im rot-grünen Spektrum verorteten bzw. sich dessen Zielen verpflichtet wussten. Konservative und liberale Ansichten vertraten nur 4 Prozent der Journalisten in Ausbildung. All dies trotz des Auftrags und der Selbstverpflichtung der Öffentlich-Rechtlichen zur Wahrung von gesellschaftlicher Parität und Meinungsvielfalt.

Wer im Mediengeschäft tätig ist, ahnt, dass es bei den Tageszeitungen nur geringfügig anders aussieht. Kein Wunder, dass für Andersdenkende in den großen Redaktionen nur noch selten Luft zum Atmen bleibt. Es wird also notwendig sein, alternative Medienangebote aufzubauen mit profunden Beiträgen und hohen journalistischen Standards und entsprechenden Inhalten.

Es wird einen langen Atem brauchen, dazu Ausdauer, Mut und Vertrauen in eine neue Gefährtenschaft von Menschen, die sich nicht länger im sanften Gleichschritt führen und verführen lassen wollen. 

Alles beginnt damit, dass sich Einzelne wieder zeigen und bereit sind, aus dem Raum der schweigenden Mehrheit heraus hörbar zu werden und mit fröhlichem Ernst aus der Reihe zu tanzen.

Dies ist ein Auszug aus Ralf Schulers neuem Buch „Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde“. Hier bestellbar.

 

Ralf Schuler war bis Oktober 2022 Leiter der Parlamentsredaktion von BILD. Heute arbeitet er für Julian Reichelts Produktionsfirma Rome Medien.

 

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Armin Reichert / 06.02.2023

Ich werde das Buch weder lesen noch kaufen. Was ich aber tun werde, ist immer wieder zu wiederholen, dass diese ganze Julian Reichelt Ecke ein mutmaßlich aus CSU-nahen Kreisen finanzierter Honeypot ist, um potentielle AfD-Wähler zu binden. Warum mutmaßlich CSU-nah? Ganz einfach: wer würde denn freiwillig einen (Dr.) Andreas Scheuer in seine Sendung einladen? Daher kann ich nur dazu raten, diesem Julian Reichelt mit Mißtrauen zu begegnen und natürlich die AfD zu wählen.

Heiko Stadler / 06.02.2023

Bleiben Sie ruhig, Herr @Rudhart M.H.! Achse-Leser sind resistent gegen Werbung. Ein Produkt, das aufdringliche Werbung benötigt, taugt nichts. Insbesondere gilt das für Medikamente. Jede “Impf”-Werbung ist ein weiteres Indiz dafür, dass es sich bei der “Impfung” um Lug und Trug handelt.

Werner Arning / 06.02.2023

Das Problem ist doch, dass es nicht um die Sache geht, dass es nicht wirklich um Inhalte geht. Es geht um die Schaffung eines Meinungskorridors, in welchem sich alle zu bewegen haben, welchen niemand unter Androhung von Strafe und gesellschaftlichem Ausschluss verlassen darf. Und dieses Meinungskorridors bedienen sich ebenfalls diejenigen, die früher einmal unter den Oberbegriffen „konservativ“ und „liberal“ durch die Gegend liefen. Der Korridor dient zum Kleinhalten der AfD und aller echten Kritiker, also zur Unterbindung echter Opposition. Diese Unterbindung kommt auch den des Parteinamens nach „Konservativen“ und „Liberalen“ zugute. Der Korridor bildet eine Art Überlebensgarantie für diejenigen, die echte bürgerliche und rechtsstaatliche Positionen zu großen Teilen aufgegeben und verraten haben. Es gibt also überhaupt keine Hoffnung auf eine Änderung in dem Sinne, wie Sie ihn ausführen. Das Problem ist, wie gesagt, dass es nicht um Sachfragen geht. Ergo kann man nicht über Inhalte diskutieren. Eine solche Diskussion soll unter allen Umständen vermieden werden. Frau Claus hat das neulich sehr schön erläutert. Von ihr stammt auch der Vergleich mit dem Korridor.

Lutz Herrmann / 06.02.2023

96 Prozent der ARD-Volontäre politisch im rot-grünen Spektrum verortet? Das bedingt einander. Nicht ideologisch aber materiell. Die Grünen wählt ja keiner ohne Propaganda. Und sinnfreie Propaganda muss ja jemand bezahlen.

Roland Magiera / 06.02.2023

Die Bürger mögen dem woken Marsch durch die Institutionen nichts entgegensetzen, weil dieser Staat die mehrheitlich Menschen gezielt von seinen Umverteilungsleistungen abhängig gemacht hat. Neben dem sozialen Gedanken stand hierbei vor allem anderen der Wille im Vordergrund, die Empfänger von Umverteilungsleistungen mundtot zu machen, sie in sklavische Abhängigkeit vom Staat zu führen. So gibt es nach übereinstimmenden Medienaussagen noch ganze 15 Millionen Nettosteuerzahler im Land, die also deutlich mehr ins System einzahlen, als sie diesem entnehmen. Denen gegenüber stehen rund 25 Millionen Rentenempfänger, davon sind fünf Millionen keine Altersrentner, sondern aussichtslose Sozialfälle. Zusammen mit den Sozialleistungsempfängern sind dies schon doppelt so viele Empfänger, wie Einzahler und dazu kommen noch die 10-12 Millionen Staats- und Sozialstaatsangestellten. Das Ganze funktioniert nur deshalb, weil Staat und Gewerkschaften die Löhne und Gehälter gezielt niedrig halten, die Abzüge dafür hoch. Das hat in eine so gut wie nicht zu durchbrechende Spirale des Niedergangs geführt. Operation gelungen, Patient tot. Die Bürger brauchen gar nichts gegen den politischen Wokismus zu unternehmen, das geht von ganz allein weg! Allerdings ist es sehr fraglich, ob Deutschland dann noch ein lebenswertes Land ist, vor allem für die industriell Wertschöpfenden, um die ein harter weltweiter Konkurrenzkampf ausgebrochen ist, die im eigenen Land nur noch verachtet und erbarmungslos ausgenommen werden. Die Politik hätte al-Mansur lesen sollen, allzu große Strenge gegenüber den Untertanen, damit ist zuerst hemmungslose staatliche Ausplünderei gemeint, führt zum Verfall von Intelligenz, ganz und gar eindeutig an den Schulleistungen nachweisbar, und der führt heutzutage unweigerlich in den Ruin.

Armin Reichert / 06.02.2023

@Rudhart M.H. Brave Browser nutzen, Problem gelöst.

Wilfried Cremer / 06.02.2023

Ab den 60ern waren deutsche Wohnzimmer mit Fernsehern bestückt. Da fing die Scheiße an.

Markus Knust / 06.02.2023

@D.Katz Ich finde dieses Motto albern. Ich brauche keine Maßgaben denen ich dann zuwider handele, um völlig uninteressante Personen zu ärgern. Was diese sowieso nicht tun, da sie knallharte Agenden verfolgen, wahrscheinlich im Auftrag ihrer Familie oder anderer Auftraggeber. Der Fehler liegt darin, diesen Leuten Gewicht zu verleihen, indem man sein Verhalten nach ihnen ausrichtet. Dies tut man auch, wenn dem grundsätzlich zuwider handelt, egal worum es geht.  Machen Sie Ihr eigenes Ding, egal was diese Ideolog*Innen propagieren. Damit kommt man ihnen bei, mit wirklicher Selbstbestimmung und individueller Freiheit können diese Leute genauso wenig umgehen, wie mit Rechtsstaat und Demokratie. P.S. Lässt sich auch schön auf der anderen Seite beobachten, bspw. im Film/Seriengeschäft: Schwarze und Araber dürfen keine eigenen Geschichten erzählen, sondern müssen nun weiße Szenarien nachspielen, um zu beweisen das sie gleich viel wert sind. Freie Entscheidungen oder echter kultureller Austausch sind gar nicht vorgesehen.  Weder für die Gegner dieser Ideologien noch für ihre Bemutterungsobjekte. Aus diesen Mustern müssen wir ausbrechen, alles andere ist zwecklos.

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