Wolfram Weimer / 14.11.2019 / 06:15 / Foto: Deutsche Fotothek‎ / 58 / Seite ausdrucken

Minister-Zeugnisse: Maas versetzungsgefährdet

Das politische Berlin ist im Zeugnis-Fieber. Wie in einer Schulklasse vor der Versetzungs-Konferenz herrscht hohe Nervosität. Halbzeitbilanzen werden getextet; Drohungen, Forderungen und Wünsche kursieren, eilends wird die Grundrente beschlossen, damit die Zwischenprüfung des Koalitionsvertrages auch aus Sicht der SPD bestanden werden kann. Das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid hat in einer Umfrage um eine Schulnote für die Arbeit der Bundesregierung gebeten. Das Ergebnis ist dürftig. Im Durchschnitt erhalten die Bundeskanzlerin und ihre Minister die Note 3,6. Lediglich ein Prozent der Befragten war der Meinung, dass die Arbeit “sehr gut” zu benoten sei.

Trotz des bescheidenen Ansehens der Großen Koalition fänden es zwei Drittel der Bundesbürger aber doch gut, wenn die Bundesregierung aus Union und SPD ihre Pflicht erfüllte und bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 durchhalten würde. Das geben immerhin 68 Prozent aller Befragten im aktuellen Politbarometer an. Fazit in Klardeutsch: Ihr seid schwächlich, aber versetzt in die zweite Halbzeit.

Stark differenziert werden die einzelnen Minister beurteilt. Vier Kabinettsmitglieder fallen dabei besonders auf. Gute Bewertungen in Umfragen wie Kommentaren bekommen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Sehr schlechte Bewertungen erhalten Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Außenminister Heiko Maas (SPD).

Spahn punktet mit sachlicher Umtriebigkeit. Es vergeht keine Woche ohne Themenoffensive: Pflege-Sofortprogramm, Impfpflicht bei Masern, Apothekenschutzgesetz, Psychotherapeuten-Ausbildung, das Schnelle-Arzt-Termin-Gesetz, Patientenakten auf Smartphone, Studium für Hebammen, Kampf gegen Krebs, Organspendedebatte, ein Aus der Werbung für Schönheitsoperationen sowie Verbote von Behandlungen gegen Homosexualität. Und zwischendurch fliegt er medienwirksam per Billigflieger ins Kosovo, um zu schauen, wie man dort Pfleger für den deutschen Markt anwerben kann. Deutschland erlebt den einstigen Verbal-Provokateur als oberemsigen, ausgleichenden Fachpolitiker, der immer wieder den Schulterschluss mit SPD-Kabinettskollegen sucht. Die fleißige Sachlichkeit mitsamt Sichtbarmachung des Fleißes kommen an. Bundeskanzlerin Angela Merkel lobt ihren einstigen Widersacher so: “Er schafft eine Menge weg.” Der “Spiegel” kürt ihn zu Deutschlands angesehenstem Minister. Und selbst die CDU-kritische “Süddeutsche Zeitung” urteilt: “Der Blitz-Heiler”.

Die emotionale Wärmepumpe der Regierung

Was Spahn für die CDU, ist die Familienministerin Franziska Giffey für die SPD. Beide helfen sich auch wechselseitig, starten gemeinsame Gesetzesinitiativen und geben schon mal ein Doppelinterview mit der Botschaft: Erfolgreich weitermachen! Auch so etwas kommt an.

Vor dieser Legislatur kannte kaum jemand außerhalb der Hauptstadtkieze die frühere SPD-Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln. Heute ist sie die emotionale Wärmepumpe der Regierung. Mit dem “Gute-Kita-Gesetz” und dem “Starke-Familien-Gesetz” hat sie zwei SPD-Schlüssel-Initiativen durchgebracht, obwohl ihr die lächerlichen Namensgebungen auch jede Menge Spott eingebracht haben. Giffey hat mit ihrem Doktorarbeits-Krimi dem Publikum ein soap-reifes Drama geboten und, in Verbindung mit ihrer menschenfreundlichen Verbindlichkeit, einen behutsamen Charakter sichtbar gemacht, der emotionalen Zuspruch erfährt.

Das ganze Gegenteil davon bietet Andreas Scheuer. Der CSU-Verkehrsminister kann weder emotional-kommunikativ noch sachlich-politisch punkten. Im Gegenteil: Er kämpft im Maut-Desaster um das nackte politische Überleben. Linkspartei, Grüne und FDP fordern offen seinen Rücktritt. Vom Rechnungshof über das eigene Ministerium bis zum Bundestag bekommt er massiven Gegenwind, ein Untersuchungsausschuss wird über sein politisches Schicksal entscheiden. Da er zum wiederholten Mal ein ungeschicktes Krisenmanagement zeigt, er kein gutes Verhältnis zu Medien und Journalisten pflegt und auch innerhalb der CSU schwindende Rückendeckung erleidet, gilt er als der große Wackelkandidat des Kabinetts. Auch im Kanzleramt ist man verärgert und klagt: “Was immer er anfasst, wird derzeit zum Problem, bis hin zu Gehaltsfragen bei der Deutschen Bahn.”

Ähnlich miserabel ist unter den Kabinettskollegen nur Außenminister Heiko Maas angesehen. Dr SPD-Politiker kämpft zwar nicht akut um das politische Überleben. Aber die katastrophale Kommentarlage und die Umfragewerte sind für einen Außenminister einmalig schlecht.

Außenpolitik unter Maas als “Totalausfall”

Fast alle Leitmedien kommentieren seine Bilanz brutal negativ: “Minister Schmal. Deutschlands kleine Schuhe sind ihm zu groß” (“Frankfurter Allgemeine Zeitung”), “Heiko Maas macht viele Fehler” (“Frankfurter Rundschau”), “Die deutsche Außenpolitik hat ein bemerkenswertes Maß an Passivität und Ideenlosigkeit erreicht” (n-tv). “Selten war ein deutscher Außenminister so farblos” (“Focus”), “Die Bilanz des deutschen Außenministers ist kläglich” (“Neue Zürcher Zeitung”), “Planlos, naiv, weltfremd” (“Cicero”), “Heiko ‘Mini’ Maas, der Minister fürs Untertauchen und Schuhanziehen” (“Tageszeitung”), “Heiko Maas ohne Plan: Bella Figura ist noch kein Konzept” (“Tagesspiegel”). Die verheerende Kommentarlage findet im Bundestag lautes Echo aus allen Fraktionen bis hin zum Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, der die deutsche Außenpolitik unter Maas sogar als “Totalausfall” disqualifiziert. 

Normalerweise ist das Amt des Außenministers eine Popularitätsschmiede. Bei Heiko Maas passiert gerade das Gegenteil. Sein Ansehen wird Monat für Monat schwerer ramponiert. Den Tiefpunkt seiner Reputation erreichte Maas, als er seinen Syrien-Disput mit Annegret Kramp-Karrenbauer ausgerechnet in Ankara austrug, die deutsche Verteidigungsministerin dort abkanzeln und brüskieren wollte, am Ende aber sich selbst damit traf. In seiner Amtsführung passieren – für das ansonsten so protokollsichere Außenamt besonders peinlich – ungewöhnlich viele diplomatische Fehler, so jetzt in einem Namensartikel zum Fall der Mauer, bei dem Maas alle und jeden für ihre Hilfe auf dem Weg zur Wiedervereinigung lobt – nur nicht die Amerikaner. Die ihn ebenso wie die Russen und Türken inzwischen öffentlich als Leichtgewicht abtun.

Manches am gegenwärtigen Maas-Bashing wirkt übertrieben und ungerecht, denn der Außenminister ist weder in Skandale noch in grobe Richtungsfehler verwickelt. Er verkörpert in etlichen Gemengelage aber die grundsätzliche Passivität und Mutlosigkeit der deutschen Außenpolitik. Wie in einem Maas-Spiegel erkennt das deutsche Publikum die Ohnmacht der eigenen Nation – vom Brexit bis zum Irankonflikt, von der Ukrainefrage bis zur Migrationskrise, von der Europapolitik über die Syrienfrage bis zur Nato-Krise. In all diesen Gemengelagen hat die Bundeskanzlerin (weil selbst auf der politischen Zielgeraden ihres Lebens) Deutschland in einen Passiv-Modus geschaltet. Der Außenminister muss für diese Politik häufig nur den Kopf hinhalten. Aber er tut es eben besonders sündenbocktauglich.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

Foto: Deutsche Fotothek‎ CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia

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Claudius Pappe / 14.11.2019

“Giffey hat mit ihrem Doktorarbeits-Krimi dem Publikum ein soap-reifes Drama geboten und, in Verbindung mit ihrer menschenfreundlichen Verbindlichkeit, einen behutsamen Charakter sichtbar gemacht, der emotionalen Zuspruch erfährt.” Manchmal erfasse ich die Ironie des Herrn Weimer einfach nicht. Blondinen bevorzugt-oder Wie angle ich mir einen Doktor. MM fand ich besser, als die erblondete pummelige Pipsstimme

b. stein / 14.11.2019

Versetzungsgefährdet - das klingt ja im Fall des “Außenmisters” 1. wie ein Lob und 2. dass er noch Chancen bekommt wenn er sich ein bisschen mehr Mühe gibt. Nein….nein…..neeeeeiiiiin! Also bitte: Was sollen er und die alte Garde um Merkel denn noch alles, weder zum Wohl des Volkes noch Deutschlands, verzapfen dürfen? Ich hoffe ein letztes Mal darauf, dass es bei den Parteitagen von Union und SPD endlich mal richtig kracht.

Johannes Streck / 14.11.2019

@Maas - Meine Oma vor über, wie sie immer sagte, “fummzich” Jahren: “Hüte Dich vor kleinen Männern!” Hat sich im Berufsleben sehr bewährt.

Dirk Jürgens / 14.11.2019

Maas und keine Skandale? 2015 hat er als Justizminister in der Affäre um dem Geheimnisverrät von “netzpolitik.org” nachweislich den Deutschen Bundestag und die Öffentlichkeit belogen (was sogar die maasfreundliche “Zeit” zugeben musste) und Generalbundesanwalt Harald Range entlassen, anstatt selber zurückzutreten. Dass dieser Mann inzwischen zum Außenminister aufgestiegen ist, sagt alles über diese Regierung aus.

Thomas Bonin / 14.11.2019

Muss wohl zu den Geheimnissen des Lebens gehören, wenn 2/3 der Bundesbürger die(se) Koalition “doch gut” fänden, während im gleichen Atemzug einem ihrer Spitzenleute, nämlich dem Roten Gartenzwerg (seines Zeichens Außen-Darsteller der Antifaschistischen Koalitionäre Deutschlands) der Stinkefinger gezeigt wird. Zumal kein Blatt Papier zwischen Heikos Hühnerbrust und Muttis Busen passt: gemeinschaftliche Abwehrkämpfe gegen all die - bis an die Zähne bewaffneten - Wehrwolf-Heerscharen hierzulande plus regelmäßiges Niedermachen und Anscheißen des Judenstaates vor und hinter den Kulissen der UNO haben zu einer Waffenbrüderschaft geführt, die nicht nur ihresgleichen sucht, sondern obendrein noch ‘alternativlos’ ist. 

Anders Dairie / 14.11.2019

Genossen MAAS ist ein LAFONTAINE-Zögling, und er ist schon deswegen abzulehnen. Als Opportunist und Jogger “...biegt er zur Wahl links ab, wenn er dort eine Gruppe Rentnerinnen stehen sieht !”  (Orginalton AKK, im Saarbrücker Karneval)

Anders Dairie / 14.11.2019

Frau GIFFEY ist durch Heinz BUSCHKOWSKI , ebenfalls em. Bürgermeister von Neukölln,  in die Öffentlichkeit gekommen.  Was wird sich B. wohl heute denken?

Rolf Mainz / 14.11.2019

Sicher, die Klasse ist mies, keine Frage. Aber letztlich ist es die Schulleitung, welche gefeuert gehört.

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