Peter Grimm / 10.10.2020 / 14:00 / Foto: Sandro Halank / 98 / Seite ausdrucken

Merkels neuer Ausnahmezustands-Umweg?

Bislang hat die Bundeskanzlerin den Corona-Ausnahmezustand über Vereinbarungen mit den Landesministerpräsidenten organisiert. Die Umsetzung der vereinbarten Verbote und Gebote war und ist Sache der Landesregierungen. Inzwischen sind nicht mehr alle Ministerpräsidenten widerspruchslos zu Verschärfungen bereit. Doch muss die Regierungschefin deshalb auf das „Zügel straffer ziehen“ verzichten? Nein, sie umgeht die Ministerpräsidenten einfach und vereinbart mit den Oberbürgermeistern der wichtigsten Großstädte die weiteren Verbote und Verpflichtungen..

Es ist noch nicht lange her, als man sehen konnte, dass Angela Merkel ungehalten war über die Weigerung des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, in seinem Land Bußgelder für die Masken-Verweigerung zu verhängen. Als es dann bei einer späteren Sitzung im September darum ging, Mindestbußgelder für Nicht- oder Falschangaben bei der umstrittenen Abfrage persönlicher Daten in der Gastronomie zu verhängen, war es neben Haseloff auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, der dies verweigerte. Im Freistaat Sachsen gab es die Pflicht, beim Besuch eines Wirtshauses seine Daten zu hinterlassen, nie und der Ministerpräsident sah auch keine Veranlassung, diese einzuführen. Sachsen-Anhalt hatte diese umstrittene Datensammlung sogar im September wegen Wirkungslosigkeit abgeschafft.

Zwei Mal war die deutsche Regierungschefin also mit Verschärfungsinitiativen in Teilen des Landes gescheitert. Nun kommt aber eine Verschärfungswelle für die Bewohner deutscher Großstädte. Die Kanzlerin hat ihr Ausnahmezustands-Management jetzt modifiziert. Sie umgeht die Länder einfach und plant weitere Reglements für die Bürger mit eingeschränkten Bürgerrechten nun gemeinsam mit deutschen Oberbürgermeistern. Den Auftakt gab es am Freitag. Da vereinbarte die deutsche Regierungschefin mit den Stadtoberen der elf größten deutschen Städte die nächsten Maßnahmen in einem Acht-Punkte-Plan.

Hineinregieren in die Rathäuser?

Das gemeinsame Papier sieht u.a. vor, dass beim Überschreiten der Schwelle von 50 neuen positiven Coronatests je 100.000, eine erweiterte Maskenpflicht auch auf Straßen und Plätzen, strenge Kontaktbeschränkungen und gegebenenfalls auch Sperrstunden und Alkoholverbote eingeführt werden sollen. Berlin, Frankfurt und jüngst auch Köln haben schon entsprechende Verordnungen erlassen. Falls der Anstieg positiver Testergebnisse dann binnen zehn Tagen nicht zum Stillstand komme, seien „weitere gezielte Beschränkungsschritte unvermeidlich“.

Zu den Maßnahmen gehöre es auch, dass bei 35 neuen positiven Corona-Testergebnissen pro 100.000 Einwohner in einer Woche die Krisenstäbe der betroffenen Großstadt von Beratern aus dem Robert-Koch-Institut unterstützt werden. Ansonsten wird in dem Papier über den Einsatz von Bundespolizei und Bundeswehr für die Städte nachgedacht.

In zwei Wochen soll nach Angaben der Bundeskanzlerin dann weiter beraten werden. Es könnte sich also eine Art des direkten Hineinregierens des Kanzleramts in die Rathäuser etablieren. Manche Oberbürgermeister fühlen sich dadurch vielleicht enorm aufgewertet. Zumindest ist von keinerlei Widerspruch in der Runde berichtet worden.

Leipzigs Oberbürgermeister und Städtetagspräsident Burkhard Jung (SPD) begrüßte das Ergebnis auch öffentlich. Vielleicht gefällt es ihm, sich damit in einen Gegensatz zum Ministerpräsidenten zu setzen, der zuletzt als Verschärfungs-Verweigerer auffiel. Dass die Regierungschefin unter Umgehung der Landesregierungen direkte Politik-Abstimmungen mit der kommunalen Ebene pflegt, verändert diese Republik abermals. Das Kanzleramt etabliert im Zeichen von Corona neue direkte Einflussmöglichkeiten.

Foto: Sandro Halank CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Peter Sticherling / 10.10.2020

Dieses „ Hineinregieren“ der Frau Merkel in die Rathäuser der Großstädte gehört doch vor das Bundesverfassungsgericht. Warum lassen sich die Volksvertreter, also die Parlamentarier, dies eigentlich gefallen?

Erika Schöffmann / 10.10.2020

Vielleicht schafft es ja auch Frau Merkel bis zur nächsten Bundestagswahl auch diese zu bestimmen. Sie hätte dann 98% Zustimmung. So langsam wird es unheimlich.

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