Ralf Schuler / 11.12.2020 / 06:25 / Foto: Bundesregierung/Bilan / 71 / Seite ausdrucken

Merkel und die Schwerkraft

„Ich glaube an die Kraft der Aufklärung.“ Ein Satz, wie ein Manifest aus der als besonders emotional gelobten Rede von Kanzlerin Angela Merkel (66, CDU) in der Generaldebatte des Bundestages. Vor allem aber ist es ein Satz, der ein doppeltes Missverständnis in sich birgt.

Zum einen ist der „Glaube“ an die „Kraft der Aufklärung“ gewissermaßen ein Widerspruch in sich, weil die Aufklärung gerade Glauben, Tradiertes und überkommene Gewissheiten zurückdrängen und durch die Kraft der Rationalität ersetzen wollte. Nun muss man nicht merkwürdiger sein als Frau Merkel – um nicht schon wieder den päpstlichen Papst im Kontext der Aufklärung zu bemühen: Im Schwange der Debatte ist eine solche rhetorische Figur durchaus lässlich.

Viel schwerer in der Sache wiegt aber das zweite Missverständnis: Angela Merkel beschwor in ihrer Rede die „Kraft der Aufklärung“ als eine Art robustes Mandat für das Robert-Koch-Institut, das Primat der Wissenschaft und als Antwort auf einen Zwischenruf der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch („... es ist nicht erwiesen!“).

Im Drosten geht die Sonne auf

Aufklärung ist gerade NICHT das Postulieren von Gewissheiten. Aufklärung ist gewissermaßen das Primat des Zweifels, der permanente Widerspruch in Kunst, Gesellschaft, aber eben auch in der Wissenschaft. Aufklärung ist NICHT der Ersatz einer theologisch getränkten Schöpfungswissenschaft über die Erdscheibe durch die Erkenntnis: Im Drosten geht die Sonne auf.

Aufklärung ist auch das ewige Hinterfragen von Wissenschaft und gesellschaftliches Fortschreiten durch Zweifel. So gesehen, treibt der zweifelnde Zwischenruf die Aufklärung in der Corona-Sache mehr als der eher statische Appell zur politischen Gefolgschaft der Kanzlerin, die sich in der gleichen Rede sogar noch mokierte, man komme nicht weiter mit „könnte sein, kann aber auch nicht sein“. Für verantwortliches Regierungshandeln wäre eine klar belegbare Kausalkette zwischen Ursache und Wirkung schon besser als ein Fahren auf Sicht. Auch die wissenschaftlichen Nebelscheinwerfer leuchten nicht um die nächste Ecke.

Nun muss man die Kanzlerinnen-Rede nicht kleinlicher zerpflücken als ziemlich. Dass unter vermeintlichen Querdenkern auch etliche sind, bei denen queres Denken schon einen mentalen Aufwuchs um 100 Prozent darstellt, muss nicht aufwändig aufgeklärt werden. Dass mancher Querspinner auch zu wissenschaftlichen Fakten farbenprächtige Alternativen hat, bleibt ja kaum verborgen.

Physik als Alternative 

Und doch entbehrt es nicht einer gewissen Kuriosität, dass Merkel in ihrer Rede ausgerechnet die „Schwerkraft“ (neben der Lichtgeschwindigkeit) als Beispiel für ihre Wissenschaftsaffinität heranzog. Sie habe auch deshalb in der DDR Physik als Studienfach gewählt, weil die Naturwissenschaften nicht der realsozialistischen Ideologie unterworfen werden konnten. Eine Schnurre, die alt-gediente Fahrensleute der Union schon länger kennen.

Die Schwerkraft (Gravitation) ist vor allem deshalb ein interessantes Exempel, weil sich hier die Wege und Irrwege von Physik gerade in ihrer Fundamental-Disziplin, der klassischen Mechanik, zeigen. Aristoteles ging mehr als 300 Jahre vor Christus davon aus, dass ein doppelt so schwerer Stein auch doppelt so schnell falle wie sein leichteres Pendant. Es dauerte knapp 2.000 Jahre, bis Galileo Galilei nachwies, dass alle Gegenstände der gleichen Erdbeschleunigung von 9,81 m/s2 unterliegen und lediglich durch Nebeneffekte wie den Luftwiderstand unterschiedliche Fallgeschwindigkeiten erreichen. Es brauchte weitere 100 Jahre, bis Isaac Newton Galileis Fallgesetze in seine Gravitationstheorie einfügte: die Geburtsstunde der Schwerkraft.

Wer also im Merkel’schen Sinne an die „Kraft der Aufklärung“ glaubt, müsste konsequenterweise lediglich mit dem Augenblicksstand der Erkenntnis argumentieren, der immerhin ein Behelf ist bis zur Erlangung weiterer Gewissheiten.

q.e.d. (quod erat demonstrandum – was zu beweisen war).

Foto: Bundesregierung/Bilan

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Peter Holschke / 11.12.2020

Ich ziehe vom Leder. Es gibt Dogmen und Wissenschaftsmythen. Ich zähle einige auf, welche als Blaupause des Kapitalismus des 19. Jahrhunderts eng verknüpft sind. 1.  Infektions-/Impftheorie, 2. Gravitations-/Urknallkosmologie, 3. Darwinismus/Evolutionstheorie.  Zum letzen kann man sagen, dass die Evolutionstheorie unter der Hand längst gefallen ist, und man nun Wikipedia-offiziell von einer “modifizierten”  Evolutionstheorie ausgeht, mit starken Anklang nun doch an Lamarck. Die Suche nach dem Missing-Link wurde für obsolet erklärt und hat “keine Bedeutung” mehr, da man von vielmehr von (sic!) Evolutionssprüngen ausgeht. What? Wie darf man sich das vorstellen? Das ist schon eine Sensation, aber nicht in Spiegel, Geo, ZDF und den Lehrbüchern.  Aber niemand ist so ehrlich und kippt den Neodarwinismus vom Sockel, mit samt seinen Gedankenspielen um Eugenik. Das erse der genanten Dogmen wird gerade zum Exzess ausgreizt, bis es unter dem Ansturm der Massen kolabiert, weil sie sich nicht eugenisch Weg- und Sauberimpfen lassen wollen. Das Zweite hat die füsikalische Kanzlerin gerade selbst thematisiert.

H.Milde / 11.12.2020

Merkel “glaubt” an die Gravitation? Ist es nicht eher so, daß diese Mantis religiosa -die sich Physikerin nennt- glaubt eine Scheibenwelt zu regieren, zukünftig Transformia bennant?

Wolf von Fichtenberg / 11.12.2020

—-> Metapher: Den nachfolgenden Titel einer Dissertation sehr, sehr langsam lesen, ihn quasi auf der Zunge zergehen lassen und ihn dann- aus der Physik - in das reale Leben- unser aller Leben - übertragen . Klingt es nicht wie ein Plan, eine politische Handlungsanweisung? Ach ja, der Titel…N a dieser: >>> Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden <<< ... Das ist die Überschrift über der Doktorarbeit von Frau ... Na, erraten Sie es?

Kim Loewe / 11.12.2020

Ich erkenne keinen Widerspruch. Aufklärung ist die Abwesenheit von Glauben, dennoch kann man an ihre (Überzeugungs)kraft glauben.

Hans Styx / 11.12.2020

Merkels Politik gleicht eher einem mutwilligen Kamikazeflug, bei dem man das vorgebliche Ziel längst aus den Augen verloren hat, aber umso entschiedener den Sturzflug beibehält. Perfide beruft sich die im SED-Unrechtsstaat sozialisierte und konditionierte Demokratiequereinsteigerin dabei auf angebliche Aufgeklärtheit bzw. Wissenschaftlichkeit. Es ist eine typische Merkelsche Hohlphrase. Es ist ein Etikettenschwindel, wie wenn Merkel das Wort Demokratie in den Mund nimmt und damit nicht die “Herrschaft des Staatsvolkes”, sonden ihre Macht meint. Ist es aufgeklärt, einen demokratischen Diskurs durch Verbreitung von Panik zu ersetzen? Ist es aufgeklärt, Maßnahmen von fragwürdiger Wirksamkeit und hohem Schadenspotential einfach bis ins Absurde zu verstärken, wenn sie tatsächlich bislang keine belegbare Wirkung zeigen? Ist es aufgeklärt, sich nur auf bestimmte, ausgesuchte Wissenschaftler zu berufen, auf diejenigen, die einem die Rechtfertigung (oder den Anschein davon) für eine Politik der Kollateralschäden liefern? Ist es aufgeklärt, sich ausschließlich auf die Wissenschaftler zu berufen, die mit ihren Prognosen und Maßnahmen bisher gerade keine erkennbaren Erfolge haben? Ist es aufgeklärt, sich auf Wissenschaftler zu berufen, die ihre Thesen nicht nachvollziehbar und überzeugend untermauern, sondern apodiktisch predigen? Ist es aufgeklärt, abweichende Meinungen nicht nur zu ignorieren, sondern zu diskreditieren? Ist es aufgeklärt, an Maßnahmen unbelegter Wirksamkeit wie dem Maskentragen mit sektiererischem Fanatismus festzuhalten?  Wenn also danach die Politik Merkels aufgeklärt und wissenschaftlich sein soll, dann muss dies wohl auch für die Gottesurteile und Hexenproben in den mittelalterlichen Hexenprozessen gelten.

Peter Holschke / 11.12.2020

Ich finde es bemerkehswert, dass die Achse das heiße Eisen anfaßt. Schwerkraft und Lichtgeschwindigkeit, die goldenen Götzen der Füsiker. Ich gebe mal den Aufklärer. Ich hoffe ich komme nicht auf den Schweiterhaufen. Die Kepplerchen Planetengesetze sind Zustandsbeschreibungen.  Sie basieren auf der Annahme von Massen, woraus sich Umlaufbahnen, Abstände und Geschwindigkeiten errechnen lassen. Aber sie basieren auf einem Zirkelschluß, weil die Massen sich wiederum aus den anderen Parametern herleiten. Das war damals ein sensationelle Leistung, aber diese Berechnungen zielen auf einen momentanen Zustand ab. Daraus einen intrinsisch Massebegriff zu postulieren, beinhaltet die Zuschreibung von ewiger Unveränderlichkeit dieses Gefüges. Und das ist ein politischer Aspekt. Das war es schon immer, auch als man das Geozentrisches durch das Heliozentrisches Weltbild ersetzt hat. Newton und Kepler haben diese politische Entwicklung nur unterfüttert und den Zeitgeist bedient. Und das ist das Dogma. Gavitation ist ein rechnerischer Hilfsbegriff, eine Modellbeschreibung, keine Urkraft des Universums. Das kann man seit über 100 Jahren wissen. Aber seit 200 Jahren treiben eben auch Obskuranten ihr Unwesen, welchen eine französische Revolution und Aufklärung nicht paßte. Ob eine Gravitationskonstante am anderen Ende der Galaxie gilt, ist reine Spekulation. Es geht um Kosmologie, es ging schon immer um Kosmologie. Derzeit haben wir ein völlig verrücktes Kosmologiemodell, was bei genauer Betrachtung höhst dogmatisch, theologisch und genau genommen völlig lachhaft ist. Das fällt, weil es nun fortschrittsfeindlich ist.

Franz Klar / 11.12.2020

Daß Merkel als erstes die Schwerkraft einfiel , liegt sicher an den täglichen Höchstständen auf der Personenwaage . Ob die Kausalkette zur Konfektionsgröße gezogen wird , weiß nur der Leibarzt Helge Braun ... .

Matthias Braun / 11.12.2020

” Diejenigen, die alles Heil der Menschen von der Aufklärung ihrer Intelligenz erwarten, bedenken nicht, daß diese nichts Gutes zu wirken vermag, wenn nicht die sittlich-religiöse Bildung des Herzens (des Willens und der Gesinnung) gleichen Schritt mit ihr hält. – Die wahrhaft großen Gedanken kommen vom Herzen. “ ( Ignaz Heinrich von Wessenberg )

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