Cora Stephan / 10.05.2009 / 10:53 / 0 / Seite ausdrucken

Mein Buch gehört mir. Über den “Heidelberger Appell”

Wer zugunsten aussterbender Arten ans Herz des Bürgers appelliert, will meist an seinen Geldbeutel. Bei uns Autoren ist das nicht anders. Auch kreativ Werktätige empfehlen sich gern als bedrohter Teil des Weltkulturerbes, wenn die Geschäfte nicht so laufen. Dagegen helfen dann Literaturstipendien.
Doch all dem branchenüblichen Gejammer zum Trotz: Urheber sind keine aussterbende Minderheit und müssen nicht um milde Gaben betteln. Im Gegenteil: Noch nie waren sie so wertvoll wie heute. Denn „Geistesarbeiter“ und „Kulturschaffende“ liefern ein Produkt, das so begehrt ist, daß es kopiert, gestohlen, vervielfältigt wird – weil alle es haben wollen. Es ist der Stoff, ohne den die große Maschinerie nicht läuft, von der gefressen zu werden sich mancher fürchtet – auch wenn das, was die einen Literatur und Kultur nennen, für andere bloß „content“ oder Grauwert ist.

Wir produzieren weder Steinkohle noch Milchseen oder etwas anderes, was niemand braucht, weshalb er es nicht kauft. Deshalb geht es uns zwar ebenfalls um Geld, aber nicht um Subventionen. So vornehm der Heidelberger Appell auch immer daherkommt – „geistiges Eigentum“ heißt schlicht, daß ich etwas schaffe, um zu meinem eigenen Wohl darüber verfügen zu können. Mein Text gehört mir und wie damit umgegangen wird, bestimme ich. Nur so kann ich vom Verkauf der Nutzungsrechte profitieren.
Die hohen Literaten mögen sich sträuben und von Kunstwollen und Integrität des Wer-kes murmeln: doch auch die „individualrechtlichen Ansprüche“, die an die Herstellung von literarischen Werken geknüpft sind, laufen auf Geld hinaus. Möglichst viel Geld, möchte ich für mich persönlich hinzufügen. Schließlich heißt die Freude am Beruf, die ich durchaus zugebe, ja nicht, daß ich ihn als Hobby betreibe. Autoren sind keine auf Staatsknete setzende Streuobstwiesenpfleger.
Und deshalb hat Google Autorenrechte zu respektieren, was man der großen Maschine gerade beizubiegen versucht, nicht ohne Aussicht auf Erfolg übrigens, zu dem der Heidelberger Appell beigetragen hat. Und auch den Raubkopierern sei’s gesagt: schön, daß ihr unsere Bücher lesen wollt. Aber sie haben Urheber, die von ihrer Arbeit leben wollen. Nicht alles, was im Internet kursiert, ist schnell und kostengünstig in die Tastatur gehauenes Gebrabbel, “was jeder kann”. Und sie wissen das, unsere Raubkopierer, sonst gäben sie sich gar nicht erst die Mühe mit uns.
Und doch – und das wird mir manch Mitunterzeichner des Heidelberger Appells womöglich übel nehmen – zünde auch ich meine Kerzlein an. Vergessene und vergriffene Bücher wieder verfügbar zu machen ist eine großartige Sache, und sofern sich Google darauf beschränkt und das Recht der Autoren wahrt, sehe ich überwiegend Vorteile.
Warum ich auch den Freibeuterscharen einiges nachsehe, die Bücher einscannen und zum kostenlosen Herunterladen ins Netz stellen? Weil sie unsere Leser sind. Leidenschaftliche Vielleser, die sich stundenlang an den Scanner stellen, um ihre Begeisterung für Werk und Autor mit anderen zu teilen. Sicher, gerade denen, die das als Dienst an Freiheit und Menschheit sehen, müßte man mal was über geistiges Eigentum und die ökonomischen Bedingungen der Literaturproduktion erzählen. Dennoch sind die Fans im Netz eben auch rege Multiplikatoren, die das tun, was für Autoren heutzutage am wichtigsten ist: weiterempfehlen, was gefällt.
(Und da schon Hörfunkstationen heutzutage für stundenweise Autorengespräche nicht mehr zahlen wollen, da dies ja „Werbung“ fürs Buch sei; da also auch hier schon schlechte Sitten eingerissen sind – immerhin liefern Verlag und Autoren den Rundfunkanstalten jenen „Content“, aus denen sie Programm machen können - , sollte man die Fronten entweder begradigen oder, vielleicht besser noch, gleich erweitern.)
Das Fundstück aus dem Web als Einstiegsdroge, die den Leser in die Buchläden treibt: Man kann sich zumindest fragen, ob das die Verluste durch illegalen Download kompensieren könnte. Fraglos aber wäre ein geschicktes Bündnis mit den „Fans“ auf Dauer für beide Seiten besser (http://www.vorablesen.de ist dafür ein schönes Beispiel). Es wäre auch an den Autoren, sich dazu etwas einfallen zu lassen. Denn einen funktionierenden Schutz vor Raubkopien wird es im Netz nie geben.
Und damit wären wir bei den Problemen, die über das Thema des Heidelberger Appells hinausweisen. Natürlich wird das Internet, dieser schreckliche Moloch, diese große, herrliche Wundertüte, die literarische Produktion (auf die ich mich hier beschränke) ebenso umwälzen wie es die Musikindustrie verändert, das Fernsehen abgeschafft und die Zeitungen revolutioniert hat. Es sieht aber gerade nicht so aus, als habe es die Urheber abgeschafft. Noch immer zeigen völlig unvorhergesehene Ausreißer wie der Erfolg der Harry-Potter-Romane, oder, im kleineren Maßstab, der Bücher von Daniel Kehlmann oder Andrea Maria Schenkel, daß es die Autoren sind, die neue Inhalte schaffen. Die Maschine selbst bringt nichts hervor.
Die Frage ist nur: wie damit umgehen, daß das Netz die klassischen Vermittlungsweisen von Wort und Geist umwälzt? Autorengejammer ist da oft unredlich. Schließlich sind sie es selbst, diese in Selbstverständnis und Arbeitsweise notorisch konservativen Menschen, die vielfach versäumt haben, zu begreifen, was das Worldwide Web für sie bedeuten wird. Die wenigsten haben dafür gesorgt, daß sie bei neuen Verwertungsmöglichkeiten auch ihren fair share erhalten (ich bekenne mich ebenfalls schuldig). Und viel zu viele pflegen jene edle Haltung deutscher Geistesgrößen, die vorschreibt, daß geistiges Schaffen von Vermarktungsinteressen unberührt sein soll. Es sind oft die Urheber selbst, die den „content“ nicht wichtig nehmen, aus dem sich andere bedienen und an dem andere verdienen. Daran ist mal nicht das Internet schuld.
Es gibt heute und wird wohl auch künftig keinen vernünftigen Kopierschutz geben für im Internet zirkulierende Inhalte. Noch dürfte der Schaden durch „Raubkopierer“ überschaubar und vor allem relativ sein: er wird bei denen am größten sein, die bereits erfolgreich sind. Wer weniger Bücher verkauft, wird auch weniger kopiert. Und solange die einzige echte Alternative zur Lektüre am Bildschirm oder zum (kostspieligen) Ausdruck, der E-Book-Reader, noch zu teuer und außerdem unattraktiv ist, wird die Mehrheit zum Buch greifen.
Der Reader von Sony jedenfalls, den ich mir, wie immer neugierig, gekauft habe, ist potthäßlich und technisch einfallslos. Der geringe Preisnachlaß für legal herunterzuladende E-Books ist ebenfalls kein echter Anreiz, im Gegenteil: warum soviel Geld investieren für etwas, das weder haptisch noch ästhetisch mit einem Buch mithalten kann? Deshalb ist mir um den Roman sogar in Hardcoverausstattung auf kürzere Sicht nicht bange. Mit dem illegalen Download wird das käuflich zu erwerbende E-Book nur dann konkurrieren können, wenn es entweder einen Zusatznutzen (Bonusmaterial?) bietet oder erheblich billiger wird. Der Geburtsfehler ist ja nicht mehr zu beheben: Wir sind es gewohnt, daß wir im Internet fast jeden „content“ für lau bekommen, warum nicht auch ein Buch?
Über den Schlachtruf „Macht das E-Book billiger!“ aber kann man als Autor nur säuerlich lächeln. Zehn Prozent von einem Hardcover zum Ladenpreis von 19.90 machen knapp 2 Euro für den Autor, der davon schon ordentlich verkaufen müßte, um mit vielen Lesungen und einer Taschenbuchausgabe halbwegs auf seine Kosten zu kommen. Je billiger ein Buch als E-Book wird, desto weniger sind 10 %. Dafür kann sich niemand einen gutgearbeiteten Roman aus den Fingern saugen. Also höhere Prozente – und warum nicht, denkt der Autor, werden die Kosten für Buchdruck und Vertrieb nicht billiger bzw. fallen ganz weg? Und was ist mit den oft über 40 %, die der Buchhandel kassiert, der doch mit dem E-Buch gar nicht mehr handelt?
Das wiederum hören die Verlage nicht gern, die vorsorglich von den ebenfalls großen Kosten raunen, die nun das neue Medium anstelle von Vertrieb und Buchhandel mit sich bringe. Und obwohl die Verlage unsere Verbündeten sind – das sei hier auch mal gesagt: bei manchen von ihnen gilt der Autor vor allem als kleinzuhaltender Kostenfaktor, der überwiegend nervt und Mühe macht.
Kurz: es ist nicht das Internet allein, das das „Geistige“ als unendlich reproduzierbares entwertet. Mit Autorenschaft und geistigem Eigentum wird auch woanders schludrig umgegangen, wo Wort und Schrift tatsächlich nur noch „content“ oder gar nur noch je-ner Grauwert zu sein scheinen, mit dem man Illustriertenkäufern die Werbung schmackhaft macht, die der wahre Existenzgrund des Produkts sind, weshalb dort die Designer und Layouter darüber bestimmen, wie lang ein Text sein darf.
Es ist diese Mißachtung, die das Internet lediglich beschleunigt. Und, ja: gegenüber manchen großen Kulturträgern kommen mir die lesenden Raubkopierer wahrlich harmlos vor. Als Kulturvernichter in großem Maßstab betätigen sich trotz ihres „Kulturauftrags“ schon seit Jahren die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten, die mittlerweile die meisten ihrer Programme massentauglich umgebaut haben, damit sie Quote machen.
Beim Hörfunk, einst Förderer des Essays und der „Gedanken zur Zeit“, und beim Fernsehen, fällt die geringe Wertschätzung der „Contentproduzenten“ besonders auf. Das Fernsehen hat sich längst selbst entleibt. Beispiel: der Hessische Rundfunk. Dort will man sparen, was ein schöner Zug ist. Doch dafür geht man an das, was Auftrag und Existenzgrund ist: das Programm, in diesem Fall des Fernsehens. Gott ja, da mag einiges verzichtbar sein. Doch schon jetzt werden im Schnitt bei den Öffentlich-Rechtlichen Sendern gerade mal 30 % der Gesamtausgaben ins Programm gesteckt. Der HR, so das Gerücht, unterbiete diese Quote weit. Wofür ist der Sender noch da?
Immer schlechter bezahlte und behandelte und meist „freie“ Wort-, Bild- und Tonproduzenten sorgen also dafür, daß die Stellen in ständig wachsenden Verwaltungsappara-ten bei kontuinierlich ansteigenden Gehältern erhalten bleiben können. Ach, darüber klagen wir doch gar nicht erst. In dieser Hinsicht ist die Kulturwirtschaft lediglich ein Spiegelbild des ganzen Ladens Deutschland: wenige Produktive erhalten einen immer größer werdender Apparat und dessen Abhängige.
Nein, wir wollen nicht jammern. Das „Klauen, Abschreiben, Übernehmen, Nachplappern, Wiederentdecken“ ist ein Fundament der Kultur, wohl wahr. Aber irgend jemand muß das Original liefern, damit es eine Kopie geben kann. Darum geht es - um nicht mehr, aber eben auch nicht um weniger.

© Cora Stephan 2009 - in kürzerer Fassung erschienen in Welt am Sonntag, 10. Mai 2009

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