Ulrike Stockmann / 10.05.2020 / 10:00 / 4 / Seite ausdrucken

„Margos Töchter“: Kinder ihrer Zeit

Die Schriftstellerin und Achgut.com-Autorin Cora Stephan hat ihren neuen Roman „Margos Töchter“ veröffentlicht, ein Epos über die deutsch-deutsche Geschichte. Im Mittelpunkt steht Leonore Seliger, Jahrgang 1949, die als typisches Nachkriegskind in Osnabrück aufwächst. In ihrer Jugend besucht sie ein Ferienlager in der DDR, wo sie die Jungpionierin Clara trifft, die ihre Brieffreundin wird und sie für den Sozialismus begeistert. Nach einer rebellischen Teenagerzeit beginnt Leonore immer mehr mit der linken Lebenswelt zu fremdeln. Ihre DDR-Verbindung hat jedoch Folgen, die ihr weiteres Leben bestimmen.

In ihrem Buch versteht es Cora Stephan geschickt, die Schicksale ihrer Figuren mit den Schlaglichtern der Epoche des Kalten Krieges zu verbinden. Die Beatles, die Studentenbewegung, Swinging London, der Deutsche Herbst, MfS-Agenten im Westen, das Waldsterben, Tschernobyl: Die Personen sind Kinder ihrer Zeit, deren Haltungen und Handlungen von der Ära, in der sie leben, maßgeblich geprägt werden. Im Interview sagte sie mir:

„Es war schon mein Anliegen, deutsche Geschichte in ihrer unfassbaren Zwiespältigkeit darzustellen (…) Ich selber hatte einen Kollegen, der nachts mit den entsprechenden Utensilien Verteidigungsgeheimnisse an die DDR verraten hat. Ein liebenswerter Mensch (…) Das finde ich im Prinzip so perfide und geschickt am Ministerium für Staatssicherheit: Die haben ja ihre Agenten ‚Kundschafter des Friedens‘ genannt. Was wollten denn die Deutschen nach 1945? Frieden!“

Es ist sehr erfrischend, dass die Autorin auf stereotype Schwarz-Weiß-Szenarien und pauschale Opfer-Täter-Zuschreibungen verzichtet. Ihre Figuren werden lebendig durch die Ambivalenz, von der sie geprägt sind. Im Gespräch sagte Frau Stephan:

„So wie ich Menschen kenne und so wie ich selber bin, leben wir doch eigentlich alle in Ambivalenzen. Schwarz und weiß ist im Prinzip nicht interessant. Wenn man Menschen kennenlernen will und sie gleich in die entsprechende Schublade steckt, dann lernt man nichts über sie. Und die Menschen, die sich in diesen Schubladen aufhalten und nicht mal ein bisschen herausgucken, die lernen auch nichts über’s Leben. Ich habe es also darauf angelegt, Menschen in ihrer Ambivalenz darzustellen und nicht als Helden.“

Ihre persönliche politische Entwicklung beschrieb die Schriftstellerin folgendermaßen:

„Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche. Ich habe mit Begeisterung Karl Marx gelesen. Ich denke, wenn man sich mit dem Marxismus und dem Sozialismus sehr intensiv beschäftigt hat, ist man irgendwann immun. Ich habe meine Dissertation über die Geschichte der Sozialdemokratie im 19. Jahrhundert geschrieben, die sozialdemokratische Geschichtsschreibung und die Geschichtsschreibung aus der DDR. Da lernt man viel über Ideologien und darüber, wie Geschichte propagandistisch verklärt wird, übrigens auf beiden Seiten.“

„Margos Töchter“ von Cora Stephan, 2020, Kiepenheuer & Witsch: Köln. Hier bestellbar.

Foto: Ulrike Stockmann, Cora Stephan

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Karsten Dörre / 10.05.2020

Die Sonne geht bei Achgut auf. Zwei lächelnde Frauen.

Hjalmar Kreutzer / 10.05.2020

Liebe Frau Stockmann, Glückwunsch zum ersten Live-Interview auf der Achse! Sie wurden im Verlauf immer besser. Trauen Sie sich öfter! Im Vergleich mit den inflationären Frauenromanen und Familiensagas von Ostpreußen / Schlesien bis zum Mauerfall war Cora Stephans „Margo“ schon etwas Besonderes, und auch die Fortsetzung fängt vielversprechend an.

Frank-Michael Goldmann, Dänemark / 10.05.2020

(Zitat) “Ich denke, wenn man sich mit dem Marxismus und dem Sozialismus sehr intensiv beschäftigt hat, ist man irgendwann immun.” (Zitat Ende) Ein bischen blauäugig sind wir jetzt schon, oder? Schliesst Frau Stockmann da vielleicht etwas vorschnell von sich auf andere?Ich kenne da eine jemandin in Berlin, die rüber und nüber gemacht hat und heute der (ziemlich sehr viel) fleischgewordene Marxismus ist. Pfiat Euch!

Stefan Riedel / 10.05.2020

“...In ihrer Jugend besucht sie ein Ferienlager in der “DDR”, ...”. Hannes Wader vielleicht ( DKP )? Wenn ich ein “Ferienlager in der “DDR”” besucht hätte, Opa hätte mich nicht mehr angeschaut. ( Gut, dichterische F r e i h e i t ! ).

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