Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 22.01.2019 / 06:12 / Foto: Unknown / 85 / Seite ausdrucken

Margaret Thatchers Vorahnung für Deutschland

Als ich mit meinen britischen Kolleginnen, die alle im Europäischen Parlament arbeiteten, vor einiger Zeit zusammensaß, erzählte eine von ihnen, in einem befremdeten und verständnislosen Ton, von einer Begebenheit in ihrer WG. Die Wohngemeinschaft bestand aus mehreren jungen Berufstätigen unterschiedlicher Nationen, die alle in der Brüsseler EU-Blase arbeiteten. Ein Zimmer war von einer Praktikantin bewohnt. Wie sich im Laufe der Zeit herausgestellt hatte, arbeitete diese beim Front National (der damals noch so hieß). Das war jedoch nicht das, woran sie Anstoß nahm. Sie war gänzlich irritiert von den Bemühungen ihres deutschen Mitbewohners, die achtzehnjähre Praktikantin aus der Wohnung zu schmeißen. Er hatte Initiative ergriffen und den Vermieter aufgefordert den Vertrag mit ihr zu kündigen und dabei explizit auf ihren politischen Hintergrund verwiesen.

Meine Kolleginnen verfügten über die Eigenschaft, die man braucht, wenn man in der Politik arbeiten will und dennoch ein glückliches Leben führen möchte: sie waren zum größten Teil unpolitisch. Sie hielten alle am Tisch genau so wenig von der UKIP wie vom FN. Dennoch stimmten sie sofort und mit einer Selbstverständlichkeit darin überein, dass dieses Verhalten undemokratisch und zu verurteilen sei. Verstehen konnte keine, was den Deutschen antrieb. Die Entmenschlichung der Praktikantin hatte meine Kollegin zutiefst empört. Seitdem – und durch das leidenschaftslose Gekicke der deutschen Fußballnationalmannschaft – halte ich bei Länderspielen zu England. 

Ich habe diese Geschichte in Deutschland mehrfach erzählt. Niemand war je empört – alle fanden das Verhalten des Deutschen richtig. Mein Ergebnis ist unter Umständen verfälscht, immerhin lebe ich in Berlin, aber ich bin mir sicher, diese selbstverständlich-tolerant-demokratische Grundhaltung, die meine britischen Kolleginnen an diesem Abend zeigten, findet man so kaum hier in Deutschland. Sie scheint nicht Teil der Kultur. 

Der Nationalsozialismus war kein Betriebsunfall

Was macht sie aus, die Kultur Deutschlands? Warum kommt mal wieder kein anderes Land der Welt darauf, ein Dieselverbot zu erheben, ohne rationale Argumente gelten zu lassen? Warum zieht kein anderes Land auf der Welt den Wechsel zu „grünen“ Energien so fanatisch durch? Warum war es wieder mal Deutschland, das in seinem Alleingang 2015 Europa in die Migrationskrise stürzte und warum ist vier Jahre später Deutschland immer noch überzeugt dabei, während die paar anderen Länder, die anfänglich miteinstimmten, längst wieder verstummt sind? Warum verschreiben sich in Deutschland wieder Politiker den Osten Europas zu zivilisieren?

Warum ist dieses Land – das nur 601 Gerechte unter den Völkern (1) aufweisen kann, obwohl es doch die längste Zeit Gelegenheit zum Aufbegehren hatte, während Polen mehr als 10 Mal so viele zählt – plötzlich gefüllt mit „Antifaschisten“ die todesmutig #Nazisraus twittern? Was ich sagen will: Der Nationalsozialismus war kein Betriebsunfall. Als ich 2015 die ergriffenen und euphorisch klatschenden Menschen an den Bahnhöfen in der Tagesschau sah, habe ich Goldhagen verstanden.

Natürlich lässt sich dies alles nicht fassen. Die Frage nach nationalen Charakteristika ist wissenschaftlich nicht zu beantworten und ein ganzes Volk kann man nicht verurteilen. Viele werden Gegenbeispiele im Bekanntenkreis nennen oder auf ausufernde Entwicklungen in anderen Ländern hinweisen können - wohlgemerkt, auch meine französischen Freunde verstanden die Empörung der Briten nicht.

Gleichfalls möchte ich nicht dem Historizismus verfallen und geschichtliche Gesetzmäßigkeiten propagieren oder von einer einzelnen Beobachtung auf eine ganze Theorie schließen. Der Historiker Gordon A. Craig fasst das Scheitern der Bemühung einer Suche nach nationalen Eigenschaften in der Einleitung zu einer politischen Geschichte der preußischen Armee so zusammen:

„Einem Volke Nationaleigentümlichkeiten zuzuschreiben, ist in jedem Fall eine gewagte Sache, und Schlußfolgerungen, die aus solcher Beimessung gezogen werden, können leicht in nichts zusammenfallen. Daß in neuerer Zeit autoritäre Regierungsform, Militarismus und Aggression das deutsche politische Leben und Handeln kennzeichneten, läßt sich kaum bestreiten. Dieses Buch geht jedoch von der Grundthese aus, daß derartige Dinge dem deutschen Charakter keineswegs angeboren, sondern vielmehr - um mit Franz Neumann zu sprechen - ,Ergebnisse einer Struktur sind, welche die Versuche zur Schaffung einer lebensfähigen Demokratie vereitelte'." (Gordon A. Craig, Die preußisch-deutsche Armee 1640-1943. Staat im Staate, Düsseldorf 1960, S. 11) Es geht eben gerade um diese Struktur. 

Neigung zur Überschätzung der eigenen Kräfte und Fähigkeiten

Die Frage „Was lehrt uns die Geschichte über Charakter und Verhalten der Deutschen und haben sie sich in den letzten vierzig Jahren verändert?“ stellte Margaret Thatcher im März 1990, nachdem sie sich mehrfach ablehnend gegenüber der Wiedervereinigung Deutschlands gezeigt hatte, amerikanischen und britischen Deutschlandexperten. Vier Historiker (u. a. der oben zitierte Gordon A. Craig) und zwei Journalisten lud sie In ihren Landsitz Chequers ein, um diese und andere Fragen informell zu besprechen. Die Zusammenfassung des „Seminar on Germany“ veröffentlichte das britische Nationalarchive 2016. Es ist hier nachzulesen. (2)

Wie Teilnehmer des Treffens im Nachhinein betonten, sei das Dokument durch den Privatsekretär Thatchers, C. D. Powell, teils zugespitzt und mit einer gewissen Ironie verfasst. So steigt die Zusammenfassung gleich mit der Beschreibung der nationalen Attribute der Deutschen, die sich in der Vergangenheit gezeigt hätten, ein: „Ihr fehlendes Einfühlungsvermögen (zeigt sich besonders in ihrem Verhalten bezüglich der polnischen Grenze), ihre Obsession mit sich selbst, ein starker Hang zum Selbstmitleid, und das Verlangen gemocht zu werden.

Einige noch weniger schmeichelhafte Eigenschaften wurden genannt als beständiger Teil des deutschen Charakters: in alphabetischer Reihenfolge, Angst, Aggressivität, Bestimmtheit, Drangsalierung, Egoismus, Minderwertigkeitskomplex, Sentimentalität.“(3) Das Dokument fährt fort: „Zwei weitere Züge des deutschen Charakters wurden im Blick auf die Zukunft als Gründe zur Sorge genannt. Erstens eine Fähigkeit zum Exzeß, zur Übersteigerung der Dinge, zum Überdiesträngeschlagen. Zweitens eine Neigung zur Überschätzung der eigenen Kräfte und Fähigkeiten.

Ein Beispiel dafür, das die nachfolgende deutsche Geschichte erheblich beeinflußt hat, war die Überzeugung, daß der Sieg über Frankreich im Jahre 1870 Ergebnis einer tiefen moralischen und kulturellen Überlegenheit gewesen sei, statt – wie tatsächlich – eines bescheidenen Vorsprungs in militärischer Technologie.“ (Übersetzung Gordon A. Craig) Der Historiker Gordon Craig bekannte sich in einer Stellungnahme 1991 dazu, dies sinngemäß gesagt zu haben, distanzierte sich aber – wie alle teilnehmenden Historiker – davon, den Begriff Nationalcharakter in den Mund genommen zu haben.

Old habits die hard. 

Neben der einleitenden Bestimmung gewisser, aus der Geschichte ableitbaren, Eigenschaften, stellten die Historiker im Laufe des Gespräches heraus, dass die Vorbehalte der Premierministerin dem Deutschland nach Bismarck und bis 1945 gelte, dass die Zeit danach jedoch eine Zäsur darstelle. Sie betonten, Deutschland habe aus den Verbrechen der Vergangenheit gelernt, sich intensiv damit beschäftigt und sei somit keine unkontrollierbare Gefahr mehr – selbst als wiedervereinigte Nation. Deutschland habe sich in den letzten vierzig Jahren geändert. Thatcher blieb skeptisch bis zuletzt, erwies sich aber als einsichtig. Die FAZ und die ZEIT berichteten mit Verweis auf das Chequers-Seminar (der Fragebogen, der im Vorfeld an die Experten gesendet worden war, war zur Presse durchgesickert), die Experten hätten Thatcher, bezüglich der Wiedervereinigung, milder gestimmt.

Würden die Experten das gleiche Fazit heute ziehen? Die letzten Jahre liefern eine Vielzahl an Beispielen, in denen Deutsche ihren Hang zum Exzess, zur Übersteigerung der Dinge auslebten. Ich vermute mal kaum eine Organisation kommt im Januar, im Grußwort an ihre Mitarbeiter zum neun Jahr, ohne eine Anbiederung an den politischen Mainstream aus. Jeder Redakteur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, jeder hochrangige Beamte, jeder etablierte Politiker ist ein kleiner McCarthy. Mit dem Unterschied, dass sich die amerikanische Gesellschaft nach einigen Jahren eines Besseren besann. In Deutschland korrigiert man Fehler nicht – am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Let’s agree to disagree gibt es im Deutschen nicht. Und was fast besser die Neigung zur Überschätzung der eignen Kräfte und Fähigkeiten zusammen als „Wir schaffen das“? 

Old habits die hard. Friedrich Wilhelm Foerster, dessen Bücher unter den ersten Werken waren, die die Nationalsozialisten verbrannten, schrieb 1937: „Deutschland war immer schon das große Laboratorium, in dem die Hypothesen der ganzen Welt bis zu Ende durchgeprüft, durchgedacht, durchgelitten wurden.“ Hitler, so Foerster, schrecke bei seiner Anwendung des europäischen Nationalitätenprinzips, im Gegensatz zu den anderen Ländern, vor keiner Folgerung zurück. Haben wir wenigstens – wie es die Historiker und Journalisten 1990 Thatcher darlegten – aus der Vergangenheit gelernt? Beschäftigte sich Deutschland wirklich so intensiv mit seinen Verbrechen und ist es sich seiner Fehler, die zu dieser menschengemachten Katastrophe führten, wirklich bewusst?

Ich bin kein Historiker, habe aber das deutsche Bildungssystem durchlaufen. Der Nationalsozialismus war für meine Klassenkameraden weit weg. Man stöhnte eher, sich jedes Jahr wieder mit diesem Teil der Geschichte befassen zu müssen. Wobei, so wirklich befassten wir uns nie damit. Es blieb immer im Abstrakten. Die Gräuel des Holocaust sind für einen Achtklässler nicht zu begreifen. Die Geisteshaltung, die den Boden zur Massenvernichtung ebnete, wurde vereinfacht dargestellt – wie etwa in der Pflichtlektüre „Die Welle“ – ohne dass es je persönlich, unangenehm wurde. Die Ausgrenzung, aufgrund der Augenfarbe, war so lächerlich, dass wir uns alle im Widerstand wähnten. Mit uns hatte das alles nichts zu tun.

Deutschland hat sich zwar ein Mahnmal in das Zentrum seiner Hauptstadt gebaut, das „warum wir“ aber nie beantwortet; nie beantworten wollen. Die Re-education kam von oben, verinnerlicht wurde sie nicht. Wir haben in der Schule nie gelernt, dass die Lehre aus der Vergangenheit ist, dass wir uns stets für einen offenen Diskurs einsetzen müssen und niemals die Gegenseite entmenschlichen dürfen. Stattdessen haben wir gelernt was gut – links – und was schlecht – rechts – ist und an wen wir uns halten müssen, um die Dinge entsprechend einzuordnen. Wir wurden weiterhin zu Untertanen erzogen.

 

Bereits 1996 revidierte einer der Teilnehmer, der Historiker Norman Stone, in einem Zeitungsartikel in der Sunday Timesmit der Überschrift „Germany? Maggie was absolutely right“, seine positive Haltung. Auf dem Weg zur Währungsunion sei er wieder da, der alte deutsche Führerkult. Ungeachtet fachlicher Einwände von Seiten deutscher Wirtschaftswissenschaftler sei die Politik der Bundesrepublik längst auf Linie gebracht, das Projekt Währungsreform werde fanatisch durchgezogen. Deutschland sei fest entschlossen seinen Selbsthass, der ihm alles Nationale verwehre, in Form eines europäischen Deutschlands zu kompensieren. Er bedauerte, dass die anwesenden Experten nicht auf das Bauchgefühl der Premierministerin vertraut hatten. 

Dabei schloss die Zusammenfassung des Treffens in Chequers nicht ganz so optimistisch, wie es der Artikel Stones vermuten lässt (vielleicht schlug hier wieder die Haltung des Privatsekretärs C. D. Powells durch): „Aber selbst die Optimisten verspürten ein gewisses Unbehagen, nicht mit Blick auf die Gegenwart und die nahe Zukunft, aber bezüglich dem, was noch auf uns zukommen könnte.“ (4) Nicht nur der Fall Relotius hat gezeigt, dass die Deutschen wieder dabei sind, Wahrheit, Prinzipien und Freiheit einem höheren Ziel unterzuordnen – und alle marschieren mit. Die Folgen für Europa könnten verheerend sein. Margaret Thatcher hatte recht. 

(1) "Gerechte unter den Völkern": Eine der wichtigsten Aufgaben von Yad Vashem ist es, Nichtjuden, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um Juden zu retten, die Dankbarkeit des Staates Israel und des jüdischen Volkes zu übermitteln. Sie werden als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Bis heute haben 26.513 Männer und Frauen diesen Titel erhalten. Darunter sind 601 Deutsche. 

(2) In den darauffolgenden Monaten im Jahr 1990 gelangte es trotz der Klassifizierung als „vertraulich“ an die Öffentlichkeit und wurde, in Verbindung mit drastischen Äußerungen gegen Deutschland des britischen Ministers für Handel und Industrie, Nicholas Ridley, in Presse und Politik in Deutschland und Großbritannien heiß diskutiert und sorgte für die sogenannte „Chequers-Affäre“.

(3) Eigene Übersetzung. Englisches Original: „their insensitivity to the feelings of others (most noticeable in their behaviour over the Polish border), their obsession with themselves, a strong inclination to self-pity, and a longing to be liked. Some even less flattering attributes were also mentioned as an abiding part of the German character: in alphabetical order, angst, aggressiveness, assertiveness, bullying, egotism, inferiority complex, sentimentality.”

(4) Eigene Übersetzung. Englisches Original: „But even the optimists had some unease, not for the present and the immediate future, but for what might lie further down the road than we can yet see.”.

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Leserpost

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Bernd Große-Lordemann / 22.01.2019

@Michael Sander Genau so ist es. Alles im unerschütterlichen Glauben mit einer 180° Wende Lehren aus der Geschichte gezogen zu haben. In hundert Jahren vom “Volk ohne Raum” zu Habecks “Raum ohne Volk” mit den gleichen fatalen Eigenschaften.

Andreas Roller / 22.01.2019

Das heutige chaotisch, von blindem Aktionismus geprägte selbstschädigende Verhalten der Politik und des “Mainstreams” (in Ermangelung eines besseren Wortes) in Deutschland mit einer Kontinuität eines negativ konotierten deutschen “Nationalcharacters” seit 1890 (oder gar 1871) zu begründen, leuchtet, wie im Artikel erwähnt, nicht so recht ein. Es düften sich schwerlich Belege dafür finden lassen, genau so, wie das Gegenteil. Hier wird versucht so etwas wie die psychologische Verfasstheit von Individuen über Generationen zusammenzufassen und in eine Art “Nationalcharacter” zu deuten. Diese Liste der (negativen) deutschen Eigenschaften der Chequers Affäre hat, da es sich zum Teil um emotionale Kriterien, die das Resultat von Bewertungen sind handelt, wohl mehr mit britischen Resentiments als mit rational objektiven Analysen zu tun. (Diese Ressentiments und das Erforschen ihrer Entstehung führen wohl auch auf ein weites Feld voller Morast eines “britischen Nationalcharacters”). Die Liste der angeblichen Eigenschaften eines deutschen Nationalcharacters, nimmt man Selbstmitleid und Minderwertigkeit weg, passt so, nach Meinung so mancher Nichtbriten auch auf die Engländer selbst, hier könnte man auch nach Belieben etwa “Arroganz” hinzufügen und Belege in der britischen Geschichte finden, wenn man denn will. Auch für Frankreich würde die Liste fast vollständig gelten. Also was soll der Unsinn? Das Umerziehen Falschmeinender und das Vorangehen auf dem vermeintlich richtigen (linken) Weg ist nicht typisch deutsch, sondern, wenn man schon in eine solche Richtung gehen will, eher das Resultat einer tiefen Unsicherheit, in extremfällen “Selbsthass”, einer Generation Deutscher die sich selbst einer fehlgeleiteten Umerziehung unterzogen hat.

Christa Born / 22.01.2019

Liebe Frau Kaus. Lehnen Sie sich zurück und atmen Sie tief durch. Entspannen Sie sich, werden Sie gelassener.

Sabine Ehrke / 22.01.2019

Wir werden wohl unausweichlich erneut im Faschismus enden, mit all seinen elenden Folgen, und um die Erfahrung reicher sein, wie Gleiches im letzten Jahrtausend geschehen konnte.

Stefan Schultz / 22.01.2019

Guter Arrikel und längst überfällig! Ich habe mich auch oft gefragt, warum der Hang zum Exzess so stark bei Deutschen verwurzelt ist. Ich weiß nicht, ob es kulturell bedingt ist. Was ich weiß ist, dass die Deutschen starke, kollektivistische Züge tragen. Sie tendieren dazu vermeintlich großen Zielen alles unterzuordnen. Das Prinzip der individuellen Demokratie, einer Basisdemokratie ist ihnen fremd. Kritische Auseinandersetzungen mögen sie nicht. Deshalb wird Streit in der Regierung oder der Gelbwesten-Protest als negativ angesehen. Der Deutsche ist harmoniebddürftig und obrigkeitshörig. Das ist seine Stärke und gleichzeitig seine größte Schwäche!

dr. michael kubina / 22.01.2019

Ohne das hier näher ausführen zu können, scheint mir ein wesentlicher Aspekt bei der “Ursachenforschung” vernachlässigt zu sein: der deutsche Protestantismus, v.a. sein Dualismus und die sich daraus ableitende Notwendigkeit, die Dinge bis zu “ihrem Ende” zu durchdenken und dann konsequent zu handeln. Also am Beispiel der Praktikantin vom NF: Wenn ich zu der Überzeugung gekommen bin, dass es Gut und Böse in Reinkultur gibt (und nicht nur als philosophisches Konstrukt) und dann dahin, dass der NF das Böse in Reinkultur vertritt, dann muss ich mit allen Mitteln daran arbeiten, das Böse am Wirken zu hindern, notfalls es gar physisch vernichten. Das wiedervereinigte Deutschland ist eindeutig protestantischer geworden, allerdings gab es die Ansätze dazu auch schon in der alten Bundesrepublik. Der deutsche Protestantismus ist als Religion und Glaube fast tot, aber seine geistesgeschichtlichen und psychologischen Folgen werden noch lange nachwirken, möglicherweise erst nach einer neuen Katastrophe hinter uns gelassen werden können. Ich sage das als jemand, der tief vom preußischen Protestantismus geprägt wurde, der nur schwarz und weiß, aber kein grau kennt. Wenn dann noch die Obrigkeitshörigkeit dazu kommt (cuis regio eius religio), fehlt nicht mehr viel, um den effektiven Wahnsinn, den wir gerade wieder sehen, erklären zu können. Der heutige Protestant sieht sich de facto nicht “in der Sünde” lebend, sondern nur die Anderen. In einem ev. Gottesdienst von heute wird viel von den Sünden der Anderen oder der “Menschheit” gesprochen, aber fast nie von den Sünden derer, die da sitzen.

Chris Groll / 22.01.2019

Sehr geehrte Frau Kaus, vielen Dank für diesen Artikel. Ich kann mich nur den Kommentaren der meisten Foristen anschließen und verzichte deshalb auf eigene Anmerkungen.

HaJo Wolf / 22.01.2019

Ein nach meiner Ansicht entscheidender Aspekt fehlt in diesem Artikel. Ein “Deutschland” hat es von ca 1024 (Ende der Ottonen) bis 1871 nicht gegeben. Das so genannte Heilige Römische Reich Deutscher Nation war ein Konglomerat von eigenständigen Fürstentümern und Städten, der jeweilige Kaiser angewiesen auf Wohlwollen der Fürsten und Geld der Kaufleute. Die einzige deutsche Macht im Mittelalter war die Hanse. Protestantismus und dreissigjähriger Krieg haben zur weiteren Zersplitterung beigetragen. Ein Nationalgefühl hat sich, im Gegensatz zu den anderen Staaten Europas, nie entwickelt. Das hat sich erst unter den Preußen mit dem Aufstieg zur europäischen Großmacht und dem Ende der Kleinstaaterei geändert. Das Bündnis gegen Napoleon schlossen England nicht mit irgendeinem “Deutschland”, sondern mit Preußen. Die Preußen zwangen ihre Untertanen in ein Korsett aus Pflicht, Fleiss und Gehorsam. Dafür erhielten sie Sicherheit. Ich denke, es gibt keine “Deutschen” und keine typisch deutschen Eigenschaften, immer noch nicht. Die Menschen in “Dunkeldeutschland” haben z.B. ein erheblich größeres Zusammengehörigkeitsgefühl als die Wessis (bin selbst Wessi), sie spüren deutlicher, wie und dass der Staat sie belügt und betrügt, sie sind konsequenter gegen Überfremdung, sie stehen ein für ihre Heimat. In Wessiland ist man schon Nazi, wenn man das Wort Heimat oder Volk in den Mund nimmt. Das gemeinsame Nationalgefühl, das sich 1989 zart aus dem Asphalt politischer Unterdrückung hervorwagte, wurde von Kanzlern und Präsidenten dieses Landes mit dem Absatz zertreten - finale Zertreter sind Merkel und Steinmeier. Einer der Gründe, weshalb es die Nazis so leicht hatten, war, dass sie ein deutsches Nationalbewusstsein stärkten, wenn auch auf völlig falscher Basis, was die Menschen 1933 nicht sahen oder sehen wollten. Noch verstehe ich allerdings nicht, was die Menschen heute dazu bewegt, Merkel oder Grüne zu wählen, diese Wähler sind blind und taub. Sie müssten es besser wissen.

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