Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 24.01.2023 / 10:00 / Foto: Pixabay / 79 / Seite ausdrucken

Wie deindustrialisiere ich ein Land? Teil 1: Die Ideologie

Diese Anleitung in drei einfachen Schritten schildert zunächst, wie ideologiebasierte Politik funktioniert, indem sie die Bürger glauben lässt, sie meine es nur gut mit ihnen.

Wer verstehen möchte, was Ideologien so mächtig und attraktiv macht, sollte sich den Parteitag der Grünen vom Ende letzten Jahres noch mal ansehen. Mit Ideologie lässt sich jeder inhaltliche Widerspruch auflösen. Niemals würden ihre Anhänger sie für widerlegt ansehen, nur weil exogene Schocks plötzlich Zielkonflikte deutlich machen. Für Ideologen sind immer alle Elemente ihres Weltbilds miteinander vereinbar. Friedenspartei und Kriegsrhetorik. Wertebasierte Außenpolitik und der Kniefall vor Qatar. Wachstums- und Kapitalismusgegnerschaft und die Forderung, 100 Milliarden für den Klimaschutz zu investieren. Steigende Energiepreise und die weitere Verknappung des Angebots. Klimakrise und Atomausstieg. Die Liste ist lang und die Beispiele der Dialektik der Ideologie wird gerade um die vehemente Forderung der Partei, zu deren Gründungsmytos der Widerstand gegen den NATO-Doppelbeschluss und die Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa gehörte, nach weiteren Panzerlieferungen in die Ukraine ergänzt. Ja, es ist müßig, Widersprüche und Gefahren ideologiebasierter Politik deutlich zu machen. Ideologen sind dagegen imprägniert. 

Die Grünen gewannen bei der letzten Bundestagswahl knapp 15 Prozent der Wählerstimmen. Aber die grüne Ideologie beherrscht Klassenzimmer und Redaktionen seit Jahrzehnten. Sie steckt ab, was gut und was böse ist. Sie erzeugt den Korridor, auf dem sich Ideologen aus Überzeugung, Opportunisten zum eigenen Vorteil und Uninteressierte automatisch bewegen. Allerdings, zwar ist das Grünen-Bashing recht und billig, aber eben vor allem billig. Jede etablierte Partei bietet dieselbe Politik. Weil ihre Mitglieder die Macht des Korridors erkannt haben. Entweder stellten sie resignierend fest, dass man sich nur innerhalb des Korridors bewegen kann und hielten sich deshalb daran, oder sie bemerkten, wie wahrscheinlich Angela Merkel, was für ein wirksames politisches Werkzeug ihnen dort präsentiert wurde. If you can’t change it – embrace it. ("Wenn Du es nicht ändern kannst, umarme es").

Der Aufruf, der nach jeder Wahl in den letzten Jahren ertönt, nun müssten die demokratischen Kräfte gegen die AfD zusammenstehen, verdeutlicht dies. Der von der Ideologie abgesteckte Korridor wird streng eingehalten. Wer das versteht und für sich nutzt, hat ein sehr effizientes Machtinstrument in der Hand. So wie in der DDR die Vergabe von Wohnungen ein Mittel zum Machterhalt der Herrschenden war und nicht ein Mittel, um Wohnraum gerecht zu verteilen, so ist auch die Umweltbewegung ein Mittel zum Zweck für die Opportunisten und Karrieristen, um die Ideologisierten und Uninteressierten zu führen. 

Der Korridor der grünen Ideologie erweist sich als äußerst fruchtbar. In den Krisen der letzten fast 20 Jahre konnte auf ihm immer erprobt werden, wie Widersprüche aufzulösen sind. Wenn es eine Ideologie schafft, dass Menschen mehr als 300 Jahre nach Beginn der Aufklärung ganz unironisch das Wort Klimaleugner aussprechen, was kann man noch alles erreichen, wenn man Gut und Böse, richtig und falsch, kurz „die Wahrheit“ verkündet? In der Eurokrise, die, ganz unromantisch, eine Banken-, Staatsschulden- und Zahlungsbilanzkrise war (und trotz des verwendeten Präteritums noch nicht gelöst ist), lieferte die grüne Verklärung des demokratisch nur schwach legitimierten Brüsseler Verwaltungsapparates und das Gleichsetzen der EU mit Europa die beste ideologische Antwort. „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, machte Angela Merkel daraus. In der Migrationskrise ächtete die Willkommenskultur alle Widersprüche, indem sie sich auf einen kulturellen Universalismus stützte, den sie hinter Multi-Kulti versteckte. Der mit Blick auf die deutsche Katastrophe zu erklärende Selbsthass des Landes wirkte wie ein Dünger im Korridor dieser beiden politischen Erzählungen. Bei der Corona-Krise wurde der anti-wissenschaftliche Slogan von Fridays for Future „Follow the Science“ übernommen, der Widerspruch genauso wenig duldet wie jetzt Äußerungen von „Putin-Trollen“ in Zeiten knappen Energieangebots. 

Immerwährendes „weiter so“ in Medien und Wahlkabinen

Das bedeutet nicht, dass wir es hier mit einem Machtkartell in Politik, Medien, Wirtschaft und Bildung zu tun haben. Kartellabsprachen sind höchst instabil, weil sie immer den Anreiz zum einseitigen Abweichen Einzelner in sich bergen. Vielmehr ist die aktuelle Situation das Ergebnis vieler unabhängiger individueller Entscheidungen. Wer Karriere machen will, beugt sich dem, was als heilig deklariert wurde, weil Abweichen einen ins AfDseits befördert. Nur so kann Ideologie als Machtinstrument wirken. Und genau deshalb prallen die seit Jahren geäußerten inhaltlichen Argumente stets ab, ohne Spuren zu hinterlassen. Denn es geht nicht um Argumente. Das haben all die, die nach ernüchternden Wahlergebnissen stets zum Gründen einer neuen liberalen oder konservativen Partei aufrufen, immer noch nicht verstanden.

Laut Umfragen ist die Mehrheit der Deutschen für Kernkraftwerke, eine konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber und sieht die Meinungsfreiheit im Land in Gefahr. Die einzige Partei, die bei allen dahinterstehenden großen Krisen der letzten Jahre in der Opposition war, legte dennoch in der zuletzt stattgefundenen Landtagswahl in Niedersachen nur 4,7 Prozentpunkte zu. 

Die Brexit Party von Nigel Farage erreichte bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 aus dem Stand 30,5 Prozent der Stimmen. Melonis Fratelli d’Italia verzeichnete im Vergleich zu 2018 einen Zuwachs von mehr als 20 Prozentpunkten. Einen Trump, den etablierte Republikaner verabscheuten, hätte es im Parteienlistensystem Deutschlands nie gegeben. Das deutsche Goutieren eines immerwährenden „weiter so“ in Medien und Wahlkabinen, trotz eklatanter wirtschaftlicher Schieflage, ist in diesem Stimmungsbild ein Ausreißer.

Der kranke Mann Europas ist wieder da

Der deutsche Wähler ist irrational, aber aktuell gemütlich. Dass die Politik gegen seine Interessen handelt, ist für ihn – im Gegensatz zu den erwähnten Italienern, Amerikanern und Briten – nicht wichtig, denn er spürt es noch nicht und hat Vertrauen. In den Staat. In die Obrigkeit. Klischees sind nicht umsonst Klischees. Heinrich Mann, Wladimir Iljitsch Lenin, Heinrich Heine, Max Weber und so viele andere haben diesen Zug des deutschen Nationalcharakters beschrieben. Wilhelm Voigt hat seinen Coup nun mal im Köpenicker Rathaus landen können. 

In Deutschland verlässt man den Korridor nicht. Die Überzeugten huldigen ihm, die Opportunisten nutzen ihn und die Desinteressierten vertrauen darauf, dass sie sich ins Private zurückziehen können, weil schon alles in seinen geordneten Bahnen verlaufen wird. Nur langsam wird deutlich, dass der Korridor eigentlich nur ein schmales Brett ist, das über eine immer tiefer werdende Schlucht führt.

Die OECD und der IWF sind sich einig. Die wirtschaftliche Prognose für 2023 Jahr malen sie vor allem für Europa in dunklen Farben. In einem Interview mit der FAZ erklärte Pierre-Olivier Gourinchas, Chefökonom des IWF, für die USA bestünde noch die Möglichkeit, dass sie die Inflation ohne Rezession in den Griff bekommen könnte. Für die EU hält er dieses Szenario hingegen für sehr unwahrscheinlich. Die dunkelsten Farben sind jedoch für das Bild Deutschlands angemischt. Mit Blick auf die vermeintliche Wirtschaftsmacht sagt Gourinchas, wie vorher bereits die OECD, eine Schrumpfung des Bruttoinlandsproduktes voraus. Dies prognostiziert er sonst nur noch für Italien und Russland. Der kranke Mann Europas ist wieder da. Und das einzige, was mich daran überrascht, ist die Länge der Inkubationszeit. 

Lesen Sie morgen Teil 2: „Das Versprechen“

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Leserpost

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Sam Lowry / 24.01.2023

“Wie deindustrialisiere ich ein Land?” In den Krieg mit Putin eintreten und die Apokalypse heraufbeschwören… obwohl die Bevölkerung mehrheitlich gegen die Lieferung der Panzer war!

Lao Wei / 24.01.2023

Wie sagte Walter Ulbricht: „es muss demokratisch aussehen aber wir müssen alles in der Hand (unter Kontrolle) haben“, In diesem Sinne begann mit der Merkel-MiPo der Abstieg/ Untergang einer Nation. Spätestens wenn BaReDe nicht mehr die halbe EU am fr…. halten kann, werden bestimmte Interessen zur Landübernahme bereit (Gewehr bei Fuß) stehen. Es gibt eine Dame die freut sich drauf!

Alexandra Klabuter / 24.01.2023

Man sieht den Wahnsinn leider nicht nur in Deutschland, sondern spätestens seit Corona fast weltweit. Darin NICHT eine kontrollierte Verschwörung zu sehen, sondern nur linksgrüne Dummheit, fällt schon schwer. Es ist faktisch unmöglich. Die geldwerten Anreize weltweit, die zum “gewünschten” Ergebnis führten, sind eindeutig. Trotzdem bleibt die Analyse richtig. Der Michel dürfte weltweit der wählende Depp sein, der am geduldigsten ist. So nach dem Motto: “et is noch immer jut jejange”. Er wählt daher folgerichtig immer das selbe, darauf hoffend, dass sich schon mal was ändern wird. Was natürlich nie passiert (auch vorausgesetzt, dass diese Wahlen wirklich was ändern, was ich mittlerweile anzweifle). Allerdings dürfte auch klar sein, FALLS die Wahlen was ändert, falls die AfD oder eine andere alternative Partei jemals an die Regierung kommen würde, wäre sie genauso im kaputten System verfangen. Das System, die Medien, der Beamtenapparat sind kaputt und korrupt bis auf die Knochen. Das gibt’s nix mehr zu reparieren.

Bernd Fendt / 24.01.2023

Die Masche ist bei allen großen Themen: Corona, Klima, Energie, Migration, Krieg die gleiche. Haltlose Befürchtungen, unbewiesene Behauptungen werden zur Bevormundung von vielen durch wenige. Und das funktioniert nur weil auf der anderen Seite Risikoscheu, vorauseilender Gehorsam und Vollkaskomentalität herrschen.

Rudhart M.H. / 24.01.2023

Liebe Frau Bauch, wo sehen Sie denn noch Gewerkschaftsvertreter? Der letzte seines Standes war Lokomotivführer ! Aber den kennen Sie bestimmt nicht mehr. Es gibt dank der naiven und verblödeten Grünen und der korrumpierten Freien Demokraten , Sozen und “Christ”-Demokraten keinen mehr, der wirklich etwas bewegen könnte. Dank der 4. Gewalt ist die AfD und ein Häufchen hinter Wagenknecht auf ein Minimaß zusammengepreßt und die Kirche hat ihre Reputation dank innerer Zerissenheit und stets geleugneter Sex-Probleme bereits total verspielt und hält sich nur noch dank staatlicher Alimente über Wasser. Wer also soll hier Klar-Schiff-machen? Aber es ist sowieso egal, denn mit den Leoparden werden wir wohl über kurz oder lang auch Angriffsziel. Es beruhigt mich sehr, daß dann der wehrdienstverweigernde Panzer-Toni genauso auf die Fresse bekommen wird wie alle anderen Kriegsgeilen in Politik und Medien. Ich bin zum Glück schon so alt, daß es mir inzwischen Wurscht ist. Aslo immer zu. Wie sagte doch die Spülhilfe so treffend? Ach ja, sie freut sich drauf , daß unser Land sich ändern wird und zwar drastisch. Na denn man tau! Leider sind die , die noch nicht zum Vasallen geworden Wenige , aber es gibt sie noch, wie unlängst im Hotel “Vier Jahreszeiten” in Hamburg noch zu hören war. Nur - wer von den Jungspunden und Trampolinistinnen mit gefakten Hochschulabschlüssen hört noch die alte Garde? Keiner, denn bereits vollkommen verblödet , merken sie nicht mal, wessen Lied sie singen (müssen)!

M. Posselt / 24.01.2023

Leider eine sehr gute Beschreibung des allgemeinen Opportunismus de Wähler in Deutschland. Ich befürchte aber, wenn die “Schwefelpartei” AfD noch mehr Stimmen bekäme, marschieren die Kampfverbände der Blockparteien auf und zeigen den Gewählten und deren Unterstützern, was eine Harke ist. Ein Vorgeschmack waren die Vorgänge nach der Wahl von Kemmerich in Thüringen. Statt Demokratie ist das dann Totalitarismus. Wir haben schon mehrere Totalitarismen: Euro-, Corona- und Klimadiktatur.

Karl Wagner / 24.01.2023

Sehr geehrte Frau Knaus, vielen Dank, Teil 1 spricht mir schon mal aus der Seele!

PeterBernhardt / 24.01.2023

@Bernd Oberegger   **************** “Deutsche, haltet endlich das Maul. Ihr seid schon viel zu lange hier.” ******** So ist es gut, so ist es recht ! Das hier ist Allahs Land!

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