Gunnar Heinsohn / 06.10.2018 / 16:30 / Foto: Marianarulappa / 12 / Seite ausdrucken

Man kann nicht lernen, gut in Mathematik zu sein

Alternde Nationen können ihr Wirtschaftswachstum halten, solange sie Geld in Algorithmen und Roboter stecken, heißt es bei Daron Acemoglus (MIT). Dieser Zuversicht widerspricht das Team um Nicole Maestas (Harvard). US-Regionen, in denen der Anteil der Über-60-Jährigen um 10 Prozent steigt, senken ihr Wachstum um 5,5 Prozent. In Deutschland – so die Bundesbank – fällt bis 2025 das jährliche Potenzialwachstums von 1,25 auf nur noch 0,75 Prozent, weil im Segment zwischen 60 und 74 Jahren 3 Millionen zu Versorgende hinzukommen, aus der besonders aktiven Kohorte zwischen 45 und 54 Jahren aber 3,5 Millionen ausscheiden. 

Wer hat Recht? Ein Blick direkt auf die Firmen hilft weiter. Erfolgreichere Unternehmen haben bei vergleichbarem Alter – so Janice Eberly und Nicolas Crouzet (Northwestern University)  – mehr Investitionen in Patente, Algorithmen und intangible assets. Dabei geht es um Wissen jeder Art und „gute Leute“, weil damit innovativen Angriffen durch die Konkurrenz erfolgreich pariert werden kann. Auch die ökonomische Lehre erwartet, dass bei gleichem Zugang zu Kapitalmärkten und ähnlich hohen Investitionen in Humankapital vergleichbare Ergebnisse resultieren. 

Diesem Rezept können nicht alle folgen, weil die entscheidende Ressource selbst bei bester Kapitalausstattung nicht ausreichend bereitgestellt werden kann. Es geht um mathematische Kompetenzen. Sie wachsen nicht im Gleichschritt mit steigenden Kinderzahlen, denn man kann nicht lernen, gut in Mathematik zu sein. Investitionen in diese Mutter aller intangible assets können hier in Nullertrag enden, während sie andernorts natürlich heranwachsen. Überdies erreichte man schon 1995 das Maximum dessen, was durch Erziehung erreichbar ist. Der Flynn-Effekt – IQ-Zunahme durch bessere Ernährung, Schulgeldfreiheit und mehr Zuwendung durch weniger Kinder – weicht seitdem in etlichen westlichen Ländern einer Abnahme des IQ. 

Will man trotz Alterung auch morgen noch dabei sein, muss man den Zugang zum schrumpfenden Kompetenz-Pool sichern. Allein in Amerika – so TechRepublic – hat sich seit 2015 die Nachfrage nach KI-Spezialisten verdoppelt. Zwei Fünftel der Offerten bleiben trotz Jahresgehältern um 120.000 Dollar über 60 Tage unbesetzt. Nach der reinen Lehre müssten solche Löhne die Investitionen in Humankapital so lange steigern, bis der Bedarf gedeckt ist. Das aber gelingt nicht. Denn man kann zwar von oben nach unten lernen, aber nicht umgekehrt. 

Gegebene hohe Kompetenz bedeutet permanente Überqualifikation. Sie wird heute nicht abgerufen, ist aber Bedingung für den Erfolg in der Zukunft. Ihre Verfügbarkeit ermittelt man am genauesten durch die Schülerolympiade TIMSS. 2015 erreichen von 1.000 zehnjährigen Ostasiaten – 1,6 Milliarden Chinesen, Koreaner und Japaner – 320 bis 500 die höchste mathematische Leistungsstufe. In Deutschland sind es 53, in Frankreich 25.

Wer bestehen will, schickt Headhunter nach Ostasien

Ostasiens Ausnahmeergebnisse erklären, warum seine Nationen wie Korken nach oben kommen, wenn Eigentum – zur Besicherung von Geld und für Verpfändung gegen Kredit – zur Kompetenz hinzutritt. Im 19. Jahrhundert startet Japan, in den 1950ern folgen Südkorea und Taiwan, in den 1980ern China. Mit einem Durchschnittsalter von 36 Jahren stürmt der Riese bei innovativen Unicorns (ab eine Milliarde Dollar Börsenpreis) zwischen 2013 und 2018 von fast null auf 40 Prozent. Amerika liegt noch knapp vorne, weil über 50 Prozent seiner Tech Companies von Ausländern – auch von Chinesen – stammen. Der gesamte Raum zwischen Tokio, Peking und Seoul steigert zwischen 2006 und 2016 bei den streng gesiebten PCT-Patenten seinen Weltanteil von 50 auf 65 Prozent. Die Nuklear- und Raketentechnologie im „Steinzeitkommunismus“ Nordkoreas indiziert vergleichbares Potenzial, was vom Bruderland Kuba niemand behauptet.

Wer in Zukunft gegen Ostasien bestehen will, schickt seine headhunter dorthin. Die Anglo-Staaten liegen deshalb beim chinesischen Bevölkerungsanteil um die Faktoren 6 (USA), 16 (NZ), 20 (CDN) und 22 (AUS) höher als Deutschland .

Selbst Japan beherbergt sechsmal so viele Chinesen und Koreaner  wie die Bundesrepublik. Dagegen akzeptiert Tokio 2017 nur 20 Asylanten. Man weiß sehr wohl, dass ein Durchschnittsalter von 47 Jahren – Deutschland hat sich migratorisch auf 44 Jahre verjüngt – kompensiert werden muss. Da Fremde, die das eigene Niveau nicht senken, kaum zu haben sind, geht die vorhandene Kompetenz in Zukunftstechnologien. So liegt Japan 2017 mit 48.000 PCT-Patentanmeldungen deutlich vor 19.000 aus der Bundesrepublik. Für einen deutschen Gleichstand müssten es – bei zwei Dritteln der japanischen Bevölkerung (82 zu 126 Millionen) – aber 32.000 sein. Zu den global fünfzig patentstärksten Firmen gehören fünfzehn japanische, aber nur fünf deutsche statt der für ein Gleichziehen erforderlichen zehn.

Fast drei Viertel der 2016 installierten Industrieroboter stammen von (sechs) japanischen Anbietern. Die hochgebildeten eigenen Rentner lassen sich damit zwar nicht ersetzen. Doch niemand wünscht sich schwer Beschulbare aus aller Welt als Alternative. Augsburgs Roboterfirma KUKA – mit weniger als sechs Prozent des globalen Bestandes  – könnte endlich aufholen, weil es seit 2016 in chinesischer Hand ist, also auf einen enormen Kompetenz-Pool zugreifen kann.

Die Chinesen sind ein Glück für KUKA

Berlin wollte diese Übernahme verhindern. Dabei wurde der noble Glaube, dass bei kostenloser Staatserziehung jeder alles lernen könne, bereits durch PISA 2012 widerlegt. Unter 1.000 Migrantenkindern der zweiten Generation konnten damals nur 13 sehr gut rechnen (63 bei den Altdeutschen), über 500 aber endeten mangelhaft bis unbenotbar (gegen 300 Altdeutsche). Bei TIMSS sackte man zwischen 2007 und 2015 vom 12. auf den 24. Platz.

Wer eigene Talente hält, fremde Könner gewinnt und Niveausenker fürchtet, bleibt im Rennen. Singapur – bei nur 83 Kindern pro 100 Frauenleben (150 in D) – schafft das mit 45 Prozent Migranten sowie 14 Prozent Muslimen und hat – nach Berechnungen Heiner Rindermanns – nicht nur die klügsten Einwohner der Welt (IQ 105 gegen 100 in Deutschland), sondern auch die gescheitesten Zuwanderer (IQ 106 gegen 92). Gleichwohl macht der Stadtstaat sich Sorgen und betreibt eine Schulreform. Man hat die ähnlich gescheiten Volkschinesen im Nacken, die mengenmäßig 240 Mal stärker sind. Unterricht in Roboter- und Computerbau soll die Schule lockerer machen. Dabei liegt die Landesjugend beim kooperativen Problemlösen längst auf Platz eins. Das Team der nicht einmal sechs Millionen Einwohner holt – gegen China – im Juli Gold beim International Young Physicists' Tournament. Auch die beiden Jahre davor ist man die Nummer eins.

Die Bundesrepublik muss also Enormes aufholen. Während in Amerika bereits 67.000 chinesische KI-Experten arbeiten (zweimal mehr als etwa in Italien oder Deutschland insgesamt,  The Economist, 15th-21st September 2018, S. 71.), hofft Berlin auf ein neues Einwanderungsgesetz. Es könnte zu spät kommen; denn bei der globalen Attraktivität für ausländische Fachleute sackt das Land zwischen 2014 und 2018 vom 12. auf den 36. Platz .

Gekürzt erschien dieser Artikel am 1. Oktober 2018 als "Migranten, Roboter und Mathe-Asse" auf der Seite „Der Volkswirt“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 

Foto: Marianarulappa CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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J.P.Neumann / 06.10.2018

Ich habe VWL studiert und erlaube mir festzustellen, das Mathematik zu 99%  reine Fleissarbeit ist. Das letzte Prozent Genialität schenken wir dann Gauß und Euler. Wenn allerdings das Schulsystem nicht auf Fleissarbeit, sondern auf (vermuteter) Genialität aufgebaut ist, dann kommen nicht 99% Mathematiker dabei raus, sondern 100% Dilettanten. Wir müssen also keineswegs den Blick gen China richten, wenn wir qualifizierte Leute brauchen, sondern vielmehr dahin wo der Fehler entstanden ist- ins eigene Schulsystem.

R. Nicolaisen / 06.10.2018

Und es wird noch viel schlimmer werden, denn man kann allen jungen hochmotivierten Könnern nur empfehlen auszuwandern. Ein Land, das nicht seine Elite,  sondern den - invadierenden - Bodensatz küßt, kann nur absteigen.

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