Gastautor / 28.06.2010 / 11:42 / 0 / Seite ausdrucken

Ludwig Bamberger – Revolutionär, Liberaler, Demokrat

Von Hansjörg Müller

Die meisten Politiker des deutschen Kaiserreiches sind heute vergessen; lediglich der Reichsgründer selbst, der „eiserne Kanzler“ Otto von Bismarck, dürfte einer breiteren Öffentlichkeit noch bekannt sein. Dabei gab es im Reichstag auch andere markante Persönlichkeiten; eine von ihnen war Ludwig Bamberger. Bamberger wandelte sich im Laufe seines politischen Lebens von einem radikalen Linken zu einem zeitweiligen Gefolgsmann Bismarcks und schließlich zu einem liberalen Kritiker des Reichskanzlers. Seine Gegner, die sowohl der Rechten als auch der Linken angehörten, verfolgten ihn mit ihrem Hass; dabei zeigte sich, dass Antisemitismus auch schon vor über 100 Jahren nicht nur eine Sache der politischen Rechten war.   

Ludwig Bamberger wird am 22. Juli 1823 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Mainz geboren. Als 1848 in Paris die Revolution ausbricht, hat Bamberger gerade sein Jurastudium in Heidelberg beendet. Durch die Ereignisse in Frankreich erwacht auch das politische Bewusstsein in Deutschland. Man fordert politischen Fortschritt und nationale Einheit. Auch Ludwig Bamberger kann sich der Euphorie jener Tage nicht entziehen. Um für die Frankfurter Nationalversammlung zu kandidieren, ist Bamberger noch zu jung. Stattdessen arbeitet er in Frankfurt als Korrespondent verschiedener Zeitungen. In dieser Zeit schließt er erste Freundschaften mit radikalen Demokraten. Durch seine publizistische Tätigkeit lässt er keinen Zweifel an seinem politischen Standpunkt aufkommen und erregt dabei auch die Aufmerksamkeit von Karl Marx, der in den Revolutionsjahren versucht, Bamberger für den Bund der Kommunisten zu gewinnen. Bamberger schließt sich jedoch zunächst der Fraktion des Abgeordneten Robert Blum an, der in der Frankfurter Nationalversammlung die radikalen Demokraten anführt. „Bei Blums Anblick konnte man zweifeln, ob er ein Brauer oder ein Zimmergeselle sei, vierschrötig, eckig, struppig, stumpfnasig, durch und durch derb, meist in Hemdsärmeln, wie geschaffen, das idealisierte Proletariat zu repräsentieren“, beschreibt Bamberger den Weggefährten in seinen Memoiren.

Anfangs gehört Bamberger selbst innerhalb der Linken zu den radikalen Außenseitern: seinem Freund Blum wirft er vor, er sei „viel zu vertrauensvoll“ gegenüber der Obrigkeit. Schon zwei Monate nach der Konstituierung des Frankfurter Parlaments schreibt Bamberger: „Die bisherigen Verhandlungen haben gezeigt, dass die Nationalversammlung nichts tun wird.“ Seine Hoffnungen setzt er von nun an auf eine außerparlamentarische Opposition. Folgerichtig fordert er eine „zweite Revolution.“

Im Mai 1849 greift Bamberger aktiv in die Politik ein. Er setzt sich an die Spitze eines Freiwilligenkorps von 1500 Mann, dessen Ziel es ist, eine preußische Invasion in der Pfalz zu verhindern. Dabei will man zunächst mit badischen Gesinnungsfreunden zusammenarbeiten. Bamberger verhandelt erfolglos mit den badischen Revolutionsführern über ein gemeinsames militärisches Kommando. Am 20. Juli 1849 erklärt Ludwig Bamberger die Revolution für gescheitert. Er muss Deutschland verlassen. Zunächst flieht er in die Schweiz. Zwischen 1849 und 1851 wird er in Abwesenheit dreimal angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt. 1852 verurteilt ihn ein Gericht im pfälzischen Zweibrücken zum Tod. Eine Rückkehr nach Deutschland ist von nun an ausgeschlossen.

Zunächst lässt sich der Exilant in Genf nieder. Dort lernt er nicht nur den Dichter Georg Herwegh kennen, sondern erfährt auch, was es bedeutet, in einem liberalen, demokratischen Land zu leben. Bamberger trifft die führenden Genfer Politiker und wird von ihnen beeinflusst. Seine politischen Ansichten beginnen sich zu ändern. Als er schließlich nach Bern umzieht, fühlt er sich unter den dortigen deutschen Emigranten nicht mehr heimisch. Er trifft dort unter anderem mit Karl d´Ester, einem Gefolgsmann Karl Marx´ zusammen. Der Ton des Berner Kreises habe Bamberger jedoch nicht mehr zugesagt, schreibt sein Biograph Benedikt Koehler.

In seinen „Erinnerungen“ berichtet Bamberger von einem weiteren prägenden Erlebnis: auf einer Reise durch Frankreich bekommt er die „Sophismes économiques“ von Frédéric Bastiat geschenkt. Bastiat, ein liberaler französischer Ökonom, hält ein harmonisches und produktives Zusammenwirken aller politischen und wirtschaftlichen Kräfte für gesichert, wenn die Regierenden nur das freie Spiel dieser Kräfte nicht einschränkten. „Unzählige mal“ habe er dieses Buch zur Hand genommen, schreibt Bamberger. Die wirtschaftsliberalen Thesen Bastiats faszinieren Bamberger.

Nach Zwischenstationen in Antwerpen und Rotterdam, wo er erfolglos versucht, ein eigenes Bankhaus zu gründen, geht Bamberger schließlich im Juli 1853 als Prokurist nach Paris. Das Paris Napoleons III. wird zwar von einem autoritären Regime regiert, doch das Bürgertum arrangiert sich gerne mit den Mächtigen und genießt einen ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung. Politisch stagniert das Land jedoch. Der Kulturhistoriker Egon Friedell bezeichnet die Herrschaft Napoleons III. als „die Allianz des Säbels mit dem Geldsack“; auch Ludwig Bamberger profitiert von dem damaligen Wirtschaftsaufschwung. Nach 1866 hätte er sich, wenn er denn gewollt hätte, zur Ruhe setzen und ein Leben als Privatier führen können. Doch er findet zunehmend Gefallen an seinem Beruf. In Paris erwirbt Bamberger umfassende Kenntnisse im Börsengeschäft und macht sich mit der Zeit bei seinem Pariser Arbeitgeber unentbehrlich.

Als Bamberger 1867 aufgrund von Amnestiegesetzen die Möglichkeit hat, nach Deutschland zurückzugehen, besteht für ihn über eine Rückkehr in seine Heimat kein Zweifel. Er ist nun ein überzeugter Anhänger Otto von Bismarcks. Bismarck hatte nach dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866 weite Teile Deutschlands im Norddeutschen Bund vereint. Mit der Schaffung eines gesamtdeutschen Zollparlamentes, das Entscheidungen über Fragen des grenzüberschreitenden innerdeutschen Handels fällen soll, macht Bismarck seine Absicht deutlich, zu gegebenem Zeitpunkt ganz Deutschland zu vereinen. Mit Bismarck scheint endlich ein Staatsmann die politische Bühne betreten zu haben, dem man zutrauen kann, dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen. Ludwig Bamberger vergleicht ihn mit dem Grafen Camillo Cavour, dem Einiger Italiens.

Im April 1868 tritt Bamberger der Nationalliberalen Partei bei, die er schließlich im Zollparlament vertritt. In diesem Gremium setzt er sich vor allem für den Freihandel innerhalb Deutschlands ein. Ludwig Bamberger hat damit den Wiedereinstieg in die deutsche Politik erfolgreich geschafft. 1870 gehört er zu den wichtigsten publizistischen Unterstützern des deutsch-französischen Krieges, den er wie Bismarck für notwendig hält, um die Einigung Deutschlands zu vollenden. Nach 1871 unterstützt er zunächst als Abgeordneter des Reichstags die Politik des Kanzlers. Außerdem wird er Mitglied des Aufsichtsrates der 1870 gegründeten Deutschen Bank. Im Reichstag setzt er sich für eine Währungsreform ein, die dem neugegründeten Reich eine Einheitswährung bringen soll. Diese Reform wird zwischen 1872 und 1875 erfolgreich durchgeführt. Bamberger gilt nun als einer der Väter der Deutschen Mark.

1879 bricht Bamberger mit Bismarck. Die Schutzzollpolitik, die der Kanzler unter dem Druck verschiedener Interessengruppen verfolgt, widerspricht Bambergers liberalen Vorstellungen. Aber auch an den autoritären Sozialistengesetzen stört sich Bamberger; außerdem ist er ein Gegner der Kolonialpolitik der Regierung. In Bambergers Augen stellt die Politik Bismarcks nach 1879 einen Bruch mit dem Gründungskompromiss dar, den die alten Eliten mit dem Liberalismus geschlossen hatten. Bambergers Hoffnungen, wonach die autoritären, undemokratischen Elemente des Bismarck-Reiches durch eine Reformpolitik nach und nach verschwinden würden, scheinen sich zu diesem Zeitpunkt zerschlagen zu haben. Von nun an ist er der Anführer der liberalen Opposition im Reichstag; er bleibt es bis zu seinem Tod 1899. 

Natürlich ist Ludwig Bamberger bereits zu Lebzeiten eine heftig umstrittene Figur. 1848 gehörte er zu den heftigsten Befürwortern einer radikalen Revolution. Selbst ein radikaldemokratischer Politiker wie Robert Blum war ihm zu kompromissbereit; grundlegende Reformen hielt er nur im Widerstand gegen die Obrigkeit für möglich – nicht im Kompromiss mit ihr. Kaum 20 Jahre später zählt er zu den Stützen der reformkonservativen Bewegung, die den Staat von oben reformiert, auch und gerade um den Forderungen der radikalen Demokraten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine solche Wende musste seinen früheren politischen Weggefährten als Verrat erscheinen.

Gerade auch seine wirtschaftsliberale Einstellung ist es, die von vielen seiner Zeitgenossen mit Misstrauen betrachtet wird. Das moderne Wirtschaftsleben wird von vielen noch zünftlerisch geprägten Deutschen als Bedrohung betrachtet. Angriffe auf Bamberger bleiben denn auch nicht aus. 1879 erscheint unter dem Pseudonym Hilarius Bankberger eine Schmähschrift: „Jener huldigte bekanntlich in den Sturm- und Drangjahren von 1848 der roten Republik, wurde in der Folge seiner Betätigung zu mehrjährigem Zuchthaus verurteilt, zog aber, seiner eigenen Äußerung zufolge, mehrere Jahre Bankhaus vor.“ Oft ist Bamberger auch das Ziel antisemitischer Schmähungen. Nach 1879 setzt er sich in mehreren Streitschriften gegen seinen ehemaligen nationalliberalen Fraktionskollegen Heinrich von Treitschke zur Wehr, der durch seinen unverhohlenen Antisemitismus für Aufsehen sorgt; außerdem kritisiert er Bismarck, der dem wachsenden Judenhass nicht entgegentrete. Doch auch die politische Linke bedient sich antisemitischer Vorurteile: Karl Marx schreibt, Ludwig Bamberger habe den neun Musen eine „zehnte, hebräische Muse“ zur Seite gestellt, „die Muse der Zeit, wie er den Kurszettel nennt“; außerdem spreche er die „Zigeunersprache der Pariser Börsensynagoge.“ Antisemitische, antiliberale und antikapitalistische Ressentiments gingen bereits im 19. Jahrhundert Hand in Hand. 

Hansjörg Müller schreibt auch für „El Certamen“, eine kolumbianische Online-Zeitschrift (http://www.elcertamenenlinea.com). Eine vollständige Übersicht über seine Veröffentlichungen finden Sie unter: http://thukydidesblog.wordpress.com/       

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