Vera Lengsfeld / 22.04.2010 / 08:50 / 0 / Seite ausdrucken

Lost in Havanna (1)

Seit dem Vulkanausbruch gehöre ich zu den Gestrandeten. Genauer gesagt, zu den Opfern einer bürokratischen Instanz, die das alleinige Sagen in dieser Sache in Europa hat und der sich alle Länder beugen müssen. Das von Eurokontroll verhängte Flugverbot hat rund um den Glosbus Hunderttausende Touristen getroffen, die, sofern sie sich in Übersee befinden, in einer immer verzweifelteren Lage sind. In Deutschland ist das für die Politik kein Thema. Über die Deutsche Welle wurde uns mitgeteilt, dass unsere Bundeskanzlerin sich hinter die Maßnahmen von Eurokontroll gestellt hat und sich unser Verkehrsminister in der Bundestagsdebatte gefreut hat, dass der Himmel wieder frei sei. Von den betroffenen Menschen war keine Rede.

Mehr noch, die entscheidende Frage, wieso eine Behörde so weitreichende Entscheidungen treffen kann, aufgrund einer Computersimulation, ohne Messungen durchgeführt und eine zweite Meinung eingeholt zu haben, soll offenbar nicht diskutiert werden. Die Gestrandeten sind weniger die Opfer eines Vulkanausbruchs, als einer Politik, der jegliche Transparenz abhanden gekommen ist, die Verantwortung scheut und sich um die Folgen ihres Handelns nicht kümmert.

Die Folgen sehen in Havanna so aus: Hunderte Deutsche stehen stundenlang vor dem Air France Büro Schlange, ohne dass sie die geringste Aussicht haben, in den nächsten Tagen einen Flug zu bekommen. Der Flughafen von Havanna ist gähnend leer. Nächtigen darf man hier nicht. Wer kein Geld mehr hat, die sprunghaft gestiegenen Hotelpreise zu bezahlen, muss unter freiem Himmel campieren. Zum Flugplatz kommt man nur mit dem Taxi, 25 Cuc (ca. 25 Dollar) hin, 25 zurück in die Stadt. Das können sich viele nicht mehr leisten. Kreditkarten gelten hier nur eingeschränkt, deshalb haben nur Wenige ihre Kreditkarte mitgenommen. Wer sie zum Einsatz bringt, muss mit über zehn Prozent Gebühren rechnen. Telefonieren nach Europa ist nicht in allen Hotels möglich und kostet, wenn es klappt, etwa fünf Dollar die Minute. Um ins Internet zu kommen, muss man stundenlang Schlange stehen und verbringt dann die meiste Zeit mit Überwindung der Hürden der spanischen Server und mit der Suche nach den richtigen Buchstaben auf der Tastatur. Nicht nur, dass die kubanische Tastatur anders ist, als die in Europa. Die am häufigsten gebrauchten Buchstaben sind bis zur Unkenntlichkeit abgerubbelt. Und wo findet man das @? Über der 2, aber nicht immer.

Es ist unter diesen Umständen äußerst schwiegig, den Lieben Daheim eine Nachricht zukommen zu lassen. Wenn man Pech hat, ist die Mail fast geschrieben, dann fällt der Strom aus und der Text ist weg. Mir geht es gegenüber anderen gut. Ich bin mit einer Reisegruppe der Staatspolitischen Gesellschaft Hamburg unterwegs, die sich in vorbildlicher Weise um uns kümmert. Unsere Zimmer werden von Hamburg aus bezahlt. Unser Reisebüro, Kultourtouristmus Held hat das Kunststück vollbracht, dass wir noch die alten Preise bezahlen. Der stellvertretende deutsche Botschafter, Dr. Volker Pellett, unterstützte unsere Gruppe dankenswerter Weise mit einem Brief an Air France.

Aber den anderen, die dieses Glück nicht haben, geht es täglich schlechter. Viele wissen nicht, wovon sie in den nächsten Tagen leben sollen. Unter den schlangestehenden vor dem Air France Büro macht das Gerücht die Runde, dass mit einem Rückflug nicht vor Anfang Mai, oder gar Mitte Mai zu rechnen sei. Die Briten holen Ihre Landsleute zurück, mit Kriegsschiffen und Militärflugzeugen, mit Sondermaschinen. Die deutschen Politiker dagegen sind zum Tagesgeschäft übergegangen und kümmern sich nicht um die Kolateralschäden der von ihnen unterstützten eurobürokratischen Entscheidungen. Oder haben wir das was verpasst? Und Havanna wurde einfach nur vergessen? Das Mindeste, was die Gestrandeten hier brauchen, sind ein bis zwei Sondermaschinen der Air France oder - was die Deutschen alleine entscheiden könnten - von Condor. Herr Westerwelle, Herr Ramsauer, Frau Merkel: Sorgen Sie dafür!!

 

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