Filipp Piatov / 28.10.2013 / 16:42 / 4 / Seite ausdrucken

Liberaler Dialog, Teil 3: “Mindestlohn”

Christoph Giesa: Lieber Filipp, wir sind ja beide gegen einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Ist Dir bewusst, dass das im Umkehrschluss auch heißen muss, dass Du für starke Gewerkschaften sein solltest?

Filipp Piatov: Du meinst wohl eher, ich sollte der Meinung sein, man müsse Gewerkschaften stärken. Der Meinung bin ich jedenfalls nicht. Ich bin für einen schwachen Staat, niedrigere Lohnnebenkosten und niedrigere Steuern. Erst das macht eine faire Lohnfindung möglich. Fair im Sinne des Marktes, natürlich.

Christoph Giesa: Das heißt, Du würdest die Lohnfindung alleine in die Hände des Arbeitgebers und des einzelnen Arbeitnehmers legen?

Filipp Piatov: Es ist mir egal, wie Menschen zu ihrem Lohn kommen. Wenn sie wollen, können sie alleine verhandeln. Wenn sie sich organisieren wollen, können sie einer Gewerkschaft beitreten. Ich bin nur nicht der Ansicht, dass der Staat sich in die Lohnfindung einmischen muss, um irgendeine komische und erfundene Art von Gerechtigkeit herzustellen. Jetzt bin ich aber mal auf deine Position gespannt. Vermutlich völlig weg von jeglichem Liberalismus und mit dem Ziel, dem ausgebeuteten Arbeiter zu helfen?

Christoph Giesa: So eine Antwort habe ich erwartet. Und wahrscheinlich hätte ich sie von jedem Libertären oder Klassisch-Liberalen ähnlich bekommen. Daran merkt man aber auch, dass Ihr mit liberaler Ordnungspolitik a la Eucken, Müller-Armack und Co. wirklich gar nichts mehr am Hut habt. Märkte funktionieren in einem liberalen Sinne erst, wenn sie auf freien Verhandlungen auf Augenhöhe basieren. Machtungleichgewichte ergeben sich nur in unvollkommenen Märkten - und die führen dazu, dass Menschen auch Jobs annehmen (müssen), in denen sie weit unterhalb ihrer eigenen Produktivität bezahlt werden. Das ist in Deutschland inzwischen Gang und Gäbe - und es müsste auch Euch aufschreien lassen, weil es den Markt als Ganzes diskreditiert. Anstatt dessen nennst Du alleine den Gedanken, dieses Problem zu beheben “irgendeine komische und erfundene Art von Gerechtigkeit herzustellen”. Du bestreitest aus Angst davor, Lösungen entwickeln zu müssen, einfach, dass es ein Problem gibt. Das ist die Verweigerung von Politik.

Filipp Piatov: Großartig! Wie wohl Ihr Sozialliberalen euch in diesem System fühlt! So wohl, dass ihr euch tatsächlich eingeredet habt, es wäre frei und marktwirtschaftlich - so könnt ihr das Scheitern des Systems leicht auf den Markt schieben, clever! Die erfundene Art von Gerechtigkeit ist übrigens die “soziale Gerechtigkeit”; ein Begriff ohne Definition, eine Ideologie ohne Ziel. Aber tatsächlich, unsere Einstellung zum Mindestlohn ist Verweigerung von Politik. Es ist sogar wesentlich mehr. Es ist die Ablehnung politischer Tätigkeit im Arbeitsmarkt. Aber zurück zu meiner Frage. Wie stehst du zum Mindestlohn?

Christoph Giesa: Nur mal so als Frage nebenbei: Ist Dir eigentlich bewusst, dass die Tarifautonomie in Deutschland Verfassungsrang hat? Vermutlich nicht. Auf jeden Fall finde ich es bedenklich, wie es Dich überhaupt nicht zu stören scheint, dass eine der maßgeblichen Säulen der Sozialen Marktwirtschaft immer weiter zerbröselt. Aber nun inhaltlich: Ich glaube, dass man als Fernziel definieren muss, die Tarifautonomie als solche zu stärken. Dazu braucht es starke Gewerkschaften, auch wenn das viele Liberale erst wieder lernen müssen, nach Guido Westerwelles jahrelangen Polemiken. Denn ohne starke Gewerkschaften läuft man fast automatisch in die staatliche Lohnfindung, wie gerade zu beobachten ist. Vor dem Hintergrund, dass auch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes vielen Gewerkschaften den Boden unter den Füßen weggezogen hat, weil Minijobber, Werksvertragler und Aushilfskräfte sich nicht in Gewerkschaften engagieren, sollten wir uns als Liberale auch überlegen, wie man dem entgegenwirkt, ohne die Liberalisierung aufzuheben. Das derzeit zu beobachtende Trittbrettfahrerproblem, dass es unattraktiv macht, Mitglied zu werden, müsste aufgelöst und die Hürden, die gelten, damit Tarifverträge allgemeingültig werden, müssen gesenkt werden. Das wäre übrigens auch im Sinne verantwortungsvoller Arbeitgeber.

Filipp Piatov: Okay, ich fasse zusammen: Irgendwie Gewerkschaften stärken, Hürden für Verallgemeinerung von Tarifverträgen senken und Minijobber (etc.) daran hindern, die Löhne zu drücken.
Aber wie du konkret zum Arbeitsmarkt stehst, verstehe ich immer noch nicht. Findest du, dass ein Lohn von unter 8,50 tatsächlich menschenunwürdig ist? Ich weiß, dass du prinzipielle Fragen nur ungerne hörst, aber ich muss ja wissen, mit wem ich es zu tun habe. Um Hayek zu paraphrasieren: Wohin soll die Reise gehen?

Christoph Giesa: Noch einmal: Die Tarifautonomie hat - zu Recht - Verfassungsrang und hat über Jahrzehnte, in denen sie funktioniert hat, beachtliche und nach Branchen und Regionen differenzierte Lösungen gebracht. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn wird das Gegenteil davon erreichen und dabei die Tarifautonomie endgültig zerschießen. Einfach nur zu schreien “Das wollen wir nicht!” hat allerdings dazu geführt, dass man ihn jetzt bekommt. Wenn man ihn wieder loswerden will, muss man bessere Konzepte vorlegen. Wer sich jetzt in diesem Thema - wie auch in anderen - immer noch der Debatte verweigert, weil er keinerlei Eingriffe akzeptiert, hat nicht nur liberale Ordnungspolitik missverstanden, sondern macht die FDP auch überflüssig. Und ganz nebenbei: Wenn einem Unternehmer nichts anderes einfällt, als sich über Lohndumping im Markt zu behaupten, dann hat er Unternehmertum falsch verstanden. Fleiß und Kreativität sollten da doch etwas mehr zählen, oder?

Filipp Piatov: Hier gehen wir wohl etwas auseinander, Christoph. Wenn du eine liberale Partei willst, die hin und wieder ein Korrektiv ist, bitteschön. Angesichts der 4 sozialdemokratischen Parteien im Bundestag wird so ein Korrektiv jedoch nur wenig ausrichten können. Wieso nehmen wir uns jetzt nicht die Freiheit und diskutieren tatsächlich mal über Liberalismus, anstatt an einem maroden System die marodesten Symptome zu behandeln?
Arbeitspolitik ist zum Beispiel auch Bildungspolitik. Und solange wir Menschen in ihrer angeborenen Unproduktivität lassen, ist es anmaßend, ihnen erst am Arbeitsmarkt helfen zu wollen. Das nur als Exempel.
Beim Lohndumping haust du mich wieder um. So funktioniert nun mal der Markt: Arbeitgeber wollen niedrige, Arbeitnehmer hohe Löhne. Erzeugt die Arbeit wenig Wert und wird dann auch noch zuhauf angeboten, kann sie selbstverständlich nicht gut bezahlt werden. Als Schüler war ich recht froh darüber, für 6€ Regale einräumen zu können: 6€ sind nämlich besser als nichts, und viel produktiver war ich damals eben nicht. Also hör doch bitte auf, Menschen zu diktieren, wie sie zu wirtschaften haben.

Christoph Giesa: Da haust Du mich auch wieder um: Nicht jeder Lohn hat etwas mit Produktivität zu tun. Deine Theorie ist eben genau das: eine Theorie. Und die hat eben mit der Realität nichts zu tun, wenn die Voraussetzungen eines vollkommenen Marktes nicht gegeben sind. Offensichtlich kenne ich die neoklassische Theorie besser, als die, die sich auf sie berufen. Aber ich sage Dir ganz ehrlich: Darüber freuen kann ich mich nicht. In diesem Sinne müssen wir wohl wieder einmal konstatieren: Viele Worte, keine Übereinkunft. Langsam wird es eng bei der Frage, inwieweit so unterschiedliche Positionen unter ein Parteidach passen sollen. Aber das diskutieren wir dann vielleicht beim nächsten Mal.

Filipp Piatov: Wenn ich einen Menschen einstelle, dann hat er für mich wohl irgendeinen Wert. Und was ich ihm zahle, entscheidet der Markt. Ich berufe mich überhaupt nicht auf Theorien, ich sehe das recht simpel. Aber schön, dass du wenigstens einsiehst, dass wir wirklich nicht in einem perfekten Markt sind. Nicht ganz so simpel wird es tatsächlich für die FDP. Aber wir haben eh noch mindestens 4 Jahre, ein wenig Diskussion tut der Partei - und vor allem dem Liberalismus - endlich ganz gut.

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Leserpost

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Swen Schmitt / 28.10.2013

Wir haben einen freien Arbeitsmarkt? Aber sicher nicht in Deutschland und der EU. Was wir haben ist ein Dschungel von Gesetzen, Verordnungen etc. Dies als Vertragsfreiheit zu bezeichnen ist ein schlechter Witz. Auf Grund der vielen staatlichen Regeln haben wir einen Arbeitsmarkt mit über 3 Mio Arbeitslosen und nochmal so vielen in irgendwelchen Massnahmen. Mit jeder Regel werden die Eintrittsschwellen höher und so beleiben immer mehr Menschen auf der Strecke. Als Unternehmer können Faule und Arbeitsunwillige, wenn überhaupt nur mit enorem Kosten gekündigen werden. Fleißige, motivierte Angestellte sind Juwelen, die jeder Arbeitgeber schätzt und entsprechend bezahlt (egal mit welcher Qualifikation). Wenn ich Herrn Giesa lese, dann weiß ich warum die FDP unwählbar geworden ist. Eine weitere Sozialistenpartei brauch niemand, da kann man eine der vier Orginalen wählen. Libertäre im Sinne eines von Hayek, Mises oder Baader, wäre ein Gewinn für Deutschland. Endlich eine Alternative gegen die kommunistischen Blockparteien. Themen sind mehr als ausreichend da. Sie brauchen nur aufgegriffen werden: Euro, Geldsystem, planwirtschaftliche Energiewende, Klimawahnsinn, grüne Volksbeglückung, Politbüro (EU Kommision) der EUdSSR in Brüssel, die uns u.a. mit Verboten beglückt. Nach dem Glühbirnenverbot folgt nun, das Staubsaugerverbot, selbst der Wasserhahn ist nicht sicher vor dem Irrsinn von 50.000 Eurokraten. Die Liste ist endlos. Herr Piatov nutzen Sie die Chance. Setzen Sie sich durch.

Christian Weiss / 28.10.2013

Ui, jetzt bin ich zuerst schon bei der Themenstellung erschrocken! Mindestlohn? Da kann doch kein Liberaler auf dieser Welt dafür sein. Was gibt es da zu diskutieren? Aber dann kommt ja die Entwarnung: Beide Dialogpartner sind dagegen. Doch der Schreck folgt so gleich und zeigt einmal mehr, dass eine “sozialliberale” Position eben keine liberale sein kann. Stärkere Gewerkschaften? Die hätten in der Endabrechnung vergleichbare Wirkung wie ein Mindestlohn: Es werden Lohnforderungen gestellt, die in keinem Verhältnis zur Wertschöpfung der Mitarbeiter stehen. In der Folge sind die Firmen gezwungen, ihre Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Nachfrage nach Arbeitnehmern sinkt. Die Löhne kommen zusätzlich unter Druck. Man kann es nicht genug betonen: Das Beispiel Schweiz beweist schwarz auf weiss, dass ein wenig regulierter Arbeitsmarkt mit Gewerkschaften/Berufsverbänden ohne Allmacht und ohne Schwachsinn wie Kündigungsschutz eine höhere Erwerbsquote, eine tiefere Arbeitslosigkeit und höhere Löhne ermöglicht. Für 8.50 Euro arbeiten in der Schweiz nicht mal polnische Erntehelfer. Mindestariflöhne im Gastgewerbe und in der Coiffeurbranche als Beispiel betragen 15 Euro (ungelernt) bzw. 16.50 Euro pro Stunde.

Arnd Siewert / 28.10.2013

Bildung ist kein Heilmittel und ein Intelligenzfilter kann alles schön reden. Es fehlen schlicht die Werte, schlimm wenn Freiheit zum Deckmantel der Bosheit wird!

Nils Augustin / 28.10.2013

Ich kann ja die Argumente beider Parteifreunde gut nachvollziehen ... und würde mir wünschen, dass Christoph Giesa versteht, dass die FDP auch die Argumente des anderen braucht, um nicht in ihren Positionen beliebig zu werden ...

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