Wolfram Weimer / 22.08.2019 / 06:25 / Foto: Frank Schwichtenberg / 59 / Seite ausdrucken

Lady in Red: Warum bieder für die Mitte sexy ist

Den Linken ist er mit seinen moderaten Positionen zu mittig. Den Jungen ist er mit seinen 76 Jahren zu alt. Den Reformern ist er zu sehr Establishment. Den Coolen ist er zu hölzern. US-Präsidentschafts-Bewerber Joe Biden zieht jede Menge Kritik auf sich. Bei den TV-Debatten wird er am schärfsten attackiert, linke Journalisten verhöhnen ihn regelrecht. Ein “Dinosaurier” der Politik sei er, ein “Yesterday Man”. Tatsächlich gehörte er von 1973 bis 2009 als Vertreter von Delaware dem US-Senat an. Von 2009 bis 2017 war er unter Präsident Barack Obama der 47. US-Vizepräsident. Kann so einer für einen Neubeginn Amerikas nach Donald Trump stehen?

Für die Wähler der Demokraten kann er das sehr wohl. Biden ist trotz aller Kritik der unumstrittene Star der Meinungsumfragen. Er liegt weit vor allen Konkurrenten der Demokratischen Partei. Auch in den wichtigen Vorwahl-Staaten Iowa und New Hampshire liegt er deutlich vorne. Und so fließen ihm nun immer mehr Spendengelder für den weiteren Wahlkampf zu. Ausgerechnet der biedere, bürgerliche, betagte Biden ist plötzlich der haushohe Favorit im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf – er wird zur Verblüffung vieler Journalisten Donald Trump zusehends gefährlich.

Für Olaf Scholz sind das gute Nachrichten. Denn der Vizekanzler und Finanzminister ist so etwas wie der deutsche Joe Biden. Auch ihn halten viele für zu bieder, trocken, uncharismatisch. Ein “Scholzomat” sei er. Auch er wird vom linken Flügel seiner Partei als zu moderat verunglimpft, als “Agenda-Freund” (was im SPD-Sprech so viel heißt, wie: kalter Kapitalist) und als “die zu fleischgewordene Große Koalition” verhöhnt. Auch Scholz hat wenig Freunde unter Journalisten und eher miese Presse. Doch auch bei ihm könnten sich am Ende noch viele die Augen reiben.

Die eigentliche Kraft kommt immer aus der Mitte

Biden wie Scholz haben drei latente Stärken, die ihre linken Kritiker schwer unterschätzen, die aber im Wahlvolk ein politisches Pfund bedeuten:

Erstens verkörpern sie die gesellschaftliche Mitte. Volksparteien, auch ramponierte, beziehen ihre eigentliche Kraft immer aus der Mitte. Dort wuchten die großen Mehrheiten. Helmut Schmidt und Gerhard Schröder waren dem linken SPD-Flügel ein Gräuel, beim breiten Bürgertum aber eben beliebt. Nur mittige Macher wie sie konnten für die SPD Kanzlerschaften erringen, dezidiert Linke hätten nie eine Mehrheit gefunden. Daher sind auch heute die SPD-Wahlchancen mit Scholz viel größer als mit Kevin Kühnert oder Ralf Stegner.

Das gilt auch für die USA. Linke Journalisten und wechselheiße Parteifunktionäre feiern Bernie Sanders, Elizabeth Warren oder Kamala Harris. Doch die breite Wählerschaft liebt eher den Mann der Mitte. Biden erklärt dazu, die große Mehrheit der Demokraten stehe “mitte-links”. “Das ist da, wo ich bin. Was es nicht ist, ist ganz links.”

Zweitens nutzt beiden Politikern ihre scheinbare Schwäche des fehlenden Temperaments. Biden wie Scholz verkörpern ein unterschätztes Gut politischer Wirkmacht: Ruhe und Gelassenheit. Gerade in aufgeregten Zeiten wird das Katholisch-Verwurzelte (Biden) oder das Hanseatisch-Balancierte (Scholz) zu einer Qualität. Je lauter in den USA wie in Deutschland das Geschrei der gesellschaftlichen Polarisierung erschallt, desto eher werden Leitfiguren leiser Souveränität geschätzt. Angela Merkel hat von diesem Effekt oft profitiert. Wenn nun Biden wie Scholz zuweilen wie Anästhesisten der Macht agieren, könnte auch ihnen das noch nutzen. Denn beide müssen tiefe Verwundungen heilen – Scholz die der ausblutenden SPD, Biden die der verletzten Seele einer gespaltenen Trump-Nation.

Drittens verfügen Biden wie Scholz über Erfahrung und Regierungsaura. Auch das sind uncoole Kategorien für ein oberflächiges Showbusiness-Politikverständnis. Für die bürgerliche Mitte aber sind Kompetenz und Erfahrung wichtige Werte. So steht Joe Biden für das beinahe nostalgische Versprechen, zur politischen Seriosität zurückzukehren. Scholz könnte die Verheißung adressieren, die politische Normalität der alten Bundesrepublik zurückzubekommen. Beide verkörpern womöglich jenen Trend, der derzeit ohnedies Zeitgeister verblüfft: die neue Biederkeit. In den USA jedenfalls sind die Signale eindeutig. Laut einer Umfrage von Fox News, dem Trump-freundlichen News-Kanal, würde Joe Biden Donald Trump derzeit bei Präsidentschaftswahlen schlagen: Und zwar haushoch, mit 50 zu 38 Prozent.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Klaus Blankenhagel / 22.08.2019

Als Belohnung dafuer, dass er seinerzeit Hamburg in Schutt und Asche legen liess, wurde er “nach oben” befoerdert. Und nun geht es vermutlich noch hoeher, kann aber auch als Abschuss gesehen werden..!

Werner Arning / 22.08.2019

Es ist vielleicht die optische Harmlosigkeit, die vertrauenserweckend wirkt. Da sieht einer so aus, als könne er nichts Böses im Schilde führen. Als gehöre er nicht zu den Gewieften. Zu den ganz Schlauen. Zu den Pfiffigen. Biederkeit kann Vertrauen schaffen. Es gibt heutzutage so viele Ausgefuchste. Gerade in der Politik. Da ist man vielleicht für etwas vermutete Bodenständigkeit dankbar. Ob die Vermutung allerdings gerechtfertigt ist, steht auf einem anderen Blatt Papier. Da haben wir doch derzeit ein Beispiel, bei dem es nicht gerechtfertigt ist. Überhaupt nicht gerechtfertigt ist.

Dirk Jürgens / 22.08.2019

Die Chaos-SPD wird kaum so klug sein und Scholz zum Vorsitzenden wählen. Wäre ja auch langweilig. Hoffentlich wählen sie Ralf Stegner und Gesine Schwan! Das wird lustig! Die spannendste Frage bei der nächsten Bundestagswahl wird dann sein, ob die SPD die 5%-Hürde schafft.

Marc Blenk / 22.08.2019

Lieber Herr Weimer, Jesses Maria, wo ist sie denn verortet, die Volksseele? Wie kommen sie darauf, dass sie biedere Volksvertreter will?  Wie kommen sie darauf, dass Scholz für die alte BRD steht? Wie kommen auf eine Kongruenz amerikanischer und deutscher Verhältnisse, von Biden und Scholz? Herr Scholz ist ein schlechter Finanzminister, der jetzt vielleicht oder auch nicht oder doch Parteivorsitzender werden möchte. Ein Mann, der gesellschaftspolitisch noch überhaupt nichts vermeldet hat. Vielleicht meinen sie aber auch nur, dass es darauf nicht ankommt, weil der Michel lieber nichts von der Realität mitbekommen möchte und lieber weiter schnarcht und dass deshalb Scholz der Mann der Stunde wäre? Manche ihrer Artikel geben mir Rätsel auf.

Uta Buhr / 22.08.2019

Zunächst einmal herzlichen Dank für die fulminanten Leserbriefe auf diesen mehr als suboptimalen Achse-Beitrag des Herrn Weimer. Tja, wie kommt der Mann nur darauf, Scholz, der schwarzen Doppelnull, einen Lorbeekranz aufs kahle Haupt zu setzen. Es ist hier bereits fast alles zu dieser farb- und stillosen Figur im Ministeramt gesagt worden, angefangen bei seinem feigen Versagen während des G20 im letzten Jahr in Hamburg, über seinen unverschämten Versuch, Eltern die Erziehung ihrer Kinder aus der Hand zu nehmen - Stichwort “Hoheit über den Kinderbetten” -  bis hin zu seinem jetzigen Versuch, die im Koma liegende SPD zur erfolgreichsten Partei im Land zu machen. Ich meine ,mich zu erinnern, dass er irgendwas von 40 % faselte. Selten so gelacht. Aber ein ganz wichtiger Aspekt seiner ach so segensreichen Tätigkeit blieb bislang unerwähnt - die berufliche Förderung seiner Ehefrau Britta Ernst. Immerhin bekleidete diese ohne entsprechende Vorbildung von 2014 bis 2017 den Posten der Ministerin für Bildung, Jugend und Sport in Schleswig-Holstein (seinerzeit noch fest in SPD-Hand), um im September 2017 in gleicher Position in das Kabinett Woidke in Brandenburg (ebenfalls SPD) zu wechseln. Wer hört da die Nachtigall nicht trapsen. und wem fällt dabei nicht das böse Wort Nepotismus ein. Was ich dem Autor Weimer ganz besonders übel nehme, ist, dass er den Scholzomaten zu einem, Hanseaten hochstilisiert. Da geht mir als Hanseatin in vierter Generation buchstäblich der Hut hoch. Helmuth Schmidt war ein Hanseat vom Scheitel bis zur Sohle - charismatisch, pragmatisch und verantwortungsbewusst. Trifft eine dieser Eigenschaften auf Olaf S. zu? Die Antwort ist ein klares Nein!

Karla Kuhn / 22.08.2019

“...mäßiges Charisma,...”  Herr Weimer, über ihren Geschmack läßt sich trefflich streiten, für mich hat ein Reibeisen mehr Charisma !  “Kann so einer für einen Neubeginn Amerikas nach Donald Trump stehen?”  Ich hoffe sehr, daß TRUMP auch die ZWEITE Amtszeit gewinnt!  WARUM soll sich gerade SCHOLZ über diesen Mann freuen ?? Wo er doch selber derart bieder wirkt ?? NOCH sind die Deutschen anders als die Amis und vergessen hoffentlich nicht seine Untätigkeit nach dem G 20 Gipfel. Außerdem SOLL der Mann im Hauruckverfahren 23000 Ausländer “eingedeutscht”  haben lassen?  Wir haben SEIT 2005 die personifizierte Charismalosigkeit- so sehe ich das- es wird ZEIT für ein charismatisches MÄNNLICHES ALPHATIER. Und dazu zählt nun Scholz (und viele andere der Politkaste) nun wirklich nicht. Zumal Scholz zur sterbenden SPD gehört. WENN Deutschland wieder auf Vordermann gebracht werden soll/kann, dann NUR mit einem MANN, der sich EINHUNDERT Prozent durchsetzen kann und “Sein VOLK” wieder als solches anerkennt !!

Steffen Huebner / 22.08.2019

Da kann der Autor sagen, was er will: Das Hauptproblem der Altparteien ist ihre Migrationspolitik, die unkontrollierte Masseneinwanderung in die Sozialsysteme und die Mißachtung von Asyl- und Bleiberecht. Und da könnte der Olaf einen rosa Anzug mit grünen Sternchen anziehen und mit den Ohren dazu wackeln: Es wird nicht helfen, der Souverän will die Wiederherstellung des gesetzlichen Zustands und zwar pronto. Seine Vergewaltigung durch Merkel & Co. wird er sowieso nie verzeihen…

Hartmut Laun / 22.08.2019

Sehr geehrter Herr Weimer, Herr Scholz ist ein bekanntes Mitglied der deutschen Manson - Family Merkel, CDU/ CSU, SPD, Grüne und Die Linke, mehr ist der Mann nicht. Scholz, der die Drecksarbeit für Frau Merkel freiwillig erledigt. Bei der Manson - Family standen bekanntlich die Täter unter Drogeneinfluss.  Darf ich das bei Herrn Scholz auch vermuten? Denn klar bei Verstand wird sich keiner einer solchen Person wie Frau Merkel unterwerfen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Weimer / 26.06.2020 / 06:00 / 80

Corona als Kanzlermacher

In der CDU knistert es. Die Kanzlerkandidatur-Frage legt sich wie eine Krimispannung über die Partei. Im Dreikampf und die Merkelnachfolge zwischen Markus Söder, Armin Laschet…/ mehr

Wolfram Weimer / 18.06.2020 / 06:29 / 104

Der Rassist Karl Marx

Die Rassismus-Debatte eskaliert zum Kulturkampf. In Amerika werden Kolumbus-Denkmäler geköpft oder niedergerissen, in England sind Kolonialisten-Statuen zerstört oder in Hafenbecken geworfen worden, in Antwerpen trifft…/ mehr

Wolfram Weimer / 12.06.2020 / 10:00 / 47

Nichts ist unmöglich: AKK als Bundespräsidentin?

„Das ist die größte Wunderheilung seit Lazarus“, frohlocken CDU-Bundestagsabgeordnete über das Comeback ihrer Partei. Die Union wankte zu Jahresbeginn dem Abgrund entgegen, immer tiefer sackten…/ mehr

Wolfram Weimer / 21.05.2020 / 12:00 / 23

Warren Buffet traut dem Braten nicht

Warren Buffetts Barreserven liegen jetzt bei sagenhaften 137 Milliarden Dollar. Das ist so viel wie das Bruttosozialprodukt der 50 ärmsten Staaten der Welt zusammengenommen –…/ mehr

Wolfram Weimer / 07.05.2020 / 06:29 / 105

Anders Tegnell: Der Stachel im Fleisch der Corona-Politik

Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell spaltet die Gemüter. Er trägt weder Anzüge noch Medizinerkittel. Er vermeidet jedes Pathos und Wissenschaftlergehabe. Im Strickpullover erklärt er mit lässiger…/ mehr

Wolfram Weimer / 23.04.2020 / 06:10 / 183

Robert Habeck: Die grüne Sonne geht unter

Am 7. März erreichten die Grünen im RTL/n-tv-Trendbarometer noch Zustimmungswerte von 24 Prozent. Monatelang waren sie konstant die zweitstärkste Partei in Deutschland, satte 8 Prozentpunkte betrug der…/ mehr

Wolfram Weimer / 17.04.2020 / 06:17 / 90

China blockiert Recherchen zur Virus-Herkunft

Wie kam das Coronavirus von der Fledermaus auf die Menschen? Der Tiermarkt in Wuhan war es wohl doch nicht. Ein Virus-Forschungslabor nebenan spielt offenbar eine…/ mehr

Wolfram Weimer / 03.04.2020 / 06:25 / 100

Die liberale Corona-Bekämpfung

Die Bewältigung der Corona-Krise ist nicht alternativlos. Während viele Länder Europas – auch Deutschland – auf radikale Massen-Quarantänen mit wochenlangen Ausgangssperren und Kontaktverboten setzen, vertrauen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com