Von Maxeiner & Miersch erschienen in Die WELT vom 20.07.2007
Nun hat er uns also wieder heimgesucht: Der Informations-GAU. Hinter den drei Buchstaben GAU verbirgt sich bekanntlich der „Größte anzunehmende Unfall.“ Das Atomkraftwerk Krümmel wurde nach einem Brand in einem Transformator abgeschaltet. Ein Zwischenfall, aber bestimmt kein GAU. Auf der achtstufigen internationalen Sicherheitsskala werden die Vorfälle in die Kategorie „Null“ eingestuft. Und wenn es in Deutschland nicht für einen richtigen GAU reicht, dann tritt an seine Stelle der „Informations-GAU“ oder auch „Kommunikations-GAU“. Das klingt schön bedrohlich, ist es aber nicht. Keine Angst, wir haben nicht vor irgendwelche Vattenfall-Manager zu verteidigen, dafür haben sie uns zu schamlos den Strompreis erhöht. Nö, die verdienen kein Mitleid. Dennoch: Ein Informations-GAU ist völlig losgelöst vom Ausmaß eines konkreten Problems. Das weiß jeder, der schon mal zu zweit gelebt oder Kinder großgezogen hat. Der Kommunikationsgau findet gewissermaßen in einem geschlossenen Brennstoffkreislauf statt und ernährt sich in kommunikativen Endlosschleifen von sich selbst.
Medien, die einen Informations-GAU beklagen, sind zugleich sein fester Bestandteil. Es ist oft gar nicht so einfach herauszufinden, wer bei dem Phänomen Ei oder Henne, was Ursache und Wirkung ist. Im vorliegenden Fall ist es wohl tatsächlich so, dass die Kraftwerksbetreiber zögerlich und scheibchenweise informierten, warum jetzt ein paar Köpfe rollen. Als Vattenfall-Kunden befürchten wir zwar, dass wir für deren Abfindung mit der nächsten Strompreiserhöhung aufkommen. Aber sei’s drum, irgendein Manager wird ja immer verabschiedet - nur sind es jetzt wohl andere als ursprünglich vorgesehen.
Inzwischen hat das Unternehmen einen vierteiligen Rapport über den Vorfall ins Internet stellen lassen. Wir fragen uns allerdings, was passiert wäre, wenn man diesen Bericht sofort veröffentlicht hätte. Lob für die vorbildliche Kommunikation? Anerkennung für den Respekt vor dem Bürger und seinem Informationsbedürfnis? Sehr vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Wir lesen, dass im Schaltgebäude zwar keine Rauchentwicklung zu verzeichnen war, aber vorbeugend Atemschutzgeräte gebracht wurden. Und der Reaktorfahrer setzte vorsichtshalber eine Schutzmaske auf. Welcher Schlagzeilenmacher hätte da widerstanden? Wie wäre es zum Beispiel mit: „Gasalarm in deutschem AKW!“ Oder auch: „GAU-Panik in Krümmel!“. Vattenfall hatte wahrscheinlich nur die Auswahl zwischen Informations-GAU sofort oder später. Und zwar ganz einfach deshalb, weil derzeit auf dem Territorium von Krümmel für jedermann erkennbar ein politischer Stellvertreterkrieg um die Atomkraft geführt wird.
Der Vattenfall-Chef Lars G. Josefsson hat derweil das getan, was Kommunikationsberater in solchen Fällen immer empfehlen: Keine Widerrede, Fehler einräumen, Schuld eingestehen (egal ob man irgendeine Schuld hat oder nicht) auf den Rücken legen, alle Viere von sich strecken und Ergebenheitshaltung einnehmen. „Wir waren unfähig richtig zu kommunizieren,“ sagt er. Wir fragen uns allerdings, was das soll. Wirklich wichtig ist doch wohl die Frage: Hat Vattenfall gegen irgendwelche Vorschriften oder Gesetze verstoßen oder sich in dieser Sache sonst etwas zu Schulden kommen lassen? Bestand zu irgendeinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Menschen? Wenn ja, bitten wir uns das mitzuteilen. Und wenn nein: Dann sage man das bitteschön ebenfalls. Zur Zivilcourage gehört es nämlich auch, Panikmache und Hysterie in der Öffentlichkeit laut und deutlich entgegen zu treten. Leider gilt das in den Augen der üblichen Kommunikations-Strategen nicht als opportun. Stattdessen werden sinnlose Bußrituale vollführt. Damit ist das Unternehmen zwar raus aus den Schlagzeilen, dass Misstrauen aber einmal mehr drin in den Köpfen. Beste Voraussetzungen für den nächsten Informations-GAU.