In dieser Woche ging es im Bundestag nicht nur um den Haushalt, sondern die Ampel-Mehrheit beschloss auch Regeln zur "elektronischen Patientenakte" und das sogenannte Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Und Karl Lauterbach freut sich, endlich den "Datenschatz" verwerten zu können, den bislang vertrauliche Patientenakten verbergen. Es geht scheinbar mehr um Global Player der Pharmabranche als ums Gesundheitswesen.
Die Durchsicht durch diese Debatte finden Sie hier. Das Folgende ist eine Transkription des Durchsicht-Beitrags.
Matthias David Mieves (SPD): „Wir haben in Deutschland einen Digitalminister und er hat ein rotes ein sozialdemokratisches Parteibuch er hört auf den Namen Karl Lauterbach und Herr Lauterbach, lieber Minister, vielen Dank für dieses mutige Gesetz.“
Also eigentlich waren es zwei Gesetze, die am Donnerstag von den Ampelparteien im Bundestag beschlossen wurden und die den SPD-Abgeordneten Matthias David Mieves zu der eben gehörten Huldigung für seinen Genossen Lauterbach trieben. Es ging zum einen um die Elektronischen Patientenakte - kurz ePA - die künftig von den Krankenkassen für jeden gesetzlich Versicherten angelegt werden soll, wenn er nicht widerspricht. Das zweite Gesetz, Gesundheitsdatennutzungsgesetz genannt, soll den Zugang zu den gesammelten und zusammengefassten Patientendaten regeln. Natürlich drehte sich der Sonntagsreden-Teil dieser Bundestagsdebatte um den Nutzen für den Patienten, wenn jeder Arzt und jede Klinik mit einem Mausklick sofort alle Diagnosen und Befunde der Vergangenheit auf dem Schirm hat.
Karl Lauterbach: „Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz greift wie ein Zahnrad in das EPA-Gesetz der digitalen Patientenakte hinein, weil mit der digitalen Gesundheitsnutzung werden wir die Daten so aufbereiten, dass sie verwendet werden können für die Forschung.“
Wirklich beruhigend klingt es nicht, wenn dieser Gesundheitsminister erklären will, wie sicher die sensiblen Daten angeblich seien.
Karl Lauterbach: „In dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz wird es so sein, dass die Daten aus der EPA, dann Daten aus den Abrechnungen der Krankenkassen Registerdaten wie z.B Daten aus den Krebsregistern, Genomdaten zusammengeführt werden können in einer vertraulichen Arbeitsumgebung in einem datengeschützten Raum …“
Beim Ausmalen der schönen neuen Welt der deutschen Patientendaten störte ihn allerdings die derzeit fraktionslose linke Abgeordnete Kathrin Vogler mit Zwischenfragen.
Kathrin Vogler (fraktionslos/ Die Linke): „Haben Sie eigentlich zur Kenntnis genommen, dass es in der Vergangenheit schon Angriffe, erfolgreiche Angriffe auf das Gesundheitsdatenforschungszentrum und auf die Krankenkassen gab, wo Patientinnendaten gespeichert sind und haben sie auch zur Kenntnis genommen dass es einen Offenen Brief von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter wichtige wie der Bundesverband der Verbraucherzentralen, die deutsche Aidshilfe der Chaos Computerclub gibt, die ihre Digitalisierungsgesetze als nicht vertrauenswürdig beschreiben?“
Karl Lauterbach: „Ich möchte diese Frage konkret und unpolemisch beantworten, will aber darauf hinweisen, dass es genau diese Haltung gewesen ist, die dafür gesorgt hat, dass wir zehn Jahre keinen Fortschritt gehabt haben, denn hier werden Ängste geschürt, Ängste geschürt, die wissenschaftlich nicht begründet sind. Die vertrauenswürdige Umgebung dieses Systems, wo sie sagen, das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert, das gibt es ja seit ganz kurzer Zeit erst. Das Confidential Computing, was durch Hardware und durch eine Softwarestruktur abgesichert ist, in einer Art und Weise, dass bisher noch nie ein solches System gehackt werden konnte - konnte noch nie gehackt werden - gibt es noch nicht lange und das nutzen wir. Wir nutzen die modernste Technologie. Trotzdem ist es wichtig dass wir jeden mitnehmen.“
Wenn Karl Lauterbach ein ganz neues System anpreist, das ganz sicher ist und er dabei „jeden mitnehmen“ will, dann erinnert man sich an jenen Lauterbach, der eine neue, angeblich sichere und nebenwirkungsfreie, ansonsten aber hochwirksame Corona-Impfung anpries. Was davon zu halten war, ist inzwischen bekannt. Doch Lauterbach zeigt wenig Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit, als er auf eine weitere Frage von Frau Vogler antwortet:
Kathrin Vogler (fraktionslos/ Die Linke): „Und wie glauben Sie denn eigentlich vor diesem Hintergrund, dass das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die elektronische Patientenakte, deren Nutzen ja offenbar bisher nur ein Prozent der Patientinnen für sich entdeckt haben, dass das gesteigert wird dadurch, dass die Gefahr besteht, dass Ihre Daten für alles mögliche verwendet werden können, ohne dass sie extra zustimmen.“
Karl Lauterbach: „Es muss ja ganz klar gesagt werden: Derjenige der z.B. nicht will, dass seine Daten genutzt werden sollen für die Pharmaforschung - nennen wir es doch beim Namen, das wird wahrscheinlich der Hintergrund auch Ihrer Frage sein - der kann das abwählen. Dann wird es dafür nicht verwendet. Die Zwecke bestimmt der Patient selbst, aber die Mehrheit der Patienten wird es wünschen, dass wir Ihre Daten verwenden für eine bessere Krebsbehandlung. Die Mehrheit der Menschen wird es wünschen, dass wir diese Daten nutzen, um unsere Kinder besser behandeln zu können. Somit: Wir gehen hier mit der Mehrheit, der Mehrheit, die sich das genau anschaut, die uns vertraut.“
Diese Mehrheit gibt es sicher, allein schon deshalb, weil viele Menschen des zusätzlichen Aufwands wegen einer Daten-Verwertung nicht widersprechen werden. Viele erwarten wahrscheinlich auch, dass sie nach ihrer Zustimmung noch einmal gefragt werden. Aber bei den Gesundheitsdaten wird künftig offenbar jeder, der nichts tut, ihrer Verwertung automatisch zugestimmt haben.
Das grüne Pendant zu Karl Lauterbach, Dr. Janosch Dahmen, legte sich ebenfalls wortgewaltig für die brisante Datensammlung ins Zeug.
Karl Lauterbach: „Wir können es uns auch nicht leisten, um es beim Namen zu nennen, dass wichtige Unternehmen in der Krebsforschung, z.B. Biontech, ihre Forschung nach England verlegen. Biontech hat die Forschung für Krebs in einem wichtigen Bereich nach England verlegt, weil man dort bessere Daten hat. Wir werden mit diesen Gesetzen in Zukunft Daten haben, die besser sind als die in England und zwar deshalb, weil unser Datenschatz größer ist, weil wir ein größeres Land sind und weil unsere Krankenkassen die Daten deutschlandweit auswerten lassen und nicht auf Regionen bestimmt, wie das beim NHS der Fall ist. Somit werden wir langfristig in Europa der interessanteste Bereich sein wo Wissenschaftler solche Studien überhaupt machen können.“
Das grüne Pendant zu Karl Lauterbach, Dr. Janosch Dahmen, legte sich ebenfalls wortgewaltig für die brisante Datensammlung ins Zeug.
Janosch Dahmen (B.90/ Die Grünen): „Jeder Einzelne von uns, jeder zweite Mensch in unserem Land, wird im Lauf des Lebens eine Krebserkrankung erleiden und wir werden alle in dieser Situation hoffen die beste Diagnostik und Therapie zu bekommen. Das kriegen wir nur mit Datensolidarität. Dieses Gesundheitsdatennutzungsgesetz ist gelebte Datensolidarität für Innovation für Deutschland und wir freuen uns sehr, dass wir die Voraussetzung schaffen, den entstandenen Rückstand aufzuholen.“
„Datensolidarität“, was für ein Wort. Allerdings gab es auch bei grünen Abgeordneten in dieser Debatte bemerkenswerte Momente der Ehrlichkeit. Melissa Sekmen beispielsweise machte deutlich, dass heutzutage offenbar ganz andere Interessengruppen zur grünen Klientel zählen, als Traditionalisten vielleicht noch glauben möchten.
Melissa Sekmen (B.90/ Die Grünen): „Was bringen uns aber diese Daten und all diese klinischen Studien wenn wir sie nicht in die Produktanwendung bringen können und übersetzen können, beispielsweise in der Medikamentenentwicklung oder im Pharmabereich oder in der Medizintechnologie. Und bisher hatten unsere Unternehmen, die eigentlich das große Potenzial haben, Global Player zu werden, einen immensen Wettbewerbsnachteil und wir in der Ampel wollen die Gesundheitswirtschaft, unsere Unternehmen darin zu Global Playern machen und diese Branche zu einer Leitindustrie entwickeln und genau deshalb braucht es dieses Gesetz.“
Also soll mit dem Gesetzeswerk den heimischen Pharma-Konzernen geholfen werden, Global Player zu werden? Die Digitalisierung und eine Zusammenführung von Daten ist sicher auch im Gesundheitswesen sinnvoll und erstrebenswert. Doch hier scheint es der Ampel-Regierung mehr um den Nutzen des Datenschatzes für potentielle Global Player zu gehen, als ums heimische Gesundheitswesen.