Gastautor / 13.08.2019 / 17:12 / Foto: Pixabay / 18 / Seite ausdrucken

Juli-Temperaturen: Die Statistik, die Rekorde und eine Dusche

Von Frank Matthäus.

Juliwetter geht in die meteorologischen Geschichtsbücher ein!“, „Juli 2019 war der heißeste Monat seit Aufzeichnungsbeginn“ oder ähnliche Schlagzeilen beherrschten ab Ende Juli unsere Medienlandschaft. Ohne Zweifel wurden im Juli 2019 an einzelnen Tagen Temperaturrekordwerte in Deutschland und anderen Ländern gemessen. Aber war der Juli als solcher, das heißt als gesamter Monat tatsächlich der heißeste? Da es Anfang Juli im Vergleich zu einem durchschnittlichen Sommermonat – mit Verlaub – arschkalt war und vereinzelt Familienmitglieder sogar das Anschalten der Heizung verlangten (was ich aus prinzipiellen Gründen natürlich kategorisch ablehnte), ging ich dieser Frage aus statistischer Sicht mit angemessenem Argwohn nach.

Nach den Aufzählungen der Temperaturhöchstwerte verkündeten verschiedene Medien, die allgemein als seriös gelten, dazu weitere Details. Wiedergegeben wurde vorwiegend eine DPA-Meldung vom 30.07.2019 in der es hieß:

Die Durchschnittstemperatur des Monats war freilich niedriger: 18,9 Grad war es im Juli 2019 warm – das lag 2,0 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode von 1961 bis 1990. Gegenüber der Vergleichsperiode 1981 bis 2010 betrug die Abweichung 0,9 Grad.

Als erstes machte mich natürlich stutzig, dass der Durchschnittstemperaturwert eines Monats mit 31 Tagen bereits am 30. des Monats bekannt ist. Geschenkt – dachte ich dann aber. Immerhin sind unsere Wetterfrösche mittlerweile in der Lage, die Temperatur für den Folgetag einigermaßen korrekt vorherzusagen.

Als zweites fragte ich mich, warum zur Einordnung einer Monatsdurchschnittstemperatur im Jahre 2019 ein Vergleichszeitraum von 1961 bis 1990 gewählt wurde. Die respekteinflößende Bewertung „international gültige Referenzperiode“ ließen meine Zweifel (zumindest kurzzeitig) jedoch abklingen. Immerhin gab man ja auch noch eine zweite Vergleichsperiode von 1981 bis 2010 an, die zwar auch schon etwas zurückliegt, aber doch schon wesentlich näher an 2019 herankommt. Freilich ist diese zweite Vergleichsperiode augenscheinlich keine „international gültige“ und hat somit mit „0,9 Grad“ gegenüber „2,0 Grad“ wohl eher einen beiläufigen Informationswert.

Juli-Durchschnittstemperaturen für Deutschland seit 1881

Als drittes machte ich mich auf die Suche nach Rohdaten und wurde beim Deutschen Wetterdienst (DWD) schnell fündig. In der Subdomain https://opendata.dwd.de/ stellt der DWD umfangreiche Daten zur Verfügung, darunter auch die Juli-Durchschnittstemperaturen für Deutschland seit Beginn der Aufzeichnung im Jahre 1881. Die Visualisierung dieser Temperaturdaten ist im nachfolgenden Diagramm zu sehen.

Es fällt auf, dass die als blaue Linie dargestellten Juli-Mittelwerte ziemlich stark und augenscheinlich willkürlich nach oben und unten ausschlagen. Der geneigte Statistiker versucht natürlich als erstes dieses Chaos zu bändigen und einen Trend in den scheinbar zufälligen Daten zu erkennen. Legt man somit über die Werte eine lineare Trendlinie (schwarze gepunktete Linie), wird schnell auch dem letzten Zweifler klar: Die Temperaturen steigen im Laufe der Jahre scheinbar unaufhaltsam an. Im Durchschnitt beträgt dieser Anstieg über den gesamten dargestellten Zeitraum ca. 0,1°C pro Jahrzehnt.

Nun eignet sich eine lineare Trendlinie kaum, Nuancen im Temperaturtrend zu erkennen, da sie einfach über den gesamten Wertebereich mittelt. Deshalb haben sich die Meteorologen auf sogenannte CLINO-Perioden (CLINO steht für Klimanormalwert) geeinigt. Statistisch gesehen stellen CLINO-Perioden den gleitenden Mittelwert über 30 Jahre dar. Dabei wird für jedes Jahr der Mittelwert der vergangenen 30 Jahre ermittelt. Fügt man diese Werte aneinander, ergibt sich die im Diagramm rot gepunktete Trendlinie.

Nunmehr wird sichtbar, dass die Juli-Durchschnittstemperaturen nicht stetig ansteigen, sondern dabei einem Auf und Ab unterliegen (Diagramm siehe hier). Es fällt auf, dass vom Anfang der 1950er bis zum Ende der 1980er Jahre sogar eine durchschnittliche absolute Verringerung des 30-jährigen Mittelwertes zu verzeichnen war. In diesen Zusammenhang fallen dann wohl auch die Vorhersagen einiger Wissenschaftler der damaligen Zeit über eine bevorstehende Eiszeit.

Aus statistischer Sicht ist der Referenzwert grober Unfug

Noch bemerkenswerter ist jedoch der Umstand, dass die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) den 30-jährigen gleitenden Mittelwert von 1990 (Periode von 1961 bis 1990) als bis heute gültige Klimareferenzperiode („international gültige Referenzperiode“ aus der o.a. DPA-Meldung) festgelegt hat. Mit 16,9°C ist dieser Wert einer der kleinsten am Ende einer sich über mehr als drei Jahrzehnte erstreckenden Periode abnehmender 30-jähriger gleitender Mittelwerte. Aus statistischer Sicht ist dieser Referenzwert im gegebenen Kontext grober Unfug. Der gleitende Mittelwert ist eine Trendlinie, die es ermöglichen soll, eine Messwertreihe zu glätten, eine generelle Entwicklung zu erkennen und eine Referenz zum aktuellen Messwert zu geben. Im gegebenen Fall ergibt somit, statistisch gesehen, einzig und allein Sinn, den gemessenen Temperaturwert für 2019 mit dem gleitenden Mittelwert von 2019 (Periode von 1990 bis 2019) zu vergleichen.

Aus dem Diagramm ist leicht abzulesen, dass der aktuelle 30-jährige gleitende Mittelwert im Jahr 2019 bei ca. 18,3°C liegt. Die Monatsdurchschnittstemperatur von 18,9°C lag somit 0,6°C über dem 30-jährigen gleitenden Mittelwert. Nutzt man hingegen den von der WMO vorgegebenen Referenzwert von 16,9°C, ergibt sich (ein Schelm, wer Böses dabei denkt) ein wesentlich höherer Anstieg, nämlich 2,0°C.

Sichtbar wird auch, dass wir uns momentan in einer aufsteigenden Periode der Durchschnittstemperaturen befinden, die sich nach den Gesetzen der Statistik mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit in eine absteigende Periode umkehren wird. Dies ändert aus heutiger Sicht ausdrücklich nichts am langfristigen Trend der generell durchschnittlich ansteigenden Temperaturen!

Bleibt aber immer noch die Frage, warum die WMO eine bis heute (2019) gültige Klimareferenzperiode festgelegt hat, die ca. 30 bis 60 Jahre zurückliegt.

Bei der Antwort auf diese Frage wird man auf Wikipedia (de.wikipedia.org/wiki/Normalperiode, Aufruf 09.08.2019) schnell fündig. Dort heißt es:

Die im Zuge der globalen Erwärmung zunehmenden Temperaturen lassen den globalen Mittelwert aktueller Vergleichsperioden gegenüber früheren Vergleichsperioden steigen. Die Konsequenzen: Ein aktuelles Jahr wie 2012, das im Vergleich zur Referenzperiode 1961–1990 mit den niedrigeren Durchschnittswerten „zu warm“ ausfällt, ist im Vergleich zur Referenzperiode 1981–2010, in der bereits die warmen Jahre berücksichtigt sind, plötzlich ein „normales“ Jahr.

Schamlos die Statistik vergewaltigt

Im Klartext bedeutet dies: Der aktuelle Anstieg der Temperaturen ist nicht mehr groß genug, um mit sauberen statistischen Mitteln den Klimawandel hinreichend eindrucksvoll nachzuweisen. Statt diese Erkenntnis zu verkünden oder wenigsten nach anderen statistischen Kenngrößen zu suchen, die sauber die gewollte Botschaft belegen, wird schamlos die Statistik vergewaltigt und forsch-frech ein Referenzwert festgelegt, der zwar statistischer Unfug ist, aber wenigstens genehme Ergebnisse produziert.

Um dem geneigten, jedoch in Statistik weniger versierten Leser zu verdeutlichen, was hier gemacht wird, sei folgendes Gleichnis aus dem Alltagsleben erlaubt: Ein Autohersteller bewirbt seine neuen Modelle mit dem verringerten Kraftstoffverbrauch im Vergleich zu den Vorgängermodellen. Das geht auch lange gut. Aufgrund verschärfter gesetzlicher Auflagen zum Schadstoffausstoß muss der Hersteller jedoch Maßnahmen ergreifen, die den Kraftstoffverbrauch der neuen Modelle 2019 gegenüber den unmittelbaren Vorgängermodellen ansteigen lassen. Jetzt greift der Hersteller in die Trickkiste und vergleicht den Verbrauch der Modelle 2019 nicht mehr mit den unmittelbaren Vorgängermodellen, sondern mit dem Durchschnittsverbrauch der Modelle der Jahre 1961 bis 1990. Jetzt stimmt die beabsichtigte Botschaft wieder: Kraftstoffverbrauch der aktuellen Modelle im Vergleich zu Vorgängermodellen gesunken!

Zum Schluss noch ein kleines Beispiel, wie man durch böswillige Nutzung der Statistik sogar nachweisen könnte, dass die Durchschnittstemperatur im Juli tendenziell sinkt. Dazu nehmen wir aus dem oben abgebildeten Diagramm einfach die letzten sieben Messwerte von 2013 bis 2019 heraus und legen über die erhaltene Grafik eine lineare Trendlinie. Heraus kommt das hier abgebildete Diagramm.

Tatsächlich war im dargestellten Vergleichszeitraum die Durchschnittstemperatur viermal höher und nur zweimal geringer als 2019. Die lineare Trendlinie zeigt eindeutig eine im Vergleichszeitraum tendenziell abnehmende Durchschnittstemperatur im Juli.

Rein formal stimmen alle Daten. Durch gezieltes Herausgreifen eines begrenzten Bereiches jedoch wird ein Trend suggeriert, der, langfristig gesehen, statistisch nicht haltbar ist. Man stelle sich den gesellschaftlichen Aufschrei vor, wenn dieses Diagramm unter der Schlagzeile „Klimawandel überwunden: Hochsommertemperaturen sinken tendenziell im mehrjährigen Vergleich!“ in unseren Leitmedien erschiene. Ob Greta da wohl glücklich wäre?

 

Autor Frank Matthäus führt als Dozent die Statistikschulungen durch und verfügt über mehrjährige Erfahrungen als Dozent für Softwareerstellung und Statistik an einer Bundesakademie.

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Leserpost

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Rudolf George / 13.08.2019

Die „Logik“, die bei der Klimadiskussion angewendet wird, erinnert mich oft an die Hexenverfolgung. Galt es bei der Erbringung eines Beweises lange Zeit darum, ein sogenanntes Hexenmal am Körper der Beschuldigten zu finden, verfiel man irgendwann auf die Idee, dass eine echte Hexe in der Lage sei, ihr Hexenmal zu verbergen. Woraus folgte, dass das Auffinden eines Mals als Beweis für Hexerei galt, und das Nichtauffinden erst recht.

Adi Kiescher / 13.08.2019

Danke für die ausführliche und gut verständliche Erläuterung. Es gilt wohl auch hier Churchill’s Bonmot “Im übrigen glaube ich nur an die Statistik, die ich selbst gefälscht habe.”

Immo Sennewald / 13.08.2019

Traue nie einer Statistik…

annen nerede / 13.08.2019

Könnte man diesen tollen Artikel Herrn Sven Plöger und Herrn Kachelmann zukommen lassen? Die sind ja wohl für Argumente offen. Besten Dank.

E.Kaufmann / 13.08.2019

“Trau keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast” . Punkt.

Frances Johnson / 13.08.2019

Vielen Dank! Achgut etabiert sich als bald solitäres nüchternes, argumentativ starkes Geistesorgan. Theoretisch, wenn man sich Notizen macht und gut beobachtet, kommt man übrigens zu ähnlichen Schlüssen und ist dann dankbar für eine saubere Statistik.

Robert Bauer / 13.08.2019

Dann wollen wir Frank Matthäus mal die Daumen drücken, daß er seinen Job als Angehöriger einer Bundesinstitution weiter ausführen kann.

Hubert Bauer / 13.08.2019

Soweit ich weiß ist die (eine) Definition von Klimawandel, wenn es in den letzten 30 Jahren weltweit (deutlich) wärmer oder kälter war als in den 30 Jahren zuvor. Wir müssen also den Schnitt der Jahre 1989 bis 2018 mit dem Schnitt der Jahre 1959 bis 1988 abgleichen. Man kann jetzt noch über Details streiten (Januar bis Dezember/fester Turnus für die 30 Jahre), aber die Methode an sich passt. Nur den Juli 2019 mit dem Juli 1989 zu vergleichen wäre nicht repräsentativ, bzw. da würde man Wetter mit Klima verwechseln. Insoweit kann ich dem Artikel wenig abgewinnen.

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