Orit Arfa, Gastautorin / 22.11.2022 / 12:00 / Foto: Orit Arfa / 111 / Seite ausdrucken

Juden in der AfD haben Gewissensbisse

„Den radikaleren und antiwestlichen Leuten gelingt es, die Mehrheit zu erlangen“, sagt der Ko-Vorsitzende der JAfD (Juden in der AfD), Artur Abramovych.

Im Oktober 2018 trafen sich rund zwei Dutzend Juden – zahlenmäßig den anwesenden Journalisten unterlegen – in einem unscheinbaren Konferenzsaal in Wiesbaden, um die jüdische Fraktion der rechten Partei Alternative für Deutschland (JAfD) ins Leben zu rufen. Entgegen der Verurteilung durch eine Allianz etablierter deutsch-jüdischer Gruppen, die die AfD als rassistisch gegenüber Juden und Muslimen gleichermaßen geißelten, argumentierten diese rechtsgerichteten Juden, dass die Partei „koscher“ sei und angesichts der israelfreundlichen und antimuslimischen Einwanderungspositionen ihrer Anführer als Beschützer der deutschen Juden dienen könne.

Vier Jahre später haben einige AfD-Befürworter Gewissensbisse. Sie hatten ihre Hoffnungen auf die gemäßigte Flanke gesetzt, auf die Konservativen der alten Schule, die von der Linkswende der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sachen Einwanderung, Energie und Israel enttäuscht waren, die aber kürzlich von einem pro-russischen Flügel überrollt wurden, der dafür bekannt ist, dass er den Themen Antisemitismus und Israel bestenfalls apathisch gegenübersteht. „Innerhalb der Partei gelingt es den radikaleren und antiwestlichen Leuten, die Mehrheit zu erlangen“, sagt der Ko-Vorsitzende der JAfD (Juden in der AfD) Artur Abramovych, der auch wissenschaftlicher Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten ist.

Wendepunkt kam mit dem Ausbruch des Krieges

Abramovych führt diese Entwicklung zum Teil auf eine Verleumdungskampagne der Regierung zurück, durch welche die AfD für eine gebildete, klassisch konservative Wählerschaft als zu toxisch erscheint.

Im März dieses Jahres entschied das Verwaltungsgericht Köln, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, der deutsche Inlandsgeheimdienst, das Recht habe, die populistische Partei auf Extremismus zu überwachen. Auf ihrem Höhepunkt hatte der JAfD-Zweig 24 Mitglieder; inzwischen ist er auf 19 geschrumpft und es wird über seine Auflösung diskutiert.

Der Wendepunkt kam mit dem Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine, als der AfD-Ko-Vorsitzende Tino Chrupalla auf einer Sondersitzung des Parlaments eine Rede hielt, die von Analysten als unzusammenhängend und russlandfreundlich bezeichnet wurde. Hand in Hand mit diesem Wandel haben sich einige lautstark dem Iran zugewandt und Zweifel an der Gegnerschaft der Partei zum radikalen Islam geäußert.

Als gebürtiger ukrainischer Jude steht Abramovych fest an der Seite der Ukraine, wie auch die meisten russischsprachigen deutschen Juden, die von Wladimir Putins gewaltsamen Angriffen desillusioniert sind, wie er sagt.

Pro-Kiew-Fraktion ist eher pro-israelisch

Abramovych sagt, dass es innerhalb der Partei zwei andere Ansätze gegenüber Russland gebe. „Dann gibt es ein Drittel der Partei, das einfach sagt, dass deutsche Interessen so sehr mit Russland verbunden sind, dass wir uns nicht an Sanktionen beteiligen sollten... Ein Drittel ist für die Ukraine. Sie glauben an das Selbstbestimmungsrecht der Völker und deshalb akzeptieren sie die ukrainische Entscheidung, sich dem Westen zuzuwenden.“

Die Pro-Kiew-Fraktion ist übrigens eher pro-israelisch eingestellt, mit einigen Ausnahmen wie dem pro-ukrainischen Bundestagsabgeordneten Roger Beckamp, dem Vorsitzenden der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe, der am 24. August twitterte: „Das Atomabkommen mit Iran ist in greifbarer Nähe u damit mehr Sicherheit u Prosperität für die ganze Region, auch zum Vorteil Deutschlands. Ich hoffe nur, Saudis u Israel zündeln nicht wieder.“

Um AfD-Kritikern, die der Partei Antisemitismus vorwerfen, recht zu geben, tanzte ein AfD-Funktionär aus Thüringen auf einer Platte des Berliner Holocaust-Mahnmals, das der umstrittene Thüringer AfD-Chef Björn Höcke als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte.

Die in Israel geborene und in Freiburg lebende Pro-Israel-Aktivistin Simone Schermann war nach der Gründung der JAfD in Wiesbaden für kurze Zeit im Vorstand.

„Ich habe damals gehofft, dass die AfD ein christlich-jüdisches Bild hat“, sagt Schermann. „Davon haben einige Leute gesprochen. Ich erinnere mich, dass [die AfD-Ko-Vorsitzende] Alice Weidel davon sprach, wie wichtig das Judentum für Deutschland sei, dass es große Denker habe. Das vermisse ich.“

Aufschwung antisemitischer Äußerungen in Chats

In den letzten Monaten hat sie einen Aufschwung antisemitischer Äußerungen in rechtsgerichteten deutschen Chats und Gruppen, denen sie folgt, festgestellt. Bis dahin sei die Häufigkeit antisemitischer Äußerungen in diesen Gruppen nur in etwa so stark gewesen wie auch in allen anderen politischen Milieus Deutschlands, von rechts bis links.

Diese fatale Spaltung innerhalb der Partei war für einige bekannte Konservative schon früh offensichtlich, darunter der Kolumnist David Goldman, der einen Artikel im Tablet Magazine verfasste, in dem er sich gegen die Charakterisierung der Partei als „Nazi“-Partei wandte und gleichzeitig sagte, er könne eine Organisation nicht unterstützen, die „Rüpel wie [den ehemaligen Ko-Vorsitzenden] Alexander Gauland toleriert, die das einzigartige Übel der nationalsozialistischen Vernichtungsaktion herunterspielen“.

„Ich habe die AfD nie für eine jüdisch-christliche Partei gehalten“, sagt Goldman gegenüber JNS. „Sie ist eine Melange aus verschiedenen Elementen mit unterschiedlichen Agenden.“ Er sieht die AfD auch nicht als eine dezidierte Pro-Putin-Partei an.

„Es gibt einen Unterschied zwischen der Umarmung Putins und der Unterstützung einer Verhandlungslösung in der Ukraine, was meiner Meinung nach eine vernünftige Position ist.

AfD ist Melange aus verschiedenen Elementen

Die JAfD wurde unter der Prämisse gegründet, dass sie die Partei bei Themen von jüdischem Interesse von innen heraus beeinflussen kann, wie z.B. bei der Forderung nach einem Verbot des rituellen Schächtens – eine Politik, die sich gegen Muslime richtet, die aber, so Abramovych, Juden kaum betrifft, da koscheres Fleisch weitgehend importiert wird. Abramovych ist nicht mehr optimistisch, dass die Führung in der Lage ist, eine echte pro-jüdische Position einzunehmen.

„Damals konnte ich fast jeden im Vorstand anrufen, wann immer ich wollte“, sagte Abramovych. „Ich kannte diese Leute persönlich. Jetzt, im neu gewählten Vorstand, sind nur noch drei von 13 Personen übrig, mit denen ich früher jeden Abend gesprochen habe.“

Dennoch bereuen weder Schermann noch Abramovych ihre Entscheidung, der AfD eine Chance zu geben.

„Es gibt immer noch gute Leute in dieser Partei und ich bin parteiisch für sie“, sagt Abramovych. „Sie leiden auch darunter, was mit der Partei passiert ist. Die Partei besteht nicht aus einer einzelnen Person. Wenn eine einzelne Person Sie anlügt oder nicht das tut, was Sie sich erhoffen, dann können Sie voreingenommen sein. Aber eine Partei besteht aus vielen verschiedenen Menschen, und sie ändert sich nicht von einem Tag auf den anderen.“

„Ich will die AfD trotzdem nicht bashen, weil es genug Leute gibt, die sie bashen“, sagt Schermann. „Und sie machen vieles falsch, aber die anderen Parteien machen auch einiges falsch.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Jewish News Syndicate.

Foto: Orit Arfa

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Steffen Huebner / 22.11.2022

Seit einigen Tagen geistert ein Video durchs Internet, welches elf russische Soldaten zeigt, die nach ihrer Gefangennahme von zwei ukrainischen Grenzern erschossen wurden. Die Echtheit des Videos wurde unabhängig bestätigt, die Namen der zwei Täter sind inzwischen bekannt. Vielleicht wird die “Pro-Kiew-Fraktion ” jetzt etwas nachdenklich, es gibt nicht nur die Guten in Kiew und die Bösen in Moskau, man sollte neutral beobachten.

Sabine Heinrich / 22.11.2022

Gestern der Anti-AfD Beitrag von Thilo Sarrazin, heute dieser zwar sachliche, aber dennoch die AfD in einem negativen Licht erscheinen lassende - Zufall? - Mit der nun wieder häufiger hier vorzufindenden Werbung hat das nichts zu tun? Von dem Boykott merke ich jedenfalls nicht mehr viel. Die Frage muss erlaubt sein. - Hingegen ist es der Achse (noch) keine Meldung wert, dass der Corona-Spritzbefürworter Prof. Kekule nun mutig die Sinnlosigkeit der Spritzerei festgestellt hat. (Quelle: “Weltwoche” von heute) Aber das kann ja noch kommen - zumindest als Randnotiz.

Reiner Arlt / 22.11.2022

Lese ich richtig: “... die ukrainische Entscheidung, sich dem Westen zuzuwenden”? Wie war das denn 2014? Wer hat den Putsch finanziert? Und wer hat grosses Interesse daran, dass Russland schlecht gemacht und nach Kräften geschwächt wird? (Noch dazu ohne jedes Risiko für eigene Bürger. ein paar Militärberater vielleicht ausgenommen.)

Arne Ausländer / 22.11.2022

Gewissensbisse scheint mir ein recht unpassendes Wort zu sein, wenn es um die Frage geht, ob frühere politische Entscheidungen noch zu den aktuellen Umständen passen. Vermutlich liegt es daran, daß deutsch nicht Orit Arfas Muttersprache ist und sie deshalb “bereuen” und “Gewissensbisse haben” für Synonyme hielt. Gewissen ist aber etwas exklusiv moralisches, während Reue zwar auch daher kommt, aber schon immer weit allgemeiner verwendet wird. Nun wird aber im Text ausdrücklich gesagt, daß die frühere Entscheidung NICHT bereut wird. Daher wäre wohl “...kommen ins Nachdenken” eine passendere Formulierung. “Gewissensbisse” paßt jedenfalls nicht zum sonstigen Inhalt des Textes. Die so bewirkte Irritation erscheint mir auch nicht - wie es manchmal vorkommt - produktiv zu sein. - Zum Inhalt: Die Lage der JAfD ist nachvollziehbar vertrackt. Was bleibt da, wenn man in der Partei bleiben will, anderes, als die eigene Position bzw. das Spektrum der vertretenen Positionen medial kompakt und verständlich in die Öffentlichkeit zu bringen. Das sollte doch im AfD-Rahmen möglich sein (im Gegensatz zu vielen anderen Parteien). Mainstreammedien werden zwar kaum dafür offen sein und wenn, dann sind diverse Stolpersteine zu beachten. Aber auf Youtube sollte es doch keine Probleme mit diesem Themenbereich geben. Man bräuchte da natürlich fähige Produzenten, die wissen, wie man dort zu einer Reichweite kommt, die den Aufwand lohnen läßt. Es fragt sich freilich, warum man nicht selbst drauf kommt. Könnte es sein, daß die Mehrheit der JAfD eigentlich eher unpolitische Menschen sind?

Swami Angora / 22.11.2022

Höckes „Denkmal der Schande“ und Gaulands “Vogelschiss”. Beides Aussagen, die erst aus dem Zusammenhang gerissen und dann skandalisiert wurden. Beide aber im Kontext dessen, was ihre Autoren gesagt haben, durchaus moderat. Leider tauchen beide in diesem Artikel direkt oder indirekt wieder im negativen Kontext auf. Da gibt es anderes bei der AfD (und speziell bei Höcke), das man skandalös finden kann.

Torsten Hopp / 22.11.2022

Wenn man eine Partei von Anfang an als Nazipartei bezeichnet und das immer wieder tut, dann werden am Ende dort auch nur noch solche Leute sitzen. Für alle anderen Parteien gilt dann: Auftrag erfüllt.

Jakob Mendel / 22.11.2022

Ich wäre erleichtert, wenn wenigstens die Autoren dieser Seiten zwischen „Das ist ein Denkmal der Schande.“ und „Das Denkmal ist eine Schande.“ zu unterscheiden wüßten. Und wenn ich dann noch „der umstrittene Thüringer AfD-Chef Björn Höcke“ lese … „Umstritten“! Jesus, Luther und Adenauer waren auch umstritten (und sind es bis heute). – So begegnet/widerspricht/kritisiert/ggf. auch: bekämpft man weder die AfD noch Herrn Höcke *mit Argumenten*! – P.S. In aller Bescheidenheit schlage ich vor, das Wort „umstritten“ als suggestiv aus veröffentlichen Texten zu verbannen.

Hermann Neuburg / 22.11.2022

Die Welt ist eben nicht schwarz-weiß. Die Frage ist: welche Alternative gibt’s zur Alternative für Deutschland? CDU? DiePartei? Die Basis?  In der Erwachsenen-Welt ist man nicht bei “Wünsch dir was” sondern bei “So isses”.

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