Alexander Gutzmer / 23.06.2013 / 14:44 / 0 / Seite ausdrucken

James Gandolfini: Die Ein-Mann-Kulturrevolution

Ja, es wurde schon einiges geschrieben über die amerikanischen Qualitäts-Fernsehserien und dass sie das Kino ersetzen oder auch den Bildungsroman. Beides stimmt. Und beides soll hier noch einmal wiederholt werden, weil einer der wichtigsten Protagonisten dieser Veränderungsprozesse jetzt gestorben ist: James Gandolfini.

Er spielte den legendären Toni Soprano, Mafiaboss aus New Jersey, brutales Untier, normal überforderter Familienpapa, Killer mit Neigung zur psychischen Sensibilität. Dass all dieses zusammen geht und dass Toni Soprano dabei zugleich sehr unterhaltsam und, ich muss es leider so ausdrücken, unfassbar cool rüberkommt, machte vielleicht die Anziehungskraft der Sopranos aus – und setzte den Grundton für viele gute Serien danach. Nach den Sopranos kamen Breaking Bad, The Wire, aus Großbritannien Luther oder Life on Mars. Aller sehr originell. Alles kulturverändernd. Und alles ohne Toni Soprano so nicht denkbar.

Über die Komplexität der Figur des Toni Soprano war in den vergangenen Tagen viel zu lesen, hier etwa ein schöner Text des Schriftstellers Thomas Glavinic. Ich kann mich ihm letztlich nur anschließen. Als meine persönliche Hommage an James Gandolfini möchte ich hier aber meinen Teil zu einer der größten popkulturellen Debatten der letzten zehn Jahre beitragen: Zum Ende der Sopranos. Das nämlich ist, wie Sie vielleicht wissen, schrecklich uneindeutig. Toni speist mit seiner Frau, um sie herum schleicht im Restaurant ein killerhafter Typ. Dann der plötzliche schwarze Bildschirm, begleitet mit der Worten „don’t stop“ aus dem klischeehaft 80er-Jahre-mäßigen Rocksong „Don’t Stop Believin’ von einer Band mit dem ebenso klischeehaft 80er-Jahre-mäßigen Namen „Journey“. Die Frage aber: Ist Toni tot? Meine Antwort: Tot ist jemand anderes. Nämlich der Fernsehzuschauer. Für wen wird denn der Bildschirm plötzlich schwarz? Für uns. Genau wie für jemanden, der erschossen wird. Nicht der Killer schießt, sondern der Regisseur. Und die Toten sind wir: die Gesellschaft, die ihr paralleles Leben in der Serie nun nicht mehr leben kann. Das „don’t stop“ ist der letzte Aufschrei der totgeweihten Sopranos-Fanschaft. Und der schwarze Bildschirm ist zugleich das Universalsymbol für die Popkultur, für ihre inszenierten, aber dennoch realen Aufwallungen genauso wie für die Leerstellen, die sie unweigerlich mit sich bringt.

Zum Glück kamen nach den Sopranos neue gute Serien. Und es werden viele weitere kommen. Doch niemand wird in ihnen mit so brillant treu-betroffenem und zugleich so zynischem Blick auf Beerdigungen Trostworte sprechen wie Toni Soprano, wenn er den Mafiawitwen entgegenraunt: „What can you do.“ Dies sei hier unzynisch aufgenommen: „What can you do“? Nothing probably. Thank you anyway, James Gandolfini.

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