Antje Sievers / 04.10.2014 / 21:49 / 8 / Seite ausdrucken

Jahrmarkt der Frömmigkeiten

Dass die Bewohner von Tel Aviv häufig keine blasse Ahnung haben von dem, was im Rest des Landes vor sich geht, bestätigte uns einst Miriam von der Touristeninfo in Arad in der Negev-Wüste. Sie sprach perfekt deutsch mit schwäbischer Dialektfärbung und riet uns augenblicklich, statt den langen Umweg über Beer Sheva einfach direkt über Jerusalem ans Tote Meer zu fahren. Wer uns denn zu dem Quatsch geraten hätte? Na, ein Polizist aus Tel Aviv. Und ein Buchhändler hatte uns darüber hinaus dringend davon abgeraten, die Wüste zu besuchen, viel zu gefährlich! So kamen wir also mit Miriam ins Gespräch. Alles Unsinn, versicherte sie uns.

Sie erzählte, dass ihr Vater in den dreißiger Jahren eingewandert sei und kein Wort hebräisch gelernt habe. Er hatte eine Bäckerei in Haifa und die Jemeniten, die dort arbeiteten, lernten alle statt Hebräisch Deutsch mit schwäbischem Dialekt. Etwas Exotischeres als dunkelhäutige, bärtige jemenitische Juden mit pechschwarzen Schläfenlocken, die schwäbeln, kann man sich kaum vorstellen. Außer vielleicht Schwarze, die sächseln.

Haifa arbeitet, Tel Aviv feiert und Jerusalem betet, heißt es. Während Haifa von Tel Aviv aus gesehen am anderen Ende des Landes liegt, liegt Jerusalem sozusagen auf einem anderen Plane-ten. Der Besitzer unserer Ferienwohnung fährt nicht gern nach Jerusalem. Zu viele religiöse Spinner dort, sagt er. Wohl nirgendwo auf der Welt konzentrieren sich die Gläubigen der drei monotheistischen Weltreligionen auf so klaustrophobisch engem Raum wie in der Altstadt Jeru-salems. Die schweren Unruhen während der Operation Protective Edge liegen erst ein paar Wochen zurück, aber im Grunde ist es kaum zu begreifen, dass es hier kein tägliches Blutbad gibt.

Auch als strenggläubige Atheistin kann man sich der besonderen Aura Jerusalems kaum entziehen – dazu ist hier in den letzten Jahrtausenden einfach zuviel passiert. Vom Tempel auf dem Berg Moriah, auf dem nach jüdischer Überlieferung Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte, steht heute nur noch die westliche Stützmauer – als Klagemauer das größte Heiligtum der Judenheit. Einen kurzen Fußmarsch entfernt befindet sich mit der Grabeskirche wiederum das größte Heiligtum der Christen. Und als wäre das alles noch nicht genug, stehen oben auf dem Tempel-berg mit der Al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom zwei Heiligtümer des Islam. Für Abwechs-lung ist also gesorgt.

Von außen sieht der Felsendom wunderhübsch aus mit seiner goldenen Kuppel und dem türkis-blauen Fliesenschmuck. Seine oktagonale Form ist, wie man mittlerweile weiß, nach dem Vor-bild einer frühchristlichen Kirche in Caesarea entstanden. Der Tempelberg stand im siebten Jahr-hundert verwaist da, als die arabischen Einwanderer auf die Idee kamen, den Opferfelsen zu dem Ort zu erklären, von dem aus Mohammed in den Himmel geritten sein soll, und zwar, dem Koran nach, von der „Fernsten Moschee“ aus. Da kein Muslim eine Ahnung hatte, wo diese sein sollte, entschied man sich für Jerusalem: Al-Aqsa heißt „die Fernste“. Den Besuchern zeigt man als Beweis der Geschichte gern einen so genannten Hufabdruck im Felsen. Wie soll man bei so was ernst bleiben können? Ein Grund für mich, lieber draußen zu bleiben.

Fromme Juden betreten den Tempelberg nicht, da man heute nicht mehr wissen kann, wo einmal der allerheiligste Bezirk lag, den nur die Kohanim betreten durften. Also lässt man es lieber gleich. Die Juden beklagen den Verlust ihres Tempels seit Jahrhunderten an der Klagemauer; sie beten und stecken Zettel mit Wünschen in die Ritzen zwischen den Steinen. Jetzt zu Rosch Haschana herscht ständig reges Treiben und der markante Ton des Schofar genannten Widder-hornes dröhnt über den Platz. Gern kommen Juden aus aller Welt hierher, um die Bar- oder Bat-Mizwa ihrer Kinder zu feiern. Zahllos sind die Fotos berühmter Juden bei solchen Gelegenheiten, etwa von Bob Dylan, gänzlich ohne Gitarre, aber dafür mit Gebetsmantel und Gebetsriemen.

Welche Bedeutung dieser Ort für den Staat Israel hat, kann man daran ermessen, dass hier regel-mäßig die Vereidigung der jungen Rekruten der IDF stattfindet. Nicht nur die vor Stolz platzen-den Eltern dürfen dabei zusehen, auch jeder andere Zuschauer ist willkommen. Wer noch nicht weiß, dass es in Jerusalem abends empfindlich kalt wird, merkt es spätestens bei dieser Gelegenheit.

Aus der Grabeskirche um die Ecke fliegt man achtkantig, wenn zuviel nackte Arme und Beine im Spiel sind. Ich war meist wesentlich schneller draußen als drinnen. Nackte Gliedmaßen und unbedecktes Haar gelten im Orient als hochgradig gefährlich für den Geschlechtstrieb. Also gelangt man nur züchtig bedeckt an den Ort, an dem der Überlieferung nach Christus gestorben, begraben, wieder auferstanden und vermutlich noch vieles mehr sein soll. Jede orthodoxe oder katholische Sekte jedweder Nation hat hier ihre Nischen, Altäre und Ecken, und angeblich soll es ab und an zwischen den Priestern der einen und Patriarchen der anderen zu Zusammenstößen kommen. Möglicherweise schlagen sie dann mit den massiven Kruzifixen aus Olivenholz aufeinander ein, die man überall in den Devotionalienläden kaufen kann. Der Ort der Kreuzigung gilt als relativ authentisch, da er seit frühester Zeit schon von christlichen Pilgern aufgesucht wurde. Es wimmelt es in dem höhlenartigen Gebäude von Altären und Platten, die von Pilgern geküsst und besabbert und eingeölt und wieder abgewischt werden. Das Pilgerleben war im Mittelalter noch bedeutend aufregender: Statt mit heiligen Steinplatten trieb man es da noch untereinander, denn in der Grabeskirche gezeugte Kinder galten als besonders gesegnet.

Hat man tagelang all diesen Umtrieben zugesehen, kann sich bei dem einen oder anderen vielleicht sogar ein akuter psychotischer Schub einstellen. Leichte Anflüge davon spüre ich schon nach wenigen Stunden: Szenen aus „Das Leben des Brian“ rauschen zwanghaft durch mein Gehirn. Zur Kreuzigung? Bitte drüben rechts anstellen, und jeder nur ein Kreuz…

Es kommt in Jerusalem immer wieder vor, das plötzlich Besucher verkünden, sie seien die Jungfrau Maria, Jesus oder der Messias. Diese echten klinischen Fälle von Psychosen sind unter dem Sammelbegriff „Jerusalem-Syndrom“ bekannt. Am Strand zwischen Jaffa und Tel Aviv gab es jahrelang einen Durchgeknallten mit knielangem Bart und prähistorischer Badehose, der gern an der Kreuzung von Sheinkin-Street und Allenby-Road saß und verkündete, er sei der neue Messi-as. Nun kann man so was natürlich überall auf der Welt machen, aber ausgerechnet in Israel ist das wirklich nicht ratsam. Tumultartige Szenen sind dann keine Seltenheit!

Aber keine Sorge, sollten Sie bei ihrem Besuch in Jerusalem plötzlich über den Swimmingpool schreiten oder Wasser in Wein verwandeln können, steht im hoch spezialisierten Herzog Hospital jederzeit ein geschultes Expertenteam bereit…

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Sybille Schrey / 07.10.2014

Frau Sievers, flott geschrieben, aber… „Aus der Grabeskirche um die Ecke fliegt man achtkantig, wenn zuviel nackte Arme und Beine im Spiel sind. Ich war meist wesentlich schneller draußen als drinnen.“ Zuviel - wieso, haben Sie mehr als zwei Arme und zwei Beine? „Nackte Gliedmaßen und unbedecktes Haar gelten im Orient als hochgradig gefährlich für den Geschlechtstrieb. Also gelangt man nur züchtig bedeckt an den Ort…“ Haben Sie schon mal versucht in Spaghetti-Top und Shorts in den Petersdom zu gehen? Mir würde das gar nicht erst einfallen. Nicht etwa aus Prüderie, sondern weil es eine Frage des Respekts ist. Auch ich bin gläubige Atheistin, wenn auch sicher in anderem Sinne als Sie. Aber wenn Sie diese Orte - aus welchem Grund immer - betreten wollen, dann richten sie sich doch bitte nach den Gepflogenheiten, denn es gibt Menschen, die darin keinen Jahrmarkt sehen, schon gar nicht einen der Eitelkeiten. Insofern bringen Sie mit „hochgradig gefährlich für den Geschlechtstrieb“ wohl einiges durcheinander. Als Argument käme das eher in Mar Saba in Frage, weshalb Frauen keinen Zutritt haben. Wenn Sie einen so gesteigerten Wert auf nackte Gliedmaßen legen, dann vergnügen sie sich doch auf dem Oktoberfest und ähnlich illustren Jahrmärkten, die dieser Bezeichnung gerecht werden. „Das Pilgerleben war im Mittelalter noch bedeutend aufregender: Statt mit heiligen Steinplatten trieb man es da noch untereinander…” Falls ich Ihren Beitrag richtig deute: versuchen Sie es mal mit einer Reinkarnations-Hypnose.

Rene Havekost / 07.10.2014

Sehr geehrte Frau Sievers und Herr Schlosser, das war doch noch ganz harmlos. Sie sollten mal den guten alten Nietzsche lesen, der hat gegen derartige Metaphysiker und Jenseitsanbeter viel krasser vom Leder gezogen. Viele bedauerlichen Zustände in der Welt scheinen oft daher zu rühren, das einige Wahnsinnige ihren Wahnsinn nicht für sich behalten können.

Walter Roth / 06.10.2014

Ich pflichte ihnen bei Herr Schlosser. Ich finde es auch etwas dümmlich was in dem Artikel da so abgehandelt wird. Ich bin selber auch eher Atheist, aber zumindest Agnostiker. Ich würde mich aber nie über diese Dinge in der Art auslassen. Das zeugt eher von Kleinheit denn…......

Peter Günnel / 05.10.2014

Eine wirklich gute und treffende Beschreibung von Jerusalem.

Thomas Schlosser / 05.10.2014

Frau Sievers, sich über Gläubige der in Jerusalem konzentrierten Weltreligionen lustig zu machen, zeugt wirklich von ungeheurem Mut. Jetzt wissen wir, dass die Besucher von Klagemauer, Felsendom und Grabeskirche allesamt Trottel sind, der eine aufgeklärte, allwissende Dame aus dem fernen, säkularisierten Deutschland, mal gezeigt hat, was eine Harke ist… Bei meinem Besuch in Jerusalem war ich einfach nur beeindruckt, dass Menschen in der Lage sind, ihren Glauben öffentlich auszuleben, etwas, dass man in Deutschland nur noch selten, bis gar nicht mehr, beobachten kann. Da ich mich, im Gegensatz zu Ihnen, Frau Sievers, auch nicht als ‘Intellektuellen’ bezeichnen kann, wäre es mir damals nie in den Sinn gekommen, den Gläubigen in Jerusalem mit Häme und Hochmut zu begegnen. Dass auch Sie eine Gläubige sind, ist Ihnen vielleicht noch nie in den Sinn gekommen, und doch ist es so: Sie bringen mit Ihrem Reisebericht über Jerusalem ein Opfer dar, auf dem Altar des Zeitgeistes, der sich, wie in der Geschichte der Völker schon oft geschehen, jederzeit wieder drehen kann. Ich habe keinen Zweifel: Spätestens dann werden Sie wieder über Jerusalem schreiben, allerdings diametral anders, als im vorliegenden Fall. Seien Sie also nicht allzu stolz auf Ihre heutige ‘Leistung’......

Annette Laurenz / 05.10.2014

Wunderbar! Danke für Ihre herrlichen Israel-Impressionen.

Georg B. Mrozek / 05.10.2014

Toller trockener Humor, Frau Valentina, entlarvend und einfach köstlich!

Peter Balk / 04.10.2014

“Da kein Muslim eine Ahnung hatte, wo diese sein sollte, entschied man sich für Jerusalem: Al-Aqsa heißt „die Fernste“. “ Dumm nur, dass die Moschee zu Mohammeds Zeiten noch gar nicht existierte!

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