Günter Ederer / 16.02.2013 / 20:21 / 0 / Seite ausdrucken

Istanbul, Dubai, Abu Dhabi – und Posemuckel

Sechs Start- und Landebahnen wird er haben und im Endausbau eine Kapazität für 130 Millionen Passagiere aufweisen – der neue Istanbuler Flughafen. 2017 wird er fertig sein. In Dubai wurde gerade ein neuer Airport für 80 Millionen Passagiere in Betrieb genommen und gleichzeitig mit dem Bau eines noch größeren Flughafens für 150 Millionen begonnen. 200 Kilometer entfernt baut das Scheichtum Abu Dhabi die Konkurrenzanlage. Die dort beheimateten Etihad Airways bekommen ein Drehkreuz für 120 Millionen Passagiere.

Und wir in Deutschland? Wir versuchen uns gerade in Berlin an einem Flughafen für maximal 30 Millionen Passagiere. Eine Lachnummer – aber schlimmer noch als die Pannen ist das, was da in die Landschaft gestellt wird. Im August 2004 war ich in Potsdam dabei, als der verantwortliche Beamte Rainer Bretschneider im Beisein von Ministerpräsident Matthias Platzeck den Planfestellungsbeschluss verkündete. Der beinhaltete Flugbewegungen für etwa 23 Millionen Passagiere und deutliche Nachtflugbeschränkungen. Ein zukünftiges Wachstum war damit von Vornherein nur sehr eingeschränkt möglich. Denn die politische Vorgabe lautete: Berlin soll nur ein mittelgroßer Regionalflughafen werden, keine interkontinentale Drehscheibe.

Damit war sichergestellt: Dieser Flughafen wird sich nie aus den roten Zahlen befreien können. In der Pressekonferenz fragte ein Kollege Ministerpräsident Platzeck, wie viel der Bau denn kosten werde und wer das bezahlen wird. Es folgte ein Lehrstück politischer Arroganz: Platzeck stand auf, meinte noch, dass er doch hier nicht über Geld reden werde, und ging.

Mit diesem Planfeststellungsbeschluss wurde die größte verkehrspolitische Fehlentscheidung der Nachkriegszeit getroffen. 20 Kilometer südlich des Neubaus in Berlin-Schönefeld liegt der ehemalige Zentralflughafen der sowjetischen Streitkräfte in Sperenberg. Zwei 4000 Meter lange Betonbahnen verrotten im Wald. Eigentümer damals: die Bundesrepublik Deutschland. Alle Gutachten haben festgestellt: der beste Standort für einen neuen Flughafen ist Sperenberg. Dort würden nur rund 200 Menschen von einem 24 Stunden-Dauerbetrieb gestört. Das war die Möglichkeit, einen deutschen Zentralflughafen zu errichten, dessen Endausbau es mit Dubai, Istanbul und anderen europäischen Zentren hätte aufnehmen können. Und alle Gutachten stellten fest, der schlechteste Standort ist Berlin-Schönefeld, weil dort die Bevölkerung einer hohen Lärmbelastung ausgesetzt wird.

Das ist der eigentliche Skandal: Die Politik konnte sich gerade noch für einen unrentablen kleinen Flughafen mit hoher Lärmbelästigung entscheiden, und damit gegen ein von jeglicher Besiedlung abgelegenes zentrales europäisches Drehkreuz. Sie werden fragen, wie dieser Irrsinn möglich war und immer noch ist: Darüber ließe sich ein Buch schreiben. Aber ein wesentlicher Grund war: Der Bund wollte keine Konkurrenz für seine Investments in den Flughäfen Frankfurt und München. Damit wäre die 4. Startbahn in Frankfurt und die 3. in München überflüssig geworden. Ich fragte damals Rainer Bretschneider, wieso er überhaupt Schönefeld genehmigen konnte. In Sperenberg, sagte er sinngemäß, sei es wegen der Umweltproblematik wahrscheinlich noch schwieriger geworden. In der Tat hatten die Grünen schon gegen Sperenberg mobil gemacht. So kam es zu dem Kompromiss, der viele Interessen abdeckte, aber ein lausiges Ergebnis darstellt: Ein kleiner Flughafen mit roten Zahlen und viel Lärmbelästigung – Posemuckel lässt grüßen.

Bevor Stuttgart 21 stillgelegt wird, sollte lieber das brandgefährliche Gebäude in Berlin-Schönefeld aufgegeben und in Sperenberg neu angefangen werden. Die Bürgerinitiativen in Berlin und Brandenburg haben ein hervorragendes Nachnutzungskonzept für die Ruine entwickelt. Es geht dabei auch um Deutschlands Position in der Weltluftfahrt. Doch die Provinz bestimmt: Rainer Bretschneider ist mittlerweile Staatssektretär bei Platzeck, und dieser hat ihn jetzt als Flughafenkoordinator eingesetzt. So bleibt alles in der Familie.

Übrigens: Der Berliner Flughafen hat dann die Funktion eines Zubringers für Istanbul und Abu Dhabi. Air Berlin gehört schon zum Teil Etihad Airways, die von Abu Dhabi aus Afrika, Asien, und Australien bedienen.

Erschienen in der Fuldaer Zeitung  

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