Jörg Schönbohm ist am 7. Februar gestorben. In Brandenburg 1937 geboren, aber nach der Flucht seiner Familie 1945 im Westen aufgewachsen, entschied sich Schönbohm, seinem Land als Soldat der Bundeswehr zu dienen. Er stieg zum General auf, wurde Staatsekretär auf der Hardthöhe und nahm sich der Mammutaufgabe an, die Soldaten der NVA in die Bundeswehr zu integrieren. Ein unvergleichlicher Kraftakt, wenn man bedenkt, wie diametral entgegengesetzt die Ziele der NVA denen der Bundeswehr waren. Es gelang ihm erstaunlich reibungslos. Schönbohms Credo: „Nicht Sieger kommen zu Besiegten, sondern Deutsche zu Deutschen.“
In die CDU trat er erst 1994 ein. Er wurde erst Innensenator von Berlin und danach Innenminister von Brandenburg. Er versuchte erfolgreich, die zerstrittene CDU in Brandenburg zu einen.
Unvergessen ist mir seine Rede, die er in seiner Zeit als Innensenator von Berlin am Tag der Deutschen Einheit 1996 hielt und auf deren Basis von ihm ein bemerkenswerter Essay in der WELT AM SONNTAG am 3. November 1996 unter der bezeichnenden Überschrift „Wir müssen uns selbst achten, wenn wir bestehen wollen“ erschien. Hier ein paar Auszüge:
„[…] Im Kern geht es um zweierlei: um uns selbst als Volk sowie um die zukünftigen Aufgaben und Herausforderungen, die wir nur als eine geeinte und selbstbewusste Nation bestehen können. Zunächst zu uns selbst: Wir haben es seit der Wiedervereinigung noch nicht geschafft, eine selbstverständlich gemäßigte, das heißt im besten Sinne normale nationale Identität auszubilden. Dies genau aber wäre notwendig, um die ideellen und seelischen Kräfte zu sammeln, damit wir uns in den stürmischen Zeiten, die uns vermutlich ins Haus stehen, erfolgreich bewähren. War der Weg zur Deutschen Einheit nicht mit unseren deutschen Nationalfarben gesäumt, den Farben der Revolution von 1848, aber auch den Farben der 1949 gegründeten Bundesrepublik, bündelten sich nicht viele Hoffnungen der fahnenschwenkenden Menschenmengen in dem Ruf: „Wir sind ein Volk“?
Dies hat nichts mit Deutschtümelei oder Nationalismus zu tun, sondern damit, daß wir uns selbst anerkennen und achten müssen, wenn wir uns als ein Volk in Europa auch weiterhin erfolgreich einbringen und die innere Einheit vollenden wollen. […] Die Linke hatte die Nation spätestens seit den sechziger Jahren – mit wenigen Ausnahmen – als politische Kategorie abgeschrieben. Die Verleugnung ging zum Teil so weit, daß man versuchte, die Legitimität nationalen Denkens generell abzulehnen – zumindest mit dem Hinweis auf die Zeit zwischen 1933 und 1945. Diese Argumentation lief im Ergebnis darauf hinaus zu behaupten, die Deutschen hätten durch die NS-Verbrechen das Recht auf einen Nationalstaat – und eben damit auf die Wiedervereinigung – verwirkt.
[…] Der Verzicht auf nationale Identität und Gemeinsamkeit, die nationale Selbstaufgabe als eine affekthafte und antithetische Reaktion gegenüber der machtbesessenen Politik des Dritten Reiches konnte weder vor der Wende noch nach der Einheit ein Zukunftsprogramm für Deutschland sein. Diese Position war radikal, überzogen und Ausdruck einer nationalen Selbstherabsetzung, Ausdruck eines nach außen gewendeten Untertanengeistes.“
Glaubwürdigkeit, Aufrichtigkeit und eine klare Sprache
Schönbohm wies ferner darauf hin, dass die Frage der Einheit immer auch eine Frage der Freiheit war, dass unsere Verfassung eine wesentliche Grundlage und zugleich der wichtigste Garant unserer nationalen und kulturellen Identität sowie unserer Entwicklungsmöglichkeiten sei:
„Ohne diese Verfassung gäbe es auch keine wirkliche Freiheit für die Nation. Unser Grundgesetz verbindet deutsche Verfassungsprinzipien – wie die des Föderalismus mit solchen der liberalen und demokratischen westlichen Traditionen; genau darin liegt seine Stärke und Stabilität begründet.“
Er erinnerte daran, dass dies nicht immer so gewesen sei und folgerte schließlich:
„Für die westdeutsche Politik seit 1945 galt ebenso: Einheit nicht um den Preis der Freiheit, sondern Einheit und Freiheit.“
Schönbohm erinnerte daran, dass die glückhafte Wiedervereinigung nicht nur eine Erweiterung des geographischen und wirtschaftlichen Raumes sei, sondern dass sie vielmehr Kulturräume und deren Menschen wieder in unserem Nationalstaat zusammenführte, was uns ermöglicht habe, unsere Identität in unserem Kulturraum in gesicherten Grenzen zu finden, ohne die regionalen und landsmannschaftlichen Besonderheiten aufzugeben.
Schönbohm versäumte dabei nicht, auch an das einstige Ostdeutschland zu erinnern:
„Die deutschen Ostgebiete waren über Jahrhunderte Teil des deutschen Kulturraumes und zum Teil des preußischen Staates. Mit der deutschen Einheit haben wir auf diese Gebiete endgültig verzichtet. Wir alle, die wir unsere Heimat im Ostteil Deutschlands wiedergefunden haben, können verstehen, was es heißt, für immer die eigene Heimat als deutsches Land aufzugeben. Wir sind den Vertriebenen zu Dank verpflichtet. Wir hoffen, daß es in einem zusammenwachsenden Europa möglich ist, sich zum Beispiel so in Polen anzusiedeln, wie wir es heute schon in den Staaten der Europäischen Union können.“
Er beendete seinen Essay mit dem Hinweis, die Zukunft Deutschlands sei heute nur noch denkbar als Teil einer demokratischen supranationalen Gemeinschaft von Völkern, die über dieselben Grundwerte verfügen und doch ihre Eigenart, Kultur und Unverwechselbarkeit bewahren:
„Häufig wird polemisiert, daß wir im zusammenwachsenden Europa keine nationalen deutschen Interessen mehr vertreten dürften. Wer jemals mit Franzosen, Briten oder Italienern verhandelt hat, der weiß, wie falsch diese Annahme ist. Zu unserer Glaubwürdigkeit gehört, daß wir wie die anderen Nationen unsere Interessen definieren und ebenso berechenbar wie nachvollziehbar in die Politik einführen.“
Schönbohm stand für Glaubwürdigkeit, für Aufrichtigkeit und eine klare Sprache. Das brachte ihm Respekt auch bei seinen politischen Gegnern ein. Karl-Heinz Schröter, ein Konservativer der SPD, wie Schönbohm bekannt für klare Worte, wies darauf hin, dass es Schönbohm in seiner Amtszeit gelungen sei, den Rechtsextremismus in Brandenburg deutlich zurückzudrängen und zu schwächen: „Da ließ es Schönbohm nie an Deutlichkeit fehlen.“ Schönbohm gehörte zu jenen Menschen, bei denen man den Eindruck hatte, sie wollten wirklich ihrem Land dienen. Das ist es, was heute nicht nur der Union fehlt.